Die Debatte über die AfD steckt seit Jahren in einer Sackgasse fest. Die einen setzen auf moralische Skandalisierung und merken nicht, dass die Rechten sich gerade von Empörung nähren. Die anderen glauben, soziale Politik allein könne sie kleinhalten, und übersehen, dass rechte Politik kein Reflex auf materielle Not ist, sondern deren kulturelle Umdeutung in Feindbilder, Aufwertungsfantasien und nationale Identität. Wer an diesen Rezepten festhält, bleibt defensiv. Doch Abwehr reicht nicht: Nur ein offensiver linker Kulturkampf kann politisches Terrain zurückgewinnen. Ökonomie öffnet Türen, aber Kultur entscheidet, wer hindurchtritt.
Die sozialökonomischen Krisenerfahrungen unserer Zeit wie Prekarisierung, Deindustrialisierung oder der Abbau öffentlicher Infrastruktur schaffen einen fruchtbaren Nährboden für rechte Vorstellungen. Sie ermöglichen es, Unzufriedenheit und Unsicherheit in politische Alternativen zu übersetzen. Doch welche Richtung dieser Unmut nimmt, entscheidet sich nicht allein an der materiellen Lage. Hier greift der rechte Kulturkampf, der aus der Perspektive kritischer Gesellschaftstheorien genauer als eine bestimmte Strategie im immer auch ideologisch-politisch-kulturell ausgetragenen Klassenkampf zu verstehen wäre. Für Wolfgang Fritz Haug und das Projekt Ideologietheorie (1979) handelt es sich dabei um eine »ideologische Auseinandersetzung im Feld des Kulturellen um Kulturelles«. Sie beschreiben in diesen Zusammenhang Rassismus als »eine der entfremdeten Protestformen gegen Entfremdung«, die so immer wieder zum Herrschaftsinstrument wird (ebd.).
Die rechte ideologische Strategie liefert einfache Erklärungen, klare Feindbilder und sorgt vor allem für symbolische Aufwertung. Wer im Job kaum Anerkennung erfährt, kann sich im rechten Diskurs als stolzes Mitglied einer »Volksgemeinschaft« wiederfinden. Wer den Kontrollverlust in einer unüberschaubar gewordenen Welt spürt, dem werden Sündenböcke angeboten: »die Ausländer«, »die Eliten«, »die da oben«. Wer im Alltag an Status verliert, greift nach der kulturellen Krücke, die ihm die Rechten hinhalten. In all diesen Fällen wird kulturelle Aufwertung als Kompensation für materielle Entwertung geboten. Genau darin liegt die eigentliche Attraktivität der AfD – nicht in ihrem neoliberalen Programm, das den Interessen von Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen zuwiderläuft, sondern in ihrer kulturellen Vorstellung von Zugehörigkeit, Identität und Stolz.
Die Zuspitzung der ökonomischen Krise führt nicht nur zu wachsender Ungleichheit, sondern vor allem zu Erfahrungen von Erniedrigung im Alltag. Die Demütigung besteht nicht nur darin, weniger zu haben, sondern darin, weniger wert zu sein. Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, sehen sich im Alter Renten ausgesetzt, die kaum zum Leben reichen – eine brutale Botschaft, dass ihre Lebensleistung nichts wert ist. Erwerbslose erfahren im Bürgergeldsystem eine Behandlung, die eher auf Misstrauen und Kontrolle als auf Unterstützung beruht – und damit eine institutionalisierte Form sozialer Abwertung. Hier zeigt sich ein Mechanismus, den Marx als Entfremdung beschrieben hat: Menschen werden auf Funktionen und Verwertbarkeit reduziert, ihre Arbeit und Existenz verlieren den Zusammenhang mit Anerkennung und Selbstbestimmung.
Zugleich verschärft die neoliberale Logik der Eigenverantwortung diese Entwertung, indem sie individuelle Schuldzuweisungen produziert: Wer nichts »leistet«, gilt als selbstverantwortlich für sein Scheitern. Selbst Teile der Mittelschicht, die sich über Jahrzehnte durch Fleiß und Leistung abgesichert wähnten, spüren die Angst vor dem Abstieg. Sie sehen sich mit steigenden Mieten und unsicheren Arbeitsplätzen konfrontiert und sorgen sich, dass die eigenen Kinder es einmal schlechter haben könnten. Diese Erfahrungen prägen ein Gefühl der Entwertung, das nicht allein durch höhere Löhne oder bessere Sozialleistungen verschwindet, sondern tiefer reicht: Es geht um die Frage, welchen Platz man in dieser Gesellschaft hat, ob man geachtet oder abgewertet wird.
