Schrumpfung versus grünes Wachstum
Zur Lösung der bestehenden Umweltprobleme setzen verschiedene internationale Initiativen auf die Idee eines nachhaltigen oder grünen Wachstums, so etwa das UNUmwelt-Programm UNEP, der »Green New Deal« bzw. die »Green Growth«-Strategie der OECD und die Leitinitiative für Rohstoffeffizienz im Rahmen der »Europa 2020«-Strategie der Europäischen Kommission. Sie alle wollen dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem einen grüneren Anstrich geben, aber stellen es nicht grundsätzlich in Frage. Die Ökologisierung der Wirtschaft ist zwar wichtig, allein wird sie jedoch weder für eine Verteilungsgerechtigkeit von Reichtum und Rohstoffen sorgen, noch das Problem des Scheinreichtums lösen, das durch Finanzspekulationen und nicht solvente Kredite geschaffen wurde. Die Idee einer nachhaltigen Entwicklung gründete ursprünglich gerade auf der Anerkennung der ökologischen wie sozialen Grenzen des Wachstums. Sie begann jedoch aus dem Ruder zu laufen, als die Weltbank ihre Säulenstrategie entwickelte: Um in die sozialen und ökologischen Säulen investieren zu können, wird demnach unbeschränktes Wachstum benötigt. Auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen ist dies schlicht unmöglich.
Auch in Gewerkschaften und umweltpolitischen NGOs ist der Glaube an »grünes« Wachstum und »grüne« Arbeitsplätze weit verbreitet. Nachhaltige Entwicklung wird meist als Win-Win-Situation dargestellt. Bei den alternativen Produktionsmodellen geht es um technische Neuerungen, die Arbeitsplätze schaffen und Umweltzerstörung reduzieren. Obwohl solche Lösungsansätze gut sind, werden sie allein kaum ausreichen, um ein global gerechtes und nachhaltiges Wirtschaften zu gewährleisten. Zudem wird der Rebound-Effekt bei diesen Überlegungen meist außer Acht gelassen: Zwar führt ökologische Effizienz zur relativen Reduktion des Rohstoff-Verbrauchs, jedoch bedeutet dies keinen absoluten Rückgang, da die Menschen das »Gesparte« für andere Konsumgüter ausgeben.
Alle offiziellen Zukunftsszenarios konzentrieren sich darauf, wie viel Prozent Wirtschaftswachstum notwendig sind, um unseren konsumorientierten Lebensstandard und die sozialen Errungenschaften zu halten. Fragen wie, ob unsere natürlichen Ressourcen dafür ausreichen und ob die Atmosphäre die anfallende Verschmutzung verträgt, werden meist unter den Tisch gekehrt. Genauso unerwähnt bleibt, dass alle Volkswirtschaften unbedingt innerhalb ihres Anteils am ökologischen Fußabdruck bleiben müssen. Es ist überlebensnotwendig für uns und unseren Planeten, hierfür Lösungen zu finden.
Wir müssen mit dem Schrumpfen der Ökonomie – man könnte es auch gedeckeltes oder ausbalanciertes Wirtschaften nennen – endlich beginnen. Andernfalls wird sich die Situation mit jedem Jahr verschlechtern, und die notwendigen Maßnahmen werden immer drastischer und teurer. Ein gesteuerter Übergang hin zu einer Wirtschaftsweise, die innerhalb der Grenzen des Planeten und unserer eigenen bleibt, ist der einzige Weg, zukünftige soziale und ökologische Katastrophen zu verhindern. Anstatt uns nur mit ökologischer Effizienz zu beschäftigen, sollten wir Suffizienz in unsere Überlegungen einbeziehen. Auch »starke Nachhaltigkeit« genannt, steht sie für die Verbindung eines wirtschaftlichen Systemwechsels mit der Reorganisierung unserer Finanzinstitutionen. Natürlich sorgt dieser Ansatz für Unsicherheiten. Das eigentliche Hindernis aber ist die Verquickung von ökonomischen und politischen Interessen und Machtverhältnissen in unserer Gesellschaft. Diese werden nicht leicht aufzulösen sein.
Auch sollten wir die positiven Errungenschaften des auf Wirtschaftswachstum basierenden Systems nicht vergessen, wie etwa die Sozialversicherung, die medizinische Versorgung, die Altersfürsorge oder das öffentliche Bildungssystem. Jedes Schrumpfungsszenario wird Lösungen beinhalten müssen, wie diese Errungenschaften zu erhalten sind. Von Nöten sind ebenso kulturelle und normative Veränderungen, etwa dass wir unseren materiellen Wohlstand durch ideellen Wohlstand – mehr Freizeit, tiefere Freundschaften und individuelles Glück – ersetzen. Dafür müssen wir zuvorderst den fast religiösen Glauben an den Segen des Wirtschaftswachstums bekämpfen. Das ist nicht ganz einfach. Nicht nur, dass die meisten Regierungen diesem anhängen, auch ist das Wachstumsparadigma im gesellschaftlichen Bewusstsein tief verankert.
