Nachdem eine klimapolitische Wende in der Regierungszeit der Union jahrelang verschleppt worden war, keimte nach der Bundestagswahl 2021 Hoffnung auf, dass die selbst ernannte Fortschrittskoalition neben progressiver Gesellschaftspolitik endlich auch die nötige sozial-ökologische Wende entschieden angehen würde. Und tatsächlich hat die Bundesregierung einige wichtige Projekte auf den Weg gebracht: die Abkehr von der Kohlenutzung, den Ausbau der erneuerbaren Energien, mit dem Heizungsgesetz Ansätze einer Wärmewende.

Auf der anderen Seite droht Deutschland seine Klimaziele bis 2030 zu verfehlen (Expertenrat für Klimafragen 2024). Bei der Stromproduktion beispielsweise ist der Anteil der Erneuerbaren zwar weiter angestiegen. Im ersten Halbjahr 2024 machte er laut Statistischem Bundesamt (2024) erstmals mehr als 61,5 Prozent des gesamten Energiemixes aus. Gleichzeitig bleibt Kohle der zweitwichtigste Energieträger im Strommix. Durch den Ausbau von LNG-Terminals werden fossile Energieträger weiter gefördert. Und das obwohl die Erdgaspreise seit Ende 2022 gesunken sind und laut Expert*innen eine stabile Gasversorgung zu keinem Zeitpunkt gefährdet war (DIW 2024). Insbesondere der Verkehrs- und Gebäudesektor hinken deutlich hinterher (vgl. Climate Action Tracker, August 2024). So gibt die Bundesregierung noch immer rund 15,5 Milliarden Euro für die klimaschädlichen Dieselsteuer- und Dienstwagenprivilegien aus, anstatt sie etwa zur Finanzierung eines konstant bleibenden Preises für das 49-Euro-Ticket und die Sanierung des Schienennetzes durch feste Haushaltsmittel zu nutzen.

 

»Durch den Ausbau von LNG-Terminals werden fossile Energieträger weiter gefördert. Und das obwohl die Erdgaspreise seit Ende 2022 gesunken sind und eine stabile Gasversorgung zu keinem Zeitpunkt gefährdet war.«

Für eine echte Energie- und Verkehrswende müssen Bundesregierung und Industrie konsequent auf erneuerbare Energien setzen und sie weiter ausbauen. Mit Fördermaßnahmen für die Dekarbonisierung großer Unternehmen sowie des Mittelstands bringt die Regierung die ökologische Transformation der Wirtschaft voran. Neben finanzieller Förderung braucht es jedoch klare Rahmenbedingungen von der Politik. Die Unternehmen selbst müssen verpflichtet werden, konkrete Transformationspläne vorzulegen, wie der Umbau gelingen soll, ohne dass am Ende die Beschäftigten darunter leiden.

Die Ampelkoalition unter Kanzler Scholz hat es jedoch wie schon die Vorgängerregierung versäumt, die großen Konzerne stärker in die Pflicht zu nehmen. Für die Dekarbonisierung der Wirtschaft braucht es massive Investitionen in die klimaneutrale Transformation. Viele der Unternehmen, insbesondere im Transportsektor, könnten die erforderlichen Investitionen aus ihren eigenen Gewinnen decken – ohne staatliche Subventionen oder Steuererleichterungen (vgl. Oxfam Deutschland/Finanzwende 2021). Dennoch werden selbst die finanzstärksten deutschen Konzerne von der Bundesregierung massiv subventioniert, die Gesamtsumme der Subventionen ist über die vergangenen Jahre sogar deutlich angestiegen. Zu den größten Empfängern gehören der Energiekonzern E.ON, gefolgt von Volkswagen und Energieversorger RWE. E.ON und RWE erhielten zwischen 2016 und 2023 mehr Subventionen als sie Steuern zahlten (FvS 2024).

Gleichzeitig steigen die Gewinnausschüttungen der großen Konzerne an ihre Aktionär*innen weiter an. In Deutschland lagen die Ausschüttungen der DAX-Konzerne 2024 mit 53,8 Milliarden Euro auf Rekordniveau (EY 2024). Und während Dividenden hierzulande zwischen 2020 und 2023 um 27 Prozent stiegen, sanken die Reallöhne um 12 Prozent (Oxfam Deutschland 2024).

Das »sozial« in sozial-ökologische Transformation fehlt

Beim Heizungsgesetz zeigte sich, was passiert, wenn bei klimapolitischen Maßnahmen die sozialen Auswirkungen zu wenig bedacht werden. Als der Gesetzesentwurf von Wirtschaftsminister Habeck vorzeitig an die Öffentlichkeit kam, wurden keine Ideen kommuniziert, wie die Haushalte beim Einbau einer Wärmepumpe finanziell unterstützt werden sollten. Um in der breiten Bevölkerung Akzeptanz für wichtige Klimaschutzmaßnahmen zu schaffen, müsste aber sozialer Ausgleich von Anfang an mitgedacht werden. Auch das Klimageld, das die Koalition als Instrument des sozialen Ausgleichs im Koalitionsvertrag vereinbart hatte, wird in dieser Legislatur nicht mehr umgesetzt. Das ist fatal.

