Solidarität statt Abwehrkampf

Von Hanno Bruchmann

Der Rechtspopulismus sorgt national und international für Furore. Das Establishment versucht sich zu verteidigen, verschärft die Krisen aber permanent. Nach dem Brexit, dem Wahlsieg von Donald Trump und möglicherweise einer französischen Präsidentin Marine Le Pen wird die AfD bei der nächsten Bundestagswahl absehbar einen Erfolg einfahren. Bereits im März 2016 schockierte der Einzug der AfD in die Landtage von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt – teils mit Ergebnissen über 20 Prozent. Wie sollte die Linke auf diese Erfolge einer offen rassistischen Partei mit starkem faschistischen Flügel antworten? Was ist zu tun?

Eine Antwort war die Gründung des Bündnisses »Aufstehen gegen Rassismus« (AgR). Direkt nach den Landtagswahlen unterschrieben 18.000 Unterstützer*innen den Aufruf und zur ersten Aktionskonferenz im April 2016 kamen 600 Personen, um sich aktiv an dem Bündnis zu beteiligen. AgR traf ein verbreitetes Bedürfnis, sich zu engagieren, und schuf ein wichtiges Handlungsangebot. Das Bündnis ist an das historische Modell der  ›Volksfront‹ angelehnt – eine breite Koalition linker und bürgerlicher Kräfte gegen den Faschismus. Diese Überparteilichkeit ist grundsätzlich eine Stärke. Über die genaue strategische Ausrichtung der Arbeit gab es jedoch unter den 18.000 Unterzeichner*innen und Hunderten Aktiven unterschiedliche Vorstellungen, die sich holzschnittartig anhand der drei Slogans des Bündnisses verdeutlichen lassen: »Aufstehen gegen Rassismus!« als eine antirassistische Kampagne, die in die Gesellschaft hineinwirken soll; »Keine Stimme der AfD!« mit einer starken Fokussierung auf Wahlen und die AfD; sowie »Unsere Alternative heißt Solidarität!« als Anspruch, in der Auseinandersetzung eine eigene Perspektive der Solidarität starkzumachen.

Aufstehen gegen Rassismus

Einer der großen Erfolge des Bündnisses ist die »Stammtischkämpfer*innen-Ausbildung«. Dieses Programm verfolgt das Ziel, 10.000 Personen auszubilden, sie mit Argumenten gegen Rassismus auszustatten und anzuregen, selbst aktiv zu werden. In Workshops sollen sie in die Lage versetzt werden, Vorurteilen aktiv entgegenzutreten. Das entspricht dem Anliegen von vielen, die sich allein und nicht gut genug gerüstet fühlen, dem alltäglichen Rassismus Paroli zu bieten. Die Seminare werden von Gewerkschaften, Kirchen und selbst Kleingartenvereinen nachgefragt. Zunächst wurden Teamer*innen ausgebildet, die dann dezentral weitere Schulungen übernahmen. Über 900 Menschen haben an der Ausbildung bereits teilgenommen. Durch das Schneeballprinzip ist die Kampagne in der Lage, auch Menschen in ländlichen Regionen zu erreichen, in denen es wenige Angebote dieser Art gibt. Dieser Kampagnen-Baustein ist bitter nötig: Rassistische Einstellungen sind in Deutschland fest verankert, auch unter Gewerkschafter*innen und Wähler*innen von SPD oder Linkspartei (vgl. Heitmeyer 2012). Jede*r Fünfte stimmt islamfeindlichen Positionen zu (vgl. Decker/Kiess/Brähler 2016). Fremdenfeindliche Gewalt hat eine neue Qualität erreicht, auch was ihre Legitimation im politischen Diskurs angeht. Die Trainings helfen, rassistische Deutungen und damit vermeintlich eingängige Argumente der politischen Rechten zu entkräften. In der aufgeheizten Stimmung ist die Beteiligung von Massenorganisationen und liberaler Zivilgesellschaft auf symbolischer Ebene wichtig, um eine Gegenwehr gegen rassistische Positionen aufzubauen. Rassismus zu benennen, zu bearbeiten oder zu isolieren – dazu kann AgR einen Beitrag leisten.

Keine Stimme der AfD!

