Solidarität statt Abwehrkampf
Von Hanno Bruchmann
Der Rechtspopulismus sorgt national und international für Furore. Das Establishment versucht sich zu verteidigen, verschärft die Krisen aber permanent. Nach dem Brexit, dem Wahlsieg von Donald Trump und möglicherweise einer französischen Präsidentin Marine Le Pen wird die AfD bei der nächsten Bundestagswahl absehbar einen Erfolg einfahren. Bereits im März 2016 schockierte der Einzug der AfD in die Landtage von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt – teils mit Ergebnissen über 20 Prozent. Wie sollte die Linke auf diese Erfolge einer offen rassistischen Partei mit starkem faschistischen Flügel antworten? Was ist zu tun?
Eine Antwort war die Gründung des Bündnisses »Aufstehen gegen Rassismus« (AgR). Direkt nach den Landtagswahlen unterschrieben 18.000 Unterstützer*innen den Aufruf und zur ersten Aktionskonferenz im April 2016 kamen 600 Personen, um sich aktiv an dem Bündnis zu beteiligen. AgR traf ein verbreitetes Bedürfnis, sich zu engagieren, und schuf ein wichtiges Handlungsangebot. Das Bündnis ist an das historische Modell der ›Volksfront‹ angelehnt – eine breite Koalition linker und bürgerlicher Kräfte gegen den Faschismus. Diese Überparteilichkeit ist grundsätzlich eine Stärke. Über die genaue strategische Ausrichtung der Arbeit gab es jedoch unter den 18.000 Unterzeichner*innen und Hunderten Aktiven unterschiedliche Vorstellungen, die sich holzschnittartig anhand der drei Slogans des Bündnisses verdeutlichen lassen: »Aufstehen gegen Rassismus!« als eine antirassistische Kampagne, die in die Gesellschaft hineinwirken soll; »Keine Stimme der AfD!« mit einer starken Fokussierung auf Wahlen und die AfD; sowie »Unsere Alternative heißt Solidarität!« als Anspruch, in der Auseinandersetzung eine eigene Perspektive der Solidarität starkzumachen.
Aufstehen gegen Rassismus
Einer der großen Erfolge des Bündnisses ist die »Stammtischkämpfer*innen-Ausbildung«. Dieses Programm verfolgt das Ziel, 10.000 Personen auszubilden, sie mit Argumenten gegen Rassismus auszustatten und anzuregen, selbst aktiv zu werden. In Workshops sollen sie in die Lage versetzt werden, Vorurteilen aktiv entgegenzutreten. Das entspricht dem Anliegen von vielen, die sich allein und nicht gut genug gerüstet fühlen, dem alltäglichen Rassismus Paroli zu bieten. Die Seminare werden von Gewerkschaften, Kirchen und selbst Kleingartenvereinen nachgefragt. Zunächst wurden Teamer*innen ausgebildet, die dann dezentral weitere Schulungen übernahmen. Über 900 Menschen haben an der Ausbildung bereits teilgenommen. Durch das Schneeballprinzip ist die Kampagne in der Lage, auch Menschen in ländlichen Regionen zu erreichen, in denen es wenige Angebote dieser Art gibt. Dieser Kampagnen-Baustein ist bitter nötig: Rassistische Einstellungen sind in Deutschland fest verankert, auch unter Gewerkschafter*innen und Wähler*innen von SPD oder Linkspartei (vgl. Heitmeyer 2012). Jede*r Fünfte stimmt islamfeindlichen Positionen zu (vgl. Decker/Kiess/Brähler 2016). Fremdenfeindliche Gewalt hat eine neue Qualität erreicht, auch was ihre Legitimation im politischen Diskurs angeht. Die Trainings helfen, rassistische Deutungen und damit vermeintlich eingängige Argumente der politischen Rechten zu entkräften. In der aufgeheizten Stimmung ist die Beteiligung von Massenorganisationen und liberaler Zivilgesellschaft auf symbolischer Ebene wichtig, um eine Gegenwehr gegen rassistische Positionen aufzubauen. Rassismus zu benennen, zu bearbeiten oder zu isolieren – dazu kann AgR einen Beitrag leisten.
