2007 schlug Ecuadors Linksregierung der internationalen Gemeinschaft die so genannte Yasuní-Initiative vor. Ecuador werde die Ölvorkommen im an Peru grenzenden Yasuní-Nationalpark unangetastet lassen, wenn sich die internationale Gemeinschaft im Gegenzug dazu verpflichte, dem Land die Hälfte der zu erwartenden Einnahmen zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise sollten Klima- und Umweltschutz solidarisch und international finanziert werden. Die Industriestaaten weigerten sich jedoch, zu einem solchen Fonds beizutragen. Mittlerweile hat die ecuadorianische Regierung angekündigt, mit der Ölförderung im Yasuní-Gebiet zu beginnen: Ohne die Einnahmen aus den Rohstoffexporten sei die Armut im Land nicht wirksam zu bekämpfen.

In der lateinamerikanischen Linken ist das Festhalten an einer extraktiven, auf Rohstoffexporten beruhenden Wirtschaftspolitik, wie sie von den Linksregierungen Ecuadors, Boliviens und Venezuelas verfolgt wird, umstritten. Vor allem soziale Bewegungen verweisen darauf, dass der Rohstoffabbau nicht nur massive Umweltschäden nach sich ziehe, sondern die Staaten Südamerikas dauerhaft auf die Rolle weltmarktabhängiger Rohstoffproduzenten festschreibe. Die AnhängerInnen der Linksregierungen halten dagegen, dass es zur Ausweitung der Rohstoffexporte keine Alternative gebe, da die staatliche Sozial- und Investitionspolitik nur so finanzierbar sei. 

Diese Diskussion wird auch in den Lateinamerika-Arbeitskreisen der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der LINKEN geführt: Soziale Anliegen stehen ökologischen Zielen scheinbar unvereinbar gegenüber. Pablo José Iturralde1 stellt diesen vermeintlichen Gegensatz in Frage: In „Plan C“ rechnet er vor, dass eine Erhöhung der Unternehmenssteuern und eine Bekämpfung der Steuerflucht dem ecuadorianischen Staat deutlich höhere Einnahmen bescheren würden als die Ausbeutung der Yasuní-Vorkommen im amazonischen Regenwald. Eine solche Umverteilung des Reichtums trage ganz unmittelbar zu sozialer Gerechtigkeit bei. Die Debatte um sozialökologische Transformationen steht damit im Kontext gesellschaftlicher Kämpfe.

Raul Zelik für die Redaktion

Alternativen nach dem Scheitern der Yasuní-Initiative

Die Regierung von Rafael Correa hat angekündigt, eines der revolutionärsten ökologischen Vorhaben aufzugeben: das „Yasuní ITT-Projekt“. Ecuador hätte sich darin verpflichtet, das Erdöl im Yasuní-Park (einem der an Biodiversität reichsten Gebiete der Welt) nicht zu fördern, wäre die internationale Gemeinschaft im Gegenzug bereit gewesen, die Hälfte der Einnahmen aufzubringen, die Ecuador durch die Nicht-Nutzung des Vorkommens verloren hätte. Das Projekt stellt eine Marktlogik in Frage, die unbegrenztes Wachstum postuliert und dieses als einzig mögliche ‘Entwicklungs’-Perspektive behandelt.

Das Yasuní-Projekt wurde ursprünglich von sozialen Bewegungen und Umweltorganisationen entwickelt, dann allerdings auch von Präsident Correa aufgegriffen. Bedauerlicherweise hat die Regierung nun angekündigt, die Yasuní-ITT-Initiative (den so genannten Plan A) aufzugeben und stattdessen die Erdölförderung (den so genannten Plan B) voranzutreiben. Begründet wurde der Politikwechsel damit, dass die internationale Gemeinschaft keine Gelder zur Verfügung gestellt habe und Ecuador somit die Ressourcen fehlen, um die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern. Doch die Ölförderung stellt nicht nur eine gravierende Gefahr für die Umwelt dar, sondern auch für die in der Region lebenden indigenen Völker, deren Überleben vom Wald abhängt.

