Fragt man, was eine linke Stadtplanung und Stadtentwicklung kennzeichnen könnte, bekommt man viele Antworten. Linke Stadtplanung sei eine von unten und für die Armen und Ausgegrenzten. Dem steht die Auffassung gegenüber, dass auch eine linke Stadtplanung die Perspektive gesamtstädtischer Sicht, der Interessen der Allgemeinheit einnehmen müsse – von »oben« –, also nicht die eines partikularen Kiezinteresses ungeachtet seiner sozialen Prägung. Demnach seien Stadtplanung und Stadtentwicklung nicht rechts oder links, sondern nur gut oder schlecht. Beladen mit Vorbehalten gegenüber kommunalpolitischer Entscheidungsmacht und ihren Trägern droht Die Linke zwischen unpolitischem Dogmatismus und politisch haltlosem Pragmatismus schwankend für die Diskurse und Auseinandersetzungen um die Gestaltung der modernen Metropolen bedeutungslos zu bleiben.
Eine Stadt ist ein abgegrenzter Raum, in dem sozial und kulturell unterschiedliche Gruppen und Schichten leben. Um ein Gemeinwesen zu bilden, müssen sie zusammenleben, andernfalls zerfällt die Stadtgesellschaft in soziale und kulturelle Parallelgesellschaften, die gegeneinander Spannungen und Widersprüche aufbauen. Eine Stadtpolitik für die Gesamtstadt, für das Gemeinwesen, kann nicht nur Bedürfnisse und Interessen einer ihrer Teile im Auge haben. Linke Stadtpolitik sollte einem sozialen Leitgedanken für die Entwicklungsperspektiven der spätkapitalistischen Metropolen folgen. Sozial im Doppelsinn: integrativ und ausgleichend sowie gesellschaftlich, vergesellschaftend.
Integration statt Segregation, Vielfalt statt Homogenisierung
Das Streben nach sozialer Integration und Ausgleich sollte zu den politischen Grundkonstanten einer linken Stadtentwicklungspolitik gehören. Die spontane Entwicklung kapitalistischer Metropolen folgt den Verwertungsinteressen von Boden und Immobilien. Sie ist mit marktindizierten Auf- und Abwertungsbewegungen von Stadtteilen verbunden. Auch die öffentliche Infrastruktur des Gemeinwesens (Schulen, Kitas, Jugendeinrichtungen etc.) wird dieser Immobilienkonjunktur unterworfen. Die soziale Segregation der Stadt ist über diese periodische Entwertung öffentlicher Investitionen hinaus gemeinwesenschädlich, weil sie die soziale kulturelle Spaltung stadträumlich reproduziert und verfestigt.
Allerdings darf dies nicht bedeuten, einer Homogenisierung der Stadt über alle ihre Stadtteile und Quartiere hinweg das Wort zu reden. Unterschiedliche Stadtteile mit unterschiedlicher Sozialstruktur und einer vielfältigen Stadtkultur bilden eine Qualität moderner Städte. Eine stadträumlich ausdifferenzierte, sozio-kulturelle Vielfalt ist kein Makel für eine Stadt. Sie wird erst zur sozial problematischen Segregation, wenn aus unterschiedlichen Kulturräumen homogene geschlossene Quartiere werden, wenn die Stadtviertel ihre Durchlässigkeit für jedermann verlieren.
