»Wie die Kettenreaktionen auf der Sonne uns Wärme, Licht und Leben bringen«, schrieb Ernst Bloch 1959 in seinem Hauptwerk Das Prinzip Hoffnung, »so schafft die Atomenergie, in anderer Maschinerie als der der Bombe, in der blauen Atmosphäre des Friedens, aus Wüste Fruchtland, aus Eis Frühling. Einige hundert Pfund Uranium und Thorium würden ausreichen, die Sahara und die Wüste Gobi verschwinden zu lassen, Sibirien und Nordkanada, Grönland und die Antarktis zur Riviera zu verwandeln« (Bloch 1959, 775). Es ist eine bittere Ironie, dass aus einem der ehrgeizigsten Träume, den Menschen je realistischerweise glaubten träumen zu dürfen, die größte Bedrohung geworden ist, der die Menschheit heute gegenübersteht. Da war der Traum, die Erde nach den eigenen Wünschen zu gestalten, die physischen Fesseln des Daseins für immer zu sprengen und Überfluss für alle zu schaffen. Inzwischen ist der Traum dem Alp gewichen, dass die Pole abschmelzen und das Schmelzwasser, statt unfruchtbare Wüsten zu bewässern, die dicht besiedelten Küstenregionen der Welt überschwemmt. Wir wissen nicht nur, es ist nicht gelungen, ganz so gottgleiche Kräfte zu entfesseln, wie viele es nach dem Zweiten Weltkrieg für möglich hielten, sondern auch, dass viel geringere Kräfte ausreichen, die Erde eher in eine Hölle als in ein Paradies zu verwandeln. Demut ist angesagt, wäre daraus zu folgern. Oder aber das Gegenteil: dass nur noch mehr Technik uns retten könne.

Ein Kraftwerk heißt auf Englisch power plant. Man könnte das als »Machtfabrik« ins Deutsche zurückübersetzen. Energie ist Macht: Macht über die Natur und damit auch Macht über andere Menschen. Die Physikbücher definieren Energie als das Vermögen, Arbeit zu verrichten; (Kapital-)Macht ist das Vermögen, andere für sich arbeiten zu lassen. Der Mensch bedurfte nicht erst einer Energie außerhalb des eigenen Körpers, um Macht auszuüben. Aber solange keine äußere Energie zur Verfügung stand, konnten Menschen Macht immer nur über Menschen ausüben, die sich ihrem physischen Zugriff nicht entziehen konnten. Äußere Energie gab den Mächtigen die Möglichkeit, ihre Macht auszudehnen, sie zu konzentrieren.

Energie befördert Machtkonzentration, weil sie eingesetzt werden kann, um mehr Energie zu gewinnen. Wer in der Antike mehr Sklaven als Energielieferanten einsetzen konnte, um seine Kriegsschiffe zu rudern, konnte mehr Kriegsgefangene machen, die ihm wieder als Sklaven dienten. Größe fördert weiteres Wachstum: Das heißt in der Wirtschaft »Skalenökonomie«.

Es war nicht zufällig die Verfügungsgewalt über Energie oder ihre großen Anwendungen, die zu den steilsten Machtkarrieren in der industrialisierten Welt führte: über die Eisenbahn, das Erdöl, das Auto. Die Superreichen der »Blütezeit des Kapitals« (Eric Hobsbawm) bauten ihren Reichtum auf die Eisenbahn: John Pierpont Morgan, Andrew Carnegie, Cornelius Vanderbilt. Die Geschichte des Kapitalismus dieser Zeit ist eng mit der Eisenbahn verbunden: Kaum sonst wo bestand ein so großer Bedarf nach Kapital. Die Hälfte der an der Berliner Börse 1870 gehandelten Papiere waren Eisenbahnpapiere. Ab dem späten 19. Jahrhundert sorgte das Erdöl für die größten Gewinne und Machtkonzentrationen. Wie die Eisenbahn war das Erdölgeschäft kapitalintensiv. John D. Rockefeller baute sein Erdölimperium so monopolistisch auf, wie er es im Eisenbahngeschäft gelernt hatte. Im 20. Jahrhundert betrat dann mit Henry Ford der erste Automobilbauer die Bühne des »Superkapitalismus« (Robert Reich).

Im Jahr 2011 fanden sich unter den zehn umsatzstärksten Unternehmen der Welt sechs Erdöl- oder Erdgaskonzerne, ein Stromnetzbetreiber und ein Autobauer1: Acht der zehn größten Konzerne haben ein Interesse daran, dass der globale Energieverbrauch steigt. Dass gerade Erdöl eine besonders starke Neigung zur Konzentration zeigt, liegt in der Natur dieses Rohstoffs. Das Auffinden der Ölquellen, die Förderung, der Transport und die Verarbeitung erfordern viel Kapital, technisches Know-how und globale Infrastrukturen – sowie militärische oder paramilitärische Sicherung (dasselbe gilt für Erdgas).

