Das Insistieren darauf, dass wir es gegenwärtig mit einer Krise der sozialen Reproduktion zu tun haben, stellt eine der wichtigsten Interventionen der progressiven, queer-feministischen Linken in herrschende Krisendeutungen dar.[i] Gegen eine Individualisierung sollen die strukturellen Ursachen von Erfahrungen aufgezeigt werden, die viele im Füreinanderdasein in seiner unterschiedlichsten Form erleben: Erschöpfung, Überforderung, Frust oder das Gefühl der Unzulänglichkeit. Staatliche Austeritätspolitik, Privatisierungen und der markteffiziente Umbau des Wohlfahrtsstaates werden so als Ursachen einer Prekarisierung von Arbeit im öffentlichen Dienst wie auch der flächendeckenden Aushöhlung der öffentlichen Daseinsvorsorge benannt. Die Familie – meist der Verantwortungsbereich von Frauen – kann dies nicht zur Gänze kompensieren, da die gestiegene Frauenerwerbstätigkeit sowie der Druck in vielen Arbeitsverhältnissen schlicht nicht die Zeit und Energie dafür lassen, Pflegeverantwortungen im vollen Ausmaß nachzukommen. Das reibt einerseits den Alltag zwischen Lohnarbeit und Sorgeverantwortungen auf und führt andererseits – dort wo das Familieneinkommen hoch genug ist – zur Auslagerung dieser reproduktiven Arbeiten an meist migrantische, schlecht bezahlte Hausarbeiterinnen in halblegalen Arbeitsarrangements. Zur queer-feministischen Politisierung der Krise der Reproduktion gehört jedoch auch das Aufzeigen der Kämpfe, die dadurch angestoßen wurden. Die Initiative der Care Revolution, die Arbeitskämpfe an der Berliner Charité oder jüngste Initiativen gegen Gentrifizierung und Vertreibung zeigen, dass diese Krise auch mobilisierendes Potenzial hat. Neue Bündnispolitiken, die sich auf das gegenseitige Angewiesensein von Sorgenden und Umsorgten beziehen, werden ebenso diskutiert wie das transformatorische Potenzial von Kämpfen, die an den alltäglichen, reproduktiven Beziehungen ansetzen, in die wir alle eingebunden sind: für den Kampf um neue Verhältnisse und für eine andere Art, sich ins Verhältnis zu setzen (vgl. Dück/Fried 2015).

Doch nicht nur die progressive Linke redet von der Krise der sozialen Reproduktion. Im Gegenteil wird diese Krisendimension gegenwärtig – eher noch als die Wirtschafts- oder ökologische Krise – sowohl von den herrschenden Kapitalfraktionen als auch von der aufstrebenden Neuen Rechten als solche erkannt, benannt und versucht zu bearbeiten. Wie auch bei den progressiven Kräften geht es dabei stets in der einen oder anderen Form um die Krise der Reproduktion der Arbeitskraft wie auch der Bevölkerung. Die Krise der sozialen Reproduktion ist somit ein umkämpftes Terrain und ein Interventionspunkt für unterschiedlichste Interessen.

Neoliberale Humankapitalproduktion

So forcieren die Arbeitgeberverbände in Deutschland seit nunmehr einigen Jahrzehnten einen Krisendiskurs um die Frage der Reproduktion der Arbeitskraft und der Bevölkerung. Der „demografische Wandel“ ist dabei die zentrale Chiffre. Bereits in der Rentendiskussion wurde ab den 1990er Jahren vor einer „Überalterung der Gesellschaft“ gewarnt, wonach immer weniger Beitragszahler*innen eine immer Größere Gruppe an Leistungsbezieher*innen finanzieren müssen. Der sogenannte PISA-Schock im Jahr 2000, das im internationalen Vergleich schlechte Abschneiden deutscher Schüler*innen, fügte der Diskussion um die Reproduktion des Humankapitals eine qualitative Dimension hinzu und ließ keine rosigen Aussichten für das zukünftige Arbeitskräftepotenzial der ‚Wissensökonomie Deutschland’ zu. Gerahmt wurden diese Diskurse vor allem in den 1990er und 2000er Jahren von medial vermittelten Bildern von „menschenleeren Landstrichen“, „schrumpfenden Städten“ und „leeren Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen, die nach und nach in Alten- und Pflegeheime umgewandelt werden“ (vgl. Auth/Holland-Cunz 2007). 

