Das Gespenst der Deindustrialisierung geht um beim ehemaligen »Exportweltmeister Deutschland«. Der Standort sei schlichtweg zu teuer, behaupten Wirtschaftsvertreter*innen und fordern allenthalben »Reformen« – seit der Hochzeit des Neoliberalismus in den 1990er Jahren ein Synonym für Angriffe auf die Errungenschaften der Lohnabhängigen, auf Arbeits- und Sozialstandards. Aber was ist dran an der befürchteten Deindustrialisierung? Ist sie nur ein Vorwand, um an einer ökologisch desaströsen Produktion festzuhalten, um die Lohnabhängigen zu erpressen und die Umverteilung zu ihren Ungunsten voranzutreiben? Oder handelt es sich um eine reale Gefahr mit möglicherweise weitreichenden Folgen für den Lebensstandard der Masse der Bevölkerung? Inwieweit hat die deutsche Industrie tatsächlich an Konkurrenzfähigkeit eingebüßt? Wie verändert sich der Produktionsapparat in Deutschland gegenwärtig? 

Die Ursachen der aktuellen Krise

Tatsächlich schrumpft die deutsche Wirtschaftsleistung seit mehr als zwei Jahren. Im Vergleich zu den Einbrüchen des Bruttoinlandsprodukts während der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 und während der Covid-19-Pandemie 2020 handelt es sich zwar um eine milde Rezession, dafür dauert sie allerdings länger an. Die unmittelbaren Ursachen liegen auf der Hand: der Krieg in der Ukraine sowie die damit verbundenen Sanktionen, die zu drastisch steigenden Energiepreisen geführt haben, die sinkenden Realeinkommen, die durch die hohen Inflationsraten bedingt sind und die inländische Nachfrage schwächen, die Immobilienkrise und die deflationären Tendenzen in China, die neue Außenhandelspolitik der USA und die wachsende Unsicherheit in den Beziehungen zu den USA und zu China, den wichtigsten Exportmärkten für deutsche Unternehmen, die die Investitionsneigung der Kapitalist*innen beeinträchtigt.

In längerfristiger Perspektive haben wir es mit der Erschöpfung des globalisierten und finanzialisierten Akkumulationsregimes zu tun, das die letzten Jahrzehnte geprägt hat. Den Herrschenden in Deutschland ist es zwar gelungen, die Probleme, die aus der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007 – 09 und der ungleichen Entwicklung in der EU resultierten, auf die schwächeren EU-Länder abzuwälzen und mehr Waren sowie Kapital in Länder außerhalb der EU zu exportieren. Dabei profitierte das deutsche Kapital vor allem von der Ausdehnung der Produktion und der Entwicklung des Binnenmarktes in China. Die Profitraten der deutschen börsennotierten Unternehmen sind im Trend jedoch seit 2007 gesunken. 2019, also noch vor der Coronakrise, war die Eigenkapitalrendite der börsennotierten Unternehmen in der Industrie bereits niedriger als im Krisenjahr 2009.

»In längerfristiger Perspektive haben wir es mit der Erschöpfung des globalisierten und finanzialisierten Akkumulationsregimes zu tun, das die letzten Jahrzehnte geprägt hat.«

Das globalisierte und finanzialisierte Akkumulationsregime hat nicht nur an Dynamik verloren; seine inneren Widersprüche kommen auch zunehmend stärker zur Geltung. So hat sich die Bildung der transnationalen Produktionsnetzwerke massiv auf den Wert der Arbeitskraft ausgewirkt: Zum einen wurden die Lohnabhängigen durch die Androhung von Produktionsverlagerungen unter Druck gesetzt und ihnen wurden vielfach Zugeständnisse wie Lohnsenkungen, die Verlängerung der Arbeitszeiten und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen abgepresst. Zum anderen wurde die Reproduktion der Arbeitskraft durch Importe billiger Konsumgüter, die an den Niedriglohnstandorten in (semi-)peripheren Staaten hergestellt wurden, ökonomisiert. Aus der Perspektive des Kapitals erübrigt sich durch die so erreichbare Steigerung der Ausbeutung zunehmend der Weg, der über hohe Investitionen im Inland, die Steigerung der Arbeitsproduktivität und die dadurch bewirkte Verbilligung der Waren, die in die individuelle Konsumtion der Arbeiter*innen eingehen, zu einer Steigerung des relativen Mehrwerts führt, zumal dieser Weg auch die Basis für starke Gewerkschaften ist bzw. Zugeständnisse des Kapitals an die Lohnabhängigen in Form einer Umverteilung der Produktivitätsgewinne erfordert.