Migrationsfeindliche Parolen oder sozialdarwinistische Hetze gegen Erwerbslose werden in der öffentlichen Debatte oft als Ablenkungsmanöver gedeutet: Der Blick werde von den eigentlichen sozialen Problemen weggelenkt, während die Verlierer*innen der ökonomischen Entwicklung gegen noch Schwächere ausgespielt würden. Diese Lesart greift jedoch zu kurz. Denn solche Feindbilder erfüllen nicht nur die Funktion, von Ungerechtigkeit abzulenken, sie werden vielmehr von vielen aktiv begrüßt. Dieses Muster lässt sich auch in der Frontstellung zu feministischen Positionen, Gendersternchen oder bei Transfeindlichkeit finden. Sie bieten eine Vorstellung, in der die eigene Stellung aufgewertet wird: nicht durch reale materielle Verbesserungen, sondern durch die Abwertung anderer.
Wenn Konservative behaupten, Leistung müsse sich wieder lohnen oder Migration bedrohe die Sozialsysteme, greifen sie genau jene Muster auf, die den rechten Kulturkampf am Leben halten. Diese Argumente erscheinen als nüchterne Sachpolitik, sind aber selbst Teil der Abwertungslogik: Sie verschieben die Verantwortung auf die Schwächeren und stabilisieren kulturell, was ökonomisch zerfällt. Wenn Parteien wie die CDU mit Forderungen nach Leistungskürzungen beim Bürgergeld kokettieren oder Migrationsabwehr zum zentralen Projekt erklären, dann geschieht dies nicht nur aus taktischem Kalkül. Diese Narrative stoßen auf Resonanz. Sie verbinden soziale Frustration mit einer kulturellen Vorstellung, die Zugehörigkeit verspricht: Wer andere abwertet, kann sich selbst erhöht fühlen.
Eigenständige linke Politik des Kulturellen
Ein wirksamer Antifaschismus kann daher nicht allein auf Abwehr setzen, sondern braucht eine eigene kulturelle Vorstellung. Oft wird innerhalb der Linken eingewandt, Kulturkampf sei ein Nebenschauplatz, entscheidend sei allein die ökonomische Umverteilung. Doch diese Trennung greift zu kurz: Auch ökonomische Kämpfe sind kulturell vermittelt. Wer höhere Löhne oder bessere Sozialleistungen erkämpft, braucht zugleich eine Deutung, warum Würde nicht an Verwertbarkeit gebunden ist. Ohne eine kulturelle Gegenerzählung bleiben selbst materielle Verbesserungen fragil – sie können jederzeit von rechter Symbolpolitik überlagert und in eine Erzählung von nationaler Stärke oder »gesunder Härte« umgedeutet werden. Die Linke muss daher die Mechanismen der Abwertung verstehen, aber vor allem eine positive Gegenvorstellung entwickeln. Sie muss Menschen in ihrer Erniedrigung nicht allein aufklären, sondern ihnen eine Aufwertung bieten, die auf Solidarität und kollektiver Stärke beruht.
In der Arbeiterbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts war Kulturkampf bzw. eine Politik des Kulturellen ein zentrales Element politischer Praxis. Arbeiterbildungsvereine, Gewerkschaftslieder, Festkultur und Zeitungen stifteten nicht nur Information, sondern vor allem Würde und Identität. Sozialistische Politik bezog sich stets auf Werte wie Solidarität, Gleichheit, Gerechtigkeit und die Würde der Arbeit – jedoch nicht als abstrakte Allgemeinplätze, sondern aus der Perspektive der arbeitenden Klassen.
Diese Begriffe waren stets umkämpft: Im Kapitalismus werden sie oft umdefiniert: Gerechtigkeit reduziert sich auf Eigentumsrechte, Solidarität verengt sich auf nationale Zugehörigkeit und Würde können nur diejenigen beanspruchen, die sich in der Logik der Verwertbarkeit behaupten. Sozialistische Politik hingegen verstand diese Werte als kollektive Kampfansprüche der Ausgebeuteten. Sie bot Gemeinschaft, in der Menschen nicht Objekte der Verhältnisse blieben, sondern Subjekte der Geschichte wurden. Arbeiter*innen sind diejenigen, die das Land ausmachen und den Reichtum produzieren. Es reicht aber nicht, den anders zu verteilen, es muss auch gelernt werden, sich anders, demokratisch und sinnvoll zu organisieren. Genau diese Elemente – der Stolz auf den Gebrauchswert, der Wert von Solidarität, das Recht auf Teilhabe und Selbstbestimmung – können auch heute eine Grundlage für einen linken Kulturkampf bilden, in dem rechten Mythen nicht nur widersprochen wird, sondern sie aufgrund einer eigenen Vision überflüssig werden.
