Es hat in der Geschichte der Linken immer eine umkämpfte und bekämpfte Debatte zur »Naturfrage« gegeben. Warum war das eine so komplizierte und lange Auseinandersetzung?

Dieter Klein: Ich glaube, für die längste Zeit kapitalistischer Entwicklung gilt, dass insbesondere für die Lohnabhängigen die sozialen Fragen die größten Sorgen bereitet haben. Sie waren Hauptgegenstand der Kämpfe um Löhne, Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen, Versorgung. Im Verhältnis dazu traten der Qualm der Fabriken, der Verbleib der Abwässer und des Abfalls und der rücksichtslose Umgang mit den Ressourcen nahezu zwangsläufig zurück. Die Prioritäten der Linken haben das immer widergespiegelt. Das hatte eine bestimmte Rationalität.

Und dann befand sich der Staatssozialismus, der überwiegend in Ländern mit starkem ökonomischen Rückstand und niedrigem Lebensstandard begann und zeitweilig siegte, von vornherein in einer Aufholjagd um ein Mehr an Produktionszuwachs und die Steigerung der Arbeitsproduktivität. Große Teile der Bevölkerung waren fixiert auf westliche Lebensstandards, die auf Mehrheiten erstrebenswert wirkten. Diese Jagd nahm rasch die Gestalt eines »koste es, was es wolle« an – zu diesen Kosten gehörte die Umweltzerstörung. Ich erinnere mich, dass Ulbricht zur Vorbereitung des 8. Parteitags der SED 1971 einer Arbeitsgruppe auf den Weg gab zu klären, wie es zu schaffen sei, 1980 hinsichtlich der Arbeitsproduktivität in der Spitzengruppe der Welt zu sein. Das war damals die zentrale, alles andere überlagernde Frage. Die Linke heute hat es mit einem System zu tun, in dem Entscheidungen durch das Diktat der Profitdominanz in aller Regel kurzfristig angelegt sind und Wahlzyklen weite Horizonte nicht honorieren; der Charakter der Umweltprobleme verlangt genau das Gegenteil. Die ökologischen Prozesse sind nicht so unmittelbar überschaubar, da ihre Wirkungen sehr vermittelt sind.

Wolfgang Methling: Ich kam von der Tierhygiene, das ist der Teil der veterinärmedizinischen Wissenschaft, der sich mit der Wirkung der Umwelt auf die Tiergesundheit und -leistung befasst. Auch hier war die Sicht auf die Umwelt zunächst von der Frage beherrscht »Was nützt uns das? Wie können wir Leistungen erhöhen und dafür die Gesundheit stabilisieren?« Die Frage nach der Bewahrung der »Gesundheit der Natur« war in diesen Jahren sekundär, obwohl man das wissenschaftlich komplex (die Ökologie als Haushaltswissenschaft) betrachtet hat. Mit der Zeit habe ich immer mehr die ökologische mit der hygienischen Frage verbunden und nach Wirkungen des Menschen auf die Umwelt und umgekehrt gefragt. In der DDR spielte die ökologische Frage aber keine Rolle, wenn es um die »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik« ging. Ein Agrarwirtschaftler und Sozialreformer wie Johann Heinrich von Thü- nen etwa diente nicht als Vorbild einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft. Zugleich waren wir kurioserweise weiter als im Westen, was die Notwendigkeit der Entwicklung staatlicher Strukturen und der Gesetzgebung angeht. Wir hatten früher ein Umweltministerium, eine vorbildliche Umweltgesetzgebung – mit dem Landeskulturgesetz gleichsam ein Umweltgesetzbuch, was es heute in der Bundesrepublik noch nicht gibt. Doch das »koste es, was es wolle« war dominant. Der technische Umweltschutz wurde vernachlässigt und in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wurde deutlich, dass es so nicht weitergeht.

Dieter Klein: Die Opposition in der DDR artikulierte dagegen Umweltprobleme weit stärker. Heute sind es vor allem Milieus der Mitte, auch der Intellektuellen, die ökologische Fragen auch in ihrer materiellen Bedeutung reflektieren, während die linken Parteien sich stark an Schichten in prekären Lagen orientieren. Sie nehmen die ökologischen Fragen zwar programmatisch auf – in der Realität der Politik aber rutscht dies zu oft wieder weg. Ihre Aufnahmefähigkeit für Impulse aus sozial und ökologisch verantwortlich denkenden Schichten und Milieus ist immer noch zu gering.

