Ganz im Gegenteil: Ukraine-Krieg, die damit verbundene Aufnahme von Geflüchteten, Rezessionsangst und Energiesicherheit sind Themen, bei denen die AfD gegenwärtig nicht punkten kann. Das kann sich ohne Zweifel schnell ändern, jedoch fehlt der AfD die inhaltliche und personelle Geschlossenheit, um hier rasch eine Wende herbeizuführen.

Der Abgang und Austritt des Parteivorsitzenden Jörg Meuthen und die gerichtliche Entscheidung zur Zulässigkeit der Beobachtung der Gesamtpartei durch das Bundesamt für Verfassungsschutz haben die vorhandene Verunsicherung in der Partei noch einmal verstärkt. Der nur knappe Wiedereinzug in den Saarländischen Landtag mit 5,7 Prozent dürfte mit Blick auf die anstehenden Wahlen im Jahr 2022 auch nicht zur Beruhigung beigetragen haben.

Schwache gegen noch Schwächere ausspielen

Ausgrenzung und Rassismus lassen sich in der gegenwärtigen Situation der Massenflucht aus der Ukraine nicht in gewohnter Weise nutzen – das ist auch der AfD im Bundestag klar. So stellt man sich gezwungenermaßen hinter die Aufnahme der Menschen aus der Ukraine, um in bekannter Manier die Schwachen gegen die noch Schwächeren auszuspielen. Der Abgeordnete Gottfried Curio führt vor, wie man auch aktuell Rassismus für die AfD nutzbar machen will: „Wir wollen Hilfsbedürftige versorgen. Aber wer nimmt ihnen denn jetzt die Kapazitäten weg? Nicht nur die passlosen afrikanischen Austauschstudenten, die angeblichen, sondern vor allem die Hunderttausende Altfälle von ausreisepflichtigen Asylbewerbern, die Deutschland seit 2015 unter Angabe falscher Fluchtgründe getäuscht haben (…). Jetzt brauchen wir aber Platz für die wirklich Hilfsbedürftigen! (…) Hunderttausende ausreisepflichtige Merkel-Migranten nehmen die Plätze der heute fliehenden Frauen und Kinder aus der Ukraine hier in den Aufnahmen weg. Das ist eine Schande! (…) Woran erkennt man wirkliche Flüchtlinge? Die sind, anders als 2015, meist weiblich, haben ihren Pass dabei, treten dankbar auf statt fordernd, und sie wollen zurück in die Heimat.“ (Deutscher Bundestag, 20. Wahlperiode, Protokoll 21. Sitzung, S. 1583, 17.3.2022, https://dserver.bundestag.de/btp/20/20021.pdf).

Sehen lässt sich hier der Bruchpunkt, mit dem die AfD bald auch schon gegen diese Menschen hetzen wird. Der schnelle und unbedingte Rückkehrwille ist der Maßstab, mit dem Leute wie Curio den Menschen hier ein nur kurzes und vorrübergehendes Gnadenrecht einräumen wollen. Integration, z.B. für ukrainische Kinder in den Schulen, wird klar abgelehnt.

Generell fällt die AfD nach aktuellem Sprachgebrauch sicherlich in die Kategorie der Putin-Versteher. Die Motivation für diese Positionierung ist jedoch eine gänzlich andere, als sie der politischen Linken untergeschoben wird. In der Sondersitzung des Bundestages am 27. Februar 2022 zum Kriegsbeginn und dem Überfall Russlands konnte man in den vier AfD-Reden die ganze Palette der Positionen sehen, die in der Partei vorhanden sind – von relativ klarer Parteinahme für Russland bis hin zur Forderung nach neuer Wehrhaftigkeit und Aufrüstung. Als einzige Fraktion wagte es die AfD in dieser Debatte, den Angriff Russlands in einen historischen Kontext zu stellen (vgl. die Debatte vom 27.2.2022: Plenarprotokoll 20/19 (bundestag.de) (Alice Weidel S. 1360 f., Tino Chrupalla S. 1369 f., Petr Bystron S. 1375 f., Rüdiger Lucassen S. 1378 f.).

Für die AfD verkörpert das Herrschaftssystem Putins ein mögliches Ideal eines konservativen, autoritären Staates mit klar nationaler Ausrichtung. Die absolute Priorität und Durchsetzung nationaler Interessen, eine klar patriarchale Vorstellung von Familie und Geschlechterbeziehungen, die Ablehnung muslimischer Zuwanderung (Tschetschenien) und vor allem eine klare Ablehnung des westlichen liberalen Demokratiemodells – all diese Punkte verbinden die modernisierte extreme Rechte mit Russland unter Putin. Die AfD hat diese Nähe häufig dokumentiert, pflegt vielfältige Kontakte zur russischen Regierungspartei und hat durch „Wahlbeobachter“ auch die völkerrechtswidrige Abspaltung der Krim legitimiert. Aktuell wird diese Positionierung in der AfD heftig diskutiert. 

