»Die Sehnsucht, die sich mit dem BSW [Bündnis Sahra Wagenknecht] verbindet, dürfte vor allem der ›Frieden‹ sein«, schreibt die FAZ (26.9.2024) wohl mit Recht. Doch erinnern wir uns: Als die Grünen um 1980 herum entstanden, wäre es auch nicht falsch gewesen, dies von ihnen zu sagen. Kaum wären sie ohne den Protest gegen die auch damals anstehende Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Westdeutschland in den Bundestag gelangt. Dennoch waren sie vor allem eine ökologische Partei und sind es bis heute geblieben, während sich ihre Haltung zum Frieden fast ins Gegenteil verkehrt hat. Analog stellt sich die Frage, ob Frieden, wie auch Migration, vielleicht nur die Rolle der Wegbereitung für ein BSW spielt, dessen Hauptbedeutung in seiner Positionierung gegen das Primat ökologischer Rettungspolitik liegt. Sahra Wagenknecht, die Parteiführerin, hat es erst jüngst wieder in einer Talkshow bekräftigt: Die Linkspartei gehe den Irrweg, »noch radikaler« ökologisch sein zu wollen als die Grünen. Schon lange vorher hatte sie geäußert, die Grünen seien die schädlichste Partei überhaupt.

Was das Parteiensystem angeht, ist schon längere Zeit deutlich, dass es sich umbaut. Vor der Gründung der Grünen war es in Westdeutschland klar vom Gegensatz Stärkung der Unternehmer*innen – wofür die Unionsparteien standen – versus Sozialpolitik im Interesse der Arbeiter*innen – wofür die SPD stand – geprägt. Die neue Partei der Grünen ordnete sich hier zunächst ein; nach dem Scheitern ihrer Koalition mit der SPD auf Bundesebene besann sie sich aber darauf, dass ihr Thema, die Ökologie, quer zum Gegensatz Union versus SPD stand und machte sich, indem sie mal mit der einen, mal mit der anderen Seite koalierte, von beiden unabhängig.

Wir haben seitdem ein altes Parteiensystem, das von einem neuen überlagert wird: Es ist zwar bis heute so, dass abwechselnd die Union oder die SPD die Bundesregierung führt, aber beide und auch die Linkspartei sind seit Jahren zwischen den Polen ökologische versus unökologische Politik hin- und hergerissen. Gemessen an den Abspaltungen, die es gegeben hat, scheint das Neue schon heute mächtiger zu sein als das Alte: Die Union wurde durch die AfD-Gründung, Die Linke durch die BSW-Gründung dezimiert. Und so auch die SPD, auch ohne Abspaltung. Das BSW stellt sich als neue Variante rechts-sozialdemokratischer Politik (vgl. auch Braband/Candeias 2024) unter veränderten, autoritär-populistischen Bedingungen dar.

Gerade weil diese Bedingungen das sind, was sich der Wahrnehmung am meisten aufdrängt, könnte es willkürlich erscheinen, den unökologischen Zug des BSW für wichtiger zu halten als seine Friedens- oder Migrationspolitik. Dafür spricht aber schon allein der zeitliche Kontext der Entstehung der neuen Partei. Dabei geht es nicht um ihre Vorgeschichte, sondern um den objektiven Kontext der direkten Gründungsphase, die Zeit also, in der potenzielle Wähler*innen auf sie aufmerksam wurden und sich ein Bild von ihr machten. Die Gründung des BSW fiel in die Zeit, in der die Bundesregierung der »Ampel« an ihre Grenzen kam und ihr Niedergang begann. Dieser war unübersehbar der ökologischen Dimension ihrer Politik geschuldet.

2022, in ihrem ersten Jahr, waren die ­Beschlüsse der »Ampel« auf allgemeine Zustimmung gestoßen: das Sondervermögen für die Bundeswehr, die Erhöhung des ­Mindestlohns, das Neun-Euro-Ticket. Dieses war bereits ein Vorstoß zur sozial-ökologischen Transformation. Auch der größere Druck, mehr Windräder zu bauen, wurde im Ganzen beifällig aufgenommen. Der Ausstieg aus der Atomkraft trug einem jahrzehntelangen Mehrheitswillen der Bevölkerung Rechnung, obwohl er zuletzt auch wieder umstritten war. Im Jahr 2023 sollte jedoch, mit dem Vorhaben des Heizungsgesetzes, eine steilere Stufe des ökologischen Umbaus genommen werden. Hier setzte folgerichtig die Gegenbewegung ein.

