Die Linke erhielt bei den Wahlen 2009 in Thüringen über 27 Prozent der Stimmen der Wählerinnen und Wähler. Sie muss eine alternative linke Landespolitik entwickeln und darin zentrale soziale und ökologische Fragen verbinden. Die Energiewende ist eine solche Herausforderung. Mit Blick auf den Wahlkampf des Jahres 2009 hat die Landespartei ein Konzept entwickelt, das unter der Überschrift »Energierevolution« eine solche Alternative ausarbeitet.

Am Anfang der Arbeit an diesem Konzept standen ein Waldspaziergang im Hainich und der Kontakt mit jenen in Thüringen, die zu einer Energierevolution vor allem beitragen können – linke Konzepte sollten nicht in Hinterzimmern von Parlamenten und geschlossenen Expertenrunden entstehen, sondern v.a. vor Ort, im Gespräch, in direkter Anschauung.

Manches scheint ganz einfach: Jedes Energiethema muss mit Einsparung beginnen. Dies verlangt finanzielle Anreize. Das Projekt »Energiesparfüchse« als Modell für Schulen stellte deshalb für uns einen wichtigen Ausgangspunkt dar – eine energetische Erneuerung jedes Schulgebäudes unter Beteiligung von Eltern und Schülern, die einerseits Ressourcen spart und andererseits Geldeinnahmen generiert, mit denen in der Schule wiederum Projekte gefördert werden können.

Das Potenzial Thüringens für eine Energierevolution ist beträchtlich. Das Land hat die bundesweit größte Buchenwaldfläche als geschützten Nationalpark – den Hainich – und verfügt über einen Waldbestand, der bei nachhaltiger Bewirtschaftung zur Energiewende beitragen kann – und einen höheren Wertschöpfungsertrag für Betriebe und die Sicherung von Arbeitsplätzen bieten kann. Anstelle des sogenannten Energiemais kann mit der Energiepflanze »Durchwachsene Silphie« eine neue, bodenschonende Energieressource erschlossen werden. Im Wahlkampf 2009 haben wir holzbetriebene Kraftwerke besucht, Pelletsproduzenten kontaktiert und Großsägewerke (für Energiegewinnung durch Holzabfallverbrennung) einbezogen.

Der größte regenerative Energieproduzent Thüringens ist kein Stromproduzent, sondern ein Zellulose-Werk in Blankenstein. Aus Sicht des Energieeinspeisegesetzes (EEG) bringt der Betrieb zu viel regenerative Energie (als Abfallprodukt) an den Markt. Könnte der Strom zu den vollen EEG-Werten eingespeist werden, würde sich die Wertschöpfung umdrehen: Der Betrieb wäre ein Stromproduzent mit anhängender Zellulose-Aufbereitung. Ähnlich bei einem großen Glaswerk, das mit einer 600 Grad heißen Abwärme die Luft nutzlos erwärmt. Diese Abwärme kann direkt in Strom gewandelt werden – ein entsprechendes Projekt ist entwickelt worden. Und: Einige landwirtschaftliche Betriebe haben ihre Produktpalette um die Energieproduktion erweitert (Stichwort: Biogasanlagen). Der Forschungsverbund Thüringen spielt eine wichtige Rolle, um im ländlichen Raum die Wertschöpfungskette mit Biomasse zu verbessern und den Ertrag der Agrarbetriebe zu verstärken.

Die konkrete Analyse der Potenziale zeigte, dass die ökonomische Frage der Steigerung der regionalen Wertschöpfung, die soziale Frage von guter Arbeit und Bezahlung und von demokratischer Mitbestimmung einer ökologischen Energiewende nicht widersprechen, sondern dass in der Energiewende eine ungeheure Chance liegt – auch eine Chance, die Steuereinnahmen des Landes zu erhöhen.

Thüringen ist vom Energieimport abhängig. Anders als Nachbarländer wie Bayern oder Hessen verfügt es über keine fossilen oder atomaren Großkraftwerke. Das Endkundengeschäft liegt einerseits in der Hand des Energieversorgers E.ON Thüringer Energie AG, der zu 47 Prozent im kommunalen Besitz ist, und beruht andererseits auf Stadtwerken, an denen der Mutterkonzern dieses Energieversorgers in hohem Maße beteiligt ist. Die Verbindung stellt eine fast kartellartige Vernetzung dar, die sich auf das Geschäftsmodell der Endversorgung mit Energie konzentrierte. Über zwei Milliarden Euro Umsatz wickeln die Energieversorger in Thüringen mit der Zulieferung von Primärenergie (Strom, Gas, Wärme) ab. Der Eigenproduktionsanteil ist einer der geringsten in ganz Deutschland. Dem Land entgehen dadurch Einnahmen an Löhnen, Gewinnen und Steuern.

