Es gibt eine Reihe von Gewissheiten im Leben: 1 | Wir haben nur einen Planeten, folglich sind 2 | unsere natürlichen Ressourcen begrenzt; 3 | alle wirtschaftliche Aktivität erfordert natürliche Ressourcen, und daher ist 4 | wirtschaftliches Wachstum nicht endlos fortsetzbar. Die meisten Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft betonen trotzdem, dass ökonomisches Wachstum nötig sei, um die Probleme dieser Welt zu lösen.

Die Wachstums-Fixierung des Nordens ist momentan allerdings eher selbst das Problem als die Lösung. Der Graben zwischen Arm und Reich wird größer, die Umweltzerstörung verheerender und teilweise irreversibel, bewaffnete Konflikte aufgrund knapper natürlicher Ressourcen nehmen zu und massive Migrationsströme destabilisieren Kulturen und Volkswirtschaften. Die gewaltigen CO2- Emissionen der industrialisierten Welt ziehen große ökologische und soziale Probleme besonders in den Entwicklungsländern nach sich. Die logische Konsequenz muss deshalb sein, unseren Rohstoffverbrauch und CO2- Ausstoß drastisch zu reduzieren. Außerdem haben wir für den verursachten Schaden aufzukommen.

Verarmung und Bereicherung

Der nördliche Lebensstil basiert auf dem ökologischen Reichtum des Südens. Wir nutzen die fruchtbaren Böden der Menschen des Südens, ihre Luft, ihr Wasser, ihre Bodenschätze, ihre Wälder und ihre billige Arbeitskraft zur Aufrechterhaltung unserer Lebensweise und lassen dabei nichts übrig für die endogene Entwicklung ihrer eigenen Länder. Schlimmer noch: Was wir zurücklassen, ist Erosion, Umweltverschmutzung, Verwüstung, gesundheitliche Probleme, Korruption und bewaffnete Konflikte. Der Living Planet Report zeigt uns jedes Jahr wieder, dass die industrialisierten Länder weit über ihrem ökologischen Budget leben. Die ganze Welt lebt seit 1986 über ihre Verhältnisse. Der ökologische Fußabdruck von Ländern wie Belgien (8,0 ha), den USA (8,0 ha) oder der BRD (5,1 ha) macht dies offensichtlich. Dass wir noch keine größeren Umweltkatastrophen erleben, ist der Tatsache zu verdanken, dass die Entwick lungsländer weit unter dem ihnen zustehenden Anteil am ökologischen Fußabdruck bleiben. Der niederländische Ökonom Lou Keune hat errechnet, dass die »ökologischen Schulden« der industrialisierten Länder sich finanziell gesehen auf 5,56 Billionen US-Dollar belaufen, also hundertmal mehr als an Geldern für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit gezahlt wird (diese belaufen sich auf ca. 56 Milliarden US-Dollar). Es sei zwar schwer, so Keune, präzise Berechnungen anzustellen, da es praktisch unmöglich ist, den Wert von Natur zu beziffern. Fest steht aber, dass die finanziellen und materiellen Ströme vom Süden in den Norden größer sind als die vom Norden in den Süden.1 Im Grunde müssen wir von »umgekehrter Entwicklungshilfe« sprechen. Armut ist kein Zufall – genauso wenig wie die Zunahme unseres Reichtums zu Kolonialzeiten. Dieser vor 500 Jahren mit Raub und Plünderungen eingeschlagene Weg wird heute, wenn auch subtiler, fortgesetzt.

In der internationalen Entwicklungshilfe wird wirtschaftliches Wachstum als einziges Mittel zur Armutsbekämpfung angesehen. Wir könnten mehr mit armen Menschen teilen, wenn wir mehr produzieren, heißt es.2 Das funktioniert jedoch nur, wenn auch der Kuchen (die Erde), den wir teilen, mit uns wächst. Die britische New Economic Foundation hat errechnet, dass wir weit mehr als einen Planeten bräuchten, um die weltweite Armut zumindest etwas zu lindern, geschweige denn, sie abzuschaffen.3 Ein weitaus effizienterer Weg, Armut zu mindern, wäre die Umverteilung des Reichtums auf Basis eines Kontraktion-und-KonvergenzModells: Wenn wir wirtschaftliches Wachstum im Süden erzielen wollen, um die Grundbedürfnisse der Menschen dort zu befriedigen, müssen wir die Wirtschaft in den nördlichen Volkswirtschaften herunterfahren. Wir müssen eine gerechte und gleiche Verteilung der Ressourcen erreichen, und hierfür sind zuerst die industrialisierten Länder von ihrer Wachstumsbesessenheit und ihrer Abhängigkeit von Öl und anderen Rohstoffen zu befreien.