Wir wollen hier eine dritte Alternative ins Gespräch bringen, den so genannten Plan C. Wir sind der Ansicht, dass die für die Armutsbekämpfung notwendigen Mittel auch durch eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums erzielt werden könnten – eine Ausbeutung der Ölvorkommen würde damit verzichtbar.

Wir gehen davon aus, dass die sozialen Probleme Ecuadors nicht auf knappe ökonomische Ressourcen, sondern auf die ungerechte Einkommensverteilung zurückzuführen sind und die Armutsbekämpfung entsprechend nicht von der Ölförderung im Yasuní-Gebiet abhängt. Die heutigen Verteilungsverhältnisse kommen einer kleinen Elite im Land zugute, während sich die Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit nur langsam und in sehr begrenztem Maße verbessern.

Ohne eine Bekämpfung der extremen Reichtumskonzentration wird eine Überwindung der ‚Unterentwicklung’ nicht möglich sein. Unter den heute bestehenden und extrem ungleichen Verteilungsverhältnissen werden die Einnahmen aus der Ölförderung der armen Bevölkerung kaum zugutekommen. Auch wenn eine größere wirtschaftliche Stabilität dazu beiträgt, die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern, wird dieser Beitrag verglichen mit dem, was eine andere Verteilungspolitik erreichen könnte, nur bescheiden ausfallen.

Der ecuadorianische Präsident hat auf das Problem der ungleichen Einkommensverteilung selbst des Öfteren hingewiesen:

“Die Armut ist die nicht Folge fehlender Ressourcen, sondern eines ungeeigneten, perversen Systems (…) Wir leben in einem der ungleichsten Länder der Welt.” (El Ciudadano, 8.5.2012)

Nichtsdestotrotz propagiert die Regierung heute einen neuen Diskurs der Armutsbekämpfung, bei dem die Umverteilung des Reichtums keine größere Rolle mehr spielt. Stattdessen argumentiert sie, dass neue Öleinnahmen für ihre Sozialpolitik unabdingbar seien. Dieser Diskurs mündet in eine Art Fatalismus, der nur die Wahl des geringeren Übels kennt und eine falsche Dichotomie eröffnet: entweder Ölförderung oder Verschärfung der Armut.

Auch wenn von offizieller Seite betont wird (zumindest in den an die Bevölkerung gerichteten Informationsbroschüren), die Ölförderung in Yasuní solle Mittel für die „Entwicklung“ und für die Transformation „des auf Rohstoffexport beruhenden Wirtschaftsmodells“ bereitstellen, gilt die Hauptsorge der Regierung der Verwundbarkeit der Wirtschaft gegenüber möglichen internationalen Krisen. Die Ölförderung soll helfen, Devisen einzunehmen und somit eine monetäre Liquidität sichern, die Voraussetzung für das Funktionieren des Wirtschaftskreislaufs ist. In diesem Zusammenhang gilt es aber zu bedenken, dass die Liquiditätsprobleme weiter bestehen werden, solange nicht wirklich versucht wird, das Dollar-System2 (geordnet) zu verlassen und Regionalstrategien gegen die Macht der großen internationalen Wirtschaftsnationen zu entwickeln.

Unser Vorschlag sieht vor, die Steuerbelastung für die größten Unternehmensgruppen des Landes zu erhöhen, da diese im Vergleich zu den von ihnen erzielten Einkommen nur einen geringen Steuersatz zahlen. Eine solche Umverteilungsmaßnahme wäre in einem Land mit extremer Reichtumskonzentration wie Ecuador ausgesprochen sinnvoll. Zudem würde eine Erhöhung der Steuern für Großunternehmen auch den Kapitalabfluss aus Ecuador verringern, sofern es gelingt, die multinationalen Unternehmen an Gewinntransfers in Steuerparadiese zu hindern. Die Bekämpfung von Steuerflucht und -hinterziehung sind zentrale Maßnahme der Umverteilung zugunsten der Nationen.