Ein wichtiges Ziel des Bündnisses ist es, ähnlich wie in früheren Jahren in Bezug auf die NPD, eine ›rote Linie‹ zu ziehen. Die Positionen der AfD sollen inhaltlich kritisiert und so eine Wahlentscheidung für diese Partei zum gesellschaftlichen ›No-Go‹ gemacht werden. Will man den Erfolg der bisherigen Aktivitäten einschätzen, hilft es, zwischen der bundesweiten und der regionalen oder lokalen Ebene zu unterscheiden.

Bundesweite Möglichkeiten und Grenzen

Auf Bundesebene einigte man sich relativ schnell darauf, dass mit ›Rassismus‹ in erster Linie der Rassismus der AfD gemeint ist, um die Bündnisbreite in Richtung SPD und Grüne abzusichern. Über den Widerspruch, dass SPD und Grüne wenige Monate zuvor die Asylrechtsverschärfung mitgetragen hatten und hinter dem Konzept der »sicheren Herkunftsstaaten« stehen, wurde nicht gesprochen. Um auf diese Parteipositionen Rücksicht zu nehmen und angesichts sehr unterschiedlicher im Bündnis vertretener politischer Projekte einigte man sich auf einen Minimalkonsens. Es wurde wenig Anstrengung unternommen, eine echte solidarische Alternative im Bündnis diskursiv und politisch auszuarbeiten. Auf Bundesebene vertritt AgR als Ganzes also allein die Gegnerschaft zur AfD. Und selbst dieser Gegner wurde nur unscharf benannt. Die AfD versteht es, in einer wohlkalkulierten Mischung aus Straßengewalt, Publikationen, Talkshow- und Parlamentsauftritten ein breites rechtes und reaktionäres Potenzial zu bündeln, das über den gesellschaftlichen Rassismus hinausgeht. Man könnte auch von einer rechten Bewegung sprechen. Wer hier lediglich auf Antirassismus orientiert, fokussiert seine Aktionen auf nur einen der Köpfe der Hydra AfD. Andere Faktoren, die zu ihrem derzeitigen Aufstieg geführt haben, bleiben unberücksichtigt. Neben Rassismus ist Antifeminismus ein zentrales ideologisches Moment. Darüber hinaus muss der gesellschaftliche Nährboden unsicherer sozioökonomischer sowie entdemokratisierter Verhältnisse (vgl. Demirović in diesem Heft) in einem Kampf gegen Rechtspopulismus offensiv thematisiert werden. Den »wahren Kern« (vgl. Solty auf LuXemburg-Online) der rechtspopulistisch artikulierten sozialen Unzufriedenheit sollte man nicht unberücksichtigt lassen. Diese speist sich auch aus den Erfahrungen sozialer Abstiege oder entsprechender Ängste sowie aus verlorenem Vertrauen in neoliberale Parteien und Politik allgemein. Viele Wechsel-, Neu- und Erstwähler*innen geben der AfD ihre Stimme auch, um das Establishment abzuwählen. Hier findet eine bloße Übertragung der Konzepte gegen die NPD und die radikale Rechte aus den 1990er Jahren ihre Grenze.

All das kam im Bündnis zwar zur Sprache, wurde aber in einem falschen Pragmatismus übergangen, um die Breite des Bündnisses bis hin zu SPD und Grünen nicht zu gefährden. Obwohl diese Breite eigentlich eine Stärke des Bündnisses ist, wurde sie dort zur entscheidenden Schwäche, wo notwendige inhaltliche Klärungen zugunsten einer ›Beteiligung ohne unangenehme Fragen‹ ausblieben.

Wir müssen selbstkritisch festhalten, dass wir das Ziel, vor den Wahlen Stimmung gegen die AfD zu machen oder diese gar zu kippen, nicht erreicht haben. Der Zulauf zur Demonstration am 3. September war gering und die AfD gewann zweistellige Ergebnisse. Die Demonstration konnte keine Dynamik oder Ausstrahlung entfalten. Ein Blick auf die Manöverkritik von tragenden Teilen des Bündnisses hilft, einen Teil des Problems zu verstehen. Die Gruppe Marx21 beispielsweise schrieb in ihrer Auswertung: Durch den »Grenzenlos-Solidarisch«-Block mit seiner feministischen Schwerpunktsetzung und Kritik an der Asylrechtsverschärfung sei »der Rassismus der AfD und die Betonung eines gemeinsamen Kampfes gegen diese Partei als Hauptschlagrichtung der Demonstration in den Hintergrund« (Marx21 2016) getreten.

