Jede Person, die einmal kommunalpolitisch aktiv war, weiß: Kommunalpolitik ist wahnsinnig zeitintensiv, zäh, kleinteilig und manchmal auch frustrierend. Aber sie lohnt sich und ist essenziell für unser Ziel einer sozialistischen Gesellschaft. Denn in den Kommunen wird über jene Dinge entschieden, die einen unmittelbaren Einfluss auf das Leben der Menschen haben. Hier werden die großen gesellschaftlichen Konflikte wie die Gesundheitsversorgung, die Armutsbekämpfung, der Klimaschutz, die ÖPNV-Anbindung oder der Kampf für bezahlbare Mieten konkret. Hier werden sie direkt miteinander verhandelt. Hier können wir unmittelbar mit den Menschen nach Lösungen suchen, Ideen entwickeln und um Veränderung ringen. 

Kommunalpolitik muss sich positionieren 

Wirklich bewusst wurde mir die Verbindung zu den großen Gesellschaftsfragen, als Potsdam auf Initiative unserer Linksfraktion im Jahr 2021 eine zweijährige Patenschaft für die Rettungsmissionen der SEA-EYE 4 im Mittelmeer übernahm. Mit 10 000 Euro jährlich unterstützte die Landeshauptstadt Potsdam damit nicht nur die Seenotrettung finanziell, sondern stellte sich in Zeiten zunehmender Kriminalisierung und juristischer Verfolgung der Crews auf den Rettungsschiffen an ihre Seite und bekannte sich zu Humanität und Solidarität. Ein Beschluss, der sowohl ganz reale finanzielle Auswirkungen als auch einen symbolischen Wert hatte – nicht nur für die Rettungsteams im Mittelmeerraum, sondern insbesondere für die Geflüchteten sowie die zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Stadt. Kommunalpolitik hat also die Verantwortung, sich zu positionieren, selbst wenn, wie in diesem Fall, die Grundsätze der Asylpolitik auf bundesdeutscher bzw. europäischer Ebene verhandelt werden. 

»Linke Kommunalpolitik zieht ihre Stärke aus der Verankerung vor Ort. Nur gemeinsam mit Anwohner*innen, Wohlfahrtsverbänden, sozialen Trägern, Kulturvereinen und in möglichst breiten zivilgesellschaftlichen Bündnissen lassen sich Ziele erreichen.«

Ähnlich verhält es sich in vielen anderen Politikfeldern. So können wir zwar weder die Gesundheits- noch die Wohnungs- oder Sozialpolitik in den Kommunen von Grund auf reformieren, aber wir können dafür sorgen, dass die Privatisierung von Kliniken verhindert, Immobilienspekulanten aus unseren Kommunen vergrault und ein dichtes soziales Unterstützungsnetzwerk organisiert wird. Immer wieder habe ich dabei in den letzten Jahren gelernt: Linke Kommunalpolitik zieht ihre Stärke aus der Verankerung vor Ort. Nur gemeinsam mit Anwohner*inneninitiativen, Wohlfahrtsverbänden, sozialen Trägern, Kulturvereinen etc. und am besten in möglichst breiten zivilgesellschaftlichen Bündnissen lassen sich Ziele erreichen. Die Macht für tiefgreifende politische Veränderungsprozesse ist nicht in den Ratssälen oder Plenarsälen, in denen die Mehrheitsverhältnisse feststehen, zu finden. Sie liegt in der Organisierung und Zusammenarbeit mit Nachbar*innen und außerparlamentarischen Kräften. Die Arbeit politischer Mandatsträger*innen darf sich daher nicht auf die Teilnahme an Sitzungen oder die Erarbeitung von Anträgen, Anfragen, Pressemitteilungen und Reden beschränken. Wirksamkeit entfaltet sie erst im Zusammenspiel mit den Menschen. 