Nach wie vor ist die AfD im Bundestag vollständig isoliert. Ein Vizepräsidentenposten ist in weiter Ferne und auch die Ausschussvorsitze kann sie nicht besetzen. Der Versuch der Partei, die Wahlfreiheit der anderen Abgeordneten gerichtlich beschneiden zu lassen, ist vom Bundesverfassungsgericht klar abgewiesen worden (vgl. Bundesverfassungsgericht: AfD scheitert mit zwei Klagen zu Bundestagsvorsitz | ZEIT ONLINE 22.3.2022). Ausweis dieser Isolierung ist auch, dass im Haushaltsentwurf der Regierung keinerlei Gelder für die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung eingestellt wurden und es in den laufenden Haushaltsverhandlungen im Bundestag auch nicht danach aussieht, als würde sich das noch ändern. Nachdem der begründete Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit der AfD auch gerichtlich festgestellt wurde, hebt gegenwärtig niemand die Hand für Anliegen dieser Fraktion (Urteil Verwaltungsgericht Köln vom 8.3.2022; s.a. https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/verdachtsfall-afd---welche-folgen-hat-das-koelner-gerichtsurteil).

Rücktritte und Austritte

Mit dem Rücktritt vom Parteivorsitz und dem Austritt aus der AfD hat die Partei mit Jörg Meuthen den dritten Vorsitzenden nach Bernd Lucke und Frauke Petry verloren, der/die über die politische Auseinandersetzung mit der völkischen Rechten in der Partei gescheitert ist. Alle drei hatten sich zunächst auf eine Kooperation mit dieser Rechten eingelassen, mussten dann jedoch einsehen, dass sie deren Agieren in der Partei nicht mehr kontrollieren konnten. Meuthens Abgang belegte am Ende nur, was jeder sehen konnte: Gegen die extreme Rechte ist in der AfD keine Politik zu machen.

Björn Höckes Reaktion auf diese Entwicklung bestand als erstes darin, den formalen Abstand zur faschistischen Rechten außerhalb der Partei in Frage zu stellen, wie er über eine Unvereinbarkeitsliste der Partei dokumentiert wird. Höckes Vorstoß richtete sich vor allem gegen eine formelle Unvereinbarkeit zu den „Freien Sachsen“, mit denen die AfD beim Protest gegen die Corona-Maßnahmen häufig zusammen aufläuft (vgl. Extremismus: Thüringer AfD will Unvereinbarkeitsliste überprüfen lassen | ZEIT ONLINE).

Diesem Teil der Partei ist es weitgehend egal, dass die AfD jetzt auch gerichtlich als verfassungsfeindlicher Verdachtsfall eingestuft wird und eine Überwachung der Partei durch den Inlandsgeheimdienst damit rechtens ist. Die AfD hat ihre Klage gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in den wichtigsten Punkten verloren und das Amt kann mit nachrichtendienstlichen Mitteln gegen die Partei vorgehen. Demokratietheoretisch ist eine Einrichtung wie das BfV mehr als fraglich, für die Schwächung der AfD ist die Überwachung aber dennoch ein Punkt mit Wirkung. Laut taz wurde im Gerichtverfahren bekannt, dass die AfD seit Jahresanfang ca. 600 Mitglieder verloren hat. In Bayern traten jüngst der Co-Fraktionssprecher und ein weiterer Abgeordneter aus der Landtagsfraktion aus, die damit von 22 auf 16 Abgeordnete geschrumpft ist (Parteiaustritte in Bayern: AfD schrumpft weiter - taz.de). Für Beamt*innen in der Partei könnte es mit der Gerichtsentscheidung zur Beobachtung eng werden (vgl. Ganze AfD Verdachtsfall: Ein Urteil und seine möglichen Folgen | tagesschau.de). Innenministerin Nancy Faeser hat schon angekündigt, dass sie „Extremisten“ schneller aus dem öffentlichen Dienst entfernen will – eine Ankündigung, die Linke 50 Jahre nach dem sogenannten Radikalenerlass von 1972 aufhorchen lassen sollte. Allerdings scheint man weniger auf Gesinnungsprüfung als auf das Disziplinarrecht zu setzen, mit dem tatsächliche Verstöße gegen die Verfassungstreue geahndet werden sollen. So konnte aktuell die Rückkehr des ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier, der politisch zur völkischen Rechten in der AfD gehört, auf seinen Richterposten verhindert werden (vgl. Dienstgericht: AfD-Politiker Maier darf nicht als Richter arbeiten | MDR.DE).

Corona-Proteste im Abwind

Die Proteste gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen, die von der AfD unterstützt wurden, haben inzwischen deutlich nachgelassen. Gingen am Jahresanfang noch wöchentlich und bundesweit mehrere Hunderttausend Personen auf die Straße, hat sich diese Zahl aktuell deutlich verringert. Ein von der AfD für Anfang März angekündigter Aktionstag der Partei gegen die Corona-Politik der Regierung entpuppte sich trotz breiter Mobilisierung mit viel Parteiprominenz als Reinfall. Bei 9 Kundgebungen in verschiedenen Städten gelang es der Partei insgesamt nur etwa 2 000 Menschen auf die Straße zu bringen.