Die in Deutschland hoffähig gewordene Verhöhnung von »Multikulti« ist Ausdruck einer Geistesströmung, die in allen Parteien an Einfluss gewinnt. Sie strebt nach sozialer und kultureller Homogenität und sieht im Anderen Fremdes. Vielfalt und Liberalität akzeptiert sie nur für ihresgleichen, gegenüber Anderem sieht man die Grenzen der Toleranz erreicht. Die im Neoliberalismus forcierte soziale Spaltung der Gesellschaft prägt zunehmend die Entwicklung der großen deutschen Städte. Die Segregation ist heute mehr als nur ein Phänomen der Verdrängung von einkommensschwachen Mitbürgern aus einigen hippen Quartieren. Die sozialräumliche Aufspaltung beginnt zu einer umfassenden sozial kulturellen Prägung der Gesamtstadt zu werden und betrifft alle Schichten. Die neuen städtischen Mittelschichten – weltläufig, aufgeklärt, ausgebildet, umweltbewusst – initiieren nicht nur bilinguale Kinderläden und Baugruppenhäuser, protestieren und radeln nicht nur offensiv, sondern erklären ihre Lebensweisen zum Maß der Stadt. Ihre Toleranz erweist sich als eng. Sie homogenisieren ihre Nachbarschaft durch kulturelle Dominanz und soziale Raumergreifung.
Dieser neuen Dimension muss linke Stadtentwicklungspolitik, wenn sie gegen Segregation und soziale Spaltung der Stadt angeht, gerecht werden. Sozialarbeit und Quartiersmanagement in so genannten problematischen Stadtvierteln, so hilfreich sie im Konkreten wirken können, sind die Merkmale einer veraltenden sozialdemokratischen Stadtentwicklungspolitik, die an den neuen Herausforderungen der kapitalistischen Metropole scheitert. Linke Stadtpolitik sollte an den Wurzeln von Segregation ansetzen, der »sozialen« Aufwertung und Immobilienverwertung. Förderung, Stärkung und Ermächtigung der unter Verdrängungsdruck Geratenen, Stärkung der Nachbarschaft und Dämpfung der Aufwertung, Integration und Vielfalt in unterschiedlich gemischten Stadtvierteln sollten Themen linker Stadtpolitik sein. Sie darf sich nicht auf eine sozialarbeiterische Sichtweise und das entsprechende Instrumentarium einengen lassen. Mitunter findet man in den vermeintlichen »Problemvierteln« sozial intakte Nachbarschaften, die keine »sozialen« Quartiersmanager brauchen, sondern mit einem bescheidenen Stadtteilbudget für ihr öffentliches Zusammenleben sich besser selbst helfen könnten. Auch in den »normalen« und »aufsteigenden« Stadtteilen bedarf es der kommunalpolitischen Intervention, um gerade hier der einsetzenden Segregation mit den Instrumenten des Städtebaurechts durch Begrenzung der Aufwertung und der Verwertungspotenziale und durch die Stärkung und Ermächtigung der Nachbarschaften entgegenzuwirken.
Stadtplanung von unten - Linke als Kiezperspektivisten?
»Stadtplanung von unten«, community planning, ist ein modernes Schlagwort, mit dem man durch einen Verfahrensgestus oftmals den inhaltlichen Fragestellungen ausweicht. »Von unten« ist gut, nicht kritisierbar. Auf die Borniertheit derartiger Planungs- und Stadtentwicklungsansätze und das Erfordernis der Einbindung in übergreifende (auch professionelle) Stadtplanung verweisen einige Protagonisten dieser Kampagnen selbst. Die Beschränktheit des Blicks und die Partikularität der Interessenwahrnehmung ist kein gerechtfertigter Vorwurf gegen Bürgerinitiativen und Planungswerkstätten vor Ort. Es ist ihre originäre gesellschaftspolitische Rolle, die Interessen der Bewohner eines Viertels, eines Stadtteils zu artikulieren und in die Meinungsbildung und Entscheidungsfindung einzubringen. Politik und Verwaltung und deren professionelle Planer repräsentieren, entgegen ihrer oft vorgetragenen Anmaßung, nicht per se das Gemeininteresse. Sie formulieren ebenfalls interessengeleitete Positionen, bestimmt von Politik-, Macht- und Verwaltungsinteressen. Diese sind nicht zwingend dem Wohl der Gemeinde stärker als andere verpflichtet, allerdings auch nicht zwingend weniger.
