Seit gut neun Monaten gibt es Fridays for Future in Deutschland und weltweit – was ist aus deiner Sicht die Bilanz? Wo steht die Bewegung?
Also erstmal ist es ein Riesenerfolg, dass eine echte globale Bewegung entstanden ist. Beim globalen Klimastreik am 20.Mai sind weltweit über zwei Millionen Menschen auf die Straße gegangen, allein in Deutschland 300.000. Was diese Bewegung geschafft hat, ist, den Diskurs zu verschieben: die Klimakrise ist viel präsenter geworden, viele fangen an, sich darüber Gedanken zu machen. Und ein weiterer positiver Punkt, zumindest hier in Deutschland: Fridays-for-Future hat sich mit anderen Akteuren wie etwa Ende Gelände solidarisiert. Es wird betont, dass man andere Aktionsformen hat. Aber es ist klar: wir haben das gleiche Ziel. Bei den Demos in Aachen und im Rheinland im Juni haben sich die Proteste gegenseitig unterstützt. Fridays-for-Future haben es geschafft, unterschiedliche Leute zusammenzubringen und viele neue Leute zu politisieren. Trotzdem muss man ganz klar sagen: von den Forderungen ist bis jetzt keine erfüllt. Einige laufen ja schon Ende 2019 aus und ich sehe nicht, das bis dahin viel passiert. Das zeigt, dass wir nicht ernst genommen werden und viel mehr Druck machen müssen. Es reicht nicht mehr aus, Forderungen aufzustellen. Wir müssen weiter auf die Straße gehen und noch radikaler und lauter werden.
Ist der globale Klimastreik am 20.9. ein solcher nächster und radikaler Schritt?
Ja, der von Greta Thunberg ausgerufene globale Klimastreik am 20.9. ist ein ganz wichtiger nächster Schritt. Unter dem Hashtag #AlleFürsKlima wollen wir die Bewegung ausweiten und sagen: alle müssen auf die Straße, nicht nur die Schüler. Hier in Leipzig sind wir darüber mit vielen im Gespräch: Zuallererst mit den Gewerkschaften und mit der LVB, den Leipziger Verkehrsbetrieben. Wir haben uns mit der GEW getroffen und mit Lehrerinnen und Lehrern, wir versuchen migrantische Communities anzusprechen. Die Klimawoche dauert bis zum 27.9. und verläuft parallel zum UN-Klimagipfel in New York. Sie ist eine Chance, in den einzelnen Städten sichtbarer zu werden und mit anderen Akteur*innen Aktionen zu organisieren. Das Ganze endet am Freitag, den 27.9. mit dem sogenannten Earth Strike, der auch von vielen NGOs ausgerufen wird.
Was genau meint ihr, wenn ihr über den Streik am 20.9. sprecht? Politischer Streik ist in Deutschland ja rechtlich schwierig. Wie diskutiert ihr das?
Das wird sehr unterschiedlich diskutiert. Tatsächlich passen wir die Begriffe an, je nachdem, mit wem wir reden. Wenn wir uns mit den Gewerkschaften treffen, dann wissen wir: „Streik“ ist ein Reizwort und politischer Streik nicht möglich. Deswegen versuchen wir, die Beschäftigten für „Klima-Aktionstage“ zu gewinnen. Im Schul- und Uni-Kontext macht aber der Streik total Sinn. Nur das Mittel das Streiks konnte diese Wucht und diese Aufmerksamkeit erzeugen. Der Regelbruch hat ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass etwas grundlegend falsch läuft und wir den normalen Betrieb in Frage stellen müssen.
Diskutiert ihr mit den Gewerkschaften auch, den Rahmen weiter auszureizen, z.B. im Betrieb durch Versammlungen oder kreative Arbeitsniederlegungen? Also mehr Richtung Streik zu gehen als lediglich in der Freizeit die Demo zu besuchen?
Vorerst sprechen wir nur über Aktionstage. Auch, weil diese ganze Kooperation noch in den Kinderschuhen steckt. Es gibt bei Fridays for Future eine bundesweite Gewerkschaftsvernetzung, die sich z.B. mit Frank Bsirske getroffen hat, der sich nun auch mit uns solidarisiert. Ansonsten passiert das vor allem auf lokaler Ebene, so wie hier in Leipzig mit den Verkehrsbetrieben. Es ist ein längerer Prozess der Annäherung. Denn allein durch die Art, wie die Klimabewegung lange von den Medien dargestellt wurde, gibt es viel Ablehnung und Vorbehalte in der Arbeiter*innenschaft. Darum ist der erste Schritt, zu sagen: wir sind keine Feinde. Sondern der Feind ist woanders. Wir müssen zusammen gegen die großen Konzerne kämpfen und auch bessere Arbeitsbedingungen erreichen. Wenn wir einen Ausbau des ÖPNV fordern, darf das nicht dazu führen, dass Beschäftige dort noch weniger verdienen und noch mehr arbeiten. Ein gerechter ÖVPN für alle muss auch bessere Löhnen und mehr Personal bedeuten. Dieser Prozess fängt gerade erst an und vieles kann sich noch ändern. In ein paar Monaten können wir vielleicht auch über einen politischen Streik nachdenken.