Aufgrund staatlicher Förderung waren 2022 fünfmal mehr Wärmepumpen bestellt worden als 2021. Und noch am 4. März 2023 konnte man in der FAZ lesen, zwar sei noch immer Gas »die meistverkaufte Heizungsart in Deutschland. Aber wo ein politischer Wille ist, da kommt man um die Wärmepumpe kaum mehr herum.« Doch am 5. Juli stoppt das Bundesverfassungsgericht auf Antrag der Unionsfraktion im Bundestag die Abstimmung des Heizungsgesetzes. Am 20. Juli beschließt das BSW seine Satzung. Am 8. September geht das Gesetz in abgeschwächter Form durch den Bundestag. Am 26. September wird das BSW ins Vereinsregister eingetragen. Am 23. Oktober stellt es sich der Bundespressekonferenz vor. Das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November bricht der ­ökologischen Politik der Bundesregierung ­generell das Genick. Nachdem sie am ­13. Dezember die Streichung der Subvention von Agrardiesel beschließt, kommt es zu heftigen Protesten der Landwirt*innen; im Januar 2024 sind Berliner Straßen von Treckerkolonnen ­verstopft. Am 8. Januar gründet sich das ­Bündnis Sahra Wagenknecht als Partei, am 12. ruft die FAZ das »Ende der grünen Hegemonie« aus, am 27. hat das BSW seinen ersten Parteitag.

Die Schattenseiten der Wagenknecht-Partei

Nach dem Selbstverständnis seiner Gründerin ist das BSW eine deutsche Arbeiter*innenpartei, die mit mittelständischen Unternehmer*innen zusammenarbeiten will. Damit sind einige Probleme schon angedeutet. Die Perspektive ist ökonomistisch – die langjährige Befassung westdeutscher Marxist*innen mit dem Ökonomismus-Phänomen hat Sahra Wagenknecht nie zur Kenntnis genommen. Polemik gegen Phänomene des Lifestyles, wenn es nicht der eigene ist, ist davon die Kehrseite. Des Weiteren will man Politik für Arbeiter*innen machen, ohne ihnen zu vermitteln, was einmal Klassenbewusstsein hieß; vielmehr bestärkt man politisch gezielt ihr Bewusstsein, wie es ist. Dazu gehört dann nicht zuletzt, dass man die kapitalistische Gleichgültigkeit gegenüber der Art der Arbeit – ob ökologisch oder antiökologisch – nicht angreift, wenn sie nur Lohn bringt.

Das dahinterstehende generelle Problem hat Oliver Nachtwey in »Die Trigger-Partei« (FAZ, 1.9.2024) auf den Punkt gebracht: Das BSW orientiert die Arbeiter*innenklasse nicht auf einen Kampf gegen das Kapital, sondern gegen die vermeintlich privilegierten akademischen und urbanen Mittelschichten, deren progressive Teile etwa von den Grünen repräsentiert werden und die eigentlich, bei aller politischen Kritik, die diese Schicht genauso verdient wie die Arbeiter*innenklasse, als Verbündete umworben werden müssten.

Auch eine nationale Abwehrhaltung vieler deutscher Arbeiter*innen gegen Migrant*innen wird gezielt befördert.1 Sicher ist das BSW keine migrationsfeindliche Partei wie die auf »Remigration« orientierende AfD; dagegen spricht schon der Umstand, dass sich unter ihren bisher wenigen Mitgliedern so viele Personen mit Migrationshintergrund finden. Es ist aber auch bekannt, dass man sich im nicht mehr ganz kleinen Bevölkerungsanteil solcher Personen darum sorgt, durch noch mehr Zuzug könne die eigene mühsam erworbene Position in Deutschland gefährdet werden. Eine gewisse nationale Orientierung der Arbeiter*innen-Politik des BSW ist also unverkennbar. Sie wird aber wohl nicht über das hinausgehen, was an Oskar Lafontaine schon zu dessen SPD-Zeiten von linker Seite kritisiert wurde. Das ändert freilich nichts daran, dass eine sozialistische Partei eine solche Orientierung entschieden ablehnen wird – wie es Wagenknecht selbst früher getan hat.

