Mai/Juni 2025 in Deutschland. Die ersten illegalen, weil die Gesetze bewusst missachtenden, Schritte unternimmt die neue Regierung aus CDU, CSU und SPD, indem sie – durch Innenminister Dobrindt – die deutschen Grenzen für alle Flüchtlinge schließt und die Asyl suchenden Menschen zurückweist. Alle rechtlich Bewanderten wussten vorab, dass dieser Rechtsbruch nicht Bestand haben wird. Die Regierung ist von der durch alle geschichtlichen Tatsachen widerlegten Strategie überzeugt, die faschistische AfD mit »Über-Faschisierung« bekämpfen zu können: »Wenn wir alle Nichtdeutschen vertreiben, dann hat die AfD kein Wahlkampfthema mehr«. Der letzte Sozialdemokrat, der meinte, man könnte die Nazis damit bekämpfen, dass man ihre Politik missachte oder umsetze, war Vorsitzender seiner Partei: Kurt Schumacher war es, der nach einer Reichstagsrede von Joseph Goebbels im Februar 1932 meinte, die NSDAP-Abgeordneten damit verhöhnen zu können, ihnen »die restlose Mobilisierung menschlicher Dummheit« zu unterstellen. Eineinhalb später waren es die von ihm verlachten Nazis, die ihn ins KZ brachten. »Aus der Geschichte lernen« bedeutet in der BRD, dem Nachfolgestaat des faschistischen Deutschen Reichs, sie zu wiederholen.

Die deutsche Presse – allen voran die FAZ und die Süddeutsche Zeitung – machen es wie die US-amerikanischen Medien: Sie unterstützen Aufrüstung, Rassismus und völkisch-nationalen Patriotismus, wobei im Feuilleton ab und zu etwas Kritisches dazu geschrieben werden darf. »Kabinett treibt ›Asylwende‹ voran«, weiß die FAZ am 5. Juni 2025 zu berichten und überschreibt diesen Beitrag mit einem zynischen »Einfacher abschieben«. Die vom gescheiterten Verkehrsminister Dobrindt (CSU) nun als Innenminister auf den Weg gebrachten »Abschiebungserleichterungen« werden gefeiert, bejubelt und – auch wenn sie nicht deutschem oder europäischem Recht entsprechen – verteidigt. Menschenrechte, rechtliches Gehör von Asylsuchenden und Überprüfung ihres Asylbegehrens an der Grenze: alles überflüssig laut Dobrindt. Afghanistan, Iran, Syrien, Türkei: sichere Herkunftsstaaten.

Doch nun geschieht, was in einer parlamentarischen und auf Gesetzen und Verordnungen beruhenden bürgerlichen Demokratie eben auch passieren kann: Das Berliner Verwaltungsgericht erklärt die Zurückweisung von drei Somalier*innen als »rechtswidrig«. Ausführlich und sehr genau hat das Gericht sein Urteil begründet: Die Anordnung des CSU-Innenministers verstoße gegen Europarecht, denn Flüchtlinge hätten das Recht auf ein ordentliches Dublin-Verfahren, in dem geklärt wird, in welchem Land sie ihren Asylantrag stellten. Die Bundesregierung hält trotz dieses Urteils an ihrer Politik der Menschenvertreibung (sofern es nicht deutsche oder für die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft dienliche Menschen sind) fest. Friedrich Merz (CDU): »Die Spielräume sind nach wie vor da. Wir wissen, dass wir nach wie vor Zurückweisungen vornehmen können« (FAZ, 4.6.2025).

Die FAZ, die ansonsten großen Wert auf Rechtsstaatlichkeit und Gesetzestreue legt (sofern sie der Bourgeoisie und ihren Bütteln dienen), springt Merz bei:, Innenpolitik-Redakteur Reinhard Müller weiß, dass es »so nicht weitergehen kann«. Er meint damit jedoch nicht, Dobrindt und Merz sollten sich an die gesetzlichen Grundlagen halten, sondern exakt das Gegenteil: Es könne nicht sein – und die Regierung müsse dafür sorgen – dass somalische Menschen gegen den deutschen Staat Recht bekämen. Dieses Deutschland, schreibt er gegen alle vorliegenden Tatsachenberichte, »weist keinen Verfolgten in die Fänge seiner Häscher zurück« (FAZ, 4.6.2025). Die deutsche Anwaltschaft springt – im Gegensatz zur FAZ – dem Gericht bei: Die Richter hätten nichts anderes getan, als der Regierung »das kleine Einmaleins des Europarechts zu präsentieren«, sagt Stefan von Raumer, Vorsitzender des Deutschen Anwaltsvereins, der FAZ. Falls die Regierung auf ein »weiter so« setze, schaffe sie »rechtswidrige Zustände«.