Schrumpfung versus grünes Wachstum

Zur Lösung der bestehenden Umweltprobleme setzen verschiedene internationale Initiativen auf die Idee eines nachhaltigen oder grünen Wachstums, so etwa das UNUmwelt-Programm UNEP, der »Green New Deal« bzw. die »Green Growth«-Strategie der OECD und die Leitinitiative für Rohstoffeffizienz im Rahmen der »Europa 2020«-Strategie der Europäischen Kommission. Sie alle wollen dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem einen grüneren Anstrich geben, aber stellen es nicht grundsätzlich in Frage. Die Ökologisierung der Wirtschaft ist zwar wichtig, allein wird sie jedoch weder für eine Verteilungsgerechtigkeit von Reichtum und Rohstoffen sorgen, noch das Problem des Scheinreichtums lösen, das durch Finanzspekulationen und nicht solvente Kredite geschaffen wurde. Die Idee einer nachhaltigen Entwicklung gründete ursprünglich gerade auf der Anerkennung der ökologischen wie sozialen Grenzen des Wachstums. Sie begann jedoch aus dem Ruder zu laufen, als die Weltbank ihre Säulenstrategie entwickelte: Um in die sozialen und ökologischen Säulen investieren zu können, wird demnach unbeschränktes Wachstum benötigt. Auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen ist dies schlicht unmöglich.

Auch in Gewerkschaften und umweltpolitischen NGOs ist der Glaube an »grünes« Wachstum und »grüne« Arbeitsplätze weit verbreitet. Nachhaltige Entwicklung wird meist als Win-Win-Situation dargestellt. Bei den alternativen Produktionsmodellen geht es um technische Neuerungen, die Arbeitsplätze schaffen und Umweltzerstörung reduzieren. Obwohl solche Lösungsansätze gut sind, werden sie allein kaum ausreichen, um ein global gerechtes und nachhaltiges Wirtschaften zu gewährleisten. Zudem wird der Rebound-Effekt bei diesen Überlegungen meist außer Acht gelassen: Zwar führt ökologische Effizienz zur relativen Reduktion des Rohstoff-Verbrauchs, jedoch bedeutet dies keinen absoluten Rückgang, da die Menschen das »Gesparte« für andere Konsumgüter ausgeben.

Alle offiziellen Zukunftsszenarios konzentrieren sich darauf, wie viel Prozent Wirtschaftswachstum notwendig sind, um unseren konsumorientierten Lebensstandard und die sozialen Errungenschaften zu halten. Fragen wie, ob unsere natürlichen Ressourcen dafür ausreichen und ob die Atmosphäre die anfallende Verschmutzung verträgt, werden meist unter den Tisch gekehrt. Genauso unerwähnt bleibt, dass alle Volkswirtschaften unbedingt innerhalb ihres Anteils am ökologischen Fußabdruck bleiben müssen. Es ist überlebensnotwendig für uns und unseren Planeten, hierfür Lösungen zu finden.

Wir müssen mit dem Schrumpfen der Ökonomie – man könnte es auch gedeckeltes oder ausbalanciertes Wirtschaften nennen – endlich beginnen. Andernfalls wird sich die Situation mit jedem Jahr verschlechtern, und die notwendigen Maßnahmen werden immer drastischer und teurer. Ein gesteuerter Übergang hin zu einer Wirtschaftsweise, die innerhalb der Grenzen des Planeten und unserer eigenen bleibt, ist der einzige Weg, zukünftige soziale und ökologische Katastrophen zu verhindern. Anstatt uns nur mit ökologischer Effizienz zu beschäftigen, sollten wir Suffizienz in unsere Überlegungen einbeziehen. Auch »starke Nachhaltigkeit« genannt, steht sie für die Verbindung eines wirtschaftlichen Systemwechsels mit der Reorganisierung unserer Finanzinstitutionen. Natürlich sorgt dieser Ansatz für Unsicherheiten. Das eigentliche Hindernis aber ist die Verquickung von ökonomischen und politischen Interessen und Machtverhältnissen in unserer Gesellschaft. Diese werden nicht leicht aufzulösen sein.

Auch sollten wir die positiven Errungenschaften des auf Wirtschaftswachstum basierenden Systems nicht vergessen, wie etwa die Sozialversicherung, die medizinische Versorgung, die Altersfürsorge oder das öffentliche Bildungssystem. Jedes Schrumpfungsszenario wird Lösungen beinhalten müssen, wie diese Errungenschaften zu erhalten sind. Von Nöten sind ebenso kulturelle und normative Veränderungen, etwa dass wir unseren materiellen Wohlstand durch ideellen Wohlstand – mehr Freizeit, tiefere Freundschaften und individuelles Glück – ersetzen. Dafür müssen wir zuvorderst den fast religiösen Glauben an den Segen des Wirtschaftswachstums bekämpfen. Das ist nicht ganz einfach. Nicht nur, dass die meisten Regierungen diesem anhängen, auch ist das Wachstumsparadigma im gesellschaftlichen Bewusstsein tief verankert.

