Diskussionspapier
1. Die deutsche Automobilindustrie steckt in einer tiefen Krise
Mittlerweile erweist sich auch die starke Abhängigkeit der Industriestruktur in Deutschland von der Autoproduktion für den Export immer mehr als fatale Sackgasse. Die Konzerne wollen hohe Renditen auf Kosten der Beschäftigten und der Gesellschaft erhalten, sie blockieren Klimaschutz und eine zukunftsfähige Transformation. Ohne staatliche Eingriffe, politische Regulation und demokratische Richtungs-Entscheidungen über Investitionen wird es zu einem massiven Beschäftigungsabbau kommen. Ein massive gesellschaftliche Richtungsauseinandersetzung über eine „soziale, ökologische und demokratische Transformation“ (so die IG Metall) ist unabdingbar.
Die Auto- und Zuliefererindustrie ist seit Jahrzehnten die Schlüsselbranche der deutschen Industrie. Die Auto-Industrie trägt als hoch-produktive und export-orientierte Branche maßgeblich zur Volkswirtschaft und zu den Steuereinnahmen bei. Die deutschen Auto-Konzerne sind trotz regelmäßiger Krisen lange Jahre global wettbewerbsfähig geblieben – auch auf Grund der hohen Qualität und Produktivität der Arbeit der mehr als 800.000 Beschäftigten. Trotz gewerkschaftlicher Kämpfe wurden die Belegschaften durch prekäre Arbeit immer mehr gespalten, vielerorts herrscht ein hoher Flexibilisierungsdruck und Arbeitsstress. Die größten Gewinner dieses Modells sind Großaktionäre wie Porsche, Piech, Qaundt, Schaeffler oder die Scheichs von Katar.
Derzeit steckt die deutsche Auto-Industrie in der größten Krise seit 100 Jahren. Dafür gibt es mehrere Gründe, u.a.: globale Überkapazitäten und eine mögliche weltweite Rezession. Der Diesel-Skandal (hat alleine VW und die Beschäftigten bei VW 40 Milliarden gekostet). Es findet ein tiefer Umbruch innerhalb der deutschen Auto-Industrie statt. Die großen Markenhersteller setzen auf eine stärkere Automatisierung. Gemeinsam ist den Konzernen, dass sie ihr Heil in neuen Exportmärkten, digitalisiertem Fahren und Fahrzeugen mit immer höherer PS-Zahl und digitaler Technologie-Ausstattung suchen. Das Auto soll zum „Zuhause“ und Ort der Unterhaltung werden. Diese Modelle (wie SUV; Luxus-Limousinen, Sportwagen) haben einen hohen Energie- und Ressourcenverbrauch, ermöglichen aber den Konzernen höhere Renditen als Kleinwagen. Während VW auf E-Autos und digitalisierte SUV setzt, wollen sich andere Hersteller nicht festlegen. Daimler investiert auch in den Brennstoffzellen-Antrieb.
Dieselben Autokonzerne, die sich heute auf die SUV-Fertigung konzentrieren, argumentierten in der vorletzten Autokrise Anfang des Jahrtausends, man werde – mit Blick auf Klima und Umwelt – das “1-Liter-Auto” bauen. Der damalige VW-Boss Piech fuhr in so einem Auto zur Hauptversammlung nach Wolfsburg, um zu demonstrieren: das geht prima. Es kam anders: erst wurde das 1-Liter-Auto blockiert, dann das 3-Liter-Auto wieder weitgehend vom Markt genommen.
Die deutschen Auto-Konzerne blockieren seit Jahren die notwendige Umstellung auf klimafreundlichere Modelle, um Profite mit Diesel und SUV voll auszuschöpfen. Gleichzeitig ist das Ringen um neue Leittechnologien (Elektromotorisierung, Digitalisierung) und der Verdrängungs-Kampf zwischen den Konzernen um Absatzmärkte ist in vollem Gange. Insbesondere in China und Teilen der EU werden in den nächsten 2 Jahrzehnten nur E-Modelle eine Chance haben. Bei den E-Autos haben Länder wie China oder Südkorea einen Technologie- und Produktionsvorsprung von mehreren Jahren.
