1926 initiierten die Kommunist*innen eine offensive Kampagne für die Enteignung der Fürstenhäuser. So gelang es, breite Mehrheiten anzusprechen und die Spaltung der Linken für einen Moment zu überwinden.
Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen war entsetzt. Seit der Revolution 1918 lebte der ehemalige deutsche Kaiser Wilhelm II. im niederländischen Exil. Gleichwohl gab er die Hoffnung nicht auf, irgendwann auf den Thron zurückkehren zu können. Doch im Sommer 1926 musste er erkennen, dass nicht alle ehemaligen Untertan*innen diesen Wunsch teilten. Es gebe »14 Millionen Schweinehunde in Deutschland«, soll er zu dieser Zeit gesagt haben (Schüren 1978, 234).
14 Millionen: So viele Menschen hatten bei einem Volksentscheid dafür gestimmt, den deutschen Adel entschädigungslos zu enteignen. Vorausgegangen war eine breite Debatte über die Besitztümer der ehemaligen Herrscher*innen. Sie hatte mit der Revolution begonnen und sich in den Folgejahren durch Gerichtsverfahren zwischen den Fürstenhäusern und den Ländern intensiviert. Den Höhepunkt markierte die Enteignungskampagne des Jahres 1926, für den Historiker Ulrich Schüren eines der »bedeutendsten Ereignisse der inneren Politik« in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre (ebd., 275).
Für die politische Linke der Weimarer Republik war der Volksentscheid ein Meilenstein. Es handelte sich um eine der wenigen reichsweiten Kampagnen, die die beiden großen Arbeiterparteien gemeinsam durchführten. Normalerweise beschimpfte die KPD-Führung die Sozialdemokraten als »Mörder Rosa Luxemburgs« oder später als »Sozialfaschisten« und die SPD bezeichnete die linken Konkurrenten als Feinde der Demokratie oder »rot lackierte Faschisten«. Doch hier stand man Seit an Seit gegen den deutschen Adel und seine Unterstützer in Kirche und konservativen Parteien. Die Initiative für die Kampagne hatte die KPD ergriffen, auf Grundlage der Einheitsfrontpolitik, die die Partei 1921 als Taktik zum Umgang mit der Sozialdemokratie entwickelt hatte.
Kommunistische Einheitsfrontpolitik
Die KPD war ein Kind der Revolution. Gegründet um die Jahreswende 1918/19 nahm sie für sich in Anspruch, die Gesellschaft nur mit der Unterstützung einer Mehrheit der Arbeiterschaft verändern zu können. Tatsächlich aber orientierten sich die meisten Arbeiter*innen in den 1920er Jahren an der SPD. Deren Führung als Verräter zu beschimpfen, hatte daran wenig ändern können.
Daher entwickelte die Parteiführung um Ernst Meyer gemeinsam mit der Kommunistischen Internationale 1921 die Politik der Einheitsfront. Die Grundidee war: Wenn die Anhänger*innen der SPD glaubten, ihre Partei könne Verbesserungen durchsetzen, so müsse die KPD in der Praxis zeigen, dass sie sich als einzige Partei tatsächlich dafür einsetzt. Forderte die SPD etwa höhere Löhne, so müsse die KPD die Sozialdemokraten dazu auffordern, gemeinsam für dieses Ziel zu kämpfen, und zwar vor allem außerhalb des Parlaments. Wenn die SPD das Angebot zurückweise, entlarve sie sich selbst vor ihren Anhänger*innen. Sei sie dazu bereit, würden die außerparlamentarischen Aktionen den Arbeiter*innen zeigen, dass sie durch eigene Kraft viel mehr bewirken können als durch Stellvertreterpolitik. Zudem ließ sich so das Argument widerlegen, die Kommunist*innen würden die Arbeiterbewegung spalten.
Das zentrale Element dieser Strategie war die radikalisierende Dynamik von außerparlamentarischen Kämpfen und Streiks. Nicht die Radikalität einer Forderung war entscheidend, sondern dass sie gemeinsam durchsetzbar war, wie auch Meyer erklärte: »Nicht ein paar Forderungen mehr oder weniger entscheiden heute über die Stärke der Bewegung. Viel wichtiger ist es, dass selbst die bescheidensten Forderungen durch die eigene Aktion der Arbeiterschaft […] durchgesetzt werden.« (Meyer 1922, 858). Auch wenn sich die Einheitsfrontangebote formal an die Spitze der SPD richteten, sollten sie vor allem die Selbstaktivität an der Basis entfachen.
In den Jahren 1921 bis 1923 machte die KPD-Führung regelmäßig Einheitsfrontangebote. So gewann sie SPD und Gewerkschaften im Juni 1922 für ein Bündnis zum Schutz der Republik nach dem rechten Attentat auf Walther Rathenau. Innerhalb der Partei blieb die Politik gleichwohl umstritten. Während ein Parteiflügel für stärkere Zugeständnisse an die SPD warb, warnte ein anderer davor, das eigenständige kommunistische Profil aufzugeben.