Ein paar Tage später wird es der Philosoph der FAZ-Redaktion, Jürgen Kaube sein, der das Gerichtsurteil bestätigend in Zweifel zieht, indem er zeigt, dass das Innenministerium »aus dem Urteil lernen und seine Argumente präzisieren« (FAZ, 10.6.2025) könne. Am »Schluss lässt sich auch das Europarecht ändern, wenn es nicht mehr funktional erscheint«. Die feine Sprache kann den menschenfeindlichen Geifer nicht verbergen; Kaube will sagen: Leidende Menschen sind uns als Bürgern von Nationalstaaten egal, und wenn sie zu uns kommen, dann werden wir die Gesetze so ändern, dass jene das gar nicht erst beabsichtigen. Und die linken Kritiker*innen sollen lernen: »Wer jede Zurückweisung schon für … Unrecht hält, hat weder das Recht noch das Berliner Urteil verstanden«. Verstanden hat es nur einer: Jürgen Kaube.

Wiederum ein paar Tage später (13.6.25) wird Jasper von Altenbockum unter dem denunzierenden Titel »Asyl-Illusionen« das Gerichtsurteil delegitimieren, indem er gegen die Organisation Pro Asyl hetzt, welche die somalischen Flüchtlinge bei ihrer Klage unterstützte (»Organisationen wie ›Pro Asyl‹ haben kein Interesse daran, damit sich das Recht dem Machbaren anpasst«; »Entscheidend ist, dass ›Pro Asyl‹ alles tun wird, um noch mehr solcher Fälle vor Gericht zu bringen.«). Das Machbare ist für den AfD-nahen Mitarbeiter der FAZ das, was die AfD fordert: deutsche Volksgemeinschaft ohne Ausländer. Die Regierung muss sich gegen die Gerichte wehren, denn diese »wollen der Politik aufzwingen, was nie funktioniert hat (zum Beispiel ›Dublin‹)«. Deshalb soll Dobrindt bei seinem Rechtsbruch »nicht kapitulieren« und die Regierung muss »am Recht etwas ändern«. So verschiebt der Autor die Grenzen von Politik: Die Führer (Dobrindt, Merz etc.) legen die »machbaren« Ziele einer rassistischen Politik fest und verabschieden dann die Gesetze, die sie dazu befähigen, die Menschen abzuschieben, einzusperren bzw. erst gar nicht ins Land zu lassen.

»Der Führer schützt das Recht«

Die bundesdeutsche schwarz-rote Koalition begeht – von der FAZ sekundiert – Rechtsbruch. Wie Donald Trump ist es herrschenden Politiker*innen auch in Deutschland egal, was die Gerichte beschließen – diese werden ignoriert. »Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Missbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr […] als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft« (Schmitt 1940), wusste der Nazijurist – und nach 1945 bis heute von der FAZ hoch geehrte – Carl Schmitt nach der Ermordung Röhms und 90 weiterer Menschen, die Hitler, wiewohl Gesinnungsgenossen, nicht mehr in den Kram passten, 1934 zu sagen. Recht schützen, indem man die Staatsfeinde beseitigt und die Gerichte und die parlamentarischen Verfahren außer Kraft setzt: Soweit ist es in Deutschland (noch) nicht[1]. Doch wer die 1968 von der Mehrheit des Deutschen Bundestags verabschiedeten Notstandsgesetze kennt, weiß, dass – so wie Trump den staatlichen Notstand in Los Angeles herbeischießen lässt – auch die Hardliner der CDU/CSU nichts dagegen haben werden, den Ausnahmezustand »auszurufen«, der ebenfalls von Carl Schmitts Postulat »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet« grundiert ist. Sein NSDAP-Parteifreund Gerhard Schröder (CDU, auch SA-Mitglied) war 1960 bundesdeutscher Innenminister, als er – in Anlehnung an Hitlers Ermächtigungsgesetz[2] – den ersten Entwurf für ein Aushebeln der Verfassung vorlegte: Entmachtung des Parlaments, Einsatz der Bundeswehr im Innern und Verbot von Streiks waren die Hauptpunkte der Notstandsverordnung. Die SPD, spätestens seit 1945 zu einer »kapitalistisch-staatstragenden Sozialdemokratie« (Haug 2015, 1865) mutiert, stimmte schließlich zu, weil sie – wie schon 1918 – lieber auf Kapital- und Staatsfeinde schießen lässt denn sie als Vorhut einer gerechten Gesellschafts- und Weltordnung zu sehen. Apropos Carl Schmitt: Am 7.3.2025 bezieht sich der Leitartikel der FAZ auf ihn. Tenor: Donald Trump und seine Regierung seien – im Gegensatz zu Schmitts Diktum – keinesfalls »auf den Weg zum Führerstaat«. Der Trick dieser Argumentation: Trump und die Mehrheit der Republikaner werden als »liberal« eingestuft und als Gegensatz und -pol dazu wird ein »veritabler rechtsextremer Flügel« herbeigeschrieben. Dass Trump selbst Faschist sein könnte oder den US-amerikanischen Staat faschisiert, wird auf diese Weise entnannt. Gleichzeitig ertönt als Credo, die Demokratie in den USA würde noch funktionieren, weil es ja Gerichte gebe, die Trumps Verordnungen widersprechen würden. Vergessen wird dabei willentlich, dass erstens viele der obersten Gerichte inzwischen durch Trump-treue Richter*innen besetzt sind, dass zweitens Richter*innen mit einer anderen Meinung als der »Boss« denunziert und verfolgt werden und drittens, dass auch bei gerichtlichen Entscheidungen gegen Trumps Erlasse und Verordnungen dieser solche »Kleinigkeiten« ignoriert und als Führer das geltende Recht aushebelt und ein eigenes schafft.