Ein „Antriebswechsel“ kostet Milliarden Investitionen. Die Konzerne wollen, dass der Staat die notwendigen Kosten der Transformation und des Ausbaus der Infrastruktur für E-Mobilität übernimmt – ohne durch soziale und ökologische Auflagen für die Produktion Rahmen zu setzen. Angesichts des technologischen Rückstands, verschärften Konkurrenzkampfes auf dem Weltmarkt und (kaum kalkulierbaren) Handelskonflikten ist offen, ob sich die Investitionen in die E-Mobilität für die Rendite-orientierten Anleger lohnen.
Schon jetzt führen die Überkapazitäten und die Strategien der großen Markenhersteller zu Entlassungen bei Zulieferern. Eine Umstellung auf E-Antrieb mit weniger erforderlichen Fahrzeugkomponenten wird erhebliche Teile der mittelständischen Zulieferer in Existenzkämpfe stürzen.
Offensichtlich ist: unter diesen Marktbedingungen bedrohen die Strategien der Auto-Konzerne die Zukunft der Beschäftigten. Aktionäre und Konzernführungen versuchen die Kosten der Krise und der Transformation auf die Beschäftigten abzuwälzen. Ohne staatliche Eingriffe, politische Regulation und demokratische Richtungs-Entscheidungen über Investitionen wird es zu einem massiven Beschäftigungsabbau und weiterem Druck auf die Arbeitsbedingungen und Löhne der Beschäftigten kommen. Das ist auch die Folge falscher politischer Weichenstellungen, die Verantwortung der verfehlten Politik der Bundesregierung!
Die Bundesregierung hat keine zukunftsfähigen Antworten. Ihre Industriepolitik folgt den falschen Prioritäten: an erster Stelle stehen die Profite der großen Export-Konzerne, nicht die mittelfristige Zukunft der Beschäftigten, der Klimaschutz und der Nutzen für die Gesellschaft. Mittlerweile erweist sich die viel zu starke Abhängigkeit der Industriestruktur in Deutschland vom Modell der Exportweltmeisterschaft und die Abhängigkeit der Exportindustrie von der Autoproduktion als fatale Sackgasse. Im Falle einer strukturellen Krise droht ein sozialer Abstieg eines relevanten Teils der Industrie-Arbeiter. Die Krise darf nicht zum Nährboden für rechte Ideologien und Diskurse (Stichwort „Klimawandel-Leugner“) werden. An die Wurzel der Probleme gehende und realistische Alternativen müssen von links kommen!
Die Krise der Auto-Industrie und die Sackgasse des Exportmodells erfordern einen grundlegenden Umbau der gesamten Industrie- und Wirtschaftsstruktur. Es geht um eine radikale und realistische, „soziale, ökologische und demokratische Transformation“ (IG Metall-Manifest 2019): sinnvolle Arbeit und ein besseres Leben für alle Beschäftigten. In der Industrie und in den Dienstleistungen. Es gilt, jetzt die Weichen dafür zu stellen und Planungssicherheit für die Beschäftigten und Unternehmen zu schaffen. Dafür schlägt die LINKE einen Zukunfts-Deal für die Mobilitätswende und eine „soziale, ökologische und demokratische Transformation“ der Auto-Industrie vor.
2. Ein „weiter so“ wäre verheerend
Der Auto-Verkehr ist eine Hauptursache dafür, dass Deutschland die Klimaziele verpasst. Um das Klima zu retten, müssen wir die Co2-Emmissionen, Energie-, Rohstoff- und Flächenverbrauch im Verkehrssektor radikal senken. Die Auto-Konzerne und die Bundesregierung blockieren jedoch den notwendigen Ausbau von Bus, Bahn und zukunftsfähigen Mobilitätskonzepten. Es ist an der Zeit für ein grundsätzliches Umsteuern, für eine sozial-ökologische Mobilitätswende! Wir wollen Mobilität unabhängiger vom Auto machen – umweltfreundliche und co2-neutrale, für alle bezahlbare und gut erreichbare Alternativen in öffentlichem Eigentum
Der Verkehrssektor ist der einzige Sektor, der seit 1990 (leicht) steigende Emissionen aufweist. Der Anteil des Verkehrs an den CO2-Emissionen liegt mittlerweile bei mehr als 18 Prozent. Die Notwendigkeit eines Umsteuerns ist offenkundig – doch passiert ist bislang praktisch nichts. Der Abgas-Betrug der Konzerne hat die Gesellschaft nicht nur Milliarden gekostet. Bis heute wurden keine ausreichenden Konsequenzen gezogen. Im Klimaschutzplan der Bundesregierung fehlt ein Plan für die ökologische Umgestaltung der Autoindustrie. Die Bundesregierung hält an den Milliarden-Subventionen für die Auto-Konzerne fest: das Steuerprivileg von Dienstwagen kurbelt besonders den Verkauf von SUV und Luxus-Limousinen an. Milliarden an Investitionen fließen in die falsche Richtung – 170-mal mehr in neue Straßen- als Schienenkilometer.