Die dominante Ausbeutungsstrategie hat jedoch negative Auswirkungen auf die inländische effektive Nachfrage und das Wachstum. Eine weitere Konsequenz des globalisierten und finanzialisierten Akkumulationsregimes ist der Verfall der Infrastruktur und der öffentlichen Dienstleistungen, denn es geht mit einer Verschlechterung der öffentlichen Finanzen einher. Die Steuersenkungen für Unternehmen, Kapitaleigner*innen und andere Bezieher*innen hoher Einkommen sowie die relativ niedrigen Lohnzuwächse führen auch zu relativ geringen Steuereinnahmen, steigender Staatsverschuldung und einer Einschränkung der Staatsausgaben. So hat die Verrottung der Infrastruktur inzwischen ein Maß erreicht, das die Profitabilität des Kapitals beeinträchtigt, wenn sich beispielsweise Transportzeiten wegen kaputter Brücken, Straßen und Eisenbahntrassen verlängern und so die Umschlagsgeschwindigkeit des Kapitals vermindert wird. Der Staat fungiert nicht mehr ausreichend als Garant der allgemeinen Produktionsbedingungen des Kapitals – selbst die Wirtschaftsverbände rufen nun nach höheren öffentlichen Investitionen.

Weitere strukturelle Probleme des Kapitalismus in Deutschland ergeben sich aus der Entwicklung in China. Die Volksrepublik ist längst nicht mehr nur die verlängerte Werkbank der Konzerne aus den alten kapitalistischen Zentren; vielmehr bekommen diese zunehmende Konkurrenz durch chinesische Unternehmen, die auf dem gleichen oder gar einem höheren technologischen Niveau operieren.

Eine neue Welle von Kapitalexporten und widersprüchliche Entwicklungen im Inneren

Der Anstieg der Energiepreise und die Verschlechterung der inländischen Produktionsbedingungen haben im Jahr 2022 zu einem starken Anstieg der ausländischen Direktinvestitionen deutscher Unternehmen im Verhältnis zum Vorjahr geführt. Die Zahl der deutschen Unternehmen mit ausländischen Tochtergesellschaften stieg von 31 868 auf 41 067; die Zahl der Beschäftigten in den ausländischen Tochtergesellschaften stieg von 6,2 Millionen auf 7,8 Millionen. Der durch die Produktion deutscher Unternehmen im Ausland erwirtschaftete Umsatz stieg von 2,7 Billionen Euro auf 3,9 Billionen Euro (Deutsche Bundesbank 2022).[1] Mit anderen Worten: Die Krise hat zu einem erheblichen Anstieg von Kapitalexporten geführt.

Gleichzeitig ist ein Anstieg der Erwerbslosigkeit im Inland zu beobachten. Nach den Daten der Bundesagentur für Arbeit waren im März dieses Jahres 2 967 080 Personen offiziell erwerbslos; das waren sieben Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Auch die Zahl der »Unterbeschäftigten« (eigentlich Erwerbslose, die aber nicht als solche gezählt werden, weil sie z. B. aktuell an Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen oder kurzfristig arbeitsunfähig sind) stieg um 97 000 gegenüber dem Vorjahresmonat. Im Vergleich zum März 2023 war die Zahl der offiziell Erwerbslosen im März 2025 um 373 306 und die Zahl der Unterbeschäftigten um 232 982 höher. Die Arbeitslosenquote (bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen) stieg von 5,6 Prozent im März 2023 auf 6,3 Prozent im März 2025.

