Das Bild von Elon Musk, wie er im Februar dieses Jahres bei der Conservative Political Action Conference (CPAC) in Washington grunzend eine Kettensäge über seinem Kopf schwingt, ging um die ganze Welt. Weniger viral verbreitete sich dagegen vielleicht die vorangehende Szene, als der ultrarechte, libertäre argentinische Präsident Javier Milei die Bühne betrat, um Musk eben diese Kettensäge zu überreichen – eine Replik, auf deren Klinge Mileis inzwischen berühmter Wahlspruch »¡Viva la libertad, carajo! « (Dt.: Lang lebe die Freiheit, verdammt!) eingraviert ist.

Musks Department of Government Efficency (Abteilung für Regierungseffizienz, kurz: DOGE), gilt nicht ohne Grund als Nachahmung von Mileis radikalem Staatsumbau. Seit seinem Amtsantritt im Dezember 2023 hat Milei über die Hälfte der argentinischen Ministerien zerschlagen (darunter auch das Ministerium für Frauen, Gender und Vielfalt), neue Ministerien geschaffen (etwa jenes für Deregulierung und Transformation des Staates) und rund 40 000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst entlassen. Milei ruft offen dazu auf, für seine eigene Version von MAGA »Opfer« zu bringen, die auch Argentinien wieder »groß« machen sollen: »Make Argentina Great Again«. Musk und Trump halten sich in dieser Hinsicht eher bedeckt, wenn auch mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen. So räumte Musk kurz vor der Wahl ein, dass ein Wahlsieg Trumps zunächst zu einer heftigen Überreaktion Seitens der Wirtschaft führen könnte. »Wir müssen die Ausgaben kürzen, um im Rahmen unserer Mittel zu leben«, erklärte er. »Das bedeutet zwangsläufig einige vorübergehende Härten, wird aber langfristig unseren Wohlstand sichern.«

»Egal, ob die zu erbringenden Opfer benannt werden oder nicht, sie stehen durch die drastischen Kürzungen und hohen Zölle längst auf der Tagesordnung.«

Trump äußerte sich in der Zollfrage in eine ähnliche Richtung. Einen Tag nachdem er eine Durchführungsverordnung gegen Mexiko, Kanada und China unterzeichnete hatte, schrieb er in Großbuchstaben: »Wird es weh tun? Ja, vielleicht (und vielleicht auch nicht!).« Und weiter: »Aber wir werden Amerika wieder groß machen, und das wird seinen Preis wert sein.« Kurz darauf gestand Trump sogar die Möglichkeit einer Rezession ein und löste damit einen weiteren Börseneinbruch aus. Am 2. April, den er kurzerhand zum »Tag der Befreiung« erklärte, verhängte Trump pauschale Importzölle in Höhe von zehn Prozent auf sämtliche Einfuhren, wobei die Sätze für dutzende Länder deutlich höher ausfielen. De facto bedeutete dies allerdings eine rückwirkende Steuererhöhung für US-amerikanische Unternehmen und Verbraucher*innen. Auf derselben Pressekonferenz forderte Trump den Kongress zudem auf, die Schuldenobergrenze für den Bundeshaushalt anzuheben und dauerhafte Steuersenkungen zu beschließen.

»Die Kettensäge ist in diesem Kontext mehr als eine Metapher. Sie steht für die Logik einer neuen Welle des anarcho-autoritären Neoliberalismus, die sich über Lateinamerika, Nordamerika und Europa hinweg ausbreitet.«

Egal, ob die zu erbringenden Opfer benannt werden oder nicht, sie stehen durch die drastischen Kürzungen und hohen Zölle längst auf der Tagesordnung. Die entscheidende Frage ist, wie Regierungen diese Opfer rechtfertigen und durchsetzen. In dieser Hinsicht lässt sich Javier Milei als rechtsextremer Vorreiter autoritärer Experimente begreifen. Vom Krieg gegen die »Gender-Ideologie« bis zur Kürzung der Hochschulmittel, von der Verherrlichung der israelischen Zerstörung in Gaza bis zur Ablehnung einer unabhängigen Justiz zeigen neue autoritäre Regime, wie sich die Faschisierung heute besonders schnell und gezielt vorantreiben lässt.

Die Kettensäge ist in diesem Kontext mehr als eine Metapher. Sie steht für die Logik einer neuen Welle des anarcho-autoritären Neoliberalismus, die sich über Lateinamerika, Nordamerika und Europa hinweg ausbreitet. Als ständen sie im Bann eines viralen Memes scheinen selbst Politiker*innen des Mitte-links-Spektrums diesem Trend zu folgen. Erst letzten Monat brachte der britische Premierminister Keir Starmer die Idee eines »Projekt Kettensäge« ins Gespräch, das sich an Mileis rechtsextremem Angriff auf den öffentlichen Sektor orientiert, dabei jedoch, so Starmer, »radikale Ziele der gemäßigten Linken« realisieren wolle. Je weiter die Kettensägenlogik um sich greift, desto mehr wird eine Politik von patriarchaler Herrschaft, rassistischer Ausgrenzung, Ausplünderung und Gewalt gestärkt, deren Akteur*innen zunehmend international vernetzt sind.