Im medialen und intellektuellen Umfeld der Partei dominiert seit Ende Februar ebenfalls der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Während PI-News und Compact-Magazin hier klar für Putin und Russland Position beziehen, versucht die Sezession eine eher nüchterne Beschreibung geopolitischer Interessenlagen und sogar eine Kritik am „Antiglobalismus“ eines Alexander Dugin, ohne sich jedoch von dessen grundsätzlicher ideologischen Ausrichtung zu distanzieren. Hintergrund all dieser Positionierungen ist die Ablehnung eines westlichen (politischen) Liberalismus, der in der Tradition der Aufklärung und der Französischen Revolution wurzelt und der für die völkische und nationalistische Rechte schon immer das zentrale Feindbild war. Für diesen Teil der Rechten stehen sich in diesem Krieg wurzelloser „Globalismus“ und völkisch oder nationale verankerter „Antiglobalismus“ gegenüber. Wer sich für diesen ideologischen Hintergrund der Rechten stärker interessiert, wird bei vier prominenten Vertretern (Maximilian Krah, Hans-Thomas Tillschneider, Karlheinz Weißmann und David Engels) dieser Richtung im Rahmen der Dresdener Gespräche (vor Beginn des Krieges) hier fündig

Abarbeiten an der Union

Ein Element beim Rücktritt und Austritt Jörg Meuthens soll die vom Vorstand der AfD mehrheitlich entschiedene Kandidatur von Max Otte zum Bundespräsidenten gewesen sein. Mit Otte, der von 2018 bis 2021 Vorsitzender des Kuratoriums der DES und als CDU-Mitglied zuletzt Vorsitzender der Werteunion war, wollte die AfD die Union insgesamt vorführen, da diese keinen eigenen Kandidaten gegen Steinmeier ins Rennen geschickt hatte. Otte konnte mit Aussagen wie dieser über die frühere Bundeskanzlerin Merkel immerhin den Vorsitz der Werteunion erlangen: „Die Dame war durch und durch DDR, sie war Apparatschik, sie war Funktionär, sie war völlig sozialisiert im Sozialismus (…). Es ist mir bis heute noch unfassbar, dass ein ganzes Land sich hat von ihr - 16 Jahre oder länger sogar - täuschen lassen. Das ist ein unglaubliches Meisterwerk, was sie da vollbracht hat und das ist ein Zerstörungswerk.“ (Werteunion kritisiert Angela Merkel scharf: „Hat das Land 16 Jahre lang getäuscht“ (merkur.de))

Ganz offensichtlich richtet sich die AfD mit solchen Aktionen auch mittelfristig darauf aus, sich an der Union abzuarbeiten, was aber zunächst vor allem ihre Isolation befördert. Gegen Max Otte wurde in der CDU ein Ausschlussverfahren eröffnet, vom Vorsitz der Werteunion ist er zurückgetreten und dieses Forum der Radikalkonservatismus in der Union hat noch weiter an Einfluss in der Partei verloren. Die Strategie hinter dieser Aktion der AfD bleibt somit unklar.

Umgekehrt hat die Union die Innen- und Gesellschaftspolitik auserkoren, um wieder stärker ein konservativ-reaktionäres Gesicht zu zeigen und der AfD dieses Feld streitig zu machen. Dass das Extremismus-Thema hier vorne stehen würde, war zu erwarten. Eine Aktuelle Stunde der CDU/CSU zu einem Artikel von Innenministerin Nancy Faeser im VVN-Magazin „antifa“ wurde unter dem kryptischen Titel „Rechtsstaatlichkeit wahren, Demokratie schützen – Haltung der Bundesregierung zu Straßenblockaden und unangemeldeten Demonstrationen sowie zur Publikation von Regierungsmitgliedern in Magazinen von linksextremistisch beeinflussten Organisationen“ aufgerufen. Bis in die Wortwahl hinein macht sich die Union hier die Hetze der AfD zu eigen, etwa wenn ihr letzter Redner, Alexander Hoffmann, mit Blick auf die VVN ausführt: „Jetzt muss man aber dazu wissen, dass die linksextremistische Vereinigung, die hinter diesem Magazin steht, eine Vereinigung ist, deren Leute Brandsätze auf Polizisten werfen, Steine auf Polizisten werfen, Autos anzünden, Wohnungen und Häuser besetzen.“ (Deutscher Bundestag, 20. Wahlperiode, Protokoll 17. Sitzung 17.2.2022, S. 1251). Andere von der Union initiierte Debatten gingen um Themen wie „Finanzierung des Politischen Islamismus in Deutschland offenlegen und unterbinden“ oder „Mahnmal für die Opfer des Kommunismus umsetzen – Opfer damit auch in Deutschland angemessen würdigen“. Selbst in der vereinbarten Debatte zum zweiten Jahrestag des rassistischen Anschlags in Hanau nutzte die frühere Vorsitzende des Innenausschusses, Andrea Lindholz von der CSU, zwei von fünf Minuten ihrer Rede, um nicht über Rassismus, sondern über die angebliche Nähe der Innenministerin zum Linksextremismus zu reden.