In Deutschland gibt es in Stadtplanungsfragen ein gesetzlich verregeltes Beteiligungsund Mitwirkungsverfahren. Verwaltung und Politik sind meist darauf bedacht, diesen rechtlichen Anforderungen auch Rechnung zu tragen, so dass sich ein formelles Beteiligungswesen ausgeprägt hat, bei dem die Bürger von Amts wegen um ihre Meinung und Mitwirkung gebeten werden. In der gesellschaftlichen Praxis wird dieses Verfahren oft sinnentleert formal abgewickelt. Wenn es doch zu Widersprüchen und Konflikten hinsichtlich der Planungsziele der Behörden kommt, dient es der Befriedung und Einbindung. Manchmal können betroffene Bürger auf diesem Weg auch Veränderungen der Planungen bewirken.
Behördliche Planungen sind hierzulande durch politische Gremienentscheidungen gebunden und zugleich legitimiert. Die kommunalen politischen Amts- und Mandatsträger betrachten sich dabei als legitime Repräsentanten des Bürgerwillens bzw. des Allgemeininteresses. Gibt es Widerstände und organisierte Gegenwehr von lokalen Bürgerinitiativen gegen Stadtplanungsprojekte, sei es ein Straßenbauvorhaben, eine Recyclinganlage, eine Justizvollzuganstalt oder auch ein Sportplatz, dann wird diesen schnell vorgehalten, dass sie nur partikulare Interessen vertreten und nicht legitimiert seien. Aber natürlich sind mit einer Wahl den politischen Parteien der Mehrheit keine Blankolegitimationen in einzelnen Sachfragen erteilt worden. Die Planungsentscheidungen von Behörden und politischen Gremien unterliegen vielfältigen und teilweise massiven Beeinflussungen unterschiedlicher Interessengruppen.
In Deutschland schließen sich derzeit bei umstrittenen Vorhaben sozial breite und generationenübergreifende Gegenbewegungen zusammen. Kreise der Gesellschaft, die in der Vergangenheit die Entscheidungen von politischen Vertretungskörperschaften als legitim akzeptiert haben, sprechen diesen offen das Misstrauen aus und organisieren sich außerparlamentarisch.
Bürger aus den Mittelschichten wirken aktiv und führend in solchen außerparlamentarischen Aktionsbündnissen mit. Sie verfügen oft über hohe fachliche Qualifikationen, Organisations- und Kommunikationsfä- higkeiten und sind in der Lage, ihre Anliegen öffentlichkeitswirksam in den Medien zu platzieren. So geraten die Vertretungskörperschaften unter öffentlichen Druck und werden von Protestbewegungen getrieben. Für Die Linke ergibt sich daraus ein widersprüchliches Handlungsfeld. Einerseits betrachtet sie die Unterstützung und Förderung von lokalen Bürgerinitiativen und einer »Stadtplanung von unten« als ein Grundanliegen, zum anderen sind ihre Mandatsträger Teil der kommunalen Entscheidungsgremien, und Politiker der Linken sind verantwortliche politische Beamte in kommunalen Behörden.
Als Teil der Vertretungskörperschaften haben die Mandatsträger der Linken mitunter andere Gesichtspunkte und Interessenlagen zu beachten, sind in Handlungszwänge eingeschlossen und haben Abwägungen vorzunehmen, die der Bürgerinitiative vollkommen fern stehen, weil diese die unmittelbaren Interessen ihrer Mitstreiter und Unterstützer zur Geltung bringen muss. In solchen Widerspruchssituationen neigen die Mandats- und Amtsträger der Linken zu den gleichen stereotypen Abwehrhaltungen wie die Politiker anderer Parteien. Sie erklären den engagierten Bürgern, dass man sich bemüht habe, das Beste rauszuholen und dass eine bessere Lösung eben nicht erreichbar war.