Anheizer*innen des autoritären Klimas

Es gibt aber noch ein anderes und vielleicht größeres Problem: Weniger aus eigenem Antrieb als durch öffentliche, gesellschaftliche Zuschreibung läuft das BSW Gefahr, nicht nur selbst eine autoritäre Partei zu werden, sondern das politische Klima in Deutschland überhaupt ins Autoritäre zu verschieben. Dafür spricht weniger die Namensgebung der neuen Partei, die noch als geschickter politischer Schachzug durchgehen kann. Entscheidend ist vielmehr, dass sich im schnellen Aufstieg dieser Partei ein latentes autoritäres Potenzial zeigt, das auch ohne BSW in dieser Gesellschaft gelegen hat, sich von ihm nun aber magisch angezogen fühlt. Wie kann es sein, dass die Partei von allen anderen Parteien Anhänger*innen anzieht, ohne dass bisher ernsthaft bekannt wurde, wofür sie denn eigentlich steht? Sie ist stark geworden auf pure Hoffnung hin, die sich mit der Person Sahra Wagenknecht verbindet. Man kann es ihr selbst nicht vorwerfen, doch ruft sie offenbar einen Willen zum Führer hervor, oder nun zur Führerin.

Im Nachhinein zeigt sich, dass die großen Medien der Bundesrepublik seit Langem schon, wohl seit 1990, am Hervortreten von Führerfiguren arbeiten. Der erste Schritt war, dass sie Joschka Fischer zum »heimlichen« Vorsitzenden der Grünen machten, als er es noch nicht war. Ebenso entfalteten sie Druck, Gerhard Schröder statt Lafontaine 1998 zum Kanzlerkandidaten der SPD zu küren. Und auch Wagenknecht verdankt ihre Karriere den Medien, zunächst den Talkshows, dann einer gigantischen Resonanz auf die ersten Schritte ihrer Parteigründung, von der andere politische Kräfte nur träumen können.
Wie wir schon feststellten, dass die Ökonomismus-Debatte an ihr vorbeigegangen ist, hat es auch nicht den Anschein, als habe sie die Untersuchungen zum »autoritären Charakter« beachtet, die im Institut für Sozialforschung in dessen New Yorker Exilzeit angestellt worden sind. Nicht Gramsci, nicht Horkheimer/Adorno – ohne Berührung mit dem westlichen Marxismus war es kein Wunder, dass sie, in einer westlichen Gesellschaft lebend, nicht Marxistin bleiben konnte. Darin liegt aber, dass über die länger-, ja schon mittelfristige Stärke ihrer Partei noch nicht entschieden ist. Denn ob man es bedauert oder nicht: Die Musik spielt im Westen, und wer sie nicht verstehen will, hat die schlechteren Karten. Das BSW hat jetzt seinen Wahlerfolg, doch die Wähler*innen werden fragen und urteilen, was es ihnen zu bieten hat. Eine Strategie zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse ist nicht ersichtlich.

Der demokratische Sozialismus ist aktuell

Nachdem die SPD mit Gerhard Schröders Kanzlerschaft aufgehört hatte, eine klassisch sozialdemokratische Partei zu sein, sah sich die PDS als deren Erbin an und die aus ihr mit hervorgegangene Linkspartei setzte diesen Kurs fort. Auch deshalb wurde und wird ihre von Wagenknecht »radikal« genannte ökologische Politik in der Öffentlichkeit wahrgenommen, als bestünde sie nur darin, grüne Positionen zu übernehmen, quantitativ zu überbieten und um die Forderung hinreichender sozialpolitischer Abfederung zu ergänzen. Wie die SPD sich von den Unionsparteien wirtschaftspolitisch führen lässt, um nur das sozialpolitische »Ja, aber auch« noch dranzuhängen, so ließe sich die Linkspartei von den Grünen führen. Vom Richtungsstreit in der Partei drang nur die Abwehr sozial-ökologischer Politik durch den Wagenknecht-Flügel nach draußen, nicht aber dass auf der Gegenseite neben bloßer sozialpolitischer Korrektur grüner Politik auch sozial-ökologische Klassenpolitik und ein davon geleiteter Green New Deal vertreten wurde. Diese letztere Position hat seit 2020 Parteitagsmehrheiten. Im öffentlichen Bewusstsein jedoch ist Die Linke, anders als die Grünen, noch heute eine Partei des alten Parteiensystems, das sich um die sozialpolitische Frage dreht.

