Derzeit herrscht ein diskursives Klima, in dem ein Shitstorm vorprogrammiert ist, wenn man Dinge schreibt, die vor der russischen Invasion selbstverständlich waren. Das weiß jeder, der sich in den vergangenen Monaten positiv zu Verhandlungen oder kritisch zu Waffenlieferungen geäußert hat. Wie kann es der Partei DIE LINKE gelingen, in dieser aufgeheizten Debatte zum Krieg gegen die Ukraine eine glaubwürdige und solidarische Friedenspolitik zu vertreten? Eine überzeugende Kommunikationsstrategie muss drei Anforderungen genügen: 1. Sie muss den Krieg verurteilen, 2. Alternativen unterbreiten, wie der Angreifer gestoppt werden könnte und 3. einen Vorschlag machen, wie den Angegriffenen geholfen werden kann. 

Die Ausgangsbedingungen für eine solche solidarische Friedensposition sind für die LINKE kompliziert. Ein konsequenter Pazifismus gehört zur DNA der Partei und ist in Zeiten, in denen sich Menschen gegen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verteidigen, besonders schwer durchzuhalten. Außerdem geht dieser Krieg nicht vom eigenen imperialistischen Block aus, deutsche Waffenlieferungen erreichen nicht, wie im Falle Saudi-Arabiens, die angreifende Partei. Zugleich ist das Putin-Regime in der Vergangenheit oft durch prominente Vertreter der Partei verharmlost worden. Letzteres wird in der Öffentlichkeit als Angriffsfläche gegen die gesamte Partei ausgenutzt, was die Glaubwürdigkeit einer klaren friedenspolitischen Haltung stark erschwert. 

Komplexe Debattenlage in der Partei

Die Linie, die sich in der Partei herauskristallisiert hat, ist folgende: Verurteilung des Kriegs, zivile Hilfe für die Ukraine, keine Waffenlieferungen, dafür gezielte Sanktionen. Gleichwohl gibt es eine relevante Minderheit, die Waffenlieferungen im Falle eines Angriffskrieges befürwortet (circa 30-40 Prozent). Diese relevante Minderheit hat sich auf dem letzten Bundesparteitag im Juni 2022 in Erfurt stark zurückgehalten, da sie um die Spannungsverhältnisse und die pazifistische Ausrichtung der Partei weiß. Darüber hinaus wäre es nicht sinnvoll, wenn noch eine Partei ins Panzergeschrei einstimmen würde.

Der mehrheitlich getragene Beschluss des Parteitages spricht sich folglich für gezielte Sanktionen aus, insbesondere gegen den militärisch-industriellen Komplex, aber nicht für Wirtschaftssanktionen, die gegen die Bevölkerung gerichtet sind. Dieser Beschluss wird allerdings sehr unterschiedlich ausgelegt, jeder pickt sich die Passage heraus, die er für richtig hält. Da es auch die Auslegung gab, DIE LINKE befürwortete jegliche Sanktionen, hat sich der Parteivorstand auf seiner Sitzung am 17.12.2022 explizit gegen die bilateralen Energiesanktionen im Falle des PCK Schwedt positioniert, sowie gegen Energiesanktionen insgesamt. 

Es gibt auf der anderen Seite einen Teil der Partei, der den Beschluss des Parteitags bis heute nicht akzeptiert. Diese Mitglieder urteilen eher von einem prinzipiengeleiteten Standpunkt, dass man mit diesem Beschluss Tür und Tor für jegliche Sanktionsforderungen, etwa im Fall des Iran, geöffnet habe. Diese Gruppierung innerhalb der Partei lehnt Sanktionen grundsätzlich ab (circa 40 Prozent). Sie werden nicht als friedliches Mittel der Konfliktlösung eingestuft, was sprachlich im Begriff des „Wirtschaftskriegs“ gegen Russland deutlich wird. Angesichts von zehntausend Sanktionen kann man durchaus von „Wirtschaftskrieg“ sprechen. Das Problem ist allerdings, dass die Verwendung des Begriffes „Krieg“ hier keine Unterscheidung und qualitativen Differenzen zum militärischen Krieg gegen die Ukraine zulässt und die Sanktionen, die eine Folge des Krieges sind, diesem gleichordnet. Eine stichhaltige Forderung, wie Druck auf den Angreifer zur Beendigung des Kriegs aufgebaut werden kann, bleiben diese Teile der Partei schuldig. Zumeist handelt es sich um Personen, die sich entweder eher nicht in der Öffentlichkeit rechtfertigen und argumentieren müssen oder die die Dimension des Stellvertreterkrieges stark betonen und entsprechend die Perspektive der in der Ukraine lebenden Menschen tendenziell ausklammern. Beides, sowohl das Recht auf Eigenständigkeit der Ukraine, als auch die Tatsache, dass bei den gegenwärtigen militärischen Auseinandersetzungen Dimensionen eines Stellvertreterkrieges zu Tage treten, müssen artikuliert werden – was allerdings eine gewisse Schwierigkeit bedeutet: Sicherlich ist die Ukraine vom Westen abhängig, sicherlich verfolgen die verschiedenen Akteure im Westen ihre jeweils eigenen Interessen, aber der Ukraine ihren Subjektstatus abzusprechen, ist keine emanzipatorische Position. So hat DIE LINKE auch gegenüber anderen angegriffenen Staaten bisher nicht argumentiert.

