Warum Vergesellschaftung auch unsere Beziehungsweisen verändert
Über Jahrzehnte war das Wort verpönt – es stand für ein schreckliches Scheitern, war Relikt längst vergangener Zeiten. Damit ist es vorbei!
Wie weiter in und nach der Corona-Krise
Wie die EU versucht, mit einem Sicherheitsregime ihre Krise zu lösen
Luxemburg als Patin eines undogmatischen Sozialismus
Lehren und Lernen mit Rosa Luxemburg
LUXEMBURG 2-3/2017
Über Gewerkschaften ist seit Marx viel geschrieben und gestritten worden: Sind sie notwendig auf den ökonomischen Interessenkampf im Rahmen des Kapitalverhältnisses reduziert oder können sie Ausgangspunkt emanzipatorischer gesellschaftlicher Transformation sein? Diese Frage stellt sich nicht nur als politisch-strategische, sie ist auch in den betrieblichen Alltagspraxen präsent, im permanenten Konflikt um Inhalt und Form der Arbeit und um die Qualität von (lohn-)arbeitsteiliger Zusammenarbeit. Dieser alltägliche Klassenwiderspruch wird sichtbar, wenn wir mit zentralen Marx’schen Kategorien – vor allem den Begriffen konkrete und abstrakte Arbeit sowie Gebrauchswert und Wert – einen Blick in die Betriebe und Einrichtungen werfen und auf die Menschen, die dort arbeiten. Gewerkschaften sind, so die hier vertretene These, umso eher eigensinnige Akteure gesellschaftlicher Transformation, je mehr sie die für die Beschäftigten immer präsenten qualitativen leiblich-stofflichen Dimensionen der (Lohn-)Arbeit zum Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen machen. Dann eröffnen sich auch Perspektiven eines nachhaltigen sozialökologischen Zusammenhangs von Produktion und Reproduktion jenseits der derzeit atomisiert-individualistischen Thematisierung einer »Work-Life-Balance«.
Häufig scheint es, als seien Marxismus und Arbeiterbewegung immer schon identisch gewesen. Dabei war dies eher eine Verbindung auf Zeit, und rückblickend ist es verblüffend, dass eine wissenschaftliche Doktrin für mehrere Jahrzehnte die Grundlage breiter Massenbewegungen bilden konnte. Das haben sonst nur Religionen fertiggebracht. Ein Aufeinandertreffen von Bewegung und Wissenschaft verläuft meist so, dass Bruchstücke der Wissenschaft übernommen werden oder dass Teile der Bewegung – meist die formellen oder informellen Führungsschichten – diese rezipieren. Die Ausbreitung der Marx’schen Auffassungen innerhalb der deutschen Sozialdemokratie in den 1860er und 1870er Jahren hingegen war unmittelbares Moment eines Prozesses, in dem das Proletariat zu einer Klasse und damit zu einer selbstständigen politischen Kraft wurde (vgl. Demirović in diesem Heft).
Der historische Widerspruch zwischen Ökologie und Emanzipation
Ich möchte mich dazu äußern, was mir Laclaus Werk und der Dialog, den wir beide in den letzten Jahren geführt haben, bedeutet. Es war ein intensiver und zugleich kritischer Dialog, der von klaren Differenzen, aber auch großem Respekt gekennzeichnet war. Für mich stellt Laclaus Analyse eine neukantische Variante dessen dar, was sich als »post-sowjetischer Sozialismus« bezeichnen ließe. Bereits in der Epoche der Zweiten Internationale bot der Neukantianismus eine kritische Perspektive auf den Marxismus. Ohne ihn als Feind zu betrachten, versuchte er ihn seinen eigenen Zielen unterzuordnen und ihn in gewisser Weise zu neutralisieren. Die Kritik richtete sich gegen den politischen Realismus und die Ontologie des Klassenkampfes.
Warum Paulus für die Linke(n) von Bedeutung ist
Die Massenproteste in Tunesien und Ägypten zu Beginn des Jahres 2011 wurden vielerorts mit großer Sympathie begleitet. Aus »westlicher« Perspektive schienen diese völlig unvorhersehbar und zugleich doch in die abendländischen politischen Entwicklungsmuster einzuordnen: Im Arabischen Frühling kämpften die Menschen für die Einführung der liberalen repräsentativen Demokratie, um endlich die Unterdrückungsverhältnisse lang anhaltender Diktaturen abzuschütteln. Die Herrscher wurden verjagt. Und doch konnten erste verhältnismäßig freie Wahlen solche demokratischen Verhältnisse nicht einrichten.
SOLIDARITÄT – DIE VERNACHLÄSSIGTE NORM
von John Holloway[1]
Wie weit ist es von Nottingham nach Lateinamerika? Es hängt davon ab, wie dies gemessen wird. Es lässt sich in Begriffen einer Politik der Armut oder in Begriffen einer Politik der Würde bemessen.
Unter Politik der Armut verstehe ich eine Politik, die von der Armut der großen Bevölkerungsmehrheit und dem Wunsch, diese abzuschaffen, ausgeht. Dies hat eine sehr reale Grundlage. Es gibt eine enorme Armut in der Region. Wenn man zum ersten Mal dorthin fährt, ist dies einer der augenfälligsten Zustände: die Anzahl der Menschen, die an den Ampeln Dinge verkaufen oder in den Straßen betteln, die Barackensiedlungen, die Armut auf dem Land. Ein großer Teil der Menschen lebt in Armut oder extremer Armut. Und daneben die großen Häuser und die großen Autos, die augenfälligen Unterschiede zwischen arm und reich.