Unbezahlte Produktions- und Reproduktionsarbeit wird meist nicht gezählt, obwohl sie eine unerlässliche gesellschaftliche Stütze ist. In einer bedürfnisorientierten Ökonomie hätte der Einsatz menschlicher und natürlicher Ressourcen – anders als im Kapitalismus – nicht unbedingt mit Wert, Geld, Verwertung, Löhnen zu tun. Bedürfnisse und Ökonomie können sich qualitativ entwickeln, ohne dass sie quantitativ stofflich wachsen müssen. Vor fast 40 Jahren veröffentlichte der Club of Rome die Studie Grenzen des Wachstums. 1990 wurde im Rahmen der Vereinten Nationen der Human Development Index entwickelt, der Pro-Kopf-Einkommen, formales Bildungsniveau und Lebenserwartung kombiniert. Seit 1991 gibt es die Umweltökonomische Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes. Auf Betreiben des französischen Präsidenten Sarkozy setze die Europäische Union 2009 eine »Glückskommission« zur Bestimmung von neuen Indikatoren für »wirtschaftliche Performance und sozialen Fortschritt« ein. Ihr gehörten Kritiker und Renegaten des Neoliberalismus wie Joseph Stiglitz und Amartya Sen an. In Bhutan wird das »Bruttonationalglück« bereits erhoben, und der Deutsche Bundestag hat zu Beginn des Jahres 2011 die Enquete-Kommission »Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität« eingesetzt. Doch trotz der neuen Indikatoren und der Diskussionen in Expertengremien: Eine politische Wende ist damit nicht verbunden. Lange wurden Ökologie und Ökonomie auch in linken Debatten als Gegensätze behandelt. An dieser Gegenüberstellung verliefen die Trennungslinien einer fragmentierten – gewerkschaftlichen, ökologischen, feministischen – Linken, die sich kaum zum Mosaik zusammenfand. Inzwischen wird die Notwendigkeit einer sozialökologischen Wende breit diskutiert, ökologische Modernisierung auch als Chance für die ökonomische und soziale Entwicklung betrachtet, zumindest theoretisch. Über Wege und Zielrichtung gibt es Uneinigkeit: soziales oder qualitatives Wachstum, grünes Wachstum bzw. Green New Deal, wohlfahrtsstaatliches Wirtschaften ohne Wachstum, Entkopplung des ökonomischen vom stofflichen Wachstum und Schrumpfung sowie individueller und gemeinschaftlicher Konsumverzicht. Von einer Wende sollen alle profitieren: »die Wirtschaft« mit neuen Wachstums- und Exportmärkten (die doch implizit Verluste anderer in Kauf nehmen), die Lohnabhängigen mit neuen Jobs, der Staat mit zusätzlichen Steuereinnahmen und allen voran »die Umwelt« durch weniger Ressourcen- und Energieverbrauch. Ob dies möglich ist, ob eine Wende ohne grundsätzlichen Bruch mit der kapitalistischen Form des Wirtschaftens machbar sein wird, ist umstritten. Eine Alternative wäre, sie mit der Perspektive eines Guten Lebens (Buen Vivir) zu verbinden, die statt auf steigenden Warenkonsum auf Zeitwohlstand und den Reichtum menschlicher Beziehungen zielt. Leicht schwingt hier ein moralischer Appell zu einem bescheideneren, weniger »materiellen« Leben im Einklang mit der Natur mit. Doch eine für alle asketische Lebensweise zu predigen, ohne die ungleiche Verteilung der Kosten einer sozial-ökologischen Transformation zur Sprache zu bringen, wird nicht überzeugen. Die Vermittlung von Partikular- und vermeintlichen Allgemeininteressen darf nicht nur abstrakt von oben gedacht werden. Statt die Ansprüche der Vielen, zumal aus dem globalen Süden, zu delegitimieren, ist zu fragen, wie sie für ein solches Projekt gewonnen werden könnten. Ohne gerechte Übergänge, ohne die Frage, wo die Transformation hingehen soll, kann eine breite Zustimmung zu einem Einstieg in den Umstieg nicht gewonnen werden. Er bleibt dann zwischen Klientelpolitik der Gewerkschaften für ihre (schwindende) Basis von Kernbelegschaften und Politik der abgesicherten Mittelklassen für eine »gute Natur« für sich und ihre Kinder stecken. Bisher gibt es nur wenige Versuche, die Differenzen und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, wenig Bemühen um eine »Übersetzung«, die erlauben würde, gerechte Übergänge über nationale Grenzen hinweg zu denken. Das Heft will hierzu einen Beitrag leisten.