Ohne eine Kritik an den Verhältnissen, die die Wahlsiege der AfD unter anderem ermöglichen, lässt sich ein Gegenspieler auf Bundesebene nicht etablieren. Der Misserfolg der Demonstration lag demnach weniger an mangelndem Einsatz oder fehlenden Ressourcen als an einer falschen Ausrichtung. Der Erfolg der AfD gründet eben auch in neoliberalen Regierungspolitiken, verschärfter Konkurrenz und politisch geförderten Prozessen der Entsolidarisierung, die nun von rechts ausgeschlachtet werden. Hinzu kommt, dass AgR genau das Establishment repräsentiert, das die AfD versucht als Feind aufzubauen.

Lokale Erfolge

Die Ausbildung und aktive Organisierung lokaler und regionaler Gruppen ist ein zweiter, wichtiger Erfolg des Bündnisses: Knapp 2.000 Unterstützer*innen hinterließen ihre Telefonnummer, um vor Ort aktiv zu werden. Hunderte dieser Personen wurden persönlich angerufen und für konkrete Vorhaben angesprochen. Sie wurden ermuntert, Gruppen zu gründen und selbst aktiv zu werden. Innerhalb des bundesweiten AgR-Zusammenschlusses haben sich 16 regionale Bündnisse gegründet, um antirassistische Positionen zu verbreitern und Aktionen gegen die AfD zu planen. Notwendige Diskussionen zu Positionen von und Kritik an Bundesparteien sind hier leichter zu kommunizieren. Das Zusammenstehen gegen die AfD ist zudem sehr konkret und praktisch, etwa bei Blockaden oder Protesten gegen entsprechende Demonstrationen. Bis zur Bundestagswahl und darüber hinaus kann die AfD am Infostand bald überall mit aufgehaltenen blauen Mülltüten rechnen, in die Passant*innen ihr Material werfen können. Wer sich engagieren will, findet hier leichten Zugang. Das Bündnis sollte dieses Aktionsfeld weiter stärken und zur zentralen Aufgabe der Bundeskoordination machen.

Unsere Alternative heißt Solidarität!

»Aufstehen gegen Rassismus« war zu Recht größer angelegt als ein klassisch linkes Bündnis, und nicht jede richtige Forderung musste hier Platz finden. Eine Durchsetzung solidarischer Politiken hängt an der Bildung eines eigenständigen gesellschaftlichen Blocks. Die große Empörung über AfD und Pegida, sei sie moralisch, ästhetisch oder politisch, ist sehr wichtig, reicht dafür aber nicht aus. Mit Millionen Neuangekommenen und den vielen in der Willkommensbewegung aktiv gewordenen Menschen haben sich die Verhältnisse eigentlich zugunsten solidarischer Werte und Politiken verbessert. Zusammen mit Parteiaktiven sowie mit jenen, die von ihren Parteien enttäuscht sind, mit Engagierten in Wissenschaft, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen sowie mit der organisierten Zivilgesellschaft lassen sich möglicherweise solidarische Positionen und Aktivitäten entwickeln. Die Zusammenkunft der Bewegung des Willkommens »Welcome2stay« hat das beispielsweise versucht.

Soll die AfD geschwächt werden, müsste also ein politisches Lager zusammengebracht werden, in dem klar antirassistische, darüber hinaus aber auch solidarische Positionen und demokratische Praxen entworfen werden. Das hieße verlässlich und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Die weitergehende Herausforderung besteht dann darin, eigene Praxen einer Selbstkritik zu unterziehen. Bleibt eine entsprechende inhaltliche Auseinandersetzung aus, erweist man der Linken einen Bärendienst. Eine Zusammenarbeit der rot-rot-grünen Parteien – wie bei AgR – müsste unter dem Vorzeichen eines gemeinsamen Willens zum Politikwechsel stattfinden, damit sie sinnvolle Ergebnisse zeitigt und der Rechten schadet, nicht der Linken. Kritik und Opposition, die in einem solchen Lager ausgebildet wird, könnte als progressive Triebkraft auch für Auseinandersetzungen innerhalb der Parteien genutzt werden, die eine Politik des Sozialabbaus betreiben und auch mit rassistischen Untertönen zum Thema Flucht und Einwanderung kokettieren. Wegen der Erfolge im Rahmen der Stammtischkämpfer*innenausbil-dung und der lokalen wie regionalen Bündnisse sollten diese unbedingt fortgeführt werden. In der unmittelbaren politischen Auseinandersetzung auf Bundesebene wird der bisherige Ansatz von »Aufstehen gegen Rassismus« aber aus den beschriebenen Gründen kein wirksames Moment gegen die AfD aufbauen. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, weiter daran zu arbeiten und nach Wegen zu suchen, im Rahmen eines gemeinsamen Projekts, auf Augenhöhe und gemeinschaftlich definiert, entsprechend in den Bundestagswahlkampf einzugreifen. Das erfordert jedoch eine Zusammenarbeit und Diskussionskultur jenseits eingespielter politischer Verhaltensweisen und geht weit über den bisherigen Ansatz von »Aufstehen gegen Rassismus« hinaus.