»Sozialistische Politik, die nicht ökologisch ist, ist keine sozialistische Politik« 

Wolfgang Methling:  Das traf in gewisser Weise auch auf die DDR zu – langfristige Konzeptionen zur Bearbeitung ökologischer Fragen gab es nicht. Ich bin daher sehr froh, dass doch auch Schlussfolgerungen daraus gezogen wurden und grundsätzlich unbestritten ist, dass eine linke Partei diesen »ökologischen Zweig« verinnerlichen muss – sonst kann es keine sozialistische Politik geben. Sozialistische Politik, die nicht ökologisch ist, ist keine sozialistische Politik. Auf den ersten Parteitagen hatten wir eine Losung: »Sozial – solidarisch – ökologisch«. Das ist später etwas untergegangen. Warum war das so? Wir hatten auch in der PDS letztlich eine andere Prioritätensetzung, und natürlich spielt dabei nicht nur die wenig ausgeprägte wissenschaftliche und ideologische Tradition eine Rolle, sondern auch, ob die führenden Leute in der Partei oder etwa die wissenschaftlichen Einrichtungen das verinnerlicht hatten. Auch aktuell gibt es die Problematik – wir stehen in der programmatischen und politischen Vorbereitung der Bundestagswahl, die Frage ist, ob der sozialökologische Umbau eine zentrale Rolle spielen soll. Und ich merke, dass es dagegen Widerstand gibt nach der Devise »Dafür werden wir nicht gewählt«. Wenn wir das so betreiben, werden wir für gar nichts mehr gewählt. Die Zentralität der ökologischen Frage, die dankenswerterweise im Programm verankert ist, erfordert auch eine zentrale Antwort! Das ist nicht beiläufig. Man kann dieses Profil nicht von heute auf morgen entwickeln, aber man muss es wollen, sonst ist man weg vom Fenster.

»Fortschritte und gravierende Rückfälle« 

Dieter Klein: Ich erinnere mich an den Gründungsparteitag der PDS 1989. Ich habe das programmatische Referat gehalten. Wir hatten bei der Vorbereitung einen gewissen Vorlauf durch das Projekt »Moderner Sozialismus« an der Humboldt-Universität (vgl. Kirschner 2009), eine theoretische Vorstellung. Aber wir hatten auch Waschkörbe! Es wurden ganze Waschkörbe von Briefen, Papieren, Positionen, Ausarbeitungen angeschleppt, und es stellte sich heraus, dass auch die SED-Mitglieder in hohem Maße die ökologische Frage reflektierten. So kam es, dass der zweite Punkt der fünf programmatischen Punkte, die wir vorschlugen, lautete: »[…] der andere, nicht vom Monopolprofit und nicht vom Machtmonopol der Partei bestimmte Weg ist ein solcher, in dem die Wiederherstellung und Bewahrung des ökologischen Gleichgewichts, der solidarische Umgang mit der Natur auch im Interesse unserer Kinder und Kindeskinder ein erstrangiges Gewicht haben. […] Entsprechend zentral, und das ist neu für unser Land, muss die Aufmerksamkeit für die Umweltpolitik in unserer Programmatik und Gesamtpolitik sein. Das ist ein zentrales Problem für die Wirtschaftsreform, für die Wirtschaftspolitik, aber auch für das öffentliche Problembewusstsein. […] Allgemeiner, unsere gesamte Konsumtions- und Lebensweise ist auf ihre Vernunft hin in öffentlicher Diskussion gründlich zu prüfen.« (Hornbogen u.a. 1999) Es gab in der Folge eine Reihe von programmatischen Ausarbeitungen (etwa den »Kommentar« zur PDS-Programmatik (Brie u.a. 1997); wir waren immer etwas weiter, als es die Führung dann umsetzte. Das erste Kapitel behandelte die demokratische Frage und das zweite den sozialökologischen Umbau der Bundesrepublik. Im August 1999 gab es Gregor Gysis »12 Thesen für eine Politik des modernen Sozialismus«, in denen die Umweltproblematik als zentrale für eine moderne linke Partei bestimmt wurde. Dann gab es Rückfälle. Ein Beispiel war 2003 die Verabschiedung der »Agenda Sozial« durch den Parteivorstand – in diesem Papier gab es keinen einzigen Satz zu Umwelt und Ökologie. Oder bei der Eröffnung des politischen Jahrs 2012 gab es drei Hauptreferate, in denen die ökologische Problematik überhaupt nicht auftauchte (Politisches Jahr 2012). Jetzt dreht sich das etwas – das erste größere konzeptionelle Papier »Plan B« aus der Bundestagsfraktion hat einen ganz anderen Atem (die LINKE im Bundestag, 2012). Es bricht mit der Auffassung, dass eine Behandlung der grünen Frage letztendlich nur den Grünen zugute käme.