»Der durch die Produktion deutscher Unternehmen im Ausland erwirtschaftete Umsatz stieg von 2,7 Billionen auf 3,9 Billionen Euro. Mit anderen Worten: Die Krise hat zu einem erheblichen Anstieg von Kapitalexporten geführt.«

Die wachsende Erwerbslosigkeit bedeutet allerdings nicht im Umkehrschluss, dass die Zahl der Erwerbstätigen oder der lohnabhängig Beschäftigten gesunken wäre. Im Gegenteil: Die Zahl der Erwerbstätigen stieg leicht auf 45 804 000 im Januar 2025; die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten stieg im selben Zeitraum ebenfalls leicht, auf 34 805 200 (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2023, 2025). Die gleichzeitige Zunahme der Zahl der Erwerbstätigen und der Erwerbslosen ist ein Resultat der wachsenden (Erwerbs-)Bevölkerung, die wiederum dadurch bedingt ist, dass mehr Menschen zugewandert als abgewandert sind und dass mehr Frauen in den Arbeitsmarkt integriert wurden. Die Kapitalist*innen sind offenkundig nicht in der Lage, allen Arbeitsuchenden Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen, aber diese Zahlen deuten (noch) nicht auf eine Deindustrialisierung hin.

Das Gleiche gilt für die Entwicklung der Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe. Die Zahl der Beschäftigten dort stieg von 4,7 Millionen im Jahr 2007 auf 5,1 Millionen im Jahr 2018 (+9,3 %) und sank danach bis 2024 um circa 61 000 (–1,2 %; vgl. Destatis o. J.). Per Saldo ist die Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe also heute immer noch höher als vor der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007ff. Der Saldo verdeckt die durchaus unterschiedlichen Branchenentwicklungen. So sinkt die Beschäftigung im Bergbau, in der Textil- und Bekleidungsindustrie, in der Produktion von Lederwaren, Schuhen und Möbeln sowie in der Druckindustrie seit Langem, und dieser Trend hält bis heute an. Es gibt aber auch Industrien, in denen die Beschäftigung in den letzten Jahren zugenommen hat. Dazu zählen die Lebensmittelindustrie, die Chemie- und Pharmaindustrie sowie die Herstellung von elektronischen und optischen Erzeugnissen.

Expansion und Krise der Automobilindustrie

Eine besondere Rolle spielt die Autoindustrie, die die deutsche Wirtschaft in hohem Maße prägt. Von 2007 bis 2018 wuchs die Zahl der unmittelbar in der Produktion von Kraftwagen und Kraftwagenteilen Beschäftigten von 726 000 auf 834 000. Mehrere Faktoren trugen dazu bei, dass die deutsche Autoindustrie in dieser Periode stark expandierte: Erstens führten die Lohnzurückhaltung und die Drosselung des inländischen Konsums zu verhältnismäßig niedrigen Inflationsraten, die die internationale Konkurrenzfähigkeit der deutschen Produzenten vor allem im Verhältnis zu ihren Konkurrenten in der EU verbesserte. Den Ländern mit höheren Inflationsraten war in der Eurozone der Weg verwehrt, durch eine Abwertung ihrer Währung ihre internationale Konkurrenzfähigkeit zu verteidigen. Zweitens führten die niedrigen Inflationsraten in Deutschland auch zu einem niedrigeren inländischen Zinsniveau. Deutsche Unternehmen konnten sich also günstiger refinanzieren als ihre Konkurrenten in Ländern mit höheren Zinsen. Drittens konzentrierten sich die deutschen Hersteller erfolgreich auf das sogenannte Premiumsegment des Automobilmarktes, also relativ teure Fahrzeuge mit einer relativ großen Gewinnspanne.

Schon vor der Covid-19-Pandemie setzte jedoch ein Trendbruch ein. Die inländische Produktion, die von 2010 bis 2018 stets mehr als 5 Millionen Pkw pro Jahr betrug, sank von einem Höchststand von 5,7 Millionen im Jahr 2016 auf nur noch 3,1 Millionen im Jahr 2021. Nach der Pandemie stieg die Produktion wieder, ohne jedoch ihr früheres Niveau zu erreichen. 2024 betrug sie knapp 4,1 Millionen Pkw (vgl. VDA o. J.). Die Zahl der Beschäftigten in der Branche sank auf 773 000 im Jahr 2024 (vgl. Destatis o. J.). Der Rückgang der Zahl der Beschäftigten um 61 000 entspricht fast genau dem Rückgang der Zahl der Beschäftigten im gesamten verarbeitenden Gewerbe (s. o.). Die wirkliche Bedeutung der Autoindustrie spiegelt sich in diesen Zahlen nur teilweise wider, denn große Teile der Metallerzeugung und -verarbeitung, der chemischen Industrie, des Maschinenbaus, der Halbleiterindustrie und weiterer Branchen sind von der Autoindustrie abhängig. Wir haben es hier mit einer veritablen Branchenkrise zu tun. Die Automobilhersteller VW, Mercedes, BMW, Ford und Opel und zahlreiche Zulieferer wie Bosch, Continental, Schaeffler, Schuler, Valeo oder ZF haben den Abbau Zehntausender weiterer Arbeitsplätze in den nächsten Jahren angekündigt.