Gelingt es nicht, die Einkommensgerechtigkeit zu erhöhen, wird der Zwang zur Ausbeutung von Bodenschätzen immer größer. Den Steuerbehörden zufolge sind im Jahr 2012 insgesamt 22 Milliarden US-Dollar aus dem Land abgeflossen, davon 2,23 Milliarden Richtung Steuerparadiese. Gleichzeitig betrug das Zahlungsbilanzdefizit 581,9 Millionen US-Dollar.3 Das bedeutet, dass deutlich mehr Geld in die Steuerparadiese abgeflossen ist, als die 730 Millionen US-Dollar, die man jährlich mit der Ausbeutung des Yasuní einnehmen möchte.

Wirtschaftswachstum und Armut

Unabhängig davon, ob die jeweilige Regierung der Linken, der politischen Mitte oder der Rechten zugeordnet wird, haben fast alle lateinamerikanischen Länder in den vergangenen Jahren ein wirtschaftliches Wachstum verzeichnet und können auf bessere soziale Indikatoren verweisen. Ecuador ist hier keine Ausnahme (CEPAL 2013). Aber sowohl das Land als auch der Subkontinent sind weit davon entfernt, die Armut zu überwinden. Gehen die sozialen Verbesserungen mit der heutigen Geschwindigkeit weiter, wird es noch mehrere Generationen dauern, bis in Fragen von Gesundheit, Erziehung, Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut ein akzeptables Niveau erreicht ist.

Nach der schwersten Wirtschaftskrise in der Geschichte Ecuadors, die 1999 ihren Höhepunkt erreichte, hat sich die einheimische Wirtschaft allmählich wieder stabilisiert. In der Folge haben sich auch die sozialen Bedingungen in bescheidenem Ausmaß verbessert.

In diesem Sinne konnte Ecuador während der Krise zwischen 1995 und 2000 ein geringes jährliches Durchschnittswachstum von 1,09 Prozent verzeichnen. Im Folgezeitraum 2001 bis 2006 stieg das Wachstum auf durchschnittlich 4,9 Prozent jährlich, während es unter der Regierung Rafael Correas zwischen 2007 und 2012 bei 4,7 Prozent lag.

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Wachstum und Verringerung der Einkommensarmut im jährlichen Durchschnitt

* Zugrundegelegt sind die Zahlen für städtische Einkommensarmut, da wir für den Zeitraum 1995 bis 2012 über keine anderen Datensätze verfügen.

** Beim Wirtschaftswachstum haben wir die durchschnittliche geometrische Zunahme eingesetzt, d.h. das Wirtschaftswachstum nimmt exponentiell zu. Die Verringerung (oder Zunahme) der Armut ist das arithmetische Mittel der Differenz zwischen Beginn und Ende des Zeitraums.
Quelle: Bouletins der Zentralbank BCE und Encuesta Urbana de Empleo y Desempleo

Während der Wirtschaftskrise stieg die Einkommensarmut von 43,6 Prozent im Jahr 1995 auf 64,4 Prozent im Jahr 2000, d.h. sie wuchs durchschnittlich um 4,16 Prozent pro Jahr. Während der folgenden Zeitabschnitte nahm die Armut hingegen ab: von 54,9 Prozent im Jahr 2001 auf 37,6 Prozent im Jahr 2006, was einer jährlichen Verringerung um 3,46 Prozent entspricht. Im dritten Zeitraum ging die Armut von 36,7 Prozent im Jahr 2007 auf 27,3 Prozent im Jahr 2012 zurück, also um jährlich 1,88 Prozent.

Man muss in diesem Zusammenhang berücksichtigen, dass die Erholung nach einer Wirtschaftskrise stets schneller verläuft, weswegen die Armut unter Präsident Rafael Correa langsamer abnahm als Anfang der 2000er Jahre. Mit einberechnet werden muss auch, dass die Zahlungen ecuadorianischer MigrantInnen an ihre Familien (remesas) nach Ausbruch der globalen Wirtschaftskrise 2008 massiv zurückgegangen sind. Aber unabhängig davon, dass man noch weitere Gründe für die ungenügenden Ergebnisse der Armutsbekämpfung aufzählen könnte, steht fest, dass die Armut nicht ausreichend zurückgegangen ist.