Ihr konzentriert euch also auf den Common Ground, und nicht auf die Konflikte, die es ja auch gibt zwischen Gewerkschaften und Klimaschützer*innen, z.B. in der Auto-Industrie oder im Kohlebergbau…
Ja, wir suchen erstmal das, was uns verbindet, und nicht, was uns trennt. Der ÖPNV ist ein großes Themenfeld, wo wir jetzt nach gemeinsamen Forderungen suchen. In Sachsen zum Beispiel ist der ÖPNV auf dem Dort miserabel ausgebaut – natürlich fahren da alle Pendler mit dem Auto nach Leipzig. Das zu ändern, ist für die Dorfbewohner*innen gut, für die Busfahrer*innen gut, wenn sie mehr gute Arbeit haben und fürs Klima ist es natürlich auch top.
Und in die andere Richtung – wie offen seid ihr da? Es gibt ja einige Unternehmen, die mit der Belegschaft gemeinsam zum Klimastreik gehen und das für ihre Außendarstellung nutzen. Dürfen große Konzerne bei euch mitstreiken?
Kooperationen mit Unternehmen sind ein total schwieriges und sensibles Thema. Da gibt es bei Fridays-for-Future unterschiedliche Ansichten. Das ist aber auch das Spannende: Es ist nicht so wie in klassischen linken Bündnissen, wo es einen unausgesprochenen Konsens gibt. Beim Frauen*streik-Plenum letztes Jahr wäre niemand auf die Idee gekommen, Unternehmen mit ins Boot zu holen. Aber bei Fridays for Future ist das anders. Da gibt es Liberale, die sagen: ist doch super, wenn Adidas auf unserer Demo mitläuft. Ich als Linke sage dann natürlich, dass das nicht das Ziel sein kann. Unser Ziel ist, eine Mehrheitsbewegung von unten aufbauen. 70% der CO2-Emmissionen werden von den 100 größten globalen Konzernen ausgestoßen – die sind unser gemeinsamer Feind. Lasst uns lieber die Beschäftigten organisieren. Aber für diese Position muss ich aktiv werben, sie ist nicht schon gesetzt.
Viele Aktive bei Fridays-for-Future hoffen, die Politik mit den richtigen Argumenten zum Handeln zu bewegen. Was passiert, wenn das nicht funktioniert? Werden viele resigniert aufgeben? Oder werden sich die Proteste radikalisieren?
Diese Enttäuschung wird definitiv auf uns zukommen und darauf müssen wir uns vorbereiten. Ich glaube, was wir in diesem Moment brauchen, ist eine Vision. Wie die aussehen soll, da wird viel diskutiert. Etwa die Frage Konsumkritik vs. Systemkritik. Zumindest wir hier in Leipzig sind uns da einig: wir müssen auf die Ebene der kollektiven Entscheidungen gehen. Und da einen gemeinsamen, aber doch klaren Weg finden. Zu sagen: Es ist total cool, wenn ihr euch vegan ernährt und auf Flugreisen verzichtet. Das reicht aber nicht. Wenn in der Geschichte große Veränderungen durchgesetzt wurden, dann immer, weil sich Leute organisiert und selbst ermächtigt haben und immer mehr geworden sind. Wir wollen die Mehrheit hinter uns vereinen, und zwar nicht, indem wir mit großen Konzernen kooperieren, sondern indem wir alle Arbeiter*innen, Lehrer*innen, Schüler*innen organisieren. Natürlich kann ich keine Prognose für die nächsten Monate geben. Sicher wird es Kontroversen geben. Aber ich bin zuversichtlich: wenn wir große Visionen haben wie das ÖPNV-Projekt und konkrete Pläne wie eine bundesweite Klimastreikwoche an den Unis im nächsten Semester, wird uns das zusammenhalten und den Leuten auch Mut und das Gefühl von Selbstwirksamkeit geben.
Wie genau würdest Du die Vision beschreiben, für die ihr in F4F werbt?
Unsere Vision für diese Bewegung? Dass wir viele sind und dadurch wirkliche, systemische Veränderungen durchsetzen können. Es reicht nicht, dass Schnitzelbrötchen an der Mensa abzuschaffen, wir brauchen eine grundlegende Transformation. Das schaffen wir nur mit vielen Leuten, die radikale Forderungen stellen und sich nicht von der Politik kleinreden lassen.
Ihr wollt im ersten Schritt viele Leute mitnehmen, auch indem ihr ihnen sagt, dass sie nicht auf das Schnitzel oder die Flugreise verzichten müssen. Aber wie lässt sich das später einholen, wie wächst die Akzeptanz dafür, die eigene Konsum- und Lebensweise radikal zu ändern und ja, auch einzuschränken?