Bewegungen der Gegenwart zeigen bereits, wie ein linker Kulturkampf konkret erfahrbar wird. Wenn Mieter*innen in Berlin mit »Deutsche Wohnen & Co enteignen« für kollektive Verfügung über Wohnraum kämpfen, geht es nicht nur um Mieten, sondern um ein anderes Verständnis von Stadt und Gesellschaft: Wohnen als Grundrecht statt als Ware. Solidarität wird dort nicht abstrakt beschworen, sondern praktisch gelebt: in Unterschriftensammlungen, nachbarschaftlichen Festen und gemeinsamer Organisierung gegen Ohnmacht. Ähnlich machen die Arbeitskämpfe im Pflege- und Krankenhaussektor deutlich, dass ökonomische Forderungen untrennbar mit gesellschaftlicher Anerkennung verbunden sind. Wenn Pflegekräfte streiken, verteidigen sie nicht nur ihre Arbeitsbedingungen, sondern fordern Würde ein: die Aufwertung von Sorgearbeit als zentrale Grundlage menschlichen Lebens. Auch solidarische Landwirtschaftsprojekte, Genossenschaften und Kollektivbetriebe tragen dazu bei, indem sie die Produktion dem Zugriff des Marktes entziehen und gemeinschaftliche Verfügung erproben. Solche Orte, an denen Verantwortung geteilt, Entscheidungen demokratisch gefällt und Risiken gemeinsam getragen werden, sind kleine, aber symbolisch wichtige Keimzellen einer anderen Lebensweise. Selbst im Alltag entstehen Räume, in denen linke Gegenkultur lebendig ist: in antifaschistischen Fankurven, auf linken Festivals oder in Stadtteilzentren, wo Stolz und Identität nicht durch Abwertung anderer entstehen, sondern aus gemeinsamer Praxis, gegenseitiger Unterstützung und Freude.
Auch internationale Erfahrungen bestätigen diese Dynamik. Die Kampagnen von Bernie Sanders und Zohran Mamdani in den USA machen deutlich, dass linke Politik dann auf Resonanz stößt, wenn sie materielle Verbesserungen mit einer Sprache der Würde und Solidarität verbindet. Entscheidend ist dabei nicht allein das Programm – Forderungen nach Mindestlohn, allgemeiner Gesundheitsversorgung oder kostenloser Bildung –, sondern das Gefühl, Teil einer inklusiven und vielfältigen Bewegung zu sein. Millionen Kleinstspender*innen, Hausversammlungen und das Motto »Not me. Us« vermitteln den Menschen, dass Würde nicht aus Konkurrenz erwächst, sondern aus kollektiver Stärke. Genau dieses Moment, die Erfahrung, eingebunden zu sein in eine größere solidarische Bewegung, ist auch hierzulande für einen linken Kulturkampf zentral. Ein solcher Kulturkampf muss dort ansetzen, wo Menschen Erniedrigung und Abwertung erfahren, und sollte ihnen eine andere Vorstellung von sich selbst und der eigenen Existenz eröffnen: die Würde der Arbeit, die Anerkennung von Care-Arbeit, das Recht auf Wohnen, Bildung und öffentliche Daseinsvorsorge, den Schutz vor Diskriminierung.
Ein linker Kulturkampf macht deutlich: Würde erwächst nicht aus der Abgrenzung gegenüber Schwächeren, sondern aus der solidarischen Gestaltung einer Gesellschaft, in der niemand zurückgelassen wird. Doch eine solche Kultur entsteht nicht allein durch Programme oder Regierungsbeteiligung, sondern durch ein anderes Politikverständnis. Linke Politik darf kein Wahlverein sein, sie muss Hegemonie aufbauen – durch Bewegungen, Kämpfe und konkrete Solidarität im Alltag. Eine Partei, die sich auf Parlamente beschränkt, kapituliert vor dem rechten Kulturkampf. Sie muss ein Ort werden, an dem diese Werte erfahrbar sind: wo Menschen spüren, dass Solidarität nicht nur gefordert, sondern gelebt wird; dass Veränderung nicht nur verheißen, sondern organisiert wird. Sich links zu organisieren, bedeutet dann, Teil einer gesellschaftlichen Veränderung zu sein – und genau darin liegt die Kraft, den rechten Kulturkampf nicht nur abzuwehren, sondern eine eigene kulturelle Deutungshoheit zu begründen.
Antifaschismus darf sich deshalb weder auf moralische Empörung noch auf parlamentarische Appelle beschränken. Er muss als umfassende Strategie verstanden werden, die auf drei Ebenen zugleich ansetzt: Ökonomisch, indem er die Ursachen von Abstiegsangst und sozialer Demütigung bekämpft und reale Verbesserungen erwirkt. Kulturell, indem er den rechten Aufwertungsnarrativen eine eigene Vorstellung entgegensetzt, die Solidarität, Arbeit, Sorge und Würde ins Zentrum stellt – und damit eine andere Lebensweise eröffnet. Organisatorisch, indem er Strukturen schafft, in denen diese Werte erfahrbar werden und eine Bewegung entsteht, die Druck auf die herrschenden Verhältnisse ausübt. Nur wenn diese drei Ebenen zusammenwirken, hat die Linke überhaupt eine Chance, der AfD die Basis zu entziehen bzw. eine starke Gegenmacht aufzubauen und zugleich eine Perspektive von Hoffnung und Veränderung zu eröffnen, die über Abwehr hinausgeht.
Die Krisendynamik des Kapitalismus öffnet nicht nur der Rechten Räume, sie kann auch zur Chance für die Linke werden – wenn sie den Kulturkampf aufnimmt und Solidarität zur erfahrbaren Alternative macht.