Durch den Klimawandel findet ein notwendiger Wandel im gesellschaftlichen Bewusstsein statt – besonders bei jüngeren Menschen. In der Klimafrage findet aber zugleich eine gesellschaftliche Polarisierung statt. Der Stellenwert des Autos ist in der Gesellschaft umstrittener denn je. Das Auto verliert für viele Menschen bereits an Bedeutung als Statussymbol. Gleichzeitig hat die Zahl der Autos in Deutschland in den letzten Jahren weiter zugenommen. 2018 wurden 4 Millionen neue PKW in Deutschland zugelassen. Waren es im Jahr 2000 noch 532 Pkw pro 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner, ist diese Zahl mittlerweile auf ca. 600 im Jahr 2018 angestiegen (vgl. Umweltbundesamt). Jeder 5. Fahrzeughalter in Deutschland hat zwei und mehr PKW, das sind rund 8 Millionen Zweitwagen. Besonders umweltschädliche Diesel-Fahrzeuge und SUV werden verstärkt gekauft. SUV machen 40% der Neuzulassungen in Deutschland aus, sie werden zu etwa 70% als Firmenwagen beschafft. Aber: über 15 Millionen Menschen, rund 25% der Haushalte besitzen keinen PKW, darunter v.a. Niedrigverdienende, Singles und ökologisch eingestellte Menschen in Städten sowie Erwerbslose und RentnerInnen.
Laut Umfragen würden 48% der Deutschen auf ein Auto verzichten, wenn es zuverlässige und günstigere Alternativen gibt. Aber für viele Menschen fehlen alltagstaugliche und bezahlbare Alternativen zum Auto. Das wollen wir ändern. Eine Mobilitätswende richtet sich nicht gegen AutofahrerInnen – und nicht gegen die Beschäftigten der Auto-Industrie. Das sind Mythen, die die Konzerne und rechte Klimaleugner verbreiten.
Mobilitätswende heisst: bezahlbare und ökologische Mobilität für alle statt Abhängigkeit vom Auto. Es geht um eine Abkehr von der „Auto-Gesellschaft“, also der starken Abhängigkeit unseres Alltags, der Industrie und der Wirtschaft vom privaten Auto-Besitz, Auto-Fahren als dominanter Mobilitätsform, die Stadt- und Verkehrsplanung sowie Wirtschaftspolitik dominiert.
Die Auto-Konzerne halten mit aller Gewalt und massivem politischen Druck an der Auto-Gesellschaft fest und wollen den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor hinaus zögern. In den nächsten Jahren wollen die Konzerne Indien und den afrikanischen Kontinent erobern. Der verstorbene VW-Chef Piech erklärte bereits vor Jahren, dass VW sich im „Krieg“ mit den anderen Auto-Konzernen befinde und diesen gewinnen wolle. Das ist angesichts des Klimawandels nichts anderes als eine Kriegserklärung an die Gesellschaft. Wir wollen eine Mobilitätswende, die dazu führt, dass sich die Zahl der Autos in Deutschland und international in den nächsten 15 Jahren deutlich verringert.
„Weniger Autos“ kann aber nicht heißen: diejenigen, die derzeit aus Mangel an (bezahlbaren oder im Alltag machbaren) Alternativen aufs Auto angewiesen sind, zu bestrafen. Eine Verringerung der Auto-Zahl in den nächsten 10 Jahren um die Hälfte ist notwendig und möglich ohne Gering- und Normalverdienende zu belasten. Nicht durch Zwang, sondern durch überzeugende Alternativen. Der Weg, den die LINKE vorschlägt: umweltfreundliche, co2-neutrale, für alle bezahlbare und gut erreichbare Alternativen, ausbauen und so in den nächsten 10 Jahren die Zahl der Autos um die Hälfte reduzieren[1]. Ein solcher Wandel bringt mehr statt weniger Lebensqualität für die Menschen: kürzeren Wegen, Auto-freie Innenstädte, mehr Sicherheit, mehr freie Zeit und weniger Stress.