 

»Aufstehen gegen Rassismus«… nicht die einzige Antwort, aber unverzichtbar

Von Christine Buchholz

Nach den Wahlerfolgen der AfD bei den Landtagswahlen 2016 und mit Blick auf die Landtags- und Bundestagswahlen 2017 stehen wir als gesellschaftliche Linke vor zwei großen Aufgaben. Erstens gilt es dem Rechtsruck entgegenzutreten und deutlich zu machen, dass wir die Etablierung einer Partei, die einen neofaschistischen Flügel in ihren Reihen duldet, nicht hinnehmen werden. Dafür spielen sowohl der bundesweite Aufbau als auch die Verbreiterung und Regionalisierung des Bündnisses »Aufstehen gegen Rassismus« (AgR) eine wichtige Rolle. Das Bündnis politisch zu verengen, wäre falsch.

Um für einen Politikwechsel zu kämpfen, brauchen wir zweitens eine linke, antikapitalistische Alternative zur herrschenden Politik, eine linke Antwort auf soziale Spaltung und Frust mit dem Establishment. Das bedeutet für die gesellschaftliche Linke, soziale Kämpfe und Bewegungen auch im Bundestagswahljahr 2017 voranzutreiben. Für die Partei DIE LINKE heißt es zudem, einen profilierten sozialen, antikapitalistischen und antirassistischen Wahlkampf zu führen.

Die AfD als Pol der rechten Organisierung

Mit AgR hat die LINKE im März 2016 ein Bündnis mitgegründet, dessen zentraler Bezugspunkt der Aufstieg der AfD ist. Der Gründungsaufruf geht davon aus, dass die AfD »zunehmend zum Sammelbecken für Fremdenfeindlichkeit und Rassismus geworden ist. An vielen Orten ist die AfD Zentrum der extremen Rechten geworden. Abgeordnete der AfD verbreiten Nazi-Parolen und hetzen gegen Andersdenkende.« (1) 

Die AfD ist der wichtigste Pol der rechten Organisierung in Deutschland und muss als aktuell bedeutsamer Kristallisationspunkt bekämpft werden, nicht weil sie der einzige Ausdruck des Rassismus in Deutschland wäre. In der AfD ringen der national-konservative Flügel und der völkische national-soziale – ich nenne ihn auch den neofaschistischen Flügel – miteinander. Der Einfluss des neofaschistischen Flügels wächst seit der Spaltung im Juni 2015 kontinuierlich: Das Bundesschiedsgericht der AfD hat den Auflösungsbeschluss gegen den saarländischen Landesverband wegen Zusammenarbeit mit Neonazis aufgehoben – ebenso wie den Beschluss, nicht auf Pegida-Demonstrationen aufzutreten. Alexander Gauland lädt alle »Identitären« ein, in die AfD einzutreten, wie die taz am 17.11.2016 berichtete. Unter den aussichtsreichen Kandidaten für den Bundestag befinden sich in Hessen der aus der CDU ausgeschlossene Antisemit Martin Hohmann und in Baden-Württemberg der Bundeschef der Jungen Alternative Markus Frohnmaier, der laut Badischer Zeitung vom 26.7.2016 wohl in der German Defence League aktiv war, und der völkisch-nationale Thomas Seitz, der Merkels Flüchtlingspolitik als »Auftakt zur Vernichtung des deutschen Volkes« bezeichnete (vgl. Badische Zeitung vom 1.3.2016).