Die Veränderung der Energieabhängigkeit wurde zum Ausgangspunkt der linken Strategie. Transformation der Wirtschaftsstruktur und Übergang zu den erneuerbaren Energien sollen Hand in Hand gehen. Nicht einfach strukturkonservative Umverteilung des Vorhandenen, sondern der Umbau, die Umgestaltung und die Demokratisierung stehen im Vordergrund. Die Produktionsbasis der Wertschöpfungskette soll erhöht und verlängert werden. Wir wollen den regionalen Kapitalstock einschließlich der Produktionsanlagen erweitern und dies durch eine Wende in der Energieproduktion, der Energieverteilung (der Netze) und der Energiekonsumtion erreichen – regenerativ, regional und dezentral. Auf dieser Grundlage erst lassen sich die sozialen und wirtschaftlichen Ziele realisieren – Verhinderung von Energiearmut genauso wie Energiesicherheit und kommunale bürgernahe Energiedemokratie.

Ansatzpunkt für unsere Positionsentwicklung war die praktische Position, Arbeitsplätze zu schaffen und die Regionalwirtschaft zu stärken. Bei Besuchen an der Technischen Universität Ilmenau wurde deutlich, dass eine Energiewende andere Energienetze braucht; auch die elektronische Steuerung von Stromversorgung, -verteilung und Energielenkung ist Teil der Energierevolution. Aus Erfahrungen in Baden-Württemberg konnten wir lernen, wie sich das »Einsparkraftwerk« und das »virtuelle Kraftwerk« mit Forschungsansätzen der TU Ilmenau mit intelligenter Netzsteuerung verbinden ließen.

Offshore-Windanlagen werden mit staatlichen Anreizen besser gestellt als z.B. dezentrale und regionale Windanlagen im Lande; offensichtlich sollen anstelle bisheriger Großkraftwerke neue Großlieferanten geschaffen werden. Im Ergebnis wird die gesamte Bundesrepublik mit einem Meer von Kupferkabeln überzogen. In Thüringen wird eine 380 kV-Leitung mitten durch den Thüringer Wald gelegt. Diese Hochspannungsleitung wird von Norden nach Süden durch Deutschland getrieben und mehrfach an bestehenden Stromleitungen vorbei gebaut, ohne die vorhandenen Netze sinnvoll zu nutzen. Aus dem Kampf gegen die 380 kV-Leitung ist in der Landtagsfraktion und mit der Bürgermeisterin Petra Enders aus Großbreitenbach eine Auseinandersetzung begonnen worden. Aus dem »Nein zu einer 380 kV-Leitung durch Thüringen« wurde ein »Ja zu einem Kraftwerk in der Gemeinde«; aus dem »Nein zur Verkupferung der Landschaft« ein »Ja zu einer Vielfalt an direkter, wohnortnaher Energieproduktion«! Mit der Solargemeinde Viernau wurde unter dem Bürgermeister Manfred Hellmann, Energiepolitischer Sprecher der Linken im Landtag, ein praktischer Anfang gemacht.

Ein erster Schritt ist, die E.ON Thüringer Energie AG mehrheitlich in öffentliche Hand zu überführen. Die Linke schlägt eine gemeinsame Besitzgesellschaft vor, an der sich vor allem die Thüringer Stadtwerke beteiligen. So würde ein gemeinsames regionales Stromnetz mit einer gemeinsamen intelligenten Energiesteuerung aus einer Hand entstehen. In einem nächsten Schritt könnten gemeinsam mit den Sparkassen und den Stadtwerken dezentrale und regenerative Kleinkraftwerke finanziert und aufgebaut werden, an denen sich die Bürger mit Anteilsscheinen oder in Form von Sparbriefen beteiligen. Für jede Gemeinde müssten eine Energiebilanz entwickelt und ein Entwicklungsplan aufgestellt werden. Ziel ist, die Wärme, die in der Gemeinde verbraucht wird, durch regenerative Produktion wohnortnah zu erzeugen. Der Strom, der zur Verfügung gestellt wird, wäre dann »Abfallprodukt«. Über Biogas, Holz, Solarenergie, Geothermie oder Wasserwirbelkraftwerke könnte ein ganzes Netz von kleineren und kleinen Produktionsorten geschaffen werden. Der regionale Kapitalstock würde in einem breiten Verbund durch die Bürgerschaft gehalten. Wenn das Monopol der vier Großen gebrochen wäre, würde eine zehntausendfache Besitz- und Produktionsstruktur in der Hand der Bürgerschaft gestärkt.

Ein größeres Projekt wären die Pumpspeicherwerke (PSW). Dies ist in Thüringen möglicherweise an zehn bis zwölf Standorten relevant. Durch sie soll die Stabilität der Energieversorgung in Spitzenzeiten gesichert werden. Hier wird viel Kapital benötigt, das durch Firmen in der Hand der Stadtwerke aufgebracht werden könnte. Schon ein bis drei solcher Pumpspeicherwerke würden eine massive Kapitalverbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur ermöglichen.