Ab 2002 setzt das Kabinett Schröder II diesen Entwicklungen eine „nachhaltige“ und „bevölkerungsorientierte Familienpolitik“ entgegen, die später auch von der CDU übernommen wurde und die Familienpolitik in Grundzügen bis heute prägt. Damit erfolgte die Hinwendung zu einer aktiven Bevölkerungspolitik, die neben einer forcierten Erwerbsintegration von Müttern vor allem auf eine Geburtensteigerung setzt. Wirft man einen Blick auf die ihr zugrundeliegenden Expertisen, die vom Familienministerium gemeinsam mit familienpolitisch früher eher wenig engagierten Akteuren wie der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) oder dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) erstellt wurden, so wird die Reproduktionskrise so explizit wie nie zuvor reflektiert. Das diagnostizierte Geburtendefizit stellt sich vor allem als Problem des fehlenden "Humanvermögens" für den deutschen Wirtschaftsstandort dar. Die schrumpfende Bevölkerung führe nicht nur zu einer Reduzierung, sondern auch zu einer „Überalterung“ des Arbeitskräftepotenzials. Der fehlende „Bildungshunger“ und die nachlassende „Innovationsfähigkeit“ einer ‚alten’ Bevölkerung zeigten auch betriebswirtschaftliche Folgen, da ältere Arbeitnehmer*innen vermeintlich weniger flexibel, weiterbildungsfreundlich und damit weniger produktiv sind. Gesellschaft wird hier zur Belegschaft, die Reproduktion des Humankapitals zur Frage nach der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. 

Diese Politik ist dabei „selektiv pronatalistisch“ (Schultz 2012): Nicht nur einfach mehr Geburten sollen es sein, sondern vor allem gut ausgebildete Frauen sollen Kinder kriegen. Sie sind es, die ihr Humankapital an ihre Kinder weitergeben sollen. Die einkommensabhängige Gestaltung des Elterngeldes ab 2007 sollte die Elternzeit insbesondere für Gutverdienende attraktiver machen, während dieselbe Leistung Hartz-IV-Empfänger*innen seit 2010 de facto gestrichen wurde. Auch beim Ausbau der Kinderbetreuung greift diese Rationalität, die über die Hartz-IV-Reformen gegenfinanziert werden sollte. Während das erweiterte Angebot an Kleinkindbetreuung der erfolgreichen Karrierefrau eine baldige Rückkehr ins Erwerbsleben ermöglichen sollte, wird in Bezug auf „bildungsferne Eltern“ gerade umgekehrt argumentiert: Die Tagesbetreuung bietet die Möglichkeit, die Kinder aus diesen Familien ‚herauszuholen’ und das Humankapital früh in einem professionalisierten Umfeld zu fördern.

Rechte Bevölkerungspolitik und die heteronormative Familie

Auch die aufstrebende Neue Rechte geht von einer Krise der Reproduktion aus, verknüpft dies jedoch mit einer anderen Problematik. Weniger die quantitative und qualitative Reproduktion der Arbeitskraft als die Sorge um die Reproduktion der ‚deutschen’ Bevölkerung und Gesellschaft stehen hier im Zentrum (vgl. Hentschel in dieser Online -Sonderausgabe). Die AfD greift den herrschenden Diskurs um den demografischen Wandel dabei dankbar auf, übersetzt ihn jedoch in eine vermeintliche „Selbstabschaffung“ Deutschlands (AfD 2017, 37). Nicht der internationale Standortwettbewerb, sondern der ‚demografische Druck’ und die Migrationsbewegungen aus dem globalen Süden machen die negative Geburtenbilanz hier zu einer „Bedrohung Europas“ (ebd., 30). 

