Ölkatastrophen haben in den vergangenen zwei Jahren für Schlagzeilen gesorgt. Über die Ölpest im Golf von Mexiko, die Ölverschmutzung durch die Enbridge-Pipeline in Michigan und die zwölf Lecks der brandneuen Keystone-Pipeline, mit der aus kanadischem Ölsand gewonnenes Öl in die USA geleitet wird, konnte ich mich aus der Ferne informieren – die Folgen des Austritts von 4,5 Mio. Litern Öl aus der Rainbow-Pipeline in Nordalberta bekam ich ganz direkt zu spüren. Die Katastrophe traf mitten in das angestammte Land meines Volkes, den Lubicon Cree. Luft, Wasser und Boden unserer Gebiete wurden vergiftet. Meine Familie berichtete von brennenden Augen, Kopfschmerzen und Übelkeit noch Tage, nachdem das Öl ausgetreten war. Erst fünf Tage, nachdem die Pipeline gebrochen war, wurde die Gemeinde informiert – als bekannt wurde, dass es sich um eine der größten Ölkatastrophen in der Geschichte Albertas handelte.

Das ist kein Einzelfall. Wir beobachten ständig die negativen und zerstörerischen Auswirkungen der Ölsandförderung auf Land und Menschen. Eine Woche zuvor musste KinderMorgan die Trans-Mountain-Ölpipeline in West-Alberta außer Betrieb nehmen, nachdem auf dem Feld eines Landwirts ein Leck entdeckt worden war. Und wenige Tage nach der Rainbow-Katastrophe trat eine große Menge Öl aus der Enbridge-Pipeline in den Nordwest-Territorien aus. Investigativer Journalismusin den USA hatte zuvor aufgedeckt, wie es Pipeline-Betreiberunternehmen durch Finanzierung der Sicherheitsforschung gelungen ist, Forschungsprioritäten zu verschieben und die unterschiedlichen Sicherheitsbestimmungen auf Länder- und Bundesebene in einer Weise zu kombinieren, wie es den Unternehmensprofiten förderlich war – auf Kosten des Schutzes der Allgemeinheit. Der Bericht war derart vernichtend, dass der US-Verkehrsminister Ray LaHood augenblicklich ankündigte, die Regularien für die Finanzierung von Sicherheitsforschung zu ändern, um eine größere Unabhängigkeit zu gewährleisten. Auf eine vergleichbare Reaktion der kanadischen Regierung und der Landesregierung in Alberta auf die vielen Pipelinelecks auf unserem Land warten wir noch immer.

Wüstes Land

Infrastrukturprojekte wie die oben erwähnten sollen das aus Ölsand extrahierte Öl aus einem der größten Industrievorhaben der Welt zugänglich machen – das dadurch zerstörte Areal wird so groß sein wie England und Wales zusammen. Die Bodenfläche, die als »Ölsand-Verwaltungsgebiet« für Ölsandminen und In-situDampfstimulations-Anlagen vorgesehen ist, könnte bis zu 142 200 km2 betragen. Täglich werden aus Ölsand 1,6 Mio. Barrel Öl gewonnen. Pro Barrel müssen vier Tonnen Erde und zwei Tonnen Bitumen gefördert werden. Darüber hinaus werden für die Herstellung eines Barrels Öl durchschnittlich zwei bis fünf Barrel Wasser benötigt, je nach Ölsand-Zusammensetzung und Fördermethode. Jeden Tag werden Millionen von Kubikmetern Wasser aus dem Peace-Athabasca-Delta abgepumpt, einem der letzten unberührten Binnendeltas der Erde (meine Familie, die in einer kleinen indigenen Gemeinde lebt, verbraucht einen halben Kubikmeter pro Monat).

Ölsandförderung ist mit einem außerordentlich hohen Energieverbrauch verbunden. Die Ölgewinnung verschlingt täglich dieselbe Menge Erdgas, wie zum Heizen von 6 Millionen Wohnungen nötig sind, 250 m3 pro Barrel Öl, bei in-situ-Verfahren sogar 1000 m3.

Gegenwärtig gibt es in Alberta über 100 bewirtschaftete Ölsandminen, davon über fünf Minen in der Region Athabasca, in der noch eine weitere Mine erschlossen wird. Diese Minen nehmen riesige Flächen ein, jede einzelne so groß wie ganze Städte. Zum Beispiel wird die Mine von Imperial Oil am Ende eine Fläche wie Washington D.C. abdecken. Außerdem machen In-situ-Operationen, Hunderte Kilometer Straßen, Stromleitungen, Pipelines und Bohrfelder erforderlich.