Keine Stimme der AfD!
Ein wichtiges Ziel des Bündnisses ist es, ähnlich wie in früheren Jahren in Bezug auf die NPD, eine ›rote Linie‹ zu ziehen. Die Positionen der AfD sollen inhaltlich kritisiert und so eine Wahlentscheidung für diese Partei zum gesellschaftlichen ›No-Go‹ gemacht werden. Will man den Erfolg der bisherigen Aktivitäten einschätzen, hilft es, zwischen der bundesweiten und der regionalen oder lokalen Ebene zu unterscheiden.
Bundesweite Möglichkeiten und Grenzen
Auf Bundesebene einigte man sich relativ schnell darauf, dass mit ›Rassismus‹ in erster Linie der Rassismus der AfD gemeint ist, um die Bündnisbreite in Richtung SPD und Grüne abzusichern. Über den Widerspruch, dass SPD und Grüne wenige Monate zuvor die Asylrechtsverschärfung mitgetragen hatten und hinter dem Konzept der »sicheren Herkunftsstaaten« stehen, wurde nicht gesprochen. Um auf diese Parteipositionen Rücksicht zu nehmen und angesichts sehr unterschiedlicher im Bündnis vertretener politischer Projekte einigte man sich auf einen Minimalkonsens. Es wurde wenig Anstrengung unternommen, eine echte solidarische Alternative im Bündnis diskursiv und politisch auszuarbeiten. Auf Bundesebene vertritt AgR als Ganzes also allein die Gegnerschaft zur AfD. Und selbst dieser Gegner wurde nur unscharf benannt. Die AfD versteht es, in einer wohlkalkulierten Mischung aus Straßengewalt, Publikationen, Talkshow- und Parlamentsauftritten ein breites rechtes und reaktionäres Potenzial zu bündeln, das über den gesellschaftlichen Rassismus hinausgeht. Man könnte auch von einer rechten Bewegung sprechen. Wer hier lediglich auf Antirassismus orientiert, fokussiert seine Aktionen auf nur einen der Köpfe der Hydra AfD. Andere Faktoren, die zu ihrem derzeitigen Aufstieg geführt haben, bleiben unberücksichtigt. Neben Rassismus ist Antifeminismus ein zentrales ideologisches Moment. Darüber hinaus muss der gesellschaftliche Nährboden unsicherer sozioökonomischer sowie entdemokratisierter Verhältnisse (vgl. Demirović in diesem Heft) in einem Kampf gegen Rechtspopulismus offensiv thematisiert werden. Den »wahren Kern« (vgl. Solty auf LuXemburg-Online) der rechtspopulistisch artikulierten sozialen Unzufriedenheit sollte man nicht unberücksichtigt lassen. Diese speist sich auch aus den Erfahrungen sozialer Abstiege oder entsprechender Ängste sowie aus verlorenem Vertrauen in neoliberale Parteien und Politik allgemein. Viele Wechsel-, Neu- und Erstwähler*innen geben der AfD ihre Stimme auch, um das Establishment abzuwählen. Hier findet eine bloße Übertragung der Konzepte gegen die NPD und die radikale Rechte aus den 1990er Jahren ihre Grenze.
All das kam im Bündnis zwar zur Sprache, wurde aber in einem falschen Pragmatismus übergangen, um die Breite des Bündnisses bis hin zu SPD und Grünen nicht zu gefährden. Obwohl diese Breite eigentlich eine Stärke des Bündnisses ist, wurde sie dort zur entscheidenden Schwäche, wo notwendige inhaltliche Klärungen zugunsten einer ›Beteiligung ohne unangenehme Fragen‹ ausblieben.