Zwischen den beiden letzten Zeitabschnitten gibt es noch andere substanzielle Unterschiede. Wir möchten hier hervorheben, dass der Rückgang der Armut zwischen 2001 und 2006 überwiegend auf zwei Faktoren zurückzuführen war: die Ausweitung des Arbeitsmarktes (mehr Arbeitsplätze und/oder höhere Löhne) und die Anstrengungen der MigrantInnen, die aus dem Ausland Geld an ihre Familie geschickt haben. Zwischen 2007 und 2012 spielen außerdem die höheren, nicht aus Arbeit resultierenden Einkommen eine wichtige Rolle – also staatliche Transferzahlungen, die mit der Erhöhung öffentlicher Ausgaben für Bildung, Gesundheit und Wohlfahrt einhergingen.

Diese Transferzahlungen wurden u.a. durch Steuerreformen finanziert: während der letzten Regierung gab es zehn solcher Reformen. Außerdem hat man die Ölmultis gezwungen, von Kooperations- zu Dienstleistungsverträgen überzugehen, was die Einnahmen des Staates deutlich erhöht hat. Diese Reformen haben dazu beigetragen, dass mehr öffentliche Mittel für produktive oder soziale Investitionen zur Verfügung stehen.

Die besten Ergebnisse wurden bei der Verringerung der Einkommensunterschiede nach Schichten erzielt, obwohl jene nach wie vor sehr groß sind. Während der Einkommensanteil des reichsten Fünftels der Gesellschaft (berechnet auf das Gesamteinkommen der Gesellschaft) zwischen 2000 und 2006 um drei Prozent zurückging, fiel er unter der Regierung Correa 2007 bis 2012 um fast sieben Prozent. Das reichste Fünftel verliert dabei allerdings in erster Linie zugunsten der Mittel- und oberen Mittelschicht, nicht aber zugunsten der ärmsten Bevölkerungsgruppen. In diesem Sinne verdiente das reichste Fünftel der Ecuadorianer im Jahr 2012 52,5 Prozent der Einkommen, das ärmste Fünftel hingegen nur 4,1 Prozent.

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Einkommenskluft nach Schichten

Quelle: Encuesta Urbana de Empleo y Desempleo – INEC

Quintil 1 (unten): ärmstes Fünftel der Bevölkerung, Quntil 5 (oben): reichstes Fünftel

Mit den genannten Einschränkungen ist die soziale Ungleichheit während der Correa-Regierung also zurückgegangen, weil umverteilt wurde. Auch wenn die Resultate bescheiden sind, ist die Verringerung von Armut und Ungleichheit bedeutend. Gleichzeitig ist es so, dass diese Reformen zur Zeit gefährdet sind, weil die Regierung – wie wir noch zeigen werden – von einer Politik der progressiven Steuern (d.h. höhere Einkommen zahlen höhere Steuersätze) zu einer Politik der regressiven Steuern übergegangen ist. Die Wirtschaftspolitik tendierte zuletzt zu Positionen, die versuchen, dadurch ausländische Investitionen anzulocken. Diese Tendenz überrascht insofern, als dass die Regierung selbst die positiven Auswirkungen der Umverteilungspolitik auf die Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit registriert hat – obwohl die Spielräume hier noch längst nicht ausgeschöpft sind.

Nach wie vor ist die soziale Lage inakzeptabel, und es fehlt an strukturellen Veränderungen. Mehr als 8 Millionen EcuadorianerInnen, 60 Prozent der Bevölkerung, leben in Armut und können ihre Grundbedürfnisse nicht abdecken4.  Unterbeschäftigung und strukturelle Arbeitslosigkeit liegen bei 51 Prozent bzw. vier Prozent und sind nicht zurückgegangen. Die Reallöhne liegen unterhalb der Kaufkraft der 1980er Jahre, der funktionale Analphabetismus beträgt 14 Prozent und jährlich sterben 14 von tausend lebendgeborenen Kindern.5

Diese Daten führen uns zu folgendem Schluss: Erstens trägt die Umverteilung dazu bei, die Bevölkerung aus der Armut zu befreien, auch wenn es sich zunächst nur um vorsichtige Reformen handelt; zweitens war die Regierungspolitik bisher nicht wirklich überzeugend, da ihre Ergebnisse kaum besser ausfielen als die der neoliberalen Regierungen (Noboa, Gutiérrez, Palacios), die wie die heutige Regierung auf steigende Ölpreise und eine höhere wirtschaftliche Stabilität zählen konnten.