Innerhalb dieses Teils der Partei, der sowohl Sanktionen als auch Waffenlieferungen ablehnt, gibt es wiederum eine Minderheit, die bilaterale Verhandlungen mit Russland über Rohstoffe fordert, statt Verhandlungen für Frieden für die Ukraine. Teilweise wird diese Position damit begründet, unter den Sanktionen leide die deutsche Wirtschaft und mit ihr die hiesige Bevölkerung. Mal wird gegen die Sanktionen ins Feld geführt, sie schadeten Russland nicht, weil es durch die Preisexplosion für Öl und Gas sogar mehr Geld in die Kassen gespült bekomme, mal werden sie abgelehnt, da sie der einfachen Bevölkerung in Russland doch schadeten. Das sind Argumentationsfehler auf Ebene der Logik, die uns nicht unterlaufen sollten. Außerdem ist es eine argumentative wie moralische Sackgasse, das Leid der russischen Bevölkerung unter den Sanktionen gegen das der ukrainischen Bevölkerung unter dem Krieg aufzuwiegen. 

In letzter Konsequenz wirft die Forderung nach bilateralen Verhandlungen über Rohstoffe zwischen Deutschland und Russland die Friedensfrage partiell über Bord, da es nicht mehr um Frieden geht, sondern nur um billige fossile Energieträger, ohne dies mit der Perspektive der Energiewende zu verknüpfen. Es ist legitim und wichtig, sich auch um die ökonomischen Auswirkungen der Sanktionen hierzulande zu sorgen, im Vordergrund sollten aus einer linken Perspektive allerdings die Beschäftigten und die Umverteilung des Reichstums stehen und nicht „unsere Industrie“, der ein imperialer Anspruch auf billige Rohstoffe aus aller Welt zugemessen wird.

Herausforderungen des öffentlichen und medialen Diskurses

Die Auswirkungen der Sanktionen in Russland sind schwer durchschaubar, wie Jan van Aken in seinem Beitrag über Sanktionen schreibt. Sie treffen einige Sektoren wie die Automobilbranche, seien ansonsten aber vor allem von einer Haltung des Bestrafens geprägt. Letztlich schadeten sie eher der Ober- und Mittelschicht, die höhere Konsumausgaben habe und Reisen unternehme, so Thomas Sablowski in einem Vortrag am 15.01.2023. Der Lebensstandard des unteren Drittels in Russland sei bereits so niedrig gewesen, dass durch die Sanktionen keine signifikanten Verschlechterungen eingetreten seien. Die Bundesregierung selbst gibt zu, keine Kenntnis über die Wirkung der Sanktionen vorweisen zu können.

Was folgt daraus für die LINKE? Genügt es zu sagen, dass die Sanktionen wegkönnen, weil sie nicht wirken? Aber was soll dann kommen, der Krieg ist schließlich nicht vorbei, wenn man die Sanktionen aufhebt? 

Bevor ich darauf eingehe, möchte ich einige grundsätzliche Bemerkungen über die Funktionsweisen öffentlicher Kommunikation und Medienlogiken voranstellen.