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Auf internationaler Ebene hat die Bundesregierung gemeinsam mit den übrigen wirtschaftlich privilegierten Ländern zugesagt, jährlich rund 100 Milliarden US-Dollar an einkommensschwache Länder zu zahlen, um den Klimaschutz und die Anpassung an die klimatischen Veränderungen zu fördern. Tatsächlich wurden 2022 zwar auf dem Papier 116 Milliarden US-Dollar erreicht, der Großteil dieser Gelder kam allerdings in Form von Krediten, die oft nicht einmal zinsvergünstigt bereitgestellt werden. Die tatsächlich erbrachte Leistung der wirtschaftlich privilegierten Länder betrug 2022 vermutlich nur zwischen 28 und 35 Milliarden, also effektiv bis zu 88 Milliarden US-Dollar weniger als berichtet (Kowalzig 2024).

Jetzt droht weiterer Ärger: Die restriktive Haushaltspolitik der Ampelregierung wird zu weiteren Kürzungen im Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung führen und damit auch zu Kürzungen bei der Klimafinanzierung. Auch auf globaler Ebene wird so der ohnehin unzureichende Beitrag Deutschlands zu einer sozial gerechten Klimapolitik noch unsicherer. Das Ausmaß sozialer Ungleichheit im Zusammenwirken mit der Klimakrise und die daraus resultierenden konkreten Probleme auf nationaler und globaler Ebene sind sehr unterschiedlich. Was sich gleicht: Diejenigen, die für die Krise am wenigsten können, sind viel massiver von ihr betroffen als diejenigen, die dafür am meisten Verantwortung tragen.

Die Verantwortung für die Klimakrise tragen die Reichen

Hauptverantwortlich für die derzeitige Situation sind die wirtschaftlich privilegierten Länder des Globalen Nordens wie Deutschland, die fossilen Konzerne, die weiter an ihren zerstörerischen Geschäftsmodellen festhalten, und superreiche Einzelpersonen, die durch ihren Konsum und klimaschädliche Investitionen die Klimakrise weiter vorantreiben. Betrachtet man die Treibhausgasemissionen nach Ländern, sind die reichen Industrieländer für rund die Hälfte aller Treibhausgase seit 1850 verantwortlich (Oxfam 2023). Die Emissionen lassen sich auf sehr wenige, dafür aber sehr große Akteure zurückführen: Nur 78 private oder staatliche Unternehmen der fossilen Energieindustrie sind für über 70 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen seit Beginn der Industrialisierung verantwortlich (Oxfam Deutschland 2024). Weltweit investieren fossile Energiekonzerne weiterhin in Kohle, Erdöl und Erdgas und machen damit Rekordgewinne. Global gesehen ist eine nennenswerte Reduktion der Öl- und Gasproduktion nicht absehbar. Obwohl sich die Staaten auf der Weltklimakonferenz 2023 auf eine Abkehr von fossilen Energien geeinigt hatten, vermeldeten die Öl- und Gaskonzerne im ersten Halbjahr 2024 erneut hohe Gewinne. Diese Milliarden investieren sie nicht in die Energiewende, sondern schütten sie zu einem großen Teil an ihre Aktionär*innen aus (Focus Online, 9.8.2024). Auch auf globaler Ebene müssen deshalb klare politische Rahmenbedingungen für eine Abkehr von fossilen Energien geschaffen werden.

Auch auf individueller Ebene bestehen große Unterschiede: Je reicher die Menschen, desto mehr Emissionen haben sie durch häufigere Flugreisen, größere Wohnungen und insgesamt höheren Konsum zu verantworten. Die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung verursachten 2019 rund die Hälfte aller weltweiten CO2-Emissionen. Zu diesen reichsten zehn Prozent gehören rund 53 Prozent der Deutschen. Aber auch innerhalb Deutschlands unterscheiden sich die Verantwortlichkeiten für die Klimakrise deutlich: Das reichste Prozent war 2019 für durchschnittlich 83,3 Tonnen CO2-Emissionen pro Kopf und Jahr verantwortlich (Oxfam 2023).

Dass die reichen Länder, die fossilen Konzerne und superreiche Einzelpersonen die Hauptverantwortung für die Klimakrise tragen, ist kein Zufall. Die weltweite Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und der Arbeitnehmer*innen sowie die kurzfristigen Renditeerwartungen erzwingen hohe Gewinne. Und die lassen sich nur auf Kosten von langfristigen Investitionen in die ökologische Transformation der Unternehmen, der Löhne der Arbeitnehmer*innen sowie der Einhaltung von Menschenrechten entlang der Lieferketten erzielen. Die einseitige Orientierung der Konzerne an Gewinnen und die Abhängigkeit von ständigem Wirtschaftswachstum bleiben auch weiterhin Hauptursachen für Klimakatastrophe, Umweltzerstörung und extreme soziale Ungleichheit.