Wie die Stromnetze geraten die Gasnetze zunehmend unter den Einfluss von Kapitalgesellschaften. Die in Leipzig angesiedelte Verbundnetz Gas Aktiengesellschaft (VNG) gehört bundesweit zu den drei größten Gasversorgern. An der VNG halten ostdeutsche Stadtwerke etwas mehr als die Sperrminorität von 25 Prozent (treuhänderisch von der VUB GmbH gebündelt), so dass der Hauptsitz der VNG derzeit gegen den Willen dieser Stadtwerke nicht aus dem Osten Deutschlands verlegt werden kann. Der gesamtdeutsche Energiemarkt ist so in Bewegung, dass im Moment die VNG in Gefahr ist, zwischen den Kapitalanlegern EnBW Baden-Württemberg und EWE Oldenburg zerrieben zu werden.

Die Gasleitungen sind nicht nur zentrales Verbindungsglied zwischen den Regionen, sie stellen einen Energiespeicher mit enormem Potenzial dar. Mit dem Atomausstieg ist Erdgas zur zentralen Brückentechnologie geworden. Durch den Aufbau von Mini-Blockheizkraftwerken könnten entlang jeder Erdgasleitung Kleinkraftwerke in Bürgerhand Wärme und Strom auf regenerativer Basis produzieren. Außerdem könnten die großen Windkraftanlagen im Onshore-Bereich – sie haben derzeit Überkapazitäten, weil im Stromnetz kein Absatz vorhanden ist – Wasserstoff produzieren, der sich in das Erdgasnetz einspeisen lässt. So würde neben der Vielfalt von regenerativen Produktionsformen eine durchgehende Struktur auf der Basis des Gasnetzes entstehen. Deshalb ist es zentral, ob die Erdgasnetze weltweit über den Kapitalmarkt gehandelt oder dem öffentlichen Auftrag – der Energiesicherheit – untergeordnet werden. Wenn ein einzelner Gasproduzent über die Einspeisemöglichkeiten ins Gasnetz entscheiden kann, hätte das negative Auswirkungen auf die intelligente Nutzung des Gasnetzes.

Strom- und Gasnetze müssen zusammengedacht werden, um die Veränderung der Produktionsarchitektur von Großkraftwerken hin zu den Minikraftwerken zu ermöglichen. Würde man deutschlandweit die gesamte Abwärme der derzeitigen Stromproduktion auffangen (sie also nicht über Kühltürme in die Luft blasen) und als Wärme an die Endverbraucher leiten, könnte man die ganze Bundesrepublik kostenlos heizen – und es wäre gerade einmal die Hälfte der Wärmeenergie verbraucht! Will man über effiziente Energieproduktion reden, muss man Wärme und Strom als gleichberechtigte Elemente der Energieeffizienz betrachten. Deshalb müssen die Energiekartelle in der Hand von wenigen strategischen Großinvestoren in die Bürgerhand überführt werden. Im Zweifelsfall muss auch mit dem Mittel der Verstaatlichung in einen Markt eingegriffen werden, der ansonsten nur der Kapitalmarktlogik folgt und nicht den Umweltzielen, den sozialen Entwicklungen und dem Postulat der demokratischen Teilhabe der Bürger. Effizientere, intelligente und deshalb gegebenenfalls teurere Geräte müssen auch für sozial schlechter gestellte Menschen erschwinglich und nutzbar gemacht werden; nur so können sie Strom sparen.

Als Antrieb für den Energieerzeuger werden häufig Verbrennungsmotoren eingesetzt, die auf Technologie der Automobilwirtschaft basieren; die Produktion von Mini-BHKW sichert hier Arbeitsplätze in der Automobilwirtschaft, denn als Antrieb für den Energieerzeuger werden häufig Verbrennungsmotoren eingesetzt, die auf deren Technologie basieren. Eine technologisch-industrielle Revolution wäre so verbunden mit einer sozialen Erneuerung: Am Gemeinwohl orientierte Eigentumsstrukturen ermöglichen, dass der Mehrwert der heimischen Energieproduktion auch als Mehrwert in der Region verbleibt. Das wäre wirkliche Energierevolution statt grüner Kapitalismus und eine Absage an einen neoliberal orientierten »Green New Deal«, der zur Demokratisierung der Wirtschaft und zur sozialen Gerechtigkeit keine Konzepte hat.

Regionale Energiepolitik, wie sie Die Linke in Thüringen entwickelt hat, überwindet die proklamierten Gegensätze des Sozialen und des Ökologischen, von Effizienz und Demokratie, von modernster Technik und Bürgerbeteiligung. Das Konzept stellt die Eigentums- und Machtfragen auf dem Feld der Energie und überwindet Kapitaldominanz, stärkt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in der Region, setzt soziale Gerechtigkeit durch und macht Demokratie durch wirklichen Strukturumbau erst möglich. Diese Politik verbindet die Energierevolution mit einer sozialen und demokratischen Erneuerung. Die Politische Ökonomie erneuerbarer Energie würde zu einer Politischen Ökonomie einer solidarischen Wirtschaft.