Wer wie der neue CSU-Innenminister Dobrindt auf eine »konservative Revolution« setzt (2018 in der Welt) und damit also an die faschistischen Denker Edgar Julius Jung (auch von Björn Höcke gelobt), Armin Mohler (»Hitler hat immerhin eine richtige Führung geschaffen. Die Kader, die er heranzog, hatten Stil«) und Carl Schmitt andockt, der wird einen nationalen Notstand dann entdecken, wenn die sozial Deklassierten und Ausgebeuteten zusammen mit den wenigen antikapitalistischen Gegenkräften eine kleine Rebellion wagen würden. Dobrindt, der wie alle in der Regierung auf staatliche Gewalt setzt (Ausbau von Polizei und Verfassungsschutz), wird in jeder widerständigen Haltung emanzipierter Menschen eine Gewalttat finden und dafür sorgen, dass Polizei und Staatsschutz die Gefängnisse mit rebellisch und aufmüpfig Protestierenden füllen werden.

Stephanie Bart, die einen schaurig-wahren Roman über die RAF-Hetze schrieb, hat in einem ND-Interview vom 4. Mai 2024 deutlich gemacht, wie massiv der bundesdeutsche Staat für die innere Feindbekämpfung aufgerüstet hat, während das Gewaltpotenzial der kritischen Menschen im Land immer kleiner wurde: »Es gab eine Hochphase gewalttätiger Aktionen vonseiten der Demonstrierenden etwa um 1967, und die Gewalt nimmt seit dieser Zeit kontinuierlich ab. Aber die Ausrüstung der Polizei, ihre Befugnisse und ihr Personal nehmen kontinuierlich zu. Die rüsten einfach immer auf, unabhängig davon, wie viel Gewalt ihnen von linken Demonstranten entgegenschlägt«. Wir erleben, wie der Kriegshetze gegen den »Feind im Osten«, der laut FAZ vor den Toren Berlins steht, die massive Feindbekämpfung im Inneren folgt. Und wir erleben, dass die bürgerliche Presse diese Feindbekämpfung unterstützt und forciert.

Die Zeitung von gestern – spannend wie ein Krimi

»Es gibt nichts Langweiligeres als die Zeitung von gestern«. Wer kennt diesen Satz nicht? Doch ein systematischer Blick in die Frankfurter Allgemeinen Zeitung beweist das Gegenteil. Die Zusammenstellung und Verdichtung des Geschriebenen zeigt, dass die Auswertung der Materialanalyse gelesen werden kann wie ein Krimi. Allerdings ist – wie in der Krimiserie Columbo – der Sachverhalt schon bekannt: die Funktion der FAZ als Medium des Brückenbaus zu einem neuen Faschismus. Aufgeklärt werden muss lediglich die Art und Weise, wie die Zeitung für Deutschland daran arbeitet, um diesen Zustand als »normal« zu »verkaufen« – in der Krimilogik würde es heißen: Wie die Täter den perfekten Mord planen und durchführen, um am Schluss als Unschuldslämmer dazustehen. Columbo, der Filmkommissar, gespielt von Peter Falk, nimmt für die Aufklärung der Verbrechen vor allem dasjenige Material in den Blick, das (aus der Sicht der Täter) nicht »offenbar« und zentral ist. Es sind die beiher gesprochenen kleinen Worte und Sätze, die Nebensächlichkeiten (und eben nicht der Tatort, die Tatwaffe und die Leiche), welche als frei liegende Mosaiksteinchen vom detective zusammengesetzt werden, um zuletzt das Bild des Mörders erkennen zu können. Ähnlich geht es bei dieser Materialanalyse zwar darum, was geschrieben steht. Aber wichtiger scheint mir das Ungesagte und doch Intendierte. Im Film Freud mit Anthony Hopkins sagt Sigmund Freud einen Satz, der für diesen Text und nicht nur für die Psychoanalyse gilt: »Mich interessiert nicht so sehr, was die Menschen sagen, sondern das, was sie nicht sagen«.

