Marlene: Aber wissen Sie, was das Schlimme ist? Auch das ist bekannt!
Diese Entfernungen sind intuitiv allen bekannt!
Diese immensen Unterschiede überraschen Sie gar nicht wirklich. Oder? Gut!
Versuchen wir's anders, werden wir emotional, wenn's sachlich scheitert.
Es war einmal ein Kind. Das hieß Marlene ­Engelhorn. Und das war ich.
Das Kind wuchs in einem riesigen Haus auf, 
mit einem riesigen Garten,
und drum herum wohnten lauter Familien 
in riesigen Häusern mit riesigen Gärten,
weil in dem ganzen Bezirk fast nur riesige Häuser mit riesigen Gärten
für Menschen mit riesigen Vermögen standen.
Natürlich gab es für das Kind ein eigenes Zimmer,
und altmodischen Schnickschnack wie einen Speiseaufzug und einen Wäscheabwurf,
aber auch einen Seiteneingang für die Lieferant*innen
und eine Bibliothek hinter verzierten Schiebetüren mit wandhohen Bücherschränken.
Und für das Kind, das ich war, war das alles ganz normal,
und weil es so lebte, dachte es sich: »Alle Menschen leben so«, denn alles andere war unsichtbar!
Natürlich ging das Kind, das ich war, in einen Privatkindergarten,
und natürlich war es ein französischer Kindergarten, die Maternelle,
und natürlich war auch das für dieses Kind ganz normal! 
Wie soll denn ein kleines Kind verstehen, dass in diesem wunderbaren,
privat finanzierten französischen Kindergarten
diese exklusiven Normen und Gedanken eingefleischt sind,
diese ekelhaften Herrschaftsgedanken, diese verdammten Elitegedanken,
dass die überhaupt überall in jeder Ritze des Alltags dieses Kindes steckten, das ich war? 


Volker: Marlene? Alles gut? Was ist? 


Marlene: Die Leute werden denken, das ist meine Story, das ist was Persönliches. 


Volker: Ja, natürlich. Das ist es ja auch! Mach mal Arbeitslicht, bitte.


Marlene: Aber das pack ich nicht. Meine gesamte Anstrengung in der Öffentlichkeit
liegt im Widerstand dagegen, diese Geschichte privat zu machen! 


Volker: Aber das ist doch gerade der Witz! Man hört dieser Geschichte zu, weil du sie erzählst! 


Marlene: Aber so will ich sie nicht erzählen! Ich will nur ein Beispiel sein, für ein Thema,
ich gebe nur strukturell was von mir her. 


Volker: Das Strukturelle erzählt sich doch über deine Person!
Das ist die Grundidee dieses Abends, das ist der Plan! 


Marlene: Aber wieso muss ich dabei sein?  


Volker: Die Millionenerbin spricht persönlich über Reichtum.
Arme gibt es ohne Ende auf den Bühnen, Reiche fehlen! 


Marlene: Aber reicht es nicht, wenn es mein Text ist? Und du spielst das mit einer Schauspielerin? 


Volker: Nein! Wir haben Theater gefunden wegen Marlene Engelhorn.
Wir haben Geld bekommen wegen Marlene Engelhorn. 
Die ganzen Leute sind hier wegen Marlene Engelhorn! 


Marlene: Das ist aber genau der Personenkult, den ich nicht will! 


Volker: Das ist aber genau die Theaterform, die mich interessiert!
Mit Leuten auf der Bühne arbeiten, die persönlich beglaubigen, was sie sagen. 
Das ist eine aufregende, eine spannende Theaterform!
Die ich übrigens mit erfunden habe, 2003.
Der Dresdner Bürgerchor ist die Mutter aller Bürgerbühnen! Marlene, du hast zugesagt. 


Marlene: Und dann hab mich nicht getraut, etwas zu sagen, abzusagen.
Volker, das fällt mir nicht leicht. Ich fühl mich auch wie der größte Feigling, 
ich fühle mich wie eine verwöhnte Superreiche. 


Volker: Sollen die jetzt alle nach Hause gehen?  


Marlene: Du kannst mir nicht erzählen, dass du keine Schauspielerin findest. Volker Lösch. 


Volker: Natürlich finde ich eine, wenn ich das will! Aber du machst weiter mit, ja?
Da, wo du es kannst, und wo nur du es machen kannst, bist du weiterhin dabei, ok?
Und es muss eine exzellente Schauspielerin sein. Ich werde keine Kompromisse eingehen! 