»Keine Alleinstellungsmerkmale linker Politik in der Ökologie?«

Wolfgang Methling: Das wäre nur dann so, wenn es keine Alleinstellungsmerkmale linker Politik in der Ökologie gäbe. Aber wir verbinden die Zielsetzungen ökologischer Politik mit den Politikfeldern, die entscheidend sind für die konsequente Realisierung dieser Zielsetzungen: mit Eigentum, der Demokratie, Frieden. Der letzte Parteitag hatte einen anderen Fokus, keine/r der SpitzenkandidatInnen hat diese Problematik deutlich aufgenommen. Aber ich denke, dass wir diese Thematik verstetigen können, wie dies Bernd Riexinger in seinem Schlusswort getan hat. Programmatisch ist uns dieser grüne Faden im roten Programm besser und besser gelungen. Das hat auch mit der Arbeit der Luxemburg-Stiftung, mit der ökologischen Plattform, der Bundesarbeitsgemeinschaft, den Umweltpolitikern und vielen anderen zu tun. Wir sind oft in den ersten Runden in den Vorständen gescheitert, aber auf den Parteitagen haben wir uns dann durchgesetzt. In der politischen Praxis wurde es freilich nur selektiv umgesetzt und bei den oftmals zitierten »roten Linien« spielte das Ökologische keine Rolle.

Dieter Klein: Wir haben uns bemüht danach zu fragen, welche ganz wenigen zentralen Leitideen für jedes Feld linker Politik gelten müssten: gerechte Umverteilung (die ökologische Problematik ist in hohem Maße eine Umverteilungsproblematik), sozialökologischer Umbau, demokratische Umgestaltung und umfassende internationale Solidarität – die »vier U« haben wir dies genannt (vgl. www.rosalux.de/publication/38491/alternativen-4u.html). Die LINKE muss ihren Zeithorizont erweitern und nicht nur darauf achten, was kurzfristig Punkte bringt. Es ist ein gravierender Fehler, Tagesfragen nicht mit den strategischen Fragen zu verbinden.

Wolfgang Methling: Ein Alleinstellungsmerkmal ist es, Gleichheit und Gerechtigkeit ins Spiel zu bringen: des Zugangs, der Reichtumsverteilung, der Einkommens- und Steuerpolitik, des Eigentums. Eine grundlegende sozialökologische Veränderung der Mobilität ist ohne eine ebensolche Veränderung der Eigentumsverhältnisse nicht möglich. Dazu gehört auch, öffentliches Eigentum im ökologischen Sinne zu nutzen, ob es sich um die »Deutsche Bahn« oder um Kommunaleigentum handelt. Dazu gehören Dezentralität und regionale Ressourcen, durch die Teilhabe in der Region gesichert wird. Linke Umweltpolitik muss Spielräume für solche Akteure öffnen und den Kampf um solche Spielräume unterstützen. Sicherlich muss man beim Versuch solcher Einbeziehung auch vorsichtig sein, aber man kann gute Beispiele setzen, die weitere Perspektiven eröffnen – vielleicht das, was man »Transformation« oder »Merkmale sozialistischer Politik im Kapitalismus« nennen könnte (vgl. LuXemburg 1/2012).

»Die Verbindung von ökologischem Umbau und dem Öffentlichen«

Dieter Klein: Die Bewegung der bürgerlichen Gesellschaft war immer eine Doppelbewegung zwischen der Profitdominanz und dem Versuch und der Praxis einer sozialen, ökologischen, demokratischen »Bändigung« des Kapitalismus – und in dieser Bewegung steckt die Möglichkeit eines Zweiten, eines den Kapitalismus Transformierenden und Transzendierenden, eines Stücks Sozialismus. Es kommt darauf an, diese Tendenz zu unterstützen und zu verhindern, dass sie in die bestehenden Herrschaftsmechanismen integriert wird. Sie muss offen gehalten werden für nächste Schritte und den Weg aus dem Kapitalismus hinaus. Das ist gleichsam das Hineinholen der radikal verändernden »Großen Transformation« (Polnanyi) in die gegenwärtige innerkapitalistische Transformation. Das gilt auch für die Umweltbewegung und -politik. Zu entwickeln oder zu unterstützen gilt, was sich prinzipiell heraushebt aus dem Kapitalismus und ganz anders ist als das, was die Grünen oder die SPD in aller Regel machen. Man bewegt sich in der Gesellschaft – über sie hinaus. Aktuell in Thüringen ist das der politische Ansatz der LINKEN, gemeinsam mit der kommunalen Energiebeteiligungsgesellschaft Thüringen AG, den Stadtwerken und anderen Akteuren zu versuchen, die Eigentumsverhältnisse zu verschieben, weg vom Mehrheitseigentümer EON. Das bedeutet, dass ein Netz in der Perspektive nicht mehr den Profitmaximen ausgesetzt wäre wie heute, Quersubventionierungen sind möglich, und die öffentliche Daseinsvorsorge kann öffentlicher und sozialer gemacht werden. Ich glaube überhaupt, dass die Verbindung von ökologischem Umbau und dem Öffentlichen (also sowohl dem Eigentum an energiepolitisch relevanten Unternehmen und etwa Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen als auch öffentliche Räume oder öffentliche Beteiligungsverfahren) etwas ganz Zentrales für eine linke, strategisch operierende Umweltpolitik ist. Nicht zuletzt, um Umweltpolitik angstfrei zu machen. Das Öffentliche zu betonen, ist aber nicht das Geschäft der SPD, der Grünen, schon gar nicht der CDU/CSU oder der FDP. Es ist gut, dass der neue »Plan B« aus der Bundestagsfraktion genau diese Verbindung zwischen Ökologischem und Öffentlichem stark macht.