Die Folge ist die Zerstörung eines der letzten unberührten borealen Nadelwälder der Erde mit einer Geschwindigkeit, die nur von der Entwaldung des Amazonasgebiets übertroffen wird. Dieser ursprüngliche boreale Nadelwald hat schon lange vor der Gründung Kanadas Tausenden indigenen Völkern als Heimat gedient. Unsere Familien lebten nachhaltig von dem, was das Land ihnen bot, auch nachdem der kanadische Staat gegründet worden war. Heute können manche Gruppen ihre angestammten Gebiete nicht mehr nutzen, um Arzneipflanzen und Beeren zu sammeln, zu jagen, fischen oder Fallen auszulegen, um für ihre Familien zu sorgen und ihre kulturellen und spirituellen Traditionen zu pflegen. Dies allein ist schon eine Verletzung unserer garantierten Rechte. In der kanadischen Verfassung heißt es in Abschnitt 35, dass die Rechte der indigenen Völker und die Abkommen, die mit ihnen geschlossen wurden, anzuerkennen und zu schützen sind. Diese Rechte werden in den Ölsandgebieten verletzt.

Neben dem hohen Wasser- und Energieverbrauch fallen erschreckende Mengen Giftmülls an. Pro Barrel gewonnenem Öl bleiben 1,5 Barrel giftige Rückstände. Diese Abfallprodukte werden in »Abgangteiche« genannte Aufbewahrungsbecken geleitet, die eine solche Größe erreichen, dass sie aus dem Weltall zu sehen sind.Verstreut über das boreale Waldgebiet nehmen Abgangteiche heute eine Fläche von 180km2 ein, seit Jahrzehnten liegen sie in der Landschaft und verunreinigen die Gewässer.

Tiere, die mit diesem kontaminierten Wasser in Berührung kommen, sterben. Der Giftmüll enthält Arsen, Cyanide, Quecksilber, Blei, Schwefel, Benzol, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe und Naphthensäure. Anderthalbtausend Enten verendeten, nachdem sie in einem Abgangteich gelandet waren. Berichten zufolge geraten täglich über 11 Millionen Liter dieser giftigen Rückstände in das Wassereinzugsgebiet Athabascas.

Überall in den Ölsandgebieten klagen Bewohner über Gesundheitsprobleme, insbesondere Atembeschwerden. Diese extreme Umweltvergiftung führt zu alarmierenden und steigen den Todesraten und seltenen Formen von Krebserkrankungen in der Gemeinde Fort Chipewyan, die flussabwärts der Ölsandgebiete liegt. Zur Zeit werden gerade einmal 4 Prozent der Ölsandreserven ausgebeutet, wir stehen also erst am Anfang dieses Prozesses – bei dem Gedanken an die Auswirkungen, die eine zukünftige Expansion dieses Industrieprojekts haben mag, wird mir angst und bange. Diese Art der »Energieerschließung« ist ein mit unglaublicher Verschwendung verbundener Versuch, Alberta zu einer Weltmacht im Energiesektor zu entwickeln – auf Kosten der dort lebenden Menschen, der indigenen Völker Nordkanadas. Bei den Treffen der an der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen beteiligten Parteien hat Kanada wiederholt den berüchtigten Fossil-des-Tages-Preis zugesprochen bekommen, der an Länder vergeben wird, die im Klimaschutz hinterherhinken und den Fortschritt der internationalen Klimaverhandlungen blockieren.

Transnationaler Widerstand

Hinter dem Bauvorhaben der Keystone XL Pipeline steht das kanadische Unternehmen TransCanada, dessen Antrag auf Bauerlaubnis beim USAußenministerium liegt. Würde der Antrag abgelehnt, wäre das Vorhaben gestorben. Die gigantische Umweltzerstörung durch Ölgewinnung aus Ölsand würde vermutlich weitergehen, aber ohne direkten Zugang zu den Raffinerien und dem US-Markt würde sie verlangsamt werden.

Es war eine strategische Entscheidung, den Widerstand auf dieses Schlüsselprojekt, eine Ölpipeline über 1700 Meilen von Kanada bis nach Texas, zu konzentrieren und den Protest aus den Wäldern heraus vor das Weiße Haus in Washington zu tragen. Die Idee wurde von einem Bündnis von Umwelt- und Klimaaktivisten, von Menschen, die sich in sozialen Bewegungen und für die Rechte indigener Völker engagieren, von Schriftstellern, Schauspielern, Sachbuchautoren und Wissenschaftlern getragen, darunter Bill McKibben, Naomi Klein, Tom Goldtooth, Danny Glover und James Hansen. Hinzu kamen Landwirte und Farmer aus den ökologisch anfälligen Sand Hills in Nebraska. Zusammen veröffentlichten sie einen nordamerikaweiten Aufruf, sich in einem Zeitraum von 14 Tagen an friedfertigen und gewaltfreien Aktionen in Washington, D.C., zu beteiligen. Bei den Protesten wurde ausführlich über die Keystone XL Pipeline, die Probleme mit Ölsand und mögliche Verhaltensweisen informiert, falls es vor dem Weißen Haus zu Festnahmen kommen sollte. Jeden Tag kamen neue Gruppen und Aktivisten hinzu. Über 350.org und andere NGOs wie das Indigenous Environmental Network und National Resources Defence Council weitete sich der Protest schnell auch zu einer Online-Bewegung aus.