Ich gebe Dir recht, dass das eine Schwierigkeit ist. Aber wenn wir uns die Zusammensetzung unserer Bewegung anschauen, dann sollten wir einfach klar haben, an wessen Seite wir kämpfen wollen. Es geht mir nicht um ein „Wir wollen nicht anecken“ oder „Alle sollen uns gut finden“. Wir müssen anecken. Und wir werden in Konflikte geraten. Aber wir sollten gut überlegen, mit wem. Es kann nicht unser Ziel sein, dem Vorstandsvorsitzenden von RWE freundlich gesinnt zu sein. Aber die Leute, die unter diesem System auf unterschiedliche Art und Weise leiden, wollen wir auf unserer Seite haben. Natürlich müssen wir global schauen, wer am meisten betroffen ist und solidarisch sein. Das müssen wir den Leuten auch deutlich vermitteln. Aber wir können es nur im Prozess lernen. Ich denke, am Ende werden viele Menschen verstehen, dass die Klimakrise nicht isoliert zu betrachten ist, sondern mit anderen Strukturen verwoben ist.
Die meisten kennen Fridays for Future als Schüler*innenbewegung. Was machen die Students for Future und wann habt ihr euch gegründet?
Hier ins Leipzig gibt es uns seit April. Nachdem die Schüler*innen auf die Straße gegangen waren, hatten ich und andere politisch aktive Studis das Gefühl, wir müssen nachziehen. Die Resonanz war riesig: Bei unserem Gründungstreffen waren direkt 60 Leute, bei unser Vollversammlung im letzten Semester – der ersten Vollversammlung seit sieben Jahren – waren es 1300 Leute. Wenn ich über den Campus laufe und dafür werbe, spüre ich sehr großen Zuspruch. Ganz anders, als wenn ich für andere linke Themen oder auch gegen die AfD mobilisieren will. Wir erreichen da Leute, die wir bei anderen Themen nicht erreichen. Und unsere Gruppe ist relativ stabil bei 50-60 Leuten. Wir haben dabei auch die Uni selbst im Fokus: auf der Vollversammlung haben wir gefordert, die Co2-Bilanz offenzulegen und auf eine klimaneutrale Uni hinzuarbeiten, außerdem Vorlesungen zum Klimawandel als Teil des Curriculums. Wir haben aber immer beides im Blick, die Ebene der Uni und die Gesamtgesellschaft.
Wie eng seid ihr mit der Schüler*innen-Bewegung verzahnt?
Wir sind eine unabhängige Gruppe, aber planen den 20.9. gemeinsam mit den Schüler*innen. Offiziell sind die Studi-Initiativen aus einer Arbeitsgruppe der bundesweiten Fridays for Future-Strukturen entstanden. Wir haben also sowohl einen bundesweiten Zusammenhang von Studigruppen wie auch eine bundesweite Koordination mit den Schüler*innen. Wie eng man zusammenarbeitet, ist von Ort zu Ort verschieden.
Wie groß ist der Einfluss der politischen Hochschulgruppen wie dem SDS bei den Students for Future? Wie erlebt ihr den Organisierungsprozess?
Das ist von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Hier in Leipzig überwiegen sicher die linken Kräfte. Trotzdem sind wir vom Charakter her anders als viele linksradikale Gruppen, in denen sich immer die gleichen Leute treffen. Wir schaffen es, neue Leute mit reinzuholen, die sich nicht beim SDS organisieren würden. Politisierung ist natürlich ein Prozess. Wir können nicht erwarten, dass die Leute sofort systemkritisch sind und den Kapitalismus als Problem benennen. Es macht aber was mit ihnen, wenn sie merken, dass sich trotz aller Mühen nichts bewegt. Und genau diesen Prozess wollen wir begleiten und gemeinsam gehen. Ich finde es unglaublich wichtig, als Linke in dieser Bewegung präsent zu sein und auch selbst was dabei zu lernen. Hier in Leipzig organisieren wie Bildungsformate, etwa neulich einen Theorie-Sonntag, wo wir über die polit-ökonomischen Ursachen des Klimawandels gesprochen haben. Diese theoretischen Aspekte sinnvoll einzubringen, ist eine hohe Kunst. Wenn es klappt, ist es unheimlich wertvoll und man stößt auf viele offene Ohren.
Es sind auffällig viele Frauen in der Fridays-for-Future Bewegung. Warum?
Meiner Erfahrung nach sind inKlima-Gruppen fast immer um die 8o% Frauenanteil. Ich glaube, dass die Atmosphäre grundsätzlich eine einladendere ist als in klassischen linken Gruppen. Die Klimakrise ist als Thema mehrheitsgesellschaftlich anschlussfähiger und damit auch einfacher zugänglich. Da engagieren sich Leute, die sonst vielleicht denken würden: „Ich geh da lieber nicht hin, da sind nur Polit-Profis, die von allem einen Plan haben“. Und natürlich ist es eine andere Stimmung, wenn 80% Frauen sind, solidarischer und unterstützender. Das macht es leichter, auch wiederzukommen und dabei zu bleiben. Es ist eben nicht der mühsame Kampf, sich zu beweisen, den ich sonst als Frau auch in linken Kontexten erlebe. Das ebnet den Weg für Frauen, die sich engagieren wollen, aber keine Lust auf Machtkämpfe haben.
Das Gespräch führte Hannah Schurian