Den ökologischen Pol von links besetzen

Die Grünen sind aber unfähig, eine ökologische Wende anzuführen, die den Namen verdient. Das hängt damit zusammen, dass sie die kapitallogische Wurzel der ökologischen Krise nicht begreifen wollen. Doch auch Die Linke begreift sie nicht zureichend. Sie prangert »die Konzerne« an und tut das mit Recht, scheint aber zu verdrängen, dass die Bevölkerung, als konsumierende, auf der Seite dieser Konzerne steht. Was ist denn die ökologische Krise? Dass das Kapital den unendlichen Mehrwert sucht2 und dabei unter der Bedingung des dramatisch gewordenen Falls der Profitrate ungeheure Warenmengen verkaufen muss; Warenmengen, die in der Produktion wie oft auch Konsumtion mit dem ökologischen Gleichgewicht des Planeten Erde nicht mehr vereinbar sind. Der Kauf immer neuer Smartphones, einer Ware, die es neben dem Internet zu Hause gar nicht zu geben brauchte, die aber ungeheure ökologische Schäden verursacht, ist das beste Beispiel für diese Komplizenschaft der Konsument*innen. »Radikale« ökologische Politik wäre der Versuch und die Anstrengung, die Komplizenschaft zu brechen, damit die Konsument*innen die Freiheit gewinnen, sich gegen das Kapital wenden zu können. Würde die Linkspartei zu einer solchen Politik übergehen, wäre nach dem BSW auch sie im neuen Parteiensystem angekommen, sie würde gegen den un- oder antiökologischen Pol Wagenknechts und der AfD den ökologischen nicht nur mitbesetzen, sondern, statt der Grünen, die die ökologische Frage nur technisch angehen, auch anführen und eigentlich verkörpern.
Sie hätte sich dessen zu besinnen, dass sie sozialistische Partei sein will, wirklich »Partei des Demokratischen Sozialismus«. Und wirklich demokratisch, statt dass ein sozialistischer Staat imaginiert wird, der es richten soll. Denn gegen jene Komplizenschaft kann ein Staat, sei er auch sozialistisch, allein nichts bewirken. Die Menschen, die heute dem Kapital folgen, sind zu gewinnen, und überhaupt muss jeder ökologische Schritt mit ihrer Zustimmung geschehen. Was jüngst in der LuXemburg 1/2024 zum Thema demokratische sozialistische Planung durchdacht wurde, war ein hoffnungsvolles Zeichen. Für das politische Tages- und Alltagsgeschäft wäre noch zweierlei zu bedenken. Zum einen sind Planungsmodelle natürlich nicht das, was hier und jetzt die Massen ergreifen könnte. Vielmehr sollte öffentlich darüber gesprochen werden, dass die ökologische Krise nicht nur eine Last ist, die kapitallogisch nicht bewältigt werden kann, sondern dass der Kapitalismus die ökologische Krise unmittelbar ist; das sind nicht zwei Phänomene, die zusammentreffen, sondern es ist ein Einziges. Die ökologische Krise ist die Sichtbarkeit des Falls der Profitrate.

Darin liegt das andere: Dieser Ansatz wäre, weil wirklich radikal, auch politisch erfolgversprechend. Denn was bedeutet der Umstand, dass junge Leute neuerdings nicht mehr den Grünen, sondern der AfD zuneigen? Doch dass sie, um das Wort nochmals aufzugreifen, »radikal« sein wollen. Eine radikale Haltung auf der linken Seite des neuen Parteiensystems gibt es noch nicht, weil die Grünen es nicht sind und Die Linke ins neue System noch nicht wirklich eintritt. Ist das einmal geschehen und zeigt sie sich radikal, besteht die Aussicht, dass die jungen Leute zurückgeholt werden können. Das BSW ist nicht radikal, und schon deshalb ist fraglich, ob es der AfD viele Wähler*innen wird abziehen können. Aber Die Linke könnte es sein. Ich stelle mir eine Linkspartei vor, die, von solcher Position aus, mit dem BSW gewissermaßen nachsichtig umginge, es vor größeren Fehlern möglichst bewahrte und seinerseits früher oder später zurückholte.

Dass aber die Rolle des BSW vor allem die ist, den unökologischen Pol des ökologischen cleavage im neuen Parteiensystem mit zu besetzen,3 hat sich nun auch daraus ergeben, dass die wirklich wesentlichen Impulse der neuen Partei die sein müssen, die von der ökonomischen Basis hervorgerufen werden. Das ist eben die kapitalistische Produktionsweise im Stadium des tiefen Falls der Profitrate, die uns vor die Alternative stellt: Kapitalismus oder Rettung der Erde.