Erneuerbare Energien dagegen bieten sich an zur dezentralen Nutzung: Sonnenstrahlen oder Wind kann man, anders als die fossilen Energieträger, fast überall ernten. Doch erneuerbar heißt nicht zwangsläufig dezentral. Die großen Energiekonzerne möchten bei den erneuerbaren Energien mitmischen – möglichst in den ihnen bekannten, zentralistischen Strukturen. Desertec – das Projekt, in Nordafrika riesige solarthermische Kraftwerke zu errichten und den so gewonnenen Strom mit neu zu bauenden Leitungen übers Mittelmeer und die Alpen nach Zentraleuropa zu bringen –, oder die großen Offshore-Windparks sind Versuche, die erneuerbaren Energien »groß« zu denken. Die Kämpfe um die Struktur der künftigen Energieversorgung werden in der Öffentlichkeit aber nur wenig zur Kenntnis genommen: Das dominierende Deutungsmuster unterscheidet zwischen den guten (allenfalls zu teuren oder unrealistischen) und den bösen (aber vielleicht notwendigen) Energien und übersieht dabei, dass es neben der Bruchlinie »erneuerbar versus nicht erneuerbar« die vielleicht noch wichtigere Bruchlinie »groß und zentral versus klein und dezentral« gibt.

"Klein" oder "Groß"?

Ist es relevant, ob eine wirtschaftliche Leistung von vielen Kleinen oder wenigen Großen erbracht wird? Sind nicht Große, wo die Aufgaben groß sind, besser geeignet, diese zu lösen? Manche argumentieren so: Der Techno-Euphoriker Bill Gates warnt ausdrücklich davor, den Energieumbau mittels »niedlicher« Technik erreichen zu wollen. Er fordert, angelehnt an das Big-Science-Programm par excellence, die Mondlandung, ein »Apollo-Programm« zum Systemumbau.

Natürlich ist klein nicht einfach gut und groß nicht schlecht – oder umgekehrt. Aber Größe hat einige gravierende Nachteile, die für eine Gesellschaft problematisch sind. Dabei meine ich mit »groß« Strukturen, Unternehmen und Unternehmungen, die einige der folgenden Charakteristika aufweisen: Sie sind kapitalintensiv und erfordern deshalb Wirtschaftsformen, die das entsprechende Kapital aufzubringen imstande sind; sie sind technisch komplex, sodass sie nur von Spezialisten betrieben, gewartet und auch beurteilt werden können; sie bergen Großrisiken; sie erfordern große institutionelle Arrangements (von Investoren bis zu Aufsichtsbehörden); sie monopolisieren wichtige Versorgungsfunktionen großräumig; sie neigen dazu, die Grenzen zwischen privater und staatlicher Macht zu verwischen; sie tendieren zu zentralistischer und hierarchischer Organisation.

Zwar ist der weitaus größte Teil der Wirtschaft, weltweit und auch in den industrialisierten Ländern, kleingewerblich organisiert und kleine, dezentrale technische Systeme geringer Komplexität haben hinter dem Großen und Spektakulären oft eine verkannte Wirkung. Doch Großes wird nicht nur überproportional wahrgenommen, es vereint auch überproportional viel Macht auf sich. Ein Unternehmen, das eine Milliarde Dollar umsetzt, ist mächtiger als hundert Unternehmen mit je zehn Millionen Umsatz. Wer groß ist, hat mehr Ressourcen frei, um die Überschüsse in Marketing, Lobbying, Kartellbildung, Bestechung und Ähnliches zu investieren (oder, wenn wir nicht von Unternehmen, sondern Staaten sprechen: in Armeen und Geheimdienste). Die größten Konzerne üben weitaus mehr Einfluss aus, als es ihrem Anteil an der gesamten Weltwirtschaft entspräche.

Wer auf dem Markt zu stark ist, verhindert Wettbewerb. Wer in einer Gesellschaft zu stark ist, entzieht sich demokratischer Kontrolle. Deshalb sind demokratische Staatsverfassungen darauf bedacht, allzu große Machtfülle zu verhindern und verschiedene Instanzen einander kontrollieren zu lassen. Größe führt zu Abhängigkeiten. Größe vernichtet Vielfalt, weil das Große dominiert. Vielfalt aber ist ein Grundpfeiler einer Eigenschaft, die in den ökologischen Wissenschaften Resilienz genannt wird: die Fähigkeit von Systemen, mit Veränderungen der Lebensbedingungen fertig zu werden und Störungen zu überleben. Verlust an Vielfalt bedeutet Verlust an Handlungsoptionen.