In der Autoindustrie kommen verschiedene Probleme zusammen: das angekündigte Aus des Verbrennungsmotors, der technologische Rückstand der deutschen Hersteller gegenüber Unternehmen in den USA und China bei der Batterietechnologie, der Digitalisierung der Fahrzeugsteuerung und dem autonomen Fahren, der erratische Kurs der deutschen Regierungspolitik bei der Schaffung der Rahmenbedingungen für die digitale und ökologische Transformation, Kaufkraftverluste und Kaufzurückhaltung aufgrund zeitweilig hoher Inflationsraten, die mangelnde Produktion erschwinglicher kleiner Elektroautos aufgrund der Profitstrategien der deutschen Hersteller, die bisher auf den Verbrennungsmotor und die Premiumklasse ausgerichtet waren, der durch US-Präsident Trump entfesselte Handelskrieg und die deflationären Tendenzen in China.

»Während die globale Finanzkrise und die Coronakrise noch mit einer Mischung aus Kurzarbeit, Entlassung von Leiharbeiter*innen, Ausnutzung der »natürlichen Fluktuation« etc. bewältigt wurden, stehen nun tiefere Einschnitte an.«

Durch die geplante Umstellung vom Verbrennungs- auf den Elektromotor werden ganze Produktionsbereiche obsolet. Elektro­autos benötigen kein Getriebe und keine Auspuffanlage. Eine Studie des Verbands der Automobilindustrie (VDA) schätzt, dass von 2019 bis 2030 etwa ein Drittel der Arbeitsplätze in der Produktion von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeugteilen wegfällt. Der VDA kalkulierte allerdings, dass gleichzeitig 110 000 Arbeitsplätze durch wachsende Bereiche, die für die Elektrifizierung und Digitalisierung der Fahrzeuge notwendig sind, entstehen könnten. Dennoch bliebe ein erheblicher Arbeitsplatzverlust aufgrund des per Saldo schrumpfenden Arbeitsvolumens, das für die Autoproduktion notwendig ist.

Um den Rückstand gegenüber der US-amerikanischen und chinesischen Industrie aufzuholen, sind hohe Investitionen notwendig. Dies stellt die Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen. Ihre Reaktion unterscheidet sich von den in den vergangenen Jahrzehnten eingeübten Mustern der Krisenbewältigung. Während die globale Finanzkrise und die Coronakrise noch mit einer Mischung aus Kurzarbeit, Entlassung von Leiharbeiter*innen, Ausnutzung der »natürlichen Fluktuation« etc. bewältigt wurden, stehen nun tiefere Einschnitte an. Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen zur Beschäftigungssicherung werden von den Unternehmen aufgekündigt, Massenentlassungen und Werksschließungen stehen plötzlich auf der Tagesordnung, größere Lohnsenkungen werden gefordert, ohne dass Gegenleistungen in Aussicht gestellt werden.

Besonders beunruhigend: Auch Bereiche, die für die digitale und ökologische Transformation benötigt werden, sind vom Abbau betroffen. So will der Autozulieferer ZF, der seine modernsten elektronischen Lenksysteme (steer-by-wire) inzwischen in China produziert, seine Entwicklungsabteilungen für Elektronik hierzulande abstoßen und die Sparte für Elektromobilität ausgliedern. Gründe sind die geringe Auslastung der Werke und die mangelnde Amortisierung der Investitionen, weil sich Elektroautos in Deutschland nicht wie geplant verkaufen.