Im medial geführten politischen Diskurs bestehen nur eindeutige Positionierungen. Von Intellektuellen kann durchaus ein eher analysierend-abwägender Ton in der Debatte angeschlagen werden, von politischen Akteuren wird jedoch die Demonstration von Handlungsfähigkeit verlangt. Waffenlieferungen, ja oder nein? Sanktionen ja oder nein? „Was würden Sie tun, Herr Schirdewan, wollen Sie die Ukraine ihrem Schicksal überlassen?“ – „Wenn Sie keine Waffenlieferungen wollen, Frau Wissler, was würden Sie denn dann tun, um den Angreifer zu stoppen?“

Es ist eine Eigenart des politischen Diskurses in der parlamentarischen Demokratie, dass eine politische Partei immer auf den Standpunkt des (potentiellen) Regierens hin befragt wird. Man kann diese Logik verweigern und darauf verweisen, dass man keinen relevanten politischen Einfluss habe und es folglich die Aufgabe der Linken sei, die Friedensbewegung aufzubauen. Eine solche Position wird allerdings abseits aktivistischer Kreise schwer bestehen können. Hinter der Frage, was die LINKE tun würde, steht immer die große Frage: Warum sollte man die LINKE wählen oder sich für sie interessieren? Was würde durch sie anders und vor allem besser?

Auf diese Fragen müssen Antworten folgen und sie müssen der Logik der Medien Rechnung tragen. Das heißt, sie müssen kurz, verständlich und nicht zu kompliziert sein, damit sie funktionieren und im medialen Diskurs zirkulieren können, denn nur so erreichen sie Menschen. Und natürlich müssen es die richtigen Antworten sein, die auch dann nicht falsch werden, wenn man sie sprachlich zuspitzt und notwendigerweise verknappt. Dieses Problem kann man beispielsweise bei der Parole „keine Waffenlieferungen, stoppt den Krieg!“ beobachten. Die Parole birgt die Gefahr, so interpretiert zu werden, dass die Ukrainer nur aufhören müssten zu kämpfen, damit alles gut werde. Aus dieser Interpretation würde die Frage folgen: Will man der Ukraine das Selbstverteidigungsrecht verwehren und in Kauf nehmen, dass die Menschen unter Besatzung leben müssen? Nein, das wollen wir nicht. Auch eine Überbetonung der Vorgeschichte des Krieges führt in der öffentlichen Debatte zu der Interpretation, dass Russland lediglich ‚aus Notwehr‘ handele und gar nicht wirklich schuld am Angriff sei. Der Krieg findet selbstverständlich nicht im luftleeren Raum statt und hat wie alles auf der Welt eine Vorgeschichte, es darf jedoch niemals rhetorisch der Eindruck erweckt werden, etwas Anderes als Russland sei verantwortlich für den Einmarsch.

Bei den Sanktionen ist es wie bereits beschrieben eine besonders schwierige kommunikative Herausforderung. Wenn man keine Waffen fordert, muss man etwas Anderes dazu sagen, wie der Angreifer gestoppt werden könnte, etwa durch solche Sanktionen, die den Krieg verunmöglichen. Gleichzeitig sind viele der derzeitigen Sanktionen nicht geeignet, den Krieg zu stoppen, wie wir nach einem Jahr sehen. Jan van Aken argumentiert, die Sanktionen seien schlecht gemacht. In der Konsequenz brauche es also andere, härtere und schnellere Sanktionen, die mit klaren Konditionen verknüpft sind. Vielleicht ist es für die politische Kommunikation derzeit besser, auf dem Alltagsverstand der Menschen aufzusetzen: Es gibt bereits Sanktionen, wir fordern keine neuen, sondern wir betonen, dass die Beziehungen sich wieder normalisieren können, sobald Russland seine Truppen auf den Status vor dem 24. Februar 2022 zurückzieht. Die Sanktionen, die bisher nicht konditioniert sind, würden dann wieder aufgehoben werden. So stellt man Russland in Aussicht, den Status des Paria-Staates wieder zu verlassen, wenn es seine Truppen zurückzieht und stellt es durch die Konditionierung der Sanktionen vor eine Entscheidung, in der es für sich abwägen kann.