Kapitalakkumulation einiger weniger Unternehmensgruppen

Während die sozialen Verbesserungen bei dem heutigen Wirtschaftswachstum ungenügend waren, konnten die großen in Ecuador ansässigen Unternehmen hohe Gewinnraten verzeichnen, wodurch sich die Reichtumskonzentration weiter verschärft hat. Einkommen und produktive Vermögen sind in wenigen Händen konzentriert.

Den letzten Erhebungen zufolge, haben die größten Unternehmen, die zehn Prozent aller Geschäfte im Land repräsentieren, im Jahr 2010 95 Prozent aller Verkäufe verzeichnet. Verschiedene Marktsegmente werden von Quasi-Monopolen kontrolliert.

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Beispiele für die Konzentration des Binnenmarktes in Ecuador (Marktanteile)

Quelle: Martín & Varela (2012). Censo Nacional Económico 2010, INEC, SENPLADES.

Der Markt wird von großen Unternehmen und einigen Kapitalgruppen kontrolliert, die sich wiederum im Besitz einiger weniger Familien befinden. Diese Gruppen verfügen über die Macht, ihre Produktions- und Handelsbedingungen in der Wirtschaft durchzusetzen und auf diese Weise höhere Gewinnraten zu erzielen.

Ihre Macht wirkt sich aus:

(a) auf die KonsumentInnen, da die Unternehmen die Qualität und die Preise ihrer Güter und Dienstleistungen einseitig festlegen können, (das betrifft bspw. die Handynetze, die von Movistar und Porta dominiert werden);

(b) auf ProduzentInnen, die nicht konkurrieren können oder den großen Unternehmen untergeordnet sind – so z.B. die BäuerInnen, die aufgrund fehlender Absatzmärkte gezwungen sind, ihre Produkte zu niedrigen Preisen an agrarindustrielle Unternehmen wie Pronaca zu verkaufen;

(c) auf die ArbeiterInnen. In dem Maße, wie diese Unternehmen kapitalintensiver arbeiten, geht die Beschäftigung zurück. Außerdem haben die Multis größere Möglichkeiten des Steuerbetrugs, erklären weniger Gewinne und zahlen auch geringere Leistungen an ihre Beschäftigten;

(d) auf den Staat, da ihnen ihre Macht erlaubt, Steuerzahlungen zu umgehen. Der Staat hat aus diesem Grund weniger Mittel zur Verfügung, um soziale Dienste anzubieten und produktive, das ganze Land begünstigende Investitionen zu tätigen.

Die Zahlen der ecuadorianischen Steuerbehörden6 belegen, wie groß der Anteil dieser Unternehmensgruppen an der Wirtschaft ist. Die Einnahmen der 110 größten Unternehmen entsprechen 62 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts. Diese Einnahmen wuchsen zwischen 2011 und 2012 um 9 Prozent und liegen bei über 40 Milliarden US-Dollar.

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Einnahmen der großen Unternehmensgruppen

Quelle: SRI

Allein die zehn größten Unternehmensgruppen (u.a. Banco del Pichincha, Andes Petroleum, Eljuri, La Favorita und Banco de Guayaquil) erzielten im Jahr 2012 Einnahmen von mehr als 12 Milliarden US-Dollar.

Zudem ist die wirtschaftliche Macht im Land eng mit der Kontrolle der multinationalen Unternehmen verbunden. Zu den 110 Wirtschaftsgruppen gehören 408 als ausländische registrierte Firmen; von denen wiederum die Hälfte in Steuerparadiesen angesiedelt sind.