Eine kurze Zwischenbilanz

Bei der Gründung von AgR haben sich unterschiedliche Organisationen zum Ziel gesetzt, diesen Entwicklungen etwas entgegenzustellen. Wir haben mittlerweile ein breites Bündnis aufgebaut. Zum aktiven Kern gehören unter anderem die DGB-Jugend, Verschiedene Gliederungen von IG-Metall, ver.di und anderen Gewerkschaften, die Naturfreunde, Attac, Aktive der Partei die LINKE, Jusos, Sozialdemokrat*innen, Grüne, der Zentralrat der Muslime, die Alevitische Gemeinde und unterschiedliche lokale Bündnisse gegen rechts. Mittlerweile gibt es 17 regionale und viele lokale Ableger. Zu den mehr als 18.000 Menschen, die den Aufruf unterzeichnet haben, sind in den zwei Wochen nach der Trump-Wahl 500 neue Unterzeichner*innen hinzugekommen.

Am 3. September 2016 demonstrierten in Berlin 6.000 Menschen gegen die AfD. Das waren weniger als erwartet, und es war auch nicht die bundesweite Mobilisierung, die wir geplant hatten. Es war dennoch ein wichtiges Zeichen gegen die AfD.

Geduld beweisen

Hanno Bruchmann stellt die These auf, dass der bisherige Ansatz von AgR auf Bundesebene »kein wirksames Moment gegen die AfD aufbauen« (80)  werde. Das zeugt meines Erachtens von einer Fehleinschätzung der Anstrengungen, die nötig sind, um ein in der Breite mobilisierungsfähiges Bündnis aufzubauen, das weit in die Gewerkschaften hineinwirkt und Muslime sowie verschiedene migrantische Organisationen und Netzwerke einschließt.

Das Bündnis hat in den letzten Monaten verschiedene Kampagnenelemente entwickelt, mit denen wir der AfD selbstbewusst entgegentreten können. Bis Ende November 2016 haben wir über 900 Stammtischkämpfer*innen gegen rechts ausgebildet. Trotzdem stehen wir mit AgR erst am Anfang. Wir brauchen mehr Organisationen, die das Bündnis unterstützen, und auch in den beteiligten Organisationen brauchen wir mehr Unterstützung: Wir brauchen noch viel mehr Aktive vor Ort und eine Stärkung der zentralen Strukturen.

Der Aufbau von regionalen und lokalen Bündnisstrukturen ist wichtig, um der AfD überall entgegenzutreten, da sie sich auch über lokale Mobilisierungen und in lokalen Parlamenten aufbaut. Deshalb sind Wahlkämpfe genauso ein politischer Rahmen für Aktivitäten von AgR wie die Begleitung der AfD dort, wo sie schon in den Parlamenten sitzt.

Weil die AfD als bundesweites Projekt zu verstehen ist, ist eine bundesweite Kampagne notwendig. Björn Höcke und André ­Poggenburg kämpfen nicht nur darum, ihre Landesverbände zu radikalisieren, sie ­organisieren sich bundesweit, um Einfluss auf die ganze Partei zu gewinnen. Die Zusammenschlüsse »Patriotische Plattform« und »der Flügel« stärken wechselseitig ihren Einfluss. Im April will die AfD ihren Bundesparteitag zur Bundestagswahl in Köln abhalten. Auch hier braucht es ein überregio­nales Bündnis, das den Protest dagegen in Zusammenarbeit mit lokalen Ablegern und Strukturen ­befördert.

Das Verhältnis von Breite und Schärfe

Die Breite des Bündnisses sei zur entscheidenden Schwäche geworden, behauptet Hanno Bruchmann, »wo die notwendige inhaltliche Klärung« (78) ausblieb. Es gebe einen »falschen Pragmatismus« (ebd.) aus Rücksichtnahme auf SPD und Grüne. Tatsächlich können im Bündnis beteiligte Organisatio­nen über die beschlossene Plattform hinaus weitergehende Positionen vertreten. Auf der Berliner Kundgebung am 3. September sind auch Redner*innen aufgetreten, die die Asylrechtsverschärfungen angegriffen haben. Aber eben nicht nur solche. Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung hat über die frauenfeindliche Politik der AfD gesprochen. Durch die politische Vielfalt unterscheidet sich AgR von anderen Bündnissen. Wenn aber beispielsweise die LINKE eine Zustimmung zu ihren Positionen zur Eintrittsbedingung für das Bündnis machen würde, schlösse sie Akteure etwa aus dem Bereich von Gewerkschaften, SPD, Grünen und viele andere aus. Dann würde die »inhaltliche Klärung« zur Verengung und damit zur Schwäche.