Marlene: Ja, gut, natürlich nicht. 


Volker: Sie muss im Thema sein! 


Marlene: Okay. 


Volker: Eine Schauspielerin, die mit mir bereits gearbeitet hat. Am besten eine, die Marlene heißt! 


Marlene: Sehr witzig, Volker. 


Volker: Und die auch aus Wien kommt! Und sie muss den Text können. 


Marlene: Wahnsinnig komisch. 


Volker: Liebe Leute, liebe Koproduzent*innen, 
liebe Kunst, liebe Rosa-Luxemburg-Stiftung. 
Bitte begrüßt mit mir eine wunderbare Schauspielerin!
Sie hat in meiner Dresdner Tartuffe-Inszenierung
zum Thema Ungleichheit mitgespielt,
und uns wegen einer gründlich durchdachten, inhaltlich begründeten,
lange geplanten konzeptionellen Veränderung kurzfristig zugesagt.
Sie kommt direkt aus Österreich, ganz viel Applaus für Marlene Reiter aus Wien!


MR
Hallo, Marlene!
ME
Hallo, Marlene! 


Volker: Bitte, Marlene!
ME
Danke, Marlene!
MR
Bitte, Marlene.  


Volker: Bitte, Marlene! 


Marlene: Das Kind, das ich war, hatte Mangel an nichts, für alles war gesorgt.
Und es reiste natürlich auch viel, machte Urlaub in fernen Ländern,
es war sogar einmal in der Karibik, und es fand das jedesmal aufregend,
aber hat es jemals über die Möglichkeit zu reisen nachgedacht? Nein!
Gab es darüber eine Debatte? Nein!
Das war einfach ganz klar, so nach dem Motto: »das kann man halt machen«. 
Hat das Kind sich mal gefragt, ob es Menschen gab, die sich darüber unterhielten,
ob etwas überhaupt möglich sei? Nein.
Denn das Kind war ein behütetes Kind. Es hatte keine Ahnung von der Welt.
Die Welt war etwas, was im Fernsehen in den Nachrichten lief.
Nach dem Privatkindergarten kam die Privatschule, die gehörten zusammen:
nach der Maternelle also das Lycée. Dort lernte das Kind natürlich, dass es Armut gab.
Das lernt man auch auf gut finanzierten Schulen.
Das gehörte zu der sehr guten, exzellenten Bildung, die es bekommen sollte, natürlich dazu!
Aber hat das Kind, das ich einmal war, das je mit seinem Vermögen verknüpft? Nein! 
Der Unterricht vermittelte das nicht. Die Mitschüler*innen gaben keinen Kontrast,
sie waren einfach Kinder, wie das Kind, das ich einmal war.
All diese Kinder durften blind sein für ihre Vermögen.
Sie durften geblendet dafür sein, dass ihre Vermögen auf Kosten der Vielen gingen.
Das Kind war blind für Vermögen zur Welt gekommen! 
Und es ging geblendet von Vermögen durch die Welt.
Es dachte sich: »Wahrscheinlich haben wir halt ein bisschen mehr als andere.« 
Es bekam ja auch ganz klassisch Taschengeld:
erst jede Woche einen Euro in der ersten Klasse, in der zweiten zwei, 
aber irgendwann waren es monatlich ein paar Hundert Euro,
und nach der Schule, da bekam es so viel Taschengeld,
wie manche Menschen netto nicht verdienen.
Und all das konnte das Kind, das langsam kein Kind mehr war, noch immer nicht hinterfragen.
Und als ich 18 Jahre alt war, nahm meine Mutter mich beiseite und schenkte mir eine Kreditkarte,
und sagte mir, meine Unterschrift sei jetzt was wert! 
Und nannte erstmals richtige Zahlen dafür, wie reich die Familie war,
was für horrende Millionensummen
da in der Familie und Familienzweigen rumdümpelten.
Und sagte, dass ich werden könne, was ich wolle. Es sei genug Geld da,
das Vermögen kompensiere jedes Einkommen oder Nicht-Einkommen!
Und irgendwann, da werde es wohl ein Erbe geben,
und der Finanzberater ihrer Mutter, also meiner Großmutter, oder genauer:
einer der Finanzberater ihrer Mutter, also meiner Großmutter,
würde zu ihr, also auch zu mir kommen, und sagen: PROTECT AND GROW