Im FAZ-Tagebuch zum Jahrgang 2023 (Weber 2025) entkleidet die Anordnung der geschriebenen Sätze und Wörter die Texte ihrer scheinbaren Normalität. Diese Normalität – Peter Hacks bringt das in seiner Medienkritik auf den Punkt – »besagt, dass es mit dem Zustand der Gesellschaft seine Unabänderlichkeit und seine Richtigkeit habe« (2018, 229). Die Leser*innen bemerken, dass Medien wie die FAZ nicht direkt lügen, das tun sie »nur ungern und nur ausnahmsweise, nur wenn Stoßgeschäft ist« (ebd., 230). Doch schreibt die FAZ die Wahrheit? Kann man ihr im besten Fall unterstellen, dass sie ausgewogen ist und die widersprüchlichen Standpunkte zu Wort kommen lässt? Ausgewogenheit – auch hier hat Hacks ein herrliches Bonmot fabriziert – ist nichts anderes als »die Verabredung, es solle gegen jede Meinung, falsch oder richtig, eine Gegenmeinung gesetzt sein« (ebd.). Und Wahrheit? »Die Medienmühlen zermahlen die Wahrheit sicher, aber sie zermahlen sie langsam« (ebd.).

Die FAZ ist wie alle Unternehmen in einer kapitalistischen Wirtschaft den Marktgesetzen unterworfen und muss daher – bei gegenteiliger Beschwörung von Freiheit und Unabhängigkeit – alles tun, um in diesem System zu überleben. »Das heißt: Medienschaffende mögen sich zwar gerne als neutrale Instanz feiern, doch zu mehr als – im besten Fall – … politischer Zurückhaltung kann journalistische Objektivität unter den heute herrschenden Bedingungen kaum beitragen. … Objektivität verkommt zum ›Abfragen der offiziellen Sichtweisen innerhalb des vom Mainstream vorgegebenen Meinungsspektrums‹. Das führt dazu, dass der grundlegende Antagonismus des kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisses kaum thematisiert wird« (Iten 2025, 51). Wolfgang Fritz Haug nennt das korrekt »aggressives Schweigen« der bürgerlichen Presse über die kapitalistischen Klassenverhältnisse.

Die Zeitungsleute aus Frankfurt, die sich mindestens einmal jährlich rühmen, von fast allen CEOs und sonstigen Bannerträgern des Kapitals gelesen zu werden, behaupten gleichzeitig, ihr Produkt sei frei und unabhängig, aufklärerisch und kritisch. Zum 75-jährigen Bestehen der FAZ lässt es sich Mitherausgeber Jürgen Kaube nicht nehmen festzustellen, der FAZ-Journalismus sei »unentbehrlich – als Instrument der Aufklärung und der Kritik« (27.4.2024). Und selbstgerecht wohltönend: »Wir halten dieses Land für eine gute Sache, wir bewundern die Leistung, die es nach der historischen Katastrophe dieser Nation, einem Weltkrieg mit siebzig Millionen Toten, darunter sechs Millionen ermordeter Juden, erbracht hat«. Es hat seine Richtigkeit mit Deutschland, weil die Aufbauleistungen (der Marshallplan ist ebenso vergessen wie die Tatsache, dass auch die DDR zu »diesem Land« gehört, welche keinen Marshallplan und keine US-amerikanischen Finanzspritzen genießen konnte, sondern »fünf Demontagewellen« durch die Sowjetunion über sich ergehen lassen musste und »den umfangreichsten Teil der Wiedergutmachung gegenüber der Sowjetunion zu leisten hatte« [Dietrich 2018, 17]) so bewundernswert sind, dass wir die Vernichtung der sechs Millionen Juden und der vielen Millionen Toten zwar erwähnen, aber sie hinter der »guten Sache« des Aufbaus nach einer »Katastrophe« doch vergessen wollen. Man sieht: Das Wohltönende ist so tönern, dass nach einer kurzen, beileibe nicht schwierigen, Satzanalyse deutlich wird, wie egal dem »kritischen« Journalisten die sechs Millionen vernichteten Juden und die siebzig Millionen Toten des Kriegs der deutschen faschistischen Herrschaft sind.