So nachvollziehbar eine solche Reaktion linker Politiker auch sein mag, sie hat für die politischen Ziele der Linken eine kontraproduktive Wirkung. Nicht nur, weil immer auch eine bessere Lösung möglich ist, sondern weil die Wirkung auf die sich engagierenden Bürger demobilisierend und demotivierend sein kann. So wird im politischen Dialog mit den engagierten Bürgern das Muster von Vertreter und Vertretenen reproduziert. Wenn dann noch nachgeschoben wird, dass man im Gegensatz zur jeweiligen Bürgerinitiative ja das Allgemeine im Auge habe, ist die Delegitimierung, manchmal auch Demobilisierung des widerständigen Bürgerengagements komplett. Dabei ist gar nicht gesagt, dass der Politiker der Linken tatsächlich weitsichtiger ist, auch wenn er von Amts wegen mehr Interessen und Ansprüche betrachten muss als eine lokale Bürgerinitiative.
Das übergreifende Prinzip linker Politik und vor allem auch linker Kommunalpolitik sollte die Aufklärung und Ermächtigung der Bürger sein. Linke Amts- und Mandatsträger können bei allen Bemühungen nicht stellvertretend die Welt ändern, auch nicht die in einer Kommune. Erst politisch wache Bewegung der Bürger eröffnet ihnen Spielräume. Deshalb ist die Aufklärung und Selbstermächtigung von Bürgerbewegung, auch wenn sie sich gegen Mandats- und Amtsträger der Linken richten sollte, kein politischer Masochismus, sondern ein Erfordernis nachhaltiger linker Kommunalpolitik.
Natürlich ist nicht jede Bürgerinitiative, die sich gegen Planungs- und Stadtumbauvorhaben der Verwaltung und der politischen Vertretungsgremien richtet, für die Linke unterstützenswert; Ziele von Basisinitiativen können den politischen Zielen der Linken zuwiderlaufen. Die Linke sollte der Versuchung widerstehen, populistisch jedem Bürgerprotest das Wort zu reden und zu versuchen, auf jeder Protestwelle zur nächsten Wahl zu surfen. Auch dies ist eine Form der Entmächtigung der Bürger, weil man statt über gesellschaftliche Zusammenhänge aufzuklären, der Verdummung und letztlich der Entmutigung den Weg bereitet.
Der Vertreter- und Kümmerergestus des linken Politikers hat zum Komplementär die stark ausgeprägte Zuschauerhaltung des Wahlbürgers: Wir haben dich gewählt, nun setzt mal unsere Interessen durch. Die PDS hat stets ihr Image der »Kümmererpartei« gepflegt und oftmals diese demobilisierende Wechselwirkung übersehen. Wenn dann der Zuschauer-Wahl-Bürger enttäuscht über die Durchsetzungskraft der von ihm gewählten linken Repräsentanten für seine Interessen ist und (Wahl)Betrug, Opportunismus und Anpassung (an die Mächtigen) mutmaßt, versuchen die betroffenen Politiker der Linken die Haushalts- und Koalitionszwänge rechtfertigend entgegenzuhalten und beteuern, dass man guten Willens sei, das Bestmögliche erreicht und größeres Übel abgewendet habe. Auch wenn das alles stimmen würde, so schwächen diese Erfolgs- und Rechtfertigungslitaneien auf Grund ihrer demobilisierenden und latent entmutigenden Wirkung die Handlungsmacht linker Politik heute und in der Zukunft.
Aufklärung, Transparenz, Ermutigung und Ermächtigung der Bürger ist ein Erfordernis linker Kommunalpolitik, um nachhaltige Ergebnisse auch in einer sozialen Stadtentwicklungspolitik zu erreichen. Unterstellt, die Linke ist von der Gemeinwesenfähigkeit des Bürgers überzeugt, gibt es zu seiner permanenten Ermächtigung keine Alternative. Auch wenn der Bürger dies nicht mit Stimmenprozenten bei der nächsten Wahl vergilt, wird eine solche Politik langfristig die Stadtgesellschaft im Sinne der Linken in Richtung auf sozialen Ausgleich und Toleranz, auf Integration und Vielfalt verändern.