Ja, der Wahlkampf nervt. Und trotzdem: wir leben parteipolitisch eigentlich in spannenden Zeiten. Schon kleine Verschiebungen in den bisher prognostizierten Ergebnissen können das Bild für den Wahlabend am 26. September deutlich verändern. Mehr als ein Drittel der Wähler*innen ist angeblich noch unentschieden. Selten war der Ausgang deshalb so offen. Und noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik gab es so viele rechnerisch mögliche Varianten von Regierungskoalitionen. Entsprechend dreht sich die Diskussion in Mittagspausen und Twitterblasen, beim Abendessen und an WG-Tischen nun häufig um die Frage, ob nicht dieses Mal „taktisch" zu wählen sei. Gemeint ist damit, entgegen der eigentlichen Partei- oder Programm-Präferenz so zu stimmen, dass ein bestimmtes Ergebnis (oder Bündnis) zu Stande kommt oder eben verhindert wird. Bekanntes Beispiel sind aktuell die Überlegungen im Thüringer Wahlkreis von Hans-Georg Maaßen. Dort gibt es Appelle, mit der Erststimme einen aussichtsreichen Gegenkandidaten zu wählen, um den bekennenden Rechtsaußen nicht in den Bundestag einziehen zu lassen.
Vor der Frage, was zu wählen sei, um der gewünschten Veränderung am nächsten zu kommen, stehen derzeit auch viele, die angesichts der schreienden Klimakrise ein Weiterso in der Politik um jeden Preis verhindern wollen. Der Ruf vor allem junger Menschen nach einer #Klimawahl führt nämlich längst nicht so eindeutig zum automatischen Kreuz bei den Grünen, wie es sich die Wahlstrateg*innen um Baerbock und Habeck oder Teile der Bundesebene von Fridays For Future wünschen und herbei zu campaignen versuchen.
Zum einen kann auch die Partei mit der Sonnenblume nach aktuellen Einschätzungen kein Programm vorlegen, das mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens vereinbar wäre. Zum anderen hat der grüne Lack in der Realpolitik inzwischen etliche Risse erhalten: in Hessen ließ die Landesregierung Umweltaktivist*innen aus einem alten Wald prügeln, um ihn für eine überflüssige Autobahn roden zu können. Und während der grüne Landesvater sich ausgerechnet für die Automobilindustrie in die Bresche wirft, lässt die ökologische Wende in Baden-Württemberg lange auf sich warten. Ein grüner Kapitalismus, der dank Wachstum und einer ordentlichen Schippe Standortnationalismus unsere Problem schon alle lösen wird, so lautet die nicht sehr originelle Erzählung, der viele nur zu gern glauben möchten. Von System Change keine Spur.
Ein leicht begrünter Status Quo wird für die Anforderungen der kommenden Jahre jedoch schlicht nicht reichen! Das gilt auch für die Steuer- und Finanzpolitik: ohne mutige Gegenfinanzierung der notwendigen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft durch Einschnitte bei Vermögen und hohen Einkommen wird der Umbau nicht zu stemmen sein – und zwar egal wie drastisch alternativ dazu der Sozialstaat ramponiert wird.
Nicht mehr grün hinter den Ohren
In jedem Fall kommt es mit Blick auf die Klimapolitik und den notwendigen sozial-ökologischen Pfadwechsel vor allem darauf an, dass CDU/CSU und FDP an einer künftigen Koalition nicht beteiligt sind (Für die AfD stehen die Chancen darauf aktuell zum Glück schlecht).
Tatsächlich legen Umfragen nahe, dass die CDU in wenigen Tagen ein historisch schlechtes Ergebnis einfährt und statt Armin Laschet Olaf Scholz der nächste Bundeskanzler wird. Nun ist zwar auch Scholz ein ausgemachter Blockierer in Klimafragen, aber den Wettstreit um das kleinere Übel gewinnt er allemal. Wunschjuniorpartner sind für ihn die Grünen, deren Traum von einer eigenen Kanzlerinnenschaft sich im Laufe des Sommers zerschlagen hat. Weil sie schon am längsten und bis heute am meisten vom Klimaschutz reden, fliegen ihnen allen Auto-Kretschmanns und Danni-Räumungen zum Trotz noch immer viele ökologische Herzen zu.
Wo aber landen die Grünen, wenn die Stimmen für die erklärte Präferenz Rot-Grün am Ende nicht ausreichen? Nach jahrelangem Flirt mit Schwarz-Grün auf Bundesebene ist derzeit auch ein Jamaika-Bündnis mit Lindners FDP alles andere als ausgeschlossen und mehr als eine rein theoretische Option.
Linke oder Lindner
Allen klimapolitischen Forderungen zum Trotz grenzen sich die Grünen von den marktfanatischen, technikromantischen und tief im Lobbyfilz verfangenen Schwarz-Gelb-Parteien nicht ab. Und das, obwohl ein sozial-ökologischer Politikwechsel mit ihnen völlig undenkbar ist. Vor die Wahl gestellt, wer der dritte Partner für eine gemeinsame Legislatur sein sollte, würden sich sowohl SPD als auch Grüne wohl eher in die Arme von Christian „Sache-für-Profis“ Lindner werfen, als mit der LINKEN über ein progressives Regierungsbündnis zu verhandeln. Das 1,5 Grad-Ziel ist mit einer Ampel-Koalition aber erst recht nicht mehr zu erreichen. Zentrale Punkte des Wahlprogramms, im Falle der Grünen sogar des originären Markenkerns, würden dem eigenen Fracksausen vor tatsächlichem Wandel geopfert.
Wer taktisch für echten Klimaschutz, für einen Kohleausstieg bis 2030, eine nachhaltige Mobilitätswende, die nicht allein auf Elektroautos setzt, und für eine ökologisch ausgerichtete Agrarpolitik stimmen möchte, muss den Druck auf SPD und Grüne erhöhen, ein Linksbündnis möglich zu machen. Das geht am besten mit einer Stimme für die LINKE. Sie ist die einzige Partei, die Armin Laschet definitiv nicht zum Kanzler wählen würde und kann dafür sorgen, dass die beiden anderen die eigenen Forderungen und Versprechen auch umsetzen. In jeder anderen Koalition würden die Klimaziele und viele sinnvolle Einzelmaßnahmen schon in den Sondierungsgesprächen zur Unkenntlichkeit geschleift und die bitter nötige Veränderung auf grüngewaschene Slogans reduziert.
Rot-Grün ohne Linke war schon beim letzten Mal ziemlicher Mist. In Zeiten einer heraufziehenden ökologischen Katastrophe haben wir für Neuauflagen, gar mit einem neoliberalen Posterboy als Kanzlermacher, nicht nur keine Nerven, sondern auch schlichtweg keine Zeit mehr.