Die Krise der Reproduktion ist hier eng mit der Krisenerzählung der heterosexuellen Familie verbunden, die rassistische Dimension in den Biopolitiken der Rechten ist also nicht zu trennen von ihrer heteronormativen. Die rechtskonservative Rede von der Familie als „Keimzelle“ ist hier im doppelten Sinne zu verstehen, da – wie es die Vorsitzende der Initiative Christen in der AfD, formuliert – „in diesen sich ergänzenden Geschlechtern [die] biologische und soziale Zukunftsfähigkeit jeder Gesellschaft“ liegt (Schultner 2014). Die geschlechterhierarchische Familie sorgt in diesem Gesellschaftsbild nicht nur für die physische Reproduktion, indem sie Kinder ‚produziert’. Sie ist auch Dreh- und Angelpunkt für die kulturelle und soziale Reproduktion von Gesellschaft: „Stabile Familien sind die Mitte und Grundlage jeder sich selbst erhaltenden Gesellschaft, in der Wohlstand und sozialer Frieden herrschen und Werte weitergegeben werden.“ (AfD 2017, 37). Will heißen: Nur die heteronormative, privatisierte Konstellation von Vater und Mutter garantiert hier die Ausbildung von ‚normalen’ Identitäten und die Weitergabe der damit verbundenen Werte und normativen Orientierungen. Ehe und Familie gelten folglich auch als „staatstragende Institut [...], weil nur dieses das Staatsvolk als Träger der Souveränität hervorbringen kann“ (ebd., 40). Kommen Zweigeschlechtlichkeit und Familie ins Wanken – wie von der Neuen Rechten befürchtet – gerät also nicht nur die quantitative Reproduktion der (‚deutschen’) Bevölkerung in Gefahr, sondern die Gesellschaft als solche. 

Die rechten Bearbeitungsformen, um dieser Reproduktionskrise beizukommen, haben ebenso eine quantitative wie qualitative Seite. Die AfD fordert einerseits die Schließung der Grenzen, die Verhinderung der Zuwanderung sowie eine Beendigung der Abwanderung. Die Rede von der Wiederherstellung der „nationalen Souveränität“ (ebd., 30) steht hier für eine starke Exekutive, die diese Biopolitik in Form von Grenzsicherung und Abschiebungen auch umsetzt. Andererseits wird auch hier – sozusagen als Steigerungsstufe zur neoliberalen Familienpolitik – eine „aktivierende Familienpolitik“ und „nationale Bevölkerungspolitik“ (ebd., 37) gefordert. Ehe und Familie sollen hier ebenso gefördert werden (ebd.) wie die „familiennahe“, sprich häusliche Betreuung von Kindern (ebd., 39) und der „Schutz des ungeborenen Lebens“ (ebd.).

Neoliberale und rechte Biopolitiken als Hegemoniepolitiken

Beide Krisenerzählungen, die des „progressiven Neoliberalismus“ (Fraser 2017) wie auch die der Rechten, ‚greifen’, weil sie jeweils mit spezifischen Geschlechterpolitiken verbunden werden. Sie knüpfen jeweils an alltägliche Erfahrungen an, artikulieren spezifische Vorstellungen über die Gestaltung des Gemeinwesens und bieten Identifikationsangebote. Kurz: Sie können als Hegemoniepolitiken verstanden werden (vgl. Nowak 2010). 

So ist die „nachhaltige Familienpolitik“ auch als Wahltaktik der CDU zu verstehen, um für urbane und gut ausgebildeten Wähler*innen attraktiv zu sein. Diese neoliberale Biopolitik greift dabei durchaus alte feministische Forderungen nach dem Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung, der Erwerbsintegration von Frauen und der Förderung ihrer (finanziellen) Unabhängigkeit auf, reartikuliert sie jedoch in einer Weise, die im letzten Wahlkampf mit Bezug auf Hillary Clinton als business feminism bezeichnet wurden. Anstatt Emanzipation als gesamtgesellschaftliches Projekt zu begreifen, wird diese über den individualisierten Aufstieg einzelner Frauen redefiniert, Fortschritt auf das Durchbrechen ‚gläserner Decken’ reduziert (vgl. Fraser 2017). Im Kontext der Diskussion um Quoten, Work-Life-balance und Diversity-Management kommt es so zu einer Aufwertung einer spezifischen ‚Karriere-Weiblichkeit’. Diese ist zwar eine attraktive Anrufung für eine spezifische Gruppe von Frauen, kann aber nicht als umfassende Subjektivierungsweise fungieren. Gerade die eingangs aufgeworfenen Fragen der materiellen, physischen wie psychischen Reproduktion im Alltag vieler Menschen werden hier ausgespart. Die damit verbundenen Hierarchien und Arbeitsteilungen gerade unter Frauen lässt dieser Ansatz unangetastet. 