Schrumpfung und Zivilgesellschaft

Die Mehrzahl der etablierten zivilgesellschaftlichen Organisationen sieht in der Veränderung individuellen Verhaltens den heiligen Gral der nachhaltigen Entwicklung. Durch positive Botschaften und das Bewerben »grüner« und fairer Produkte versuchen sie, den Konsumenten ein »gutes Gefühl« und ein ruhiges Gewissen zu verkaufen. Es ist selbstverständlich richtig, bewusstes Konsumverhalten zu fördern. Doch die Anpreisung »grüner« und fairer Produkte hinterfragt nicht die Ursachen der globalen Probleme.

Viele Organisationen weigern sich, die Öffentlichkeit über die Fehler in unserem Wirtschaftssystem zu informieren. Sie unterstellen, diese Botschaft sei zu negativ, als dass sich damit bei den Menschen Gehör finden ließe. Der Ansatz der Schrumpfungsbewegung, heißt es, sei zu komplex, um ihn zu vermitteln. Dass dies der wirkliche Grund für die Ablehnung ist, ist zu bezweifeln. Zumindest in Europa sind die größeren Organisationen zunehmend von der Regierungspolitik beeinflusst, und zwar entweder vermittelt über Finanzmittel oder durch andere Formen der Einbindung, wie beim berühmten niederländischen Poldermodell. Theoretisch ist eine Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Regierungen wünschenswert. In der Realität führt dies aber oft zur Selbstzensur der Beteiligten, die ihre Forderungen verwässern, um von ihrem staatlichen Gegenüber ernstgenommen zu werden.

Problematisch wird der Fokus auf individueller Verhaltensänderung besonders dann, wenn er zu einer »Begrünung der Gier« führt, wie zum Beispiel bei der belgischen »Happy Flower«-Kampagne. Sie wirbt für den Kauf von fair gehandelten Blumen aus Kolumbien, thematisiert aber weder den Transport der Blumen per Flugzeug noch, ob die Anbauflächen in Kolumbien nicht besser zur lokalen Nahrungsproduktion genutzt werden sollten. Verbrauchern ein gutes Gefühl zu verschaffen, ist nicht immer ein Gewinn für die globale nachhaltige Entwicklung.

Gerechtigkeit muss erkämpft werden!

Nicht nur Politiker und Wirtschaftswissenschaftler, auch der Großteil der bürgerlichen Gesellschaft glaubt nicht an die Notwendigkeit der Schrumpfung. Diesbezüglich befinden wir uns noch immer in einer Phase allgemeiner Verleugnung. Wir müssen anfangen, über die fundamentalen Probleme innerhalb unseres Wirtschaftssystems, die zu Umweltverschmutzung und Umweltzerstörung, zu Klimawandel, Finanzkrisen und sozialen Missständen führen, zu diskutieren. Das wird die große Aufgabe der kritischen sozialen und umweltpolitischen Organisationen sein. Zum Glück sind bereits einige Stimmen zu hören – und sie werden lauter. Immer mehr kleinere Organisationen, Wissenschaftler und Think Tanks, die die Notwendigkeit von Schrumpfung, Nullwachstum, Verringerung der Emissionen etc. betonen, schließen sich zusammen. Ihr wichtigstes Ziel ist es, die globale Wirtschaft wieder in Einklang mit der Belastbarkeit des Planeten zu bringen. Das sollte auch das wichtigste Ziel der sozialen und umweltpolitischen Bewegungen sein. Wir sind in der Verantwortung, diese Botschaft zu verbreiten. Um Armut wirksam bekämpfen zu können, müssen wir Reichtum reduzieren. Es ist dringend notwendig, einen gleichberechtigten Zugang für alle zu den natürlichen Ressourcen zu schaffen. Das Hauptziel ist Wohlstand für alle und nicht bloß eine grüne Variante des »Weiter-So«. Wir benötigen einen radikalen Paradigmenwechsel im Denken und Handeln – und dafür braucht es politische und moralische Führung von Seiten der Regierungen, politischen Parteien, Universitäten und natürlich nicht-staatlichen Organisationen!

Aus dem Englischen von Claudia Taudte

1 Vgl. Keune, Lou, 2009: The myth of development aid, in: Matti Kohonen und Francine Mestrum (Hg.): Tax Justice – Putting Global Inequality on the Agenda, London.
 

2 Auch die UN-Millenniumsziele setzen wirtschaftliches Wachstum und den erhofften Trickle-Down-Effekt voraus.
3 Siehe www.neweconomics.org/publications/ growth-isn%E2%80%99t-working (29.1.2011).

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