Volksbegehren zur Fürstenenteignung
In der Revolution 1918/19 war der Adel politisch entmachtet worden. Neben Wilhelm II. wurden diverse Fürsten, Herzöge und Könige der deutschen Einzelstaaten abgesetzt und ihre Vermögen beschlagnahmt. Doch eine innenpolitische Rechtswendung Mitte der 1920er Jahre ermutigte den Adel, seine Besitztümer zurückzufordern, mit einigem Erfolg. 1925 hatte ein Reichsgericht die Enteignung der Herzöge von Sachsen-Coburg und Gotha für verfassungswidrig erklärt und das preußische Finanzministerium bot dem Haus Hohenzollern die Rückgabe von drei Vierteln des umstrittenen Grundbesitzes an. Die sächsischen Wettiner hatten ebenfalls eine günstige Übereinkunft mit der Landesregierung getroffen, sodass König Friedrich August III. nach seiner Abdankung der reichste Mann Sachsens blieb.
Diese Zugeständnisse wurden in der Öffentlichkeit scharf kritisiert – insbesondere da zur selben Zeit die Arbeitslosenzahl stark anstieg und Millionen Menschen kaum genug zu essen hatten. »Der erfolgreiche Kampf der Fürsten um ihre alten Vermögen hatte das Zeug zum Skandal«, schreibt der Historiker Robert Lorenz (2011, 144). Nicht nur SPD und KPD verurteilten diese Entwicklung, sondern auch die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP). Sie brachte im November 1925 einen Gesetzentwurf ins Parlament ein, um den juristischen Streit zu beenden. Er sollte die Länder ermächtigen, »unter Ausschluss des Rechtsweges« einen Interessenausgleich mit den ehemaligen Herrschern zu finden. Die SPD unterstützte diesen Vorstoß.
Die KPD hingegen lehnte es ab, die Beschlagnahmungen auch nur teilweise rückgängig zu machen. Stattdessen forderte sie eine endgültige entschädigungslose Enteignung des Adels. Sie präsentierte einen eigenen Gesetzentwurf, der vorsah, die Schlösser der Fürsten in Genesungsheime zu verwandeln oder zur Linderung der Wohnungsnot zu verwenden. Der Grundbesitz müsse an Kleinbauern und Pächter verteilt und das Barvermögen den Kriegsbeschädigten und -hinterbliebenen zugeteilt werden. Angesichts der sozialen Polarisierung waren dies äußerst populäre Forderungen. Um außerparlamentarischen Druck zu entfalten, verfasste das Zentralkomitee der KPD einen offenen Brief. Unter dem Titel »Keinen Pfennig den Fürsten« wurde ein gemeinsamer Volksentscheid zur entschädigungslosen Enteignung der Fürsten gefordert. Der offene Brief wurde unter anderem an die Vorstände der SPD, des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds, des Allgemeinen freien Angestelltenbunds und des Allgemeinen Deutschen Beamtenbunds verschickt.
Zunächst wollte sich die SPD nicht anschließen. Philipp Scheidemann erklärte in der Reichstagssitzung am 2. Dezember: »Der kommunistische Antrag ist ganz agitatorisch aufgezogen. Parlamentarisch ist damit nichts anzufangen.« Nachdrücklich warnte er vor einer außerparlamentarischen Entscheidung: »Meine Damen und Herren! Es liegt Zündstoff genug draußen. Hüten wir uns, dass wieder Funken hinausgehen, die großes Unheil anrichten könnten. Stellen Sie sich auch vor, wie das Volk aufgewühlt werden müsste bei einem Volksentscheid.« (Verhandlungen des Reichstag 1926, 4734f.) Doch es gelang den Kommunist*innen, SPD-Mitglieder für das Vorhaben zu begeistern. Die Rote Fahne berichtete zu dieser Zeit mehrfach von Gewerkschafts- und Betriebsversammlungen, die das Volksbegehren einstimmig unterstützten. Die KPD organisierte diverse Demonstrationen für die Enteignung der Fürsten. In Berlin konnte sie im Dezember 1925 zwischen 60 000 und 100 000 Menschen zu einer Großkundgebung im Lustgarten mobilisieren.
Die Resonanz unter SPD-Mitgliedern war so groß, dass die Parteiführung unter Druck geriet. Sie musste fürchten, Anhänger*innen an die Kommunist*innen zu verlieren. Daher schwenkte der Parteivorstand um und beschloss Anfang des Jahres 1926, gemeinsam mit der KPD ein Plebiszit vorzubereiten. In Kooperation mit dem Gewerkschaftsbund wurde ein Gesetzentwurf erarbeitet, der in einem Volksbegehren, der Vorstufe eines Volksentscheides, zur Abstimmung gestellt werden sollte. Zudem gründeten sie den »Ausschuss zur Durchführung des Volksbegehrens für entschädigungslose Enteignung der Fürsten«, den der Demograf Robert René Kuczynski und der kommunistische Medienmacher Willi Münzenberg leiteten.