Erfolgreich mit Verankerung vor Ort…

Beispiele dafür gibt es unzählige: So waren es Jugendliche, die bei einer Diskussionsrunde des Stadtjugendrings in Potsdam ein kostenloses Schüler*innenticket gefordert haben. Damit haben sie maßgeblich das gedeckelte Ticket in Höhe von 15 Euro pro Monat, das wir der SPD abringen konnten, initiiert. Es war eine Anwohner*inneninitiative, die in Potsdam nach Verkauf des angrenzenden RAW-Geländes an einen Großinvestor aus Angst vor Verdrängung aus ihrem Kiez Milieuschutz forderte. Damit gab sie den Startschuss zur Erarbeitung der ersten beiden Sozialerhaltungssatzungen in ganz Brandenburg. Und es war ein stadtweites Bündnis aus Sozialträgern, das wiederholt gemeinsam auf die Straße ging, um Kürzungen bei einzelnen von ihnen abzuwenden. Ihr Grundsatz: Wir verbünden uns, um nicht gegeneinander ausgespielt zu werden. Der Plan ging auf. So konnten wir erst das Selbsthilfe-, Kontakt- und Informationszentrum SEKIZ retten und ein Jahr später den eklatanten Kürzungshaushalt der Stadt abwenden, der die komplette Sozialinfrastruktur zerstört hätte. Unsere Rolle als Linksfraktion war bei all diesen Erfolgen stets die gleiche. Wir haben die Proteste von Anfang an begleitet, mit den Akteuren gemeinsam Strategien entwickelt, unsere Unterstützung öffentlich gemacht, immer und immer wieder Druck auf die Stadtverordnetenversammlung ausgeübt, Nachfragen gestellt, Anträge eingebracht und andere Fraktionen animiert, die Vorhaben zu unterstützen. Das ist die eigentliche Arbeit von (kommunalen) Mandatsträger*innen. Auf ihr muss die oberste Priorität liegen. 

»Es waren Jugendliche, die ein kostenloses Schüler*innenticket gefordert haben. Sie haben maßgeblich das gedeckelte Ticket in Höhe von 15 Euro pro Monat, das wir der SPD abringen konnten, initiiert.«

Dabei droht die Dichte der Anforderungen die (kommunalen) Mandatsträger*innen ständig zu überrollen: Fraktions- und Ausschusssitzungen, Beiräte, Arbeitsgruppen, Besprechungstermine, Aufsichtsräte. Zuweilen ist das Ehrenamt nicht nur abendfüllend, sondern so zeitintensiv wie ein zweiter Vollzeitjob. Häufig fehlt dann vor allem die Zeit für die Partei, für die Arbeit in Bündnissen, mit Bewegungen oder im eigenen Kiez. Doch genau hier zu sparen ist falsch, weil ohne all dies keine gemeinsame Politikentwicklung stattfinden kann. Es bleibt nur eine Option: Prioritäten setzen. Als Fraktion haben wir daher nach der letzten Kommunalwahl 2024 zwei Maßnahmen ergriffen: Erstens haben wir alle Termine, die nicht von den Stadtverordneten selbst wahrgenommen werden müssen, auf mehr Schultern und an Genoss*innen verteilt, die Interesse an den entsprechenden Themen haben bzw. selbst davon betroffen sind. Zweitens haben wir uns bei jeder Sitzung gefragt: Was trägt sie dazu bei, unserem Ziel einer sozialen und solidarischen Stadt näherzukommen? Ist die Frage nicht eindeutig beantwortbar, beweisen wir Mut zur Lücke, um volle Kapazitäten für die Hauptkonflikte zu haben. Und die heißen: Bekämpfung der Wohnungskrise, der Armut und eines immer stärkeren Auseinanderdriftens der Stadt. Gleichzeitig ist die Verantwortungsteilung eine zusätzliche Möglichkeit, Aktive und ihre Expertise einzubinden. Auch das erweitert die Wirkung in der Partei und der Stadtgesellschaft. 

… und Verbündeten in der Verwaltung

Doch es sind nicht nur die zeitlichen Ressourcen, die Mandatsträger*innen vor Herausforderungen stellen. Hinzu kommt die Abhängigkeit von der Verwaltung. Immer wieder werden Informationen gar nicht und nicht rechtzeitig weitergeleitet, werden Fakten geschaffen, die der Intention der Kommunalpolitiker*innen zuwiderlaufen, oder es wird sich schlichtweg geweigert, demokratisch gefällte Beschlüsse umzusetzen. Verwaltungsmitarbeiter*innen nutzen leider zuweilen ihre Machtpositionen gegenüber ehrenamtlich tätigen Mandatsträger*innen aus. So mussten wir inzwischen mehrmals Beschlussvorlagen in die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung einbringen, die unseren Mittagessendeckel in der Höhe von 3,90 Euro verteidigten, weil die Verwaltung ihn durch eine restriktive Auslegung des Antrags (Schuljahr vs. Kalenderjahr) auslaufen lassen wollte. Meine Erfahrung ist: Es hilft, sich Verbündete in der Verwaltung zu suchen und bei Blockadehaltung besonders beharrlich zu sein bzw. über die Beigeordneten oder Bürgermeister*innen selbst Forderungen zu artikulieren. Der letzte Oberbürgermeister Potsdams ist bei uns unter anderem aufgrund der fehlenden Umsetzung von Beschlüssen in die Kritik geraten und schlussendlich abgewählt worden. 

