Dieser Beitrag ist Teil der Reihe »…und die Stadt gehört euch? Statements aus stadtpolitischen Initiativen zu 100 Tagen Rot-Rot-Grün in Berlin«

Was hat sich mit dem Regierungswechsel verändert? Inwiefern seht ihr eine Wende in der Wohnungs- und Mietenpolitik?

Wir denken, dass der anhaltende Druck der mietenpolitischen Bewegung durchaus Wirkung gezeigt hat, zumindest in der Rhetorik. Noch 2011 hat die damalige Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg-Runge Reyer (SPD) behauptet: »Stadtweit gibt es keine Wohnungsnot« und damit die Bilanz der rot-roten Regierung – enorme Privatisierungen und den kompletten Ausstieg aus der Förderung von Sozialwohnungen – verteidigt.[1] Die sich anbahnende Wohnungskrise wurde geleugnet, der Sparkurs galt als alternativlos. Der rot-rot-grüne Koalitionsvertrag ist hier auf den ersten Blick ein beeindruckender Wandel. Es tauchen zahlreiche Forderungen der stadtpolitischen Bewegungen auf. Das ist ein Erfolg der jahrelangen Kämpfe in der Wohnungs- und Mietenpolitik: von den Lärmdemos mit Kotti und Co, den Kiezversammlungen von Bizim Kiez bis zur Besetzung eines Seniorenheims durch Rentner*innen in der Stillen Straße 2012. Diese Kämpfe waren sehr vielfältig und haben Menschen aus unterschiedlichsten Milieus zusammengebracht. Sie haben auch die radikale Linke aus der Subkultur herausgeholt und ins Gespräch mit den Nachbar*innen gebracht. Auch aus dem Mietenvolksentscheid 2015, der ein gemeinsames Dach für diese Kämpfe war, sind Teilforderungen im Koalitionsvertrag gelandet.

Mit den Zielen der Koalition ward ihr also rundum zufrieden?

Nein, ganz und gar nicht: Die Voraussetzungen für einen wirklichen Kurswechsel werden im Koalitionsvertrag leider nicht einmal angesprochen: Das Immobilienkapital wird nicht höher besteuert, wie es etwa die Grunderwerbssteuer möglich gemacht hätte. Diese Steuer bezeichnet Andrej Holm als Dreh- und Angelpunkt einer wohnungspolitischen Wende[2], sie wurde laut Anja Kapek (Grüne) nicht einmal diskutiert. In den gerade aufflammenden Konflikten um die rücksichtslosen Praktiken von Aktiengesellschaften wie der »Deutsche Wohnen« zeigt sich aber, wie bitter nötig solche Maßnahmen wären.

Es fehlt grundsätzlich es an wirksamen Eingriffen in den privaten Mietwohnungsmarkt, auf dem ja rund 85 Prozent der Berliner*innen wohnen. Die angekündigten 55.000 neugebauten Wohnungen werden hier bei Weitem nicht reichen. Laut einer Studie, die die Linkspartei selbst beauftragt hat, fehlen schon jetzt 130.000 bezahlbare Wohnungen in der Stadt[3]. Die Wohnungskrise wird also weitergehen, selbst wenn die Koalition den Plansoll erfüllt.

Wir wissen, dass die Probleme nur dann ansatzweise gelöst werden, wenn der profitorientierte Wohnungsmarkt angegangen wird. Wir begrüßen zwar die Anzeichen einer Rückbesinnung auf den sozialen Wohnungsbau. Solange aber keine Abkehr von Profitversprechen an Immobilieninvestor*innen durchgesetzt wird, so lange diese nicht als Ursache des Problems benannt und bekämpft werden, wird die Krise weitergehen. Die neue Senatorin Karin Lompscher will diejenigen mit den ›Dollarzeichen in den Augen‹ nicht angreifen, sondern nur für den guten Zweck in die richtigen Bahnen lenken.[4]

Um den öffentlichen Sektor wirklich zu stärken, braucht es also einen Paradigmenwechsel: Nur wenn der private Markt aktiv zurückgedrängt wird, kann der öffentliche Sektor mehr werden als abfederndes Beiwerk. Die Mehrzahl der Mietwohnungen bleibt sonst Spekulationsmasse.

Im Koalitionsvertrag fehlt uns eine grundlegend andere Idee von Wohnen als Gemeingut als Gegenentwurf zum privaten Wohnungsmarkt, also Formen von kommunalem, genossenschaftlichem und selbstverwaltetem Wohnraum, der durch die Bevölkerung kontrolliert wird. Einzelne Rekommunalisierungsvorhaben, die der Koalitionsvertrag vage erwähnt, vom Falkenhagener Feld bis zum Kottbusser Tor, könnten nur unter diesen Vorzeichen wirklich zu Modellprojekten einer Vergesellschaftung werden. Andernfalls ist zu befürchten, dass sie teuer erkaufte Befriedungsprogramme für einzelne Mieter*innen werden, die privaten Unternehmen auch noch jede Menge Geld in die Tasche spülen. Wir müssen für unsere Vision einer Vergesellschaftung von Wohnraum also nach wie vor kämpfen.