Wir müssen selbstkritisch festhalten, dass wir das Ziel, vor den Wahlen Stimmung gegen die AfD zu machen oder diese gar zu kippen, nicht erreicht haben. Der Zulauf zur Demonstration am 3. September war gering und die AfD gewann zweistellige Ergebnisse. Die Demonstration konnte keine Dynamik oder Ausstrahlung entfalten. Ein Blick auf die Manöverkritik von tragenden Teilen des Bündnisses hilft, einen Teil des Problems zu verstehen. Die Gruppe Marx21 beispielsweise schrieb in ihrer Auswertung: Durch den »Grenzenlos-Solidarisch«-Block mit seiner feministischen Schwerpunktsetzung und Kritik an der Asylrechtsverschärfung sei »der Rassismus der AfD und die Betonung eines gemeinsamen Kampfes gegen diese Partei als Hauptschlagrichtung der Demonstration in den Hintergrund« (Marx21 2016) getreten.
Ohne eine Kritik an den Verhältnissen, die die Wahlsiege der AfD unter anderem ermöglichen, lässt sich ein Gegenspieler auf Bundesebene nicht etablieren. Der Misserfolg der Demonstration lag demnach weniger an mangelndem Einsatz oder fehlenden Ressourcen als an einer falschen Ausrichtung. Der Erfolg der AfD gründet eben auch in neoliberalen Regierungspolitiken, verschärfter Konkurrenz und politisch geförderten Prozessen der Entsolidarisierung, die nun von rechts ausgeschlachtet werden. Hinzu kommt, dass AgR genau das Establishment repräsentiert, das die AfD versucht als Feind aufzubauen.
Lokale Erfolge
Die Ausbildung und aktive Organisierung lokaler und regionaler Gruppen ist ein zweiter, wichtiger Erfolg des Bündnisses: Knapp 2.000 Unterstützer*innen hinterließen ihre Telefonnummer, um vor Ort aktiv zu werden. Hunderte dieser Personen wurden persönlich angerufen und für konkrete Vorhaben angesprochen. Sie wurden ermuntert, Gruppen zu gründen und selbst aktiv zu werden. Innerhalb des bundesweiten AgR-Zusammenschlusses haben sich 16 regionale Bündnisse gegründet, um antirassistische Positionen zu verbreitern und Aktionen gegen die AfD zu planen. Notwendige Diskussionen zu Positionen von und Kritik an Bundesparteien sind hier leichter zu kommunizieren. Das Zusammenstehen gegen die AfD ist zudem sehr konkret und praktisch, etwa bei Blockaden oder Protesten gegen entsprechende Demonstrationen. Bis zur Bundestagswahl und darüber hinaus kann die AfD am Infostand bald überall mit aufgehaltenen blauen Mülltüten rechnen, in die Passant*innen ihr Material werfen können. Wer sich engagieren will, findet hier leichten Zugang. Das Bündnis sollte dieses Aktionsfeld weiter stärken und zur zentralen Aufgabe der Bundeskoordination machen.
Unsere Alternative heißt Solidarität!
»Aufstehen gegen Rassismus« war zu Recht größer angelegt als ein klassisch linkes Bündnis, und nicht jede richtige Forderung musste hier Platz finden. Eine Durchsetzung solidarischer Politiken hängt an der Bildung eines eigenständigen gesellschaftlichen Blocks. Die große Empörung über AfD und Pegida, sei sie moralisch, ästhetisch oder politisch, ist sehr wichtig, reicht dafür aber nicht aus. Mit Millionen Neuangekommenen und den vielen in der Willkommensbewegung aktiv gewordenen Menschen haben sich die Verhältnisse eigentlich zugunsten solidarischer Werte und Politiken verbessert. Zusammen mit Parteiaktiven sowie mit jenen, die von ihren Parteien enttäuscht sind, mit Engagierten in Wissenschaft, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen sowie mit der organisierten Zivilgesellschaft lassen sich möglicherweise solidarische Positionen und Aktivitäten entwickeln. Die Zusammenkunft der Bewegung des Willkommens »Welcome2stay« hat das beispielsweise versucht.