Schrumpfung und Zivilgesellschaft
Die Mehrzahl der etablierten zivilgesellschaftlichen Organisationen sieht in der Veränderung individuellen Verhaltens den heiligen Gral der nachhaltigen Entwicklung. Durch positive Botschaften und das Bewerben »grüner« und fairer Produkte versuchen sie, den Konsumenten ein »gutes Gefühl« und ein ruhiges Gewissen zu verkaufen. Es ist selbstverständlich richtig, bewusstes Konsumverhalten zu fördern. Doch die Anpreisung »grüner« und fairer Produkte hinterfragt nicht die Ursachen der globalen Probleme.
Viele Organisationen weigern sich, die Öffentlichkeit über die Fehler in unserem Wirtschaftssystem zu informieren. Sie unterstellen, diese Botschaft sei zu negativ, als dass sich damit bei den Menschen Gehör finden ließe. Der Ansatz der Schrumpfungsbewegung, heißt es, sei zu komplex, um ihn zu vermitteln. Dass dies der wirkliche Grund für die Ablehnung ist, ist zu bezweifeln. Zumindest in Europa sind die größeren Organisationen zunehmend von der Regierungspolitik beeinflusst, und zwar entweder vermittelt über Finanzmittel oder durch andere Formen der Einbindung, wie beim berühmten niederländischen Poldermodell. Theoretisch ist eine Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Regierungen wünschenswert. In der Realität führt dies aber oft zur Selbstzensur der Beteiligten, die ihre Forderungen verwässern, um von ihrem staatlichen Gegenüber ernstgenommen zu werden.
Problematisch wird der Fokus auf individueller Verhaltensänderung besonders dann, wenn er zu einer »Begrünung der Gier« führt, wie zum Beispiel bei der belgischen »Happy Flower«-Kampagne. Sie wirbt für den Kauf von fair gehandelten Blumen aus Kolumbien, thematisiert aber weder den Transport der Blumen per Flugzeug noch, ob die Anbauflächen in Kolumbien nicht besser zur lokalen Nahrungsproduktion genutzt werden sollten. Verbrauchern ein gutes Gefühl zu verschaffen, ist nicht immer ein Gewinn für die globale nachhaltige Entwicklung.
Gerechtigkeit muss erkämpft werden!
Nicht nur Politiker und Wirtschaftswissenschaftler, auch der Großteil der bürgerlichen Gesellschaft glaubt nicht an die Notwendigkeit der Schrumpfung. Diesbezüglich befinden wir uns noch immer in einer Phase allgemeiner Verleugnung. Wir müssen anfangen, über die fundamentalen Probleme innerhalb unseres Wirtschaftssystems, die zu Umweltverschmutzung und Umweltzerstörung, zu Klimawandel, Finanzkrisen und sozialen Missständen führen, zu diskutieren. Das wird die große Aufgabe der kritischen sozialen und umweltpolitischen Organisationen sein. Zum Glück sind bereits einige Stimmen zu hören – und sie werden lauter. Immer mehr kleinere Organisationen, Wissenschaftler und Think Tanks, die die Notwendigkeit von Schrumpfung, Nullwachstum, Verringerung der Emissionen etc. betonen, schließen sich zusammen. Ihr wichtigstes Ziel ist es, die globale Wirtschaft wieder in Einklang mit der Belastbarkeit des Planeten zu bringen. Das sollte auch das wichtigste Ziel der sozialen und umweltpolitischen Bewegungen sein. Wir sind in der Verantwortung, diese Botschaft zu verbreiten. Um Armut wirksam bekämpfen zu können, müssen wir Reichtum reduzieren. Es ist dringend notwendig, einen gleichberechtigten Zugang für alle zu den natürlichen Ressourcen zu schaffen. Das Hauptziel ist Wohlstand für alle und nicht bloß eine grüne Variante des »Weiter-So«. Wir benötigen einen radikalen Paradigmenwechsel im Denken und Handeln – und dafür braucht es politische und moralische Führung von Seiten der Regierungen, politischen Parteien, Universitäten und natürlich nicht-staatlichen Organisationen!
Aus dem Englischen von Claudia Taudte