Das Duo zog im Folgenden sämtliche Register der zeitgenössischen Medienkommunikation. Es ließ Plakate, Handzettel und andere Schriften publizieren. Ein Film mit dem programmatischen Titel »Keinen Pfennig den Fürsten« lief in den Berliner Kinos. Weitere Ideen wie Rundfunkbeiträge oder Laufschriftwerbung scheiterten lediglich am Widerstand der Behörden und an Geldmangel. Bekannte Künstler*innen und Intellektuelle wie Albert Einstein, George Grosz, Kurt Hiller, Erwin Piscator, Max Pechstein, Alfred Kerr, Käthe Kollwitz, Kurt Tucholsky und Heinrich Zille unterstützten die Kampagne. Nach einer mit großem Elan getragenen Kampagne wurde das notwendige Quorum von einem Zehntel der Stimmberechtigten (ca. 3,9 Millionen) deutlich erreicht: Über 12,5 Millionen Menschen trugen sich im März in die Listen des Volksbegehrens ein – dreimal so viele wie notwendig. Für den 20. Juni wurde ein Volksentscheid angesetzt.
Freibierfeste und Wahlboykott
Die politische Rechte unternahm daraufhin alles, um einen Erfolg zu verhindern. Die bürgerliche Koalitionsregierung stellte im April den verfassungsändernden Charakter des linken Gesetzentwurfs fest. Die Initiator*innen benötigten damit die Zustimmung der Mehrheit aller Stimmberechtigten, also von knapp 20 Millionen Wähler*innen. Konservative und völkische Parteien, Kirchen, Großgrundbesitzer und Unternehmensverbände riefen zum Boykott auf. Das Wahlgeheimnis wurde so faktisch aufgehoben: Wer zur Abstimmung ging, bezog bereits Position. Gerade in ländlichen Regionen dürfte dies viele abgeschreckt haben. In Pommern wurde Landarbeitern mit Entlassung gedroht, wenn sie sich an der Abstimmung beteiligten. Einige ostelbische Gutsbesitzer veranstalteten am Wahltag Freibierfeste mit dem Zweck, die Besucher*innen vom Weg zum Einzeichnungslokal abzubringen. Schließlich verschärfte das völkische Lager seine Rhetorik. Die NSDAP forderte etwa, alternativ die Vermögen der »seit dem 1. August 1914 zugezogenen Ostjuden und sonstigen Fremdstämmigen« einzuziehen.
Die Linke ließ sich davon nicht einschüchtern. Sie mobilisierte weiterhin massiv zum Volksentscheid. Vor allem die KPD ließ sich die Kampagne einiges kosten. Die Parteiführung schätzte gegenüber der Kommunistischen Internationale, sie werde etwa 225 000 Reichsmark aufwenden, wovon Moskau einen relevanten Teil übernahm. SPD und Gewerkschaften achteten derweil streng darauf, dass es zwar gemeinsames Material, aber keine Aktivitäten mit den Kommunist*innen gab. Dennoch bildeten sich wie in den Tagen der Revolution lokale Einheitskomitees. Das ehemalige KPD-Mitglied Wolfgang Abendroth erinnerte sich später: »Man kann sich heute nicht mehr vorstellen, wie gut die Kooperation zwischen uns und den Sozialdemokraten war, obwohl die Spitze der SPD verlangte, jede Partei solle für sich operieren.« (Abendroth 1977, 77). Das Ergebnis des 20. Juni war bemerkenswert: 15,6 Millionen Wahlberechtigte konnten mobilisiert werden. In Berlin, Hamburg und Leipzig sollen sich zwischen 90 und 95 Prozent der Arbeiter*innen an der Abstimmung beteiligt haben.
Insgesamt stimmten 14,5 Millionen derjenigen, die zur Wahlurne gingen, für die Initiative. Das war eine deutliche Mehrheit der abgegebenen Stimmen und entsprach 36,4 Prozent aller Wahlberechtigten. Damit verfehlten die Initiator*innen zwar das notwendige Quorum von 20 Millionen Ja-Stimmen. Aber es war ihnen gelungen, über die eigene Klientel auszugreifen. Gegenüber dem Ergebnis der linken Parteien bei der Reichspräsidentenwahl stellte das einen Stimmengewinn von 4,8 Millionen dar. Für Abendroth war der Volksentscheid »der größte Erfolg, den die Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik erzielt hatte« (Abendroth 1967, 23). Bei keiner Wahl konnten KPD und SPD (sowie USPD) gemeinsam eine so hohe Stimmenzahl erreichen.