Während dieser corporate feminism die Defamilialisierung und Erwerbsarbeit von Frauen fördert, werden der Stress und Leistungsdruck, die schlechten Arbeitsverhältnisse und die Tatsache, dass immer mehr Menschen immer weniger Zeit für sich selbst und ihre Liebsten haben, nicht thematisiert. Genau dies wird von rechtskonservativen Akteuren wie der AfD aufgegriffen. Anstatt diese Kritik jedoch in die Forderung nach einer Umstrukturierung von Arbeitszeitmodellen, der Abschaffung des weiblichen Niedriglohnsektors und der Ausfinanzierung der öffentlichen Daseinsvorsorge zu übersetzen, wird eine erneute Familialisierung von Frauen und eine Reaktivierung des traditionellen Familien-Ernährer-Modells propagiert. Diese Geschlechterpolitiken nutzen dabei oft den Begriff der Wahlfreiheit, der in Deutschland konservativ bis rechts besetzt ist. Damit wird eine Politik angeboten, die es Frauen ermöglichen soll, sich den Zumutungen prekärer ‚Mac Jobs’ ebenso zu entziehen wie den damit verbundenen 60-stündigen Arbeitswochen. Sie können ‚zu Hause’ bleiben, ganz in ‚ihren’ reproduktiven Verantwortungen aufgehen und somit nicht zuletzt auch klaffende Reproduktionslücken schließen. Diese Geschlechterpolitik stellt eine Ankerkennung von Reproduktionsarbeit dar, wenn auch nur in der privatisierten, heteronormativen Form. 

Das fehlt dem neoliberalen Feminismus. Dabei darf man rechtskonservative Geschlechterpolitiken auch nicht dahingehend missverstehen, dass es hier einfach um eine weibliche Unterordnung und Zurückdrängung von Frauen aus der Öffentlichkeit geht. Mit Ausnahme vielleicht spezifischer Strömungen ist es eben nicht einfach ein bloßes „Frauen zurück an den Herd!“. Als Lebensform wäre das heute auch nur für eine verschwindend kleine Minderheit der Frauen interessant. Wenn man sich jedoch beispielsweise auf den von einer AfD-Vorfeldorganisation organisierten "Demos für Alle" umsieht, wo gegen die "Frühsexualisierung von Kindern" und "für die Familie" marschiert wird, bemerkt man, dass Mütterlichkeit als starkes Identifikationsangebot für Frauen fungiert. Hier wird ein neuer Maternalismus artikuliert, der Frauen gerade aufgrund ihrer vermeintlichen Fähigkeit zur Sorge, Pflege und familialen Rolle Präsenz und Mitsprache in der öffentlichen Diskussion zuspricht. Im Kontext einer nationalkonservativen Ideologie wird so eine ‚fürsorgende’, wiewohl ‚starke Weiblichkeit’ propagiert. Das ist eventuell bedeutend anschlussfähiger an viele Lebenserfahrungen, als man sich das auf den ersten Blick denken mag. 

Die Auseinandersetzung um die soziale Reproduktion findet also in einem umfassenden Sinne statt. Die feministische Linke begibt sich damit auf ein ‚beackertes Feld’. Was bedeutet dies nun für die Frage, wie die Reproduktionskrise feministisch zu repolitisieren ist? Im Anschluss an die oben dargelegte Konstellation können drei Punkte in diese Diskussion eingebracht werden.

Die Reproduktionskrise feministisch politisieren

Erstens müsste es darum gehen, eine alternative Erzählung anzubieten, ohne Biopolitik zu betreiben. Genau diese Art von Politik ist mit den unterschiedlichen rechten wie neoliberalen Versuchen, die Krise der sozialen Reproduktion zu bearbeiten, immer auch verbunden: Sie umfassen bestimmte Vorstellungen, wie soziale Reproduktion von wem und unter welchen Umständen geleistet werden soll, wie Gesellschaft und Gemeinwesen gestaltet werden sollen. Damit werden notwendigerweise immer auch bestimmte vergeschlechtlichte Identifikationsangebote gemacht. Diese sind deshalb relativ erfolgreich, da damit auch jeweils an bestimmte Alltagserfahrungen angeknüpft wird und Zumutungen politisiert werden. Was wäre dem gegenüber eine emanzipatorische, queer-feministische Erzählung, die diesen neoliberalen und rechten Identifikationsangeboten und Gesellschaftsentwürfen entgegengehalten werden könnte? 

