Seit 2007 erlebt die Anti-AKWBewegung eine Renaissance. Der Skandal in der Asse II, die Brände in Brunsbüttel und Krümmel und die Besorgnis erregenden Ergebnisse der Kinderkrebsstudie an Atomanlagen hatten die Bevölkerung aufgerüttelt. Die Debatte um die Laufzeitverlängerung tat ein Übriges. Längst war die Ablehnung der Atomenergie in der Mitte der Gesellschaft angekommen und ökonomische und Arbeitsplatz-Interessen mit den Alternativen verbunden. Und so war die Bundesregierung mit den vier großen Energiekonzernen und einigen anderen Konzernmanagern im Herbst 2010 allein mit ihrem Bekenntnis zur Laufzeitverlängerung.

Während nach dem Jahreswechsel 2010/2011 noch über die weitere Strategie nach der Laufzeitverlängerung diskutiert wurde, erschütterte die Katastrophe von Fukushima das Land. Ohne große Mobilisierung kamen Hunderttausende Menschen am 26. März zu den Demonstrationen in Berlin, Hamburg, München und Köln. Weitere Großdemonstrationen am 25. April und 28. Mai folgten. In Baden-Württemberg wurde die CDU nach 58 Jahren aus der Regierung gejagt. Stuttgart 21 hatte den Grundstein für den Machtverlust gelegt, seine Pro-Atom-Politik wurde Mappus zum Verhängnis.

Doch die Bundeskanzlerin hatte gelernt. In einem beispiellosen Kehrtschwenk verdonnerte sie ihre Regierungskoalition zur Abschaltung von acht Atomkraftwerken und einer Rücknahme der Laufzeitverlängerung. Die Koalitionsbasis murrte, doch die Revolte blieb aus. Gekrönt wurde ihre taktisch kluge Politik durch die Zustimmung der Grünen. Ihr Segen half, das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber dem neuen Kurs der Regierung – zumindest teilweise – zu besänftigen.

Die Bewegung fiel mitnichten in sich zusammen, wie Merkel und andere vielleicht gehofft hatten: 23 000 DemonstrantInnen in Dannenberg – das waren mehr als noch 2009. Auffällig der Farbwechsel: 2010 dominierten grüne Parteifahnen das Bild, diesmal war es das Gelb der Anti-AKW-Bewegung.

Nicht nur die Zahl, auch die Konsequenz der Proteste war vergleichbar. Tausende vor allem junge Menschen waren unterwegs in den wendischen Wäldern, auf Schienen und Straßen. Die massiven Versuche des niedersächsischen Innenministers Schünemann, die Bewegung in »gut« und »böse« zu trennen, scheiterten. Der gegenseitige Respekt und die Solidarität in der Bewegung war zwar kein Selbst läufer, doch es gelang, Distanzierungen zu verhindern. Und das zeigte Wirkung. Nach einigen sinnlosen Provokationen an den ersten Protesttagen gab die Polizeiführung ihren harten Kurs im Wesentlichen wieder auf.

Nach dem Hype im Frühjahr 2011 und den Aktionen rund um den Castor-Transport steht die Anti-AKW-Bewegung erneut vor der Frage nach ihrer weiteren Strategie. Großaktionen scheinen derzeit nur in bestimmten Regionen Erfolg versprechend. Dazu gehören neben dem Wendland auch das Münsterland mit Gronau als Zentrum der Uranindustrie und das Braunschweiger Land, wo am 11. März 2012 eine 70 km lange Lichterkette von der Braunschweiger Atomfirma Eckert&Ziegler über die ASSE II bis zu Schacht KONRAD stattfinden wird. Es wäre jedoch fatal, Bewegung auf Großaktionen zu reduzieren. Bewegung ist mehr als ein DemonstrantInnen-Reservoir, das öffentlich in Erscheinung tritt, wenn es von den »Managern der Massen« gerufen wird. Eine Bewegung ist dann stark, wenn sie im ganzen Land von vielen dezentralen Gruppen getragen wird, wenn Menschen tagtäglich gegen das Geschäft mit der Atomenergie arbeiten, wenn nicht nur mediale Großaktionen in den Zentren, sondern auch phantasievolle Aktionen auf vielen Marktplätzen stattfinden. Die Anti-Atom-Bewegung ist gegenwärtig stärker, als sie sogar zum Teil selbst denkt: In Münster mussten kurzfristig größere Raume für die Urankonferenz angemietet werden und zur Informationsveranstaltung über Eckert&Ziegler in Braunschweig erschienen 2000 Menschen.

Regierung und Opposition versuchen derzeit, die Frage des Atommülls zum Standortproblem zu bagatellisieren. Die Auseinandersetzung im Rahmen des Endlagersuchgesetzes soll darauf reduziert werden, ob Gorleben »im Topf« bleibt oder nicht. Es scheint, als ob Umweltverbände auf diese Diskussion aufspringen. Die Atommüllstandorte Gorleben, Morsleben, Asse II und Schacht KONRAD haben in ihrer Stellungnahme deutlich gemacht, dass es nicht um eine Standort-, sondern eine Konzeptdiskussion gehen muss. Wie sich die Bewegung hier insgesamt positioniert, ob man sich damit »zufrieden« gibt, dass das Projekt Gorleben weiter verzögert wird, oder ob man einen radikal anderen Umgang mit dem strahlenden Müll und die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen durchsetzen will, wird eine wichtige Auseinandersetzung in diesem Jahr sein.