Der Beitrag der Konzerne am Steueraufkommen

Obwohl der relative Anteil der Großunternehmen am Wirtschaftsaufkommen gewachsen ist, nahm das Verhältnis von Gewinnsteuern zum Gesamtumsatz ab. Das bedeutet, die großen Konzerne gaben einen geringeren Anteil ihrer Einnahmen als Steuern an den Staat ab. Ihre Steuern verringerten sich um 6,18 Prozent, während ihre Einnahmen um 9 Prozent wuchsen. Die geringeren Gewinnsteuern wurden durch höhere Einnahmen bei der Besteuerung der Devisenausfuhr aufgewogen, die von 0,45 Prozent (2011) auf 0,86 Prozent (2012) stieg – diese Zahl impliziert aber auch, dass die großen Unternehmen mehr Kapital ins Ausland geschafft haben. Erstrebenswert wäre hingegen eine Erhöhung der Gewinnsteuern in Relation zum Umsatz, ohne dass es gleichzeitig zu einer Kapitalflucht kommt.

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Direkte Steuerlast der 110 größten Wirtschaftsunternehmen

Quelle: SRI

Die regressive Entwicklung der Kapitalertragssteuer ist nicht einfach mit gewinnmindernden  Kostenschwankungen auf den Märkten zu erklären. Sie hat vielmehr mit der Politik der Regierung zu tun, die die steuerliche Belastung für Großunternehmen zu reduzieren versucht.

Der für Investitionsplanung zuständige Minister Richard Espinosa hat angekündigt, dass die Regierung die Steuerlast für Unternehmen senken und dadurch Investitionsanreize (für eine Veränderung der Produktionsstruktur) schaffen will (El Ciudadano, 6 de julio de 2013).

Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Regelung von Produktion, Handel und Investitionen (COPCI) kam es zu einer Verringerung der Gewinn- und Kapitalertragssteuer für Unternehmen von 25 Prozent auf 22 Prozent. Ecuador ist damit hinter Chile das Land mit der niedrigsten Gewinnsteuer in der Region. Selbst als neoliberal geltende Länder wie Kolumbien, Mexiko oder Peru weisen höhere Steuersätze auf. Im Durchschnitt lag sie in der Region bei 57 Prozent.

Verantwortlich für den Rückgang der Steuerbelastung großer Unternehmen sind eine Reihe politischer Maßnahmen. Neben anderen Investitionsanreizen gab es auch Tarifsenkungen für Unternehmen bei den subventionierten öffentlichen Dienstleistungen (insbesondere für Strom, Wasser und Kraftstoffe). Wenn all diese Einsparungen zusammengezählt werden, beträgt das aus der Perspektive des Staates  853 Millionen US-Dollar zusätzliche Ausgaben.

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Quelle: Ministerio Coordinador de la Producción

Gesamte Steuerbelastung versus Einsparungen bei Strom, Wasser und Kraftstoffen sowie Gesamteinsparungen (in Prozent des Gesamtumsatzes; von oben nach unten)

Leider gibt es keine Zahlen über den Konsum öffentlicher Dienstleistungen durch die großen Wirtschaftskonzerne. Aber wir können doch herleiten, dass die größten Konsumenten – nämlich die Großunternehmen – am stärksten von den staatlichen Subventionen profitieren.

Zudem können die multinationalen Unternehmen Gewinnsteuern hinterziehen, indem sie fiktive Ausgaben in die Bilanz aufnehmen und damit ihre Erträge senken. Dies ist möglich, weil diese Konzerne über Niederlassungen in Steuerparadiesen verfügen. Doch Steuerflucht und -hinterziehung können die Verringerung der Steuerlast allein nicht erklären.7

Plan C: Umverteilen

Unser wichtigstes Argument für einen Plan C ist, dass die Armutsbekämpfung nicht allein vom Volumen der Staatseinnahmen abhängt, sondern v.a. davon, wie diese verteilt werden. Aus unserer Analyse lässt sich folgern, dass das Wirtschaftswachstum den Reichtum weiter konzentriert und dementsprechend wenig dazu beigetragen hat, die Lebensbedingungen der Unterprivilegierten zu verbessern.