Die Amalgamated Transit Union und die Transport Workers Union mit über 300 000 Mitgliedern riefen das Außenministerium dazu auf, den Antrag abzulehnen. »Wir brauchen Arbeitsplätze, aber nicht solche, die uns noch stärker von Ölsand abhängig machen. … Viele Arbeitsplätze könnten auch durch Maßnahmen zur Energieeinsparung, durch Modernisierung der Stromnetze und durch Erhaltung und Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel geschaffen werden – Arbeitsplätze, die zugleich dazu beitragen können, Luftverschmutzung und Treibhausgasemissionen zu reduzieren und die Energieeffizienz zu erhöhen.«3

Ende August 2011 eskalierten die Proteste in Washington, als die Polizei rund 1000 Demonstranten verhaftete, darunter zwei Kanadierinnen, die indigene Schauspielerin Tantoo Cardinal (»Der mit dem Wolf tanzt«) und Margot Kidder (Lois Lane in »Superman«), auch der Chefklimaforscher der Nasa, James Hansen, und die Schauspielerin Daryl Hannah, Nobelpreisträger wie der Dalai Lama und Desmond Tutu. In mehreren Leitartikeln sprach sich die New York Times gegen den Pipeline-Bau aus.4

Bei der größten Demonstration im Herbst 2011 umzingelten 12 000 Menschen in mehreren dichten Reihen das Weiße Haus. In Folge nicht abreißender Proteste in Washington und entlang der geplanten Streckenführung stoppte US-Präsident Barack Obama am 18. Januar 2012 vorerst den Bau der umstrittenen Ölpipeline. Ein Etappensieg: »Indem sie sich mit einreihen, hoffen diese Anhänger der stolzen Tradition des zivilen Ungehorsams, nicht nur die Pipeline zu Fall zu bringen, sondern auch die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen insgesamt, durch die sich der zerstörerische globale Klimawandel weiter beschleunigt.«(Goodman 2011)

Unsere Proteste in Ottawa sollten die Proteste von Washington spiegeln – sie begannen einen Monat später, Ende September 2011. Damit erreichte das Anliegen auch die Treppen des kanadischen Parlaments, so dass nun auf beiden Seiten der Grenze Druck ausgeübt wurde. Die Klimapolitik der Harper-Regierung (bzw. die Abwesenheit einer solchen) sowie ihre ungebrochene Ölsand-Agenda wurden zurückgewiesen. Das Konsortium zum Bau der Pipeline will einen neuen Antrag stellen und plant eine alternative Route. Das aufwendige Genehmigungsverfahren beginnt von vorn, so dass fraglich ist, ob schon 2014 Öl fließen kann. Die kanadische Regierung arbeitet bereits an einer alternativen Pipeline, die quer durchs Land bis zum Pazifik führen würde. Auch gegen dieses Vorhaben haben bereits 4500 Menschen Einspruch eingelegt. Die Ölproduzenten setzen auf den Export nach Asien, denn am 3. Oktober 2011 schlug die Europäische Kommission im Rahmen der Überarbeitung ihrer »Kraftstoffrichtlinie« vor, aus dem besonders klimaschädlichen Ölsand gewonnenes Öl vom europäischen Markt zu verbannen. China hat schon Interesse angemeldet.

Jenseits der Hochrisiko-Energie

Wenn wir etwas aus der Ölpest im Golf von Mexiko, der Enbridges Ölkatastrophe in Michigan oder gar dem Fukushima-Unglück lernen konnten, dann, dass »Unfälle« unvermeidlich sind, dabei jedoch wahrscheinlicher eintreten, wenn Profit über Sicherheit gestellt wird, und dass die Folgen immer heftiger werden, je extremere, schwerer zugängliche Brennstoffquellen wir zu erschließen versuchen, sei es Öl aus Ölsand, aus der Arktis oder aus Tiefseebohrungen.

Aus dem Englischen von Daniel Fastner

1 www.mysanantonio.com/news/ local_news/article/Critics-frown-at-industrys-role-in-pipeline-1430543.php#page-1

2 earthobservatory.nasa.gov/ Features/WorldOfChange/athabasca.php

3 Presseerklärung zit. n. Amy Goodman, D.C. Protests That Make Big Oil Quake, 23.8.2011; www.truthdig.com/report/ item/dc_protests_that_make_big_oil_ quake_20110823/

4 topics.nytimes.com/top/refere- nce/ timestopics/subjects/k/keystone_pipeline/index.html?scp=1spot&sq=keystone %20xl&st=cse

5 Goodman a.a.O.

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