Dabei kann es nicht darum gehen, neue ‚Leitbilder’ oder Ähnliches zu formulieren, sehr wohl jedoch darum, ein Projekt und eine konkrete Vision davon anzubieten, wie Gesellschaft und die Organisation reproduktiver Zuständigkeiten aussehen können. Diese Erzählung müsste sowohl die Zumutungen immer prekärer werdender Arbeitsverhältnisse und die fehlende Zeit für sich und andere thematisieren als auch die Refamiliarisierung und Privatisierung von reproduktiven Verantwortungen sowie den damit verbundenen Sexismus kritisieren. Die Entwicklung dieser Erzählung kann nur im Zuge konkreter Aushandlungen und Kämpfe geschehen. Sie muss jedoch auch darüber hinaus weisen. 

Eine solche Erzählung erfordert zweitens, intersektional zu reflektieren, um sich so klar gegenüber neoliberalen oder rechten Biopolitiken abzugrenzen. Gegenüber dem nationalkonservativen Projekt erscheint dies noch relativ einfach. Gegenüber einer Familienpolitik, die Kindergärten ausbaut und reproduktive Leistungen etwa mit dem Elterngeld – im europäischen Vergleich – relativ hoch vergütet, sowie einem Feminismus, der Diversity und Empowerment von Frauen propagiert, ist das schon schwieriger. Eine queer-feministische Position muss hier die rassistischen und klassistischen Ausschlüsse, die mit dieser Politik verbunden sind, explizit benennen – und aktiv politisieren (vgl. Fried in dieser Ausgabe). Wer profitiert von diesem Feminismus? Und wer – und das sind schlicht viele mehr – profitiert davon nicht? 

Drittens würde es bedeuten, aktiv Familienpolitik zu betreiben. Es muss darum gehen, den Begriff der Familie von linksprogressiver Seite wieder zu besetzen. Die feministische Linke tut sich aufgrund der Rolle von Familie in bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften wenig überraschend schwer mit einem positiven Bezug auf diesen Begriff. Trotzdem hat der Begriff das Potenzial, eine Reihe von queer-feministischen Forderungen und Positionen zu artikulieren, wie es schon mit Konzepten wie der Lebensformenpolitik oder Sorgegemeinschaften versucht wird. Zugleich umgeht der Begriff Familie aber die Gefahr, mit diesen Ideen in subkulturellen Diskussionen verhaftet zu verbleiben – er genießt nicht zuletzt eine ähnliche Popularität wie der Begriff der Demokratie. 

Will eine progressiv-feministische Position Reproduktionsverhältnisse repolitisieren, so muss sie in diesem Kontext dabei Familie als caring communities (und vice versa) fassen und sich dabei darauf beziehen, was Kath Weston bereits Anfang der 1990er Jahre im weitesten Sinne als „families we choose“ gefasst hat. Es müsse darum gehen, der Vielfalt bereits jetzt gelebter Familienformen Ausdruck zu verleihen und zugleich für die materiellen Bedingungen zu kämpfen, damit diese auch gelebt werden können. Um dabei der neoliberalen Privatisierung von reproduktiven Verantwortungen nicht noch mehr in die Hände zu spielen, ginge es darum, sich für den Ausbau, den freien Zugang und die Demokratisierung von reproduktiven Infrastrukturen wie etwa Kinderbetreuungs- oder Pflegeeinrichtungen stark zu machen. In diesem Kontext fordert eine queer-feministische Familienpolitik eine Reform des Eherechts, mehr Unterstützung für Alleinerziehende und die Anerkennung aller Formen des Füreinanderdaseins. Es würde mithin heißen, die Care Revolution auch von ihrer familiären, vielleicht – noch – privaten Seite in Angriff zu nehmen.

[i] Vgl. etwa www.zeitschrift-luxemburg.de/reproduktion-in-der-krise/

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