Aus diesem Grund ist von verschiedenen sozialen Bewegungen die Forderung entwickelt worden, die heute hochkonzentrierte Wirtschaft zu demokratisieren, indem Einkommen gerechter verteilt und der Zugang zu Produktionsmitteln (Land, Wasser, Kredite, Maschinen, Güter usw.) erleichtert werden. Konkret geht es um Folgendes: Streichung der Subventionen für die oberen Einkommensklassen und Schutz der GeringverdienerInnen; Nationalisierung von Produktionsmitteln, die sich in den Händen großer Konzerne befinden; Reformen der Arbeitsgesetzgebung, die den Arbeiterfamilien höhere Einkommen garantieren und – wie von uns in diesem Text vorgeschlagen – eine Reform des Steuermodells, die große Einkommen höher belastet.

In diesem Zusammenhang ist die von der Indigenen- und Bauernbewegung erhobene Forderung nach Land und Wasser von besonderer Bedeutung. Als Beispiele für eine andere Politik könnte man ein neues, den Zugang der Bauern zum Land erleichterndes Agrargesetz oder ein neues Wassergesetz anführen, das die Privatisierung und Kommerzialisierung der Wasserversorgung stoppt und die gemeinschaftliche Verwaltung des Wassers garantiert. Vor dem Hintergrund, dass weniger als ein Prozent der Bevölkerung über 51 Prozent des Landes verfügen, während 99 Prozent der Bauernfamilien mit den restlichen 49 Prozent auskommen müssen, und dass ein Prozent privatwirtschaftlicher NutzerInnen 67 Prozent des Wassers verbrauchen (während 86 Prozent der NutzerInnen bei kommunalen Wasserversorgern sind und nur 13 Prozent des Wassers verbrauchen), sind solche Gesetzesreformen dringend geboten.8

Eine weitere Umverteilungsmöglichkeit bestünde darin, die Steuerlast nur für die 110 größten Wirtschaftsunternehmen zu erhöhen, die die Hauptnutznießer des Wachstums der letzten Jahre waren. Zur Zeit liegt das Verhältnis von Steuerlast zu Gesamtumsatz dieser Unternehmen bei 2,9 Prozent. Würde diese Steuerbelastung nur um 1,5 Prozent erhöht , könnte der ecuadorianische Staat 2 Milliarden US-Dollar mehr einnehmen, als durch die Ausbeutung der Yasuní-Vorkommen im gleichen Zeitraum (von 25 Jahren) erzielt werden soll.

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Wenn man davon ausgeht, dass die Großunternehmen zuletzt eine Gewinnsteuer von 22 Prozent gezahlt haben, würde die Gewinnsteuer bei einer Erhöhung von 1,5 Prozent der Steuerlast auf den Gesamtumsatz auf 38 Prozent steigen. Auch dies wäre eine im lateinamerikanischen Vergleich geringe Belastung. Nur Paraguay (35 Prozent) und Chile (28 Prozent) liegen darunter.

Die Regierung Correa hat in den letzten Jahren von den höchsten Öleinnahmen in der Geschichte Ecuadors profitiert. Diese Mittel haben aber nicht wesentlich dazu beigetragen, die soziale Situation zu verbessern, da die Ölrendite nicht dazu eingesetzt wurde, das Akkumulationsmodell zu verändern. Zwischen Januar 2007 und Januar 2013 sind Öleinnahmen von 51,497 Milliarden US-Dollar erzielt worden. Das heißt, dass in sechs Jahren mehr Petro-Dollars nach Ecuador geströmt sind als die 41,769 Milliarden US-Dollar, die durch die Förderung im Yasuní-Park in 25 Jahren erwirtschaftet werden sollen.