Auch wenn die Mehrheit der SPD-Fraktion im Bundestag und Teile der Grünen den Asylrechtsverschärfungen zugestimmt haben, ist es unverzichtbar, ihre Wähler*innen und Anhänger*innen für den gemeinsamen Kampf gegen die AfD zu gewinnen, um die notwendige gesellschaftliche Durchschlagskraft zu erzeugen. Das wird uns nur gelingen, wenn wir mit denjenigen aus SPD, Grünen und anderen kooperieren, die den Vormarsch von organisierten Rassist*innen und Neofaschist*innen verhindern wollen. Gerade weil rassistische Ressentiments wachsen und rassistische Gewalt gegen Geflüchtete und Muslime zunimmt, ist es nötig, eine gesellschaftliche Breite herzustellen und nicht nur die üblichen Verdächtigen neu zu vernetzen.

Die meisten Menschen haben ein widersprüchliches Bewusstsein gegenüber Flüchtlingen. Viele wenden sich gegen die AfD und ihre menschenverachtenden Forderungen (etwa die Einführung eines Schießbefehls gegen Flüchtlinge an der deutschen Grenze), aber nur sehr wenige sind dafür, die Grenzen bedingungslos zu öffnen. Wir müssen versuchen, sie in gemeinsamen Aktionen von konsequent antirassistischen Positionen zu überzeugen.

AgR bietet Solidarität gegen Rassismus an. Das ist ein Angebot an die zersplitterte Bewegung der Flüchtlingshelfer*innen und an diejenigen, die Opfer von Rassismus sind. Von daher ist es wichtig, neben den bereits aktiven muslimischen und alevitischen Beteiligten weitere migrantische Organisatio­nen für AgR zu gewinnen. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, hat es auf der Demonstration in Berlin auf den Punkt gebracht: »Wenn jemand eine Kirche oder Christen angreift, so ist es, als ob er uns alle angegriffen hätte. Wer einen Anschlag auf eine Synagoge verübt, der hat einen Anschlag auf uns alle ausgeführt. Wer im Namen einer Religion oder irgendeines Nationalismus Menschen ohne Religion angreift, hat sich außerhalb unserer Gemeinschaft gestellt.«

Es braucht eine antikapitalistische Partei

Hanno Bruchmann fordert: »Soll die AfD geschwächt werden, müsste ein politisches Lager zusammengebracht werden, in dem klar antirassistische, darüber hinaus aber auch solidarische Positionen und demokratische Praxen entworfen werden.« (80) Das ist Aufgabe von linken Organisationen und nicht zuletzt der Partei DIE LINKE, allerdings widerspricht dieser Anspruch dem Ansatz eines breiten antirassistischen Bündnisses.

Forderungen nach einem Ende des Neoliberalismus und des Abschottungsregimes in Europa sind wichtige Positionen, die LINKE und radikale Linke einbringen. Ein liberaler Antirassismus allein wird den Rassismus nicht bannen, deshalb ist ein antikapitalistischer und klassenbezogener Pol wichtig. Doch weder die LINKE noch die Antifa allein können die AfD in ihrem Aufbau behindern oder gar stoppen. Mit diesem Widerspruch müssen wir umgehen. Die Positionen der LINKEn oder der radikalen Linken dürfen nicht die Bedingung für die Zusammenarbeit bei AgR sein.

Hanno Bruchmann kritisiert einerseits die Aktionseinheit mit SPD und Grünen im Bündnis, fordert aber andererseits: »Eine Zusammenarbeit der rot-rot-grünen Parteien – wie bei AgR – müsste unter dem Vorzeichen eines gemeinsamen Willens zum Politikwechsel stattfinden« (ebd.). Umgekehrt wird ein Schuh draus. Wenn es eine politische Grundlage für ein rot-rot-grünes Bündnis geben sollte, die tatsächlich einen Bruch mit einer Politik des Neoliberalismus, der Abschottung und des Militarismus darstellt, dann kann sie nur aus Kämpfen wachsen, die geeignet sind, die politischen Kräfteverhältnisse in diesem Land substanziell zu verändern. Der Kampf gegen die AfD ist nicht die ganze Antwort, aber er ist ein unverzichtbarer Teil davon.

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