Wachsende Zweifel an der »grünen« Transformation – Beispiel Stahlindustrie

Der notwendige ökologische Umbau der Industrie, der Industriearbeitsplätze sichern könnte, stößt in verschiedener Hinsicht auf Schwierigkeiten. Die Versuche der Bundesregierung, die einheimischen Großunternehmen durch eine stärkere Industriepolitik im Hinblick auf die weitere Digitalisierung und den »grünen« Industrieumbau gezielt zu fördern, riefen Widerstände innerhalb des deutschen Machtblocks hervor. Insbesondere das nichtmonopolistische Kapital, die kleinen und mittleren Unternehmen, befürchteten, dass ihnen diese Subventionen nicht zugutekommen würden und sie letztlich durch höhere Steuern negativ getroffen würden. Neoliberale Ideolog*innen sind per se gegen eine staatliche Industriepolitik. Die bisherigen Regierungen setzten klimapolitisch vor allem auf eine CO2-Bepreisung, versäumten es aber, die subalternen Klassen durch soziale Ausgleichsmaßnahmen für steigende Preise einzubinden. Nach dem Scheitern der Ampelkoalition blieb es der neuen Koalition von Union und SPD überlassen, die Widerstände gegen höhere staatliche Investitionen im Bereich der Infrastruktur und die stärkere Subventionierung von Großunternehmen zu überwinden. Dass nun im Laufe der nächsten Jahre durch eine zusätzliche Kreditaufnahme 500 Milliarden Euro für staatliche Infrastrukturinvestitionen mobilisiert werden können, ist allerdings auch keine hinreichende Bedingung für eine ökologische Transformation. Es sind vor allem private Investitionsentscheidungen, von denen abhängt, wie sich der deutsche Produktionsapparat entwickelt. Und hier zeigt sich, dass auch die Strategien der maßgeblichen Großunternehmen, die die Hauptprofiteure staatlicher Subventionen sind, nicht klar auf den ökologischen Umbau ausgerichtet sind. Sich verändernde und unsichere Weltmarktbedingungen erschweren auch die notwendigen langfristigen Investitionsentscheidungen.

Aus all diesen Gründen stößt die Durchsetzung des Projekts »grüner Kapitalismus« in Deutschland auf Schwierigkeiten. Ein Beispiel: Thyssenkrupp sollte zwei Milliarden Euro für den Bau und Betrieb einer neuen Direktreduktionsanlage für »grünen« Stahl in Duisburg von der Bundesregierung und dem Land Nordrhein-Westfalen erhalten. Der Konzern selbst wollte eine Milliarde Euro investieren. Die Europäische Kommission genehmigte die Beihilfen im Juli 2023. Wenig später wurde die Realisierung der Pläne jedoch in Zweifel gezogen. Die erwarteten Kosten für die neue Anlage waren inzwischen gestiegen. Aktionärsvertreter*innen und Branchenexpert*innen bezweifelten zudem, dass überhaupt genügend günstiger Strom bzw. »grüner« Wasserstoff für die Stahlproduktion zu akzeptablen Preisen produziert oder importiert und dass »grüner« Stahl in Deutschland profitabel produziert werden kann. Der Konzern schrieb aufgrund der weltweiten Überkapazitäten in der Stahlproduktion 2023 und 2024 Verluste. Den chinesischen Stahlherstellern werden Dumpingpreise vorgeworfen; die US-Regierung versucht, ihre Stahlindustrie mit Einfuhrzöllen zu schützen. Die EU kritisiert einerseits die US-Zölle, neigt aber selbst zum Protektionismus gegenüber China. In der EU ist die Stahlproduktion, die vor der Covid-19-Pandemie bei 160 Millionen Tonnen im Jahr lag, auf 126 Millionen Tonnen im Jahr 2023 gesunken. Während die Produktionskosten aufgrund steigender Energiepreise und der CO2-Bepreisung gestiegen sind, sind die Preise aufgrund der Überkapazitäten und sinkenden Nachfrage gefallen. Dies hat zu rückläufiger Produktion geführt, und die ­mangelhafte Kapazitätsauslastung drückt zusätzlich auf die Profitabilität. Inzwischen ist Thyssenkrupp dabei, die Hälfte der Anteile an der Stahlsparte an den tschechischen ­Milliardär Daniel Křetínský zu verkaufen. Zudem will der Konzern die Produktionskapazität senken und 11 000 Stellen abbauen oder ­auslagern. Dies zeigt: Auf die Eigentümer*innen des Konzerns ist bei der Transformation hin zur »grünen« Stahlproduktion kein Verlass.