Es ist notwendig, den Reichtum auf verschiedene Weise umzuverteilen. Die Regierung hat bewiesen, dass eine derartige Politik möglich ist – als sie zum Beispiel den Bankensektor dazu zwang, die Erhöhungen der Sozialleistungen für die ärmsten Familien zu finanzieren, die Auslandsschulden neu verhandelte oder die Kooperationsverträge mit den ausländischen Ölkonzernen revidierte und damit eine höhere Gewinnbeteiligung des Staates durchsetzte. All diese Reformen wurden umgesetzt, ohne dass – wie die Befürworter ausländischer Privatinvestitionen argumentieren – die Wirtschaft destabilisiert worden wäre. Es hat sich gezeigt, dass eine Umverteilung des Reichtums möglich ist; gleichzeitig haben sich die Unternehmen nicht aus Ecuador zurückgezogen.

Wir sind fest davon überzeugt, dass wir solche wirtschafts- und fiskalpolitischen Instrumente weiter erproben und entwickeln müssen. Es muss Raum für alternative Vorschläge und Debatten geben. Und wir dürfen nicht vergessen, dass es sich bei dem Thema um ein grundlegendes ethisches Problem handelt. Die Rechte der isoliert lebenden Völker dürfen nicht zugunsten von Deviseneinnahmen geopfert werden. Es wäre barbarisch, so vorzugehen – zumal sozial gerechte Alternativen existieren. Wenn – wie die Regierung bekräftigt – die Ölförderung der gesellschaftlichen Entwicklung dient, warum setzen wir dann nicht lieber auf einen Plan C, der viel besser mit sozialer Gerechtigkeit und Menschenrechten in Einklang zu bringen ist als eine Ölförderung im Yasuní-Park?

Aus dem Spanischen von Raul Zelik

1 Untersuchung von Pablo José Iturralde in Zusammenarbeit mit der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und OXFAM unterstützten “Studiengruppe zum Akkumulationsmodell in Ecuador”. Der Text ist eine Publikation des CDES und muss nicht unbedingt die Meinung OXFAMs wiedergeben.

2 Ecuador übernahm den Dollar in einer Verzweiflungstat während der Finanzkrise 1999. Damals stellten verschiedene gesellschaftliche Gruppen die „Dollarisierung“ der ecuadorianischen Wirtschaft in Frage, da sie die nationale Souveränität beschränkte, eine eigenständige Währungspolitik unmöglich machte und das Land schutzlos gegenüber dem Preisverfall ihrer Exportprodukte (v.a. Erdöl)  zurückließ. Demgegenüber schlug man zur Lösung der Krise eine stärkere Regulierung des Finanzsystems vor.

3 Das Defizit kann höher ausfallen: 2009 lag es bei 2,647 Mrd. US-Dollar, 2010 bei 1,212 Mrd. US-Dollar.

4 Der hier angelegte Armutsindikator bezieht sich auf “nichtbefriedigte Grundbedürfnisse”, der u.a. die Nichtversorgung mit Gesundheit, Erziehung, Wohnung, Trinkwasser/Abwasser berücksichtigt. Der nur das Einkommen berücksichtigende Armutsindikator kommt auf andere Zahlen, ihm zufolge lebten 2012 ‘nur’ 27,3 Prozent der ecuadorianischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze.
5 Quellen: CPV 2010 INEC, Encuesta Urbana de Empleo y Desempleo INEC 2012 (Arbeitslosigkeit und Brutto-Unterbeschäftigung), BCE 2011, Encuesta Urbana de Empleo y Desempleo INEC 2012, Estadísticas Vitales INEC 2010 (Kindersterblichkeit 1,48%).

6 Die ecuadorianische Steuerbehörde ist der Servicio de Rentas Interna, im Weiteren auch SRI.

7 In diesem Zusammenhang muss man auch auf die Grenzen der staatlichen Kontrolle von Multis hinweisen. Notwendig wären zwischenstaatliche Vereinbarungen mit jenen Ländern, aus denen die transnationalen Unternehmen stammen. Dies ist in Anbetracht der aktuellen Abhängigkeits- und Unterordnungsverhältnisse unter die großen Industrienationen allerdings wenig wahrscheinlich.

8 Quellen: Zur Landverteilung – Censo Agropecuario 2001 INEC; zum Wasserverbrauch – SIPAE.

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