Für eine Politik zurück zur Entspannung, wenn Russland diesen Krieg stoppt, gibt es gesellschaftlich Zustimmung und Verhandlungen finden große gesellschaftliche Mehrheiten. Ist an dieser Stelle also alles ganz einfach? Nein, auch die Forderung zu verhandeln hat ihre Tücken. Wer Vorbedingungen für Verhandlungen stellt, will wahrscheinlich in der Realität nicht ernsthaft verhandeln. Andererseits lässt sich ein Plädoyer für Verhandlungen, ohne dies an die Bedingung des Rückzugs der Truppen zu knüpfen, öffentlich kaum rechtfertigen. Diese Position allgemeiner Verhandlungen ohne Vorbedingungen wird immer als Relativierung des Krieges gelesen werden, bzw. bringt ihre Vertreter*innen dazu Vermutungen anzustellen, welche Gebiete die Ukraine im Gegenzug abtreten müsse. Das ist nicht zielführend und es ist spekulativ, da der Verlauf von Verhandlungen nicht vorhergesehen werden kann. Oft wird die Position des Verhandelns mit Russland ohne Vorbedingungen mit den russischen Sicherheitsinteressen begründet, leider fällt dabei meist völlig unter den Tisch, dass auch die Ukraine Sicherheitsinteressen hat und ihre Souveränität wahren möchte. Das ist der größte blinde Fleck sowohl dieser Position und als auch derjenigen, die ausschließlich die Dimension des Stellvertreterkrieges betont, ohne die Ukraine als eigenständiges Subjekt zu sehen.

Nicht aus Eigenverschulden sprechunfähig werden

Die Kommunikation in der öffentlichen Debatte wie auch innerhalb der Partei ist also nicht ganz einfach und erfordert analytische Klugheit und Vorsicht in der Wortwahl, um am Ende klar zu sein. Wirft man einen Blick in die Umfragen, wird eine weitere Problematik deutlich, nämlich dass die Außenpolitik der LINKEN für potentielle Wähler*innen der Partei das größte Problem ist. Daraus lässt sich nicht zwangsläufig schlussfolgern, dass die Positionen an sich schlecht oder falsch sind, aber es verweist auf ein enormes Kommunikations- und Glaubwürdigkeitsproblem.

Um der Glaubwürdigkeit Willen ist eine klare Verurteilung des Kriegs vonnöten, die nicht nur lapidar dahingesagt wird, und eine Solidaritätserklärung mit den Ukrainer*innen, die die Hauptleidtragenden des Krieges sind. Nur das reicht allerdings für einen parteipolitischen Akteur im Parlamentarismus nicht aus. Wenn man Waffenlieferungen als Teil militärischer Eskalation ablehnt, muss gesagt werden, wie und mit welchen zivilen Mitteln Druck auf die Partei des Angreifers aufgebaut und der Krieg erschwert werden kann. Eigentlich hat die LINKE Ansätze einer solchen Position ausgearbeitet, dringt aber damit zu wenig durch. Das dürfen wir nicht nur der medialen Gewichtung in Kriegszeiten zuschreiben, die Regierungsparteien begünstigt. Stattdessen müssen wir uns selbstkritisch fragen, warum es uns so schwer fällt zu überzeugen und unsere Schwachstellen zu bearbeiten. 

Unter anderem liegt das an der Struktur der Partei: Die LINKE vereint eine große Spannweite an Positionen, die teilweise unvereinbar miteinander sind. Das ist nichts Neues, aber in dieser akuten Situation drängt dies als Problem mit Sprengkraft nach oben und der aktuelle Parteivorstand hat nun Klärungsprozesse auf dem Tisch, die zuvor viele Jahre beiseite geschoben wurden. Um den Preis ihrer Glaubwürdigkeit, muss die LINKE ihre Positionen in Fragen der Friedens- und Sicherheitspolitik so schärfen, dass sie 1. Frieden und Solidarität verbinden, 2. sich an den tatsächlichen Auseinandersetzungen und der materiellen Wirklichkeit orientieren, und damit 3. weniger identitätspolitisch-floskelhaft, sondern analytisch und relevant werden.

Wir brauchen Positionen, die sich klar und einfach kommunizieren lassen, aber Antworten, die der Komplexität der Lage gerecht werden – so wie wir es im Bereich der Sozialpolitik, Renten-, Bildungs- und Steuerpolitik, ja selbst der Klimapolitik mittlerweile haben. Gelingt uns das nicht, sondern konservieren wir aus Angst vor der Auseinandersetzung auch untereinander weiter schablonenhafte Phrasen, laufen wir Gefahr aus Eigenverschulden sprechunfähig zu werden.