Und wie seht ihr die Bilanz bisher? Wo steht die Regierung in der Umsetzung der Ziele?

Wie umkämpft selbst kleine Schritte in die richtige Richtung sind, hat die Causa Holm gezeigt. Mit dem frontalen Angriff auf den neu ernannten Staatssekretär für Wohnen durch CDU, FPD, AFD und sämtliche Berliner Leitmedien wurde klar, welche Geschütze die Profiteur*innen der Immobilienverwertung auffahren, wenn sie ihre Pfründe gefährdet sehen. Auch die Rücktrittsforderung durch Bürgermeister Müller, unterstützt von den Koalitionsparteien SPD und Grüne, und das weitgehend planlose Agieren der Linkspartei hat die Kräfteverhältnisse in der neuen Koalition aufgezeigt. Dabei hätte es Holm ohnehin schwer genug gehabt, minimale Reformen gegen die Strukturen des Berliner Filz durchzusetzen. Der Machtblock aus Immobilienkapital und jahrzehntelang SPD-geführtem Wohn- und Bauressort sitzt nach wie vor fest im Sattel. Jede noch so minimale Reform zum Wohl der großen Mehrheit der Berliner*innen muss ihnen hartnäckig abgerungen werden.

Das hat auch der Konflikt um die Mieterhöhungen bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen gezeigt. Die Unternehmen haben sich über die im Koalitionsvertrag zugesicherten Begrenzungen auf maximal 2 Prozent Mieterhöhung jährlich hinweggesetzt und bis zu 14 Prozent verlangt. Besonders negativ hervorgetan hat sich die degewo, die selbst den offenen Machtkampf mit Senatorin Lompscher nicht scheute.[5] Auch die aktuellen Pläne zur Ausgestaltung der Richtsatzmieten zeigt, dass die seit jeher SPD-dominierte Verwaltung auch unter vermeintlich neuen Kräfteverhältnissen versucht, ihre unsoziale und eigentümerfreundliche Politik fortzusetzen.[6]

In all diesen Fällen haben sich die progressiven Teile des Senats als sehr durchsetzungsschwach erwiesen. Im Falle der degewo-Mieter*innen konnte durch einen aufreibenden und konstanten Protest zumindest ein Teil der Erhöhung verhindert werden. Wir sind aber weit entfernt von notwendigen, nach vorne weisenden Veränderungen. Die aktiven Mieter*innen sind gerade eher damit beschäftigt, die schlimmsten Auswüchse eines Gegenangriffes abzuwehren.

Was heißt das für eure politische Arbeit? Was ist eure Strategie gegenüber dem neuen Senat?

Für uns heißt das: Der notwendige Druck für echte Reformen muss nach wie vor außerhalb der Parlamente organisiert werden. Wichtiger noch: Alle Impulse, die über eine bloße Abdämpfung der brutalen Inwertsetzung von Wohnraum hinausgehen, werden auch weiterhin aus der stadtpolitischen Bewegung, von Berlins Mieter*innen kommen müssen. Als radikale Linke versuchen wir nicht nur Gegendruck zu organisieren, sondern selbst Alternativen in der Wohnungs- und Mietenpolitik zu entwickeln und verbreiten. Das Spardiktat des SPD-geführten Finanzressorts zwingt uns, über das Themenfeld Wohnen hinauszudenken: Damit Mieten nicht gegen Lehrer*innengehälter; Arbeitsbedingungen an Krankenhäusern nicht gegen die Energiewende ausgespielt werden, müssen wir gemeinsam mit antirassistischen, feministischen und Care-Aktiven, mit Gewerkschaften und mit der Recht-auf-Stadt-Bewegung ein Ende der kommunalen Austerität in Berlin fordern. Die Bedingungen sind hier deutlich besser als auf der Bundesebene, in der EU oder global. Die Landespolitik ist greifbarer und der Kampf gegen die Austerität lässt sich hier als Kampf für ganz konkrete Bedürfnisse führen, so dass neoliberale Deutungen womöglich durchbrochen werden können. Wir müssen den Druck auf die neue Regierung verstärken und uns als Mieter*innen weiter gegen das Verwertungsinteresse des Immobilienkapitals stemmen. Es werden also bewegte und kämpferische Jahre auf uns zukommen. Erst einmal ausruhen können wir uns nicht. Wir müssen auch weiter deutlich machen, wo in der Mieterstadt Berlin der Schuh drückt.