Einigen Techniken – gerade energieintensiven – ist der Hang zur Größe inhärent. Eine Eisenbahn vom Atlantik zum Pazifik baut man nicht »klein«. Der Flug zum Mond musste »groß« geplant werden. In vielen Fällen aber ist es nicht so sehr die Technik, die zu Größe führt, sondern die Art, wie sie umgesetzt wird. Netze (in den Bereichen Energie, Verkehr und Informationsübermittlung) können Grundlage einer dezentralen, nicht-hierarchischen Struktur sein, sie können aber genauso der Vervollkommnung einer Zentralisierung dienen – je nachdem, wie der Zugang zu den Netzen geregelt ist und ob es Teilnehmer gibt, die ein Netz aufgrund ihrer Macht zu monopolisieren vermögen. Das zeigt sich schön am Beispiel des Internets, das neue, ganz dezentrale Formen der Kommunikation und Zusammenarbeit, aber auch Quasimonopolisten wie Google, Facebook & Co. hervorgebracht hat.

Visionen einer dezentralen Energieversorgung mit regionalen Stromnetzen, an denen jeder sich als Konsument, Produzent (mit der eigenen Solaranlage auf dem Dach) und Anbieter von Speicher-Dienstleistungen (mit der eigenen Autobatterie) beteiligen kann, erinnern an die Träume, wie sie das Internet ausgelöst hat. »Mit der Möglichkeit der Verfügbarkeit erneuerbarer Energien wird Energie vom bloßen Wirtschafts- und Konsumgut zum Kulturgut. Das ist die Sozio-Logik erneuerbarer Energien: Aus der »passiven Energiegesellschaft«, mit immer weniger und dabei immer größer werdenden Anbietern einerseits und gleichgeschalteten und verplanten Energiekonsumenten andererseits, wird die »aktive Energiegesellschaft«, in der die Energieversorgung in wachsendem Maß autonom erfolgt, in zahlreichen neuen Trägerformaten«, schrieb der 2010 verstorbene Hermann Scheer (2010, 169; vgl. Luxemburg 1/2011). Das ist eine schöne Vorstellung. Vielleicht hilft ein genauer Blick auf die Nutzungsgeschichte des Internets, die Gefahren neuartiger Machtkonzentrationen auch in dezentralen Strukturen zu erkennen.

Großtechnologie Atom

Wohl das Paradebeispiel für eine inhärent »große« Technik ist die Atomtechnik. »Groß« ist an der Kernspaltung (und erst recht, falls es sie denn je geben wird, die Kernfusion) fast alles: der nötige Forschungs- und Entwicklungsaufwand, der Kapitalbedarf, ihre technische Komplexität, die Kontrollbürokratie, die sie aufgrund ihrer Gefährlichkeit erfordert; und weit jenseits jeglichen menschlichen Maßes ist die zeitliche Dimension des Abfallproblems. An der Atomtechnik lässt sich ein weiteres Charakteristikum großer Technik aufzeigen, auf das bspw. Ivan Illich oder Friedrich E. Schumacher hingewiesen haben: Statt den Menschen zu dienen, zwingt die Technik den Menschen, sobald sie eine gewisse Schwelle überschreitet, ihre Logik auf.

Der Ausbau der Atomtechnik war etwa in Deutschland keineswegs von Anfang an so geplant, wie sie herausgekommen ist. Deutschland besaß zwar seit 1955 ein Atomministerium. Doch Atomminister Franz Josef Strauß sprach sich 1956 gegen ein zentrales Atomforschungszentrum aus, denn die Errichtung eines solchen würde »nicht nur Millionen verschlingen, sondern auch Jahre dauern« (Radkau 1990, 218) – offenbar rechnete Strauß also eher mit Monaten als mit Jahren oder gar Jahrzehnten, eher mit Tausenden als mit Millionen oder gar Milliarden Mark! Nichts, meinte Strauß, sei »gefährlicher als die Herausbildung wissenschaftlicher Monopolzentren. Wenn sich da einmal eine Fehlentwicklung durchgesetzt hat, wird diese jahrelang beibehalten ohne Korrektur und ohne Widerspruch« (ebd.).

Das war fast schon hellsichtig, denn genau das geschah. Das bundeseigene Reaktorforschungszentrum Karlsruhe wurde ein solches Monopolzentrum. 1963 sagte dessen Direktor Wolf Häfele, solche Unternehmungen gehörten »zum Sichbehaupten eines Volkes«, auch dann, »wenn der dafür zu zahlende Preis phantastisch sein wird«. Das ist kriegerisches Vokabular. Doch nun war man sich in der Regierung einig, dass »die unerwartet schnelle Entwicklung der Brutreaktoren eine Wende in der Kerntechnik herbeigeführt hat und zu einer Konzentration des Atomprogramms zwingt« (Radkau 1990, 222f).