Wolfgang Methling: Wie kann man heute solche Beispiele setzen? Grundsätzlich hat die LINKE hier Anerkennung von Umweltverbänden, Initiativen etc. gewonnen – aber es gibt zu viel Papier und zu wenig Projekte. Und: es hat keinen Sinn, wenn Kommunen Anteile an Eigentum erwerben (oder Rekommunalisierungen finanzieren), aber ihre Energie- und Eigentumspolitik nicht in eine soziale, ökologische und demokratische Richtung ändern. Kommunal und regional gibt es sicher Beispiele für Dinge, die bleiben, die sozusagen nachhaltig sind. Etwa in meinem Bundesland MecklenburgVorpommern im Bereich der Energiepolitik das Exempel Energiedörfer oder die Agenda 21 des Bundeslandes als Beispiel dafür, dass es letztlich gelang, auch das Wirtschaftsressort oder das Innenressort oder das Finanzresort einzubeziehen. Oder die Schaffung der Akademie für Nachhaltige Entwicklung.

»Grüner Sozialismus – ist der Begriff taktisch klug?«

Zum Abschluss: Als Linke und als Partei reden wir bei bestimmten Gelegenheiten vom »Sozialismus«. Dann gibt es noch die Rede vom »demokratischen Sozialismus«, in unserem Zusammenhang (Stichwort PDS, Die LINKE) zu einem konkreten, historischen Zeitpunkt entstanden, der ganz offenbar in diese terminologische Richtung drängte. Nun könnte man sagen: Die Bedeutung der Umweltfrage ist – unabhängig von der eingangs skizzierten auch stark konjunkturellen Anrufung der Umweltfrage in der ausgehenden DDR und der neuen PDS – mittlerweile weitaus gewichtiger als noch vor einem Vierteljahrhundert, und das ist weitaus mehr Menschen klar als damals. Auch in der Linken und der LINKEN. Weshalb es sinnvoll sein könnte, zu diesem »demokratischen Sozialismus« auch noch das Wort »grün« hinzuzunehmen, um diese Veränderung politisch aufzugreifen.

Dieter Klein: Oft wird der Begriff Sozialismus vorwiegend als Kennzeichnung einer ganz anderen Gesellschaft nach dem Kapitalismus verstanden, von vielen noch dazu mit der Erinnerung an den gescheiterten Staatssozialismus. Da würde das Hinzufügen des Wörtleins »grün« nicht viel helfen. Ganz anders, wenn »Grüner Sozialismus« als Prozess verstanden wird, als demokratische Ausschöpfung aller Möglichkeiten des Gegenwärtigen für die soziale Bewahrung der Natur, als machbare Veränderungen – die sich noch weitertreiben lassen.

Wolfgang Methling: Ob der Begriff taktisch klug ist? Diese Debatte gab es auch bei der Namensgebung des Projekts »Plan B« – die Rede von einem grünen Projekt kann Sympathie erwecken, aber auch das Gegenteil bewirken. Immerhin gibt für nicht wenige der Begriff »Ökosozialismus« wenig Anreiz. Sicherlich geht es um die Einbringung des Themas in die Schwerpunktsetzungen der Politik für die kommenden Wahlen. Neben der Energiepolitik ist auch die Ökologisierung der Mobilität und des Wohnungswesens ein Schlüssel für eine linke Zukunftspolitik, die Soziales und Ökologisches verbindet. Aber zentral ist für mich eine Politik, die einlädt zum selbstbestimmten Handeln. Dabei das Öffentliche herauszuheben, ist ein wichtiger Punkt – weshalb seine Aufnahme in das »120-Tage-Programm« der neuen Parteiführung sehr zu begrüßen ist. Es gibt viele Leute, die das sympathisch finden.