Ungleichheit und Klimakrise befeuern sich gegenseitig

Extreme ökonomische Ungleichheit und Klimakrise verschärfen sich gegenseitig. Die Folgen der rasant voranschreitenden Klimakrise sind global enorm ungleich verteilt. In vielen Ländern, vor allem im Globalen Süden, leben Menschen mit geringerem Einkommen oft in Gebieten, die anfälliger sind für Überschwemmungen, Starkregen, Hitzestress und Stürme und in Gebäuden, die mitunter nicht einmal ein Mindestmaß an Sicherheit, etwa gegen Überschwemmungen, bieten (UNFCCC 2022). Dazu kommt, dass viele Menschen mit geringem Einkommen keine Ersparnisse und keinen Zugang zu sozialen Sicherungssystemen haben, um die Folgen einer Notlage abfedern zu können (Oxfam 2013). Die ­Klimakrise verschärft schon jetzt die Ungleichheit zwischen den reichsten und den wirtschaftlich marginalisierten Ländern deutlich, nach einer Studie von 2019 um etwa 25 Prozent (Beuret 2019).

Während der Reichtum der Milliardär*in-nen seit 2020 um gut ein Drittel angewachsen ist, sind 60 Prozent der Menschheit ärmer geworden. Weltweit besitzen Männer 105 Billionen US-Dollar mehr Vermögen als Frauen – der Vermögensunterschied entspricht mehr als der vierfachen Größe der ­US-Wirtschaft (Oxfam 2024). Diese zunehmende soziale Ungleichheit stellt Gesellschaften vor immer größere Zerreißproben. Sie untergräbt die Demokratie, verstärkt geschlechtsspezifische und rassistische Diskriminierung und befeuert die Klima­krise. Und während sich hohe Einkommen und Vermögen zunehmend in wenigen privaten Händen konzentrieren, kürzen viele Regierungen die Gelder für die öffentliche soziale Infrastruktur. Unter anderem wegen steigender Schulden planten 2022 laut Berechnungen von Oxfam drei Viertel der Regierungen in den darauffolgenden Jahren Ausgabenkürzungen, die sich insgesamt auf 7,8 Billionen US-Dollar belaufen. Armut und soziale Ungleichheit werden dadurch weiter zunehmen (ebd.).

Umverteilung als erster Schritt

Ökologische Transformation und soziale Fragen gehören zusammen, Klimaschutz geht nur mit Umverteilung. Wenn Maßnahmen für eine ökologische Transformation für die einkommensschwache Bevölkerung nicht abgefedert werden und die öffentliche Infrastruktur immer weiter kaputtgespart wird, dann wird die Frustration in der Bevölkerung immer mehr zunehmen. Und wenn gleichzeitig die Gewinne großer Unternehmen steigen, werden die Akzeptanz für die Transformation und das Vertrauen in die Politik weiter schwinden.

Die sogenannte Fortschrittskoalition hat durchaus einige wichtige Schritte angestoßen. Ohne die restriktive Haushaltspolitik des Finanzministers Lindner und die un­konstruktive Zusammenarbeit innerhalb der Koalition und mit dem nötigen politischen Willen wäre aber deutlich mehr in Sachen sozial-ökologische Wende möglich gewesen. Um der gegenseitigen Verschärfung von ökonomischer Ungleichheit und Klimakrise tatsächlich entgegenzuwirken, muss die kommende Bundesregierung eine sozial gerechte Transformation durchsetzen, die Konzerne und superreiche Einzelpersonen endlich stärker in die Verantwortung nimmt und Deutschlands Schuldigkeit für die Klimakrise gerecht wird.

Allerdings sieht es danach nicht aus. Was schon die Ampel nicht schafft, scheint noch unwahrscheinlicher in Zeiten des konservativen Backlashs und des Rechtsrucks. Während in den 2010er-Jahren immerhin eine grün-kapitalistische Wende möglich schien, sind wir in einer Zeit angekommen, in der es offenbar darum geht, den Status quo so gut wie möglich zu verteidigen. Das ist aber eine verheerende Sackgasse: Wollen wir die globale Zukunft sozial und ökologisch gerecht gestalten, brauchen wir ein gerechteres Wirtschaftssystem, in dem das Gemeinwohl mehr zählt als Profitmaximierung um jeden Preis. Wir müssen weg vom Paradigma möglichst hohen Wachstums, das zur Ausbeutung der natürlichen Ressourcen führt und die Klimakrise weiter eskaliert.

Ein erster Schritt in die richtige Richtung heißt Umverteilung. Denn das Geld ist da. Insbesondere gigantischer, bei vergleichsweise wenigen Menschen konzentrierter Reichtum muss stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens und der sozial-ökologischen Transformation genutzt werden. Eine progressive Vermögenssteuer ab einem Besitz von knapp 5 Millionen Euro beispielsweise könnte laut Oxfam-Berechnung allein in Deutschland 85,2 Milliarden Euro einbringen. Zudem braucht es eine Wende in der Haushaltspolitik, also eine Abkehr von der Schuldenbremse bei gleichzeitiger Abschaffung unnötiger klimaschädlicher Subventionen für die Wirtschaft. Die frei gewordenen Mittel könnten in Infrastruktur, öffentliche Daseinsvorsorge und sozial-ökologische Maßnahmen sowie in ausreichende Klimafinanzierung fließen.

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