Die technische Entwicklung war zum Zwang geworden, dem man sich glaubte unterziehen zu müssen. Die »Fehlentwicklung«, vor der Strauß gewarnt hatte, nahm ihren Lauf und alle machten mit. »In der Ära der vollendeten Fakten«, schreibt der Historiker Joachim Radkau, »war es soweit, dass sich die Kerntechnik ihre Interessenbasis gleichsam selber geschaffen hatte« (1990, 465). Die treibende Kraft hinter der Atomtechnik war mithin (nebst den militärischen Interessen) diese selber.

Und die Geschichte wiederholt sich. Derzeit bauen die EU und sechs weitere Staaten im französischen Cadarache den europäischen Kernfusions-Versuchsreaktor Iter. Ursprünglich (2005) waren fünf Milliarden Euro Baukosten budgetiert, mittlerweile rechnet die Europäische Kommission mit dem Dreifachen. Aber die Übung abzubrechen, kommt nicht infrage – das wäre, sagt der Vorsitzende des Energieausschusses des EU-Parlaments, Herbert Reul, »ein Offenbarungseid, dass Europa zu gar keinen großen Projekten mehr fähig ist«.2

Parallele Strukturen - oder gegenseitige Behinderung?

Auf das Große zu setzen, birgt also Gefahren. Doch schließen sich zentrale und dezentrale Lösungen aus? Soll, ja muss man nicht beides tun? Die Antwort lautet Nein oder allenfalls Jein, wenn die Ressourcen an Investitionskapital, Forschungs- und Entwicklungskapazitäten sowie mediale und politische Aufmerksamkeit begrenzt sind. Dann wird man sich für eine Strategie entscheiden müssen: Entweder man tut, was ökonomisch am »effizientesten« ist, also pro investiertem Dollar am meisten abwirft. Das dürfte zunächst das sein, was sich in die bestehenden Strukturen am besten einfügt, wie Offshore-Windparks. Oder man tut, was zu einer Struktur hinführt, die den Ansprüchen und Problemen der Zukunft am ehesten zu genügen vermag. Bis zu einem gewissen Grad können sich zentrale und dezentrale Strukturen gewiss ergänzen; in einer Übergangsphase wird es anders gar nicht möglich sein. Aber in den meisten Fällen dürften sich die beiden Strategien eher gegenseitig behindern. Wenn und so lange es ein Nebeneinander von zentralen und dezentralen Strukturen gibt, muss gewährleistet sein, dass die zentralen die dezentralen nicht dominieren oder ausbremsen. Zumindest »aufmerksamkeitsökonomisch« hat das Großtechnische immer die längeren Spieße.

Hermann Scheer sprach von seiner Vision der »Energieautonomie«. »Die autonome Aneignung erneuerbarer Energien durch eine Vielzahl von Akteuren ist die einzige Erfolg versprechende Methode, den Energiewechsel rechtzeitig und unumkehrbar gegen die Funktionslogik des überkommenen Energiesystems durchzusetzen.« Es gehe »beim Wechsel zu erneuerbaren Energien um nichts weniger als um den tiefgreifendsten und weitreichendsten wirtschaftlichen Strukturwandel seit Beginn der industriellen Revolution« (2010, 13). Streben wir Energieautonomie an, kann es nicht darum gehen, jede erneuerbare Energietechnik nur an dem für sie jeweils geeigneten Standort einzusetzen: Die ökonomische Lehre der komparativen Kostenvorteile verliert in diesem Konzept ihr Gewicht. Energieautonomie würde mit den Zwängen des herkömmlichen Energieversorgungssystems, mit der Erpressungsmacht der großen Energiekonzerne und der Produzentenstaaten aufräumen – aber sie muss sich gegen diese Zwänge erst einmal durchsetzen. Ein Erneuerbaren-Apollo-Programm wäre das Letzte, was wir dafür brauchen können.

Dieser Text ist ein neubearbeiteter Auszug aus »Ausgepowert. Das Ende des Ölzeitalters als Chance« (Zürich 2011). In seinem nächsten Buch nimmt sich Hänggi der Frage an, was technischer Fortschritt ist.

1 Vgl. Fortune-500-Ranking, http://money.cnn.com/magazines/fortune/global500/2011.

2 Zitiert nach: »Das Finanzdebakel der Wissenschaft«, in: NZZ am Sonntag, 6. Juni 2010.

Weitere Beiträge