Soll die AfD geschwächt werden, müsste also ein politisches Lager zusammengebracht werden, in dem klar antirassistische, darüber hinaus aber auch solidarische Positionen und demokratische Praxen entworfen werden. Das hieße verlässlich und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Die weitergehende Herausforderung besteht dann darin, eigene Praxen einer Selbstkritik zu unterziehen. Bleibt eine entsprechende inhaltliche Auseinandersetzung aus, erweist man der Linken einen Bärendienst. Eine Zusammenarbeit der rot-rot-grünen Parteien – wie bei AgR – müsste unter dem Vorzeichen eines gemeinsamen Willens zum Politikwechsel stattfinden, damit sie sinnvolle Ergebnisse zeitigt und der Rechten schadet, nicht der Linken. Kritik und Opposition, die in einem solchen Lager ausgebildet wird, könnte als progressive Triebkraft auch für Auseinandersetzungen innerhalb der Parteien genutzt werden, die eine Politik des Sozialabbaus betreiben und auch mit rassistischen Untertönen zum Thema Flucht und Einwanderung kokettieren. Wegen der Erfolge im Rahmen der Stammtischkämpfer*innenausbil-dung und der lokalen wie regionalen Bündnisse sollten diese unbedingt fortgeführt werden. In der unmittelbaren politischen Auseinandersetzung auf Bundesebene wird der bisherige Ansatz von »Aufstehen gegen Rassismus« aber aus den beschriebenen Gründen kein wirksames Moment gegen die AfD aufbauen. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, weiter daran zu arbeiten und nach Wegen zu suchen, im Rahmen eines gemeinsamen Projekts, auf Augenhöhe und gemeinschaftlich definiert, entsprechend in den Bundestagswahlkampf einzugreifen. Das erfordert jedoch eine Zusammenarbeit und Diskussionskultur jenseits eingespielter politischer Verhaltensweisen und geht weit über den bisherigen Ansatz von »Aufstehen gegen Rassismus« hinaus.
»Aufstehen gegen Rassismus«… nicht die einzige Antwort, aber unverzichtbar
Von Christine Buchholz
Nach den Wahlerfolgen der AfD bei den Landtagswahlen 2016 und mit Blick auf die Landtags- und Bundestagswahlen 2017 stehen wir als gesellschaftliche Linke vor zwei großen Aufgaben. Erstens gilt es dem Rechtsruck entgegenzutreten und deutlich zu machen, dass wir die Etablierung einer Partei, die einen neofaschistischen Flügel in ihren Reihen duldet, nicht hinnehmen werden. Dafür spielen sowohl der bundesweite Aufbau als auch die Verbreiterung und Regionalisierung des Bündnisses »Aufstehen gegen Rassismus« (AgR) eine wichtige Rolle. Das Bündnis politisch zu verengen, wäre falsch.
Um für einen Politikwechsel zu kämpfen, brauchen wir zweitens eine linke, antikapitalistische Alternative zur herrschenden Politik, eine linke Antwort auf soziale Spaltung und Frust mit dem Establishment. Das bedeutet für die gesellschaftliche Linke, soziale Kämpfe und Bewegungen auch im Bundestagswahljahr 2017 voranzutreiben. Für die Partei DIE LINKE heißt es zudem, einen profilierten sozialen, antikapitalistischen und antirassistischen Wahlkampf zu führen.
Die AfD als Pol der rechten Organisierung
Mit AgR hat die LINKE im März 2016 ein Bündnis mitgegründet, dessen zentraler Bezugspunkt der Aufstieg der AfD ist. Der Gründungsaufruf geht davon aus, dass die AfD »zunehmend zum Sammelbecken für Fremdenfeindlichkeit und Rassismus geworden ist. An vielen Orten ist die AfD Zentrum der extremen Rechten geworden. Abgeordnete der AfD verbreiten Nazi-Parolen und hetzen gegen Andersdenkende.« (1)