Wie Uli Hoeneß Björn Höcke »bekämpft«

»Bleiben wir wach, widerstehen wir den Phrasendreschern«: so der Schlusssatz Kaubes. Wenige Wochen vor dieser bemerkenswerten Feststellung lese ich in der FAZ ein ganzseitiges Interview mit FC-Bayern Funktionär Uli Hoeneß. Er wird gefragt, wie er die politischen Entwicklungen einschätze. Hoeneß darauf: Er schaue im TV jetzt öfter mal 3sat und anderes Kritisches an und da werde ihm klar, dass es wieder Nazis in Deutschland gebe. Seine »Erklärung« zu diesem für ihn ganz neuen Phänomen: »Da kann ich nur sagen: Mensch Meier«. So viel zu »Aufklärung und Kritik« durch die »Zeitung für Deutschland«.

»Widerstehen wir den Phrasendreschern« ist Kaubes Phrase, um zu übertünchen, dass die FAZ als Kampf- und Beruhigungsblatt des deutschen Kapitals und der bürgerlichen herrschenden Klasse darauf angewiesen ist, dümmste und allerdümmste Meldungen und Geschichten zu fabrizieren, um die ökonomischen und politischen Grausamkeiten mit – in Bayern würde man sagen – »Schmankerln« genießbar zu machen. So funktioniert die tagtägliche Ideologieproduktion, indem Nebensächlichkeiten unwichtigster Art neben Folterberichten und Kriegsgräueln zu finden sind, was dazu führt, das eine für bedeutend und das andere für nicht so wichtig zu halten. Der Mix von Kuriositäten mit Dokumentationen aller Art, von Mannequinfotos mit Berichten über Hunger»katastrophen« (als wäre Hunger ein Naturphänomen) oder zu viel Zucker in Lebensmitteln, von »Helden« der Politik neben Kleinstmeldungen über diejenigen, die unter jenen leiden, führt zu einem Phänomen, das man als Modellierung der Gefühlswelt qua alles »gleich« machendem Journalismus bezeichnen kann. 

Freiheit, die sie meinen

Seit 75 Jahren gilt für die FAZ, so ihr Selbstbeweihräucherungsmotto, das »Versprechen, nicht an der Oberfläche der Dinge stehen zu bleiben, sondern ihre geistigen Gründe aufzusuchen« (1.11.2024); so ist es unter der Überschrift »Mission FAZ« zu lesen. Am selben Tag erscheint ein Leitartikel von Jürgen Kaube (»Eine Zeitung für die Freiheit«), in dem er überzeugt von sich gibt: »Die F.A.Z. ist kein Nachrichtenportal, sondern eine Aufforderung zum Nachdenken«. Nach-Denken ist eine Freud’sche Fehlleistung, weil Kaube tatsächlich nicht merkt, dass er die journalistische Arbeit seiner Zeitung – ohne es zu wollen – entlarvt. In der FAZ ist nicht Denken gefragt, sondern ein Nach-Denken und -Schreiben, dem etwas vorausgeht: der Habitus des bürgerlichen, ab und zu (geistes-)aristokratischen Anzugträgers, der sich mit Eliten der Wirtschaft, der Kultur und (wie Kaube) des Sports gemein macht. Dieser Habitus hat einen Generalnenner zur Grundlage, den auch die fortschrittlichen Kolleg*innen der FAZ in ihren Veröffentlichungen nicht »verletzen« dürfen: die Zustimmung zum Privateigentum an Produktionsmitteln sowie an Grund und Boden. Begriffe wie Ausbeutung, Vergesellschaftung oder Kommunismus sind zwar – als Referenz an den Wissenschaftsbetrieb, der sich an diesen heißen Eisen wärmt, sie aber nicht anfasst – mancherorts in der FAZ zu lesen, doch ein Plädoyer für eine andere, menschenwürdige Gesellschaft ohne kapitalistische Produktionsweise wird – ich nehme gerne eine Wette darauf an – zur Entlassung führen.


Dieser Beitrag basiert auf einem Kapitel aus »Kampfblatt des autoritären Liberalismus« –dem aktuellen Buch des Autors, das beim © VSA Verlag 2025 erschienen ist.