»Wir müssen uns in den kommenden Jahren auf permanente Abwehrkämpfe einstellen und dürfen dabei doch nicht den Fokus darauf verlieren, dass wir für eine grundlegend andere Gesellschaft kämpfen.«

Das letzte Jahr zeigt: Linke Kommunalpolitik wird in den nächsten Jahren noch stärker als bisher unter Druck geraten. Die Zeichen der Zeit stehen vom Bund bis zu den Kommunen auf vermeintlich unumgänglichen Kürzungszwängen. Gekürzt wird zuallererst beim sozialen Zusammenhalt. Egal ob soziale Beratungs- oder Bildungsangebote, Freibäder, Jugendclubs, Kultureinrichtungen und Nachbarschaftshäuser – alles, was nicht zu den sogenannten pflichtigen Leistungen gehört, wird infrage gestellt und weggekürzt. Dabei sind die Auswirkungen fatal: Gesellschaftliche und soziale Konflikte verschärfen sich, die Schere zwischen Arm und Reich geht noch weiter auseinander und die finanzielle Ausstattung der Elternhäuser entscheidet über die Zukunftsaussichten von Kindern und Jugendlichen. Wir müssen uns in den kommenden Jahren auf permanente Abwehrkämpfe einstellen und dürfen dabei doch nicht den Fokus darauf verlieren, dass wir für eine grundlegend andere Gesellschaft kämpfen. Wir dürfen uns nicht in der Verwaltung des Mangels verlieren, sondern müssen die Hoffnung und die Perspektive auf eine solidarische Gesellschaft außerhalb kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse und Profitgier organisieren. 

Solidarische Räume schaffen

Entscheidend dafür ist die Etablierung solidarischer Räume, in denen diejenigen, die sich mit massiven Angriffen konfrontiert sehen, Unterstützung erfahren, gegenseitig stärken und verbünden können. Uns als Linken kommt die Aufgabe der Organisation dieser Räume zu. Natürlich haben unsere Mandatsträger*innen in ihnen eine besondere Rolle. Sie können die Erfahrungen in den entsprechenden Gremien zum Thema machen, die soziale Spaltung bekämpfen, Öffentlichkeit herstellen oder direkt helfen, wo nötig. Praktische Unterstützung bietet in Potsdam zudem unsere monatliche Rechts- und Sozialberatung, aber auch unser in der Pandemie etablierter Kopierservice für Schüler*innen sowie unser Sozialfonds, den wir vor einigen Monaten auf den Weg gebracht haben. So haben sich unsere Kandidat*innen im Vorfeld der Kommunalwahl dazu verpflichtet, zusätzlich zur Entrichtung von Mandatsbeiträgen einen Teil ihrer Aufwandsentschädigungen an den Sozialfonds zu spenden, um Menschen in finanzieller Not direkt zu unterstützen. Wir folgen damit dem Beispiel einiger anderer Kommunen, sind aber noch dabei, Erfahrungen zu sammeln. 

Fazit: Linke Kommunalpolitik hat zum Ziel, im Kleinen die großen gesellschaftlichen Fragen zu adressieren und spürbare Verbesserungen der Lebensrealität der Menschen zu erkämpfen. Das gelingt jedoch nur mit Verbündeten außerhalb der Gremien. Gerade sie befinden sich zunehmend unter Druck – durch den Rechtsruck und Kürzungszwänge auf allen Ebenen. Deshalb haben wir als Mandatsträger*innen, aber auch als Partei in den kommenden Jahren die Aufgabe, Hoffnung zu organisieren und diese in den Kommunen zu leben. 

Weitere Beiträge