Vom »Green Deal« zum Militärkeynesianismus?

Die ambitionierte ökologische Modernisierung der selbsternannten »Fortschrittskoalition« von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP scheiterte vorzeitig an vielfältigen Widersprüchen und Widerständen. Parallel führte der Ukrainekrieg zu einer deutlichen Verschiebung der Prioritäten bei den Herrschenden – der »Green Deal« trat in den Hintergrund, während mit der Aufrüstung ein neues Projekt an Bedeutung gewann, hinter dem sich die verschiedenen Fraktionen des Machtblocks, die Wirtschaftsverbände und die staatstragenden Parteien vereinen konnten.

Wachsende staatliche Militärausgaben erhöhen zwar die Nachfrage in der Rüstungsindustrie und den vorgelagerten Industrien – manche sprechen deswegen auch von »Rüstungskeynesianismus« –, doch bewirken sie keine allgemeine Verbesserung der Produktionsbedingungen des Kapitals. Anders sieht es bei Investitionen aus, die die Arbeitsproduktivität bei der Produktion derjenigen Waren, die die Lohnabhängigen konsumieren, steigern. Investitionen, die die Reproduktion der Arbeitskraft rationeller gestalten, können letztlich zu einer Erhöhung des relativen Mehrwerts führen und so dem Kapital zugutekommen. Vom Standpunkt der Lohnabhängigen sind Investitionen in das Bildungs- oder Gesundheitswesen in jedem Fall einer Erhöhung der Militärausgaben vorzuziehen. Die gegenwärtigen Diskurse lassen jedoch befürchten, dass ein Großteil der staatlichen Mittel in die weitere Militarisierung fließt.

»Der Arbeitsplatzabbau droht auch zu einer Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse zu führen. Die Lohnabhängigen und ihre Gewerkschaften könnten massiv geschwächt werden.«

Nicht nur die Militarisierung, sondern auch Großprojekte wie etwa der Versuch, mit Milliardensubventionen den Anteil der globalen Chipproduktion in Deutschland zu erhöhen, müssen kritisch betrachtet werden. Zum einen wird die erwünschte »strategische Autonomie« Deutschlands und der EU nicht erhöht, wenn US-amerikanische Konzerne staatlich gefördert werden, wie dies bei Intel in Magdeburg oder Wolfspeed im Saarland geplant war. Zum anderen stellt sich die Frage, ob durch derartige Subventionen eine ausgewogenere Produktionsstruktur ­geschaffen wird oder ob nicht vielmehr eine problematische Spezialisierung – etwa im Bereich der Produktion von Autos der Premiumklasse – weiter verstärkt wird. Das neue Chipwerk von TSMC, Bosch, Infineon und NXP Semiconductor in Dresden soll jedenfalls vor allem Chips für die Autoindus­trie produzieren.

Fazit

Die gegenwärtige Krise führt offenbar zu einer erheblichen Schrumpfung der energieintensiven Schwerindustrie und der für den hiesigen Kapitalismus zentralen Automobilindustrie. Der Arbeitsplatzabbau droht auch zu einer Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse zu führen. Die Lohnabhängigen und ihre Gewerkschaften könnten massiv geschwächt werden. Letztlich könnte mit den industriellen Beziehungen die gesamte bisherige Entwicklungsweise des Kapitalismus in Deutschland zur Disposition stehen. Die deutsche Politik ist weiterhin stark auf die Förderung der Autoindustrie und zunehmend auf die Aufrüstung fokussiert. Eine vorwiegend auf diese Industrien fixierte Produktionsstruktur ist jedoch unter sozial-ökologischen Gesichtspunkten ebenso problematisch wie eine Deindustrialisierung. Die sozialistischen Kräfte haben die Aufgabe, den Krisenstrategien des Kapitals entgegenzutreten, die Zerstörung des Produktionsapparats zu verhindern und den Kampf für die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die ökologische und zivile Konversion der Produktion voranzutreiben.

[1]   Die letzten zur Verfügung stehenden Daten beziehen sich auf das Jahr 2022. 

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