Die Neue Rechte Internationale

Im Jahr 2024 verlagerte sich das Gravitationszentrum der Weltpolitik nicht nur weiter nach rechts, sondern, mit Milei, auch weiter in den globalen Süden. Am ersten Jahrestag seines Amtsantritts und unmittelbar nach Trumps erneutem Wahlsieg versammelte sich im Dezember 2024 die Führungsriege der extremen Rechten in Buenos Aires zur ersten argentinischen CPAC. »Wir könnten uns als rechte Internationale bezeichnen«, erklärte Milei in seiner Eröffnungsrede. »Mit Trump, Bukele und uns hier in Argentinien haben wir die historische Gelegenheit, einen frischen Wind der Freiheit in die Welt zu bringen.« Nayib Bukele, der amtierende Präsident El Salvadors, hatte kurz zuvor ein Abkommen mit der Trump-Administration unterzeichnet, wonach aus den USA abgeschobene Personen im Hochsicherheitsgefängnis CECOT (Centro de Confinamiento del Terrorismo; dt.: Zentrum zur Eindämmung des Terrorismus) untergebracht werden sollen, einer berüchtigten Anlage mit einer Kapazität von 40 000 Insassen. 

Als neu ernannte Mitglieder der sogenannten «rechten Internationale» sprachen bei der CPAC unter anderen der Vorsitzende der spanischen Vox-Partei Santiago Abascal, der brasilianische Abgeordnete Eduardo Bolsonaro aus São Paulo (ein Sohn von Jair Bolsonaro), der chilenische Abgeordnete Fernando Sánchez Ossa, Lara Trump als Ko-Vorsitzende des Republikanischen Nationalkomitees, sowie die Politikerin Kari Lake aus Arizona. Ergänzt wurde das Aufgebot durch Online-Meinungsmacher wie Agustín Laje und Ben Shapiro. Steve Bannon und Jair Bolsonaro[1] meldeten sich per Video zu Wort. In ihren Reden fehlte kein Reizwort aus dem Arsenal der extremen Rechten: Gender-Ideologie, LGBTQ+-Lobby, Kulturmarxismus, »woker« Extremismus, Migranteninvasionen, globalistische Machenschaften, zivilisatorischer Verfall. Indes schwang das Kollektiv im Konferenzsaal das Tanzbein zur ironischen Wahlkampfhymne Trumps – »YMCA«. 

Schon in seiner Zeit als hitzköpfiger Fernsehkommentator mit Hang zu Schimpftiraden war Javier Milei ein glühender Verehrer Donald Trumps. Und inzwischen wird seine Bewunderung erwidert. Trumps »Lieblingspräsident«, wie er Milei nannte, war der erste ausländische Staatschef, der ihn nach den US-Wahlen in Mar-a-Lago besuchte. «Du hast in kürzester Zeit Großartiges geleistet», lobte Trump ihn in seiner ersten Rede nach der Wahl. Milei brüstete sich seinerseits: »Ich bin heute einer der beiden wichtigsten Politiker der Welt. Der eine ist Trump, der andere bin ich.« Diese gegenseitige Bewunderung hat sich mehrfach in konkrete politische Maßnahmen übersetzt. Zuletzt untersagte Trumps Außenminister Marco Rubio der ehemaligen argentinischen Präsidentin und erklärten Rivalin Mileis, Cristina Fernández de Kirchner, aufgrund von Korruptionsvorwürfen die Einreise in die USA. 

Milei gewann die Wahlen in einer Phase explosiver postpandemischer Inflation, in der viele argentinische Arbeitnehmer*innen mehrere Jobs brauchten, um über die Runden zu kommen. Seine Agenda sah eine drastische Kürzung der Staatsausgaben, die Abschaffung öffentlicher Subventionen, die Senkung der Unternehmenssteuern und die Deregulierung von Märkten vor. Zwar hat er sein Wahlversprechen, die Zentralbank abzuschaffen, bislang nicht eingelöst, stattdessen stützt er jedoch den Wechselkurs des Dollars künstlich durch den Rückgriff auf deren Reserven, die sich aktuell auf dem niedrigsten Stand seit seinem Amtsantritt befinden. Aufgrund seiner Reformen müssen immer mehr Argentinier*innen sämtliche Ausgaben von den Lebensmitteln bis hin zur Miete über Kredite finanzieren. Die Betroffenen dieser Prekarität werden förmlich dazu gedrängt, sich an spekulativen Praktiken zu beteiligen. Die rigiden Sparmaßnahmen haben Armut und Privatverschuldung massiv ansteigen lassen. Dazu beigetragen haben insbesondere die Aufhebung von Preisobergrenzen (etwa für den öffentlichen Nahverkehr sowie Telefon- und Internetgebühren), sowie die Liberalisierung von Kreditkartenzinsen (die es Banken ermöglicht, höhere Gebühren für verspätete Zahlungen zu erheben). Unter Mileis Regierung stieg die Armutsquote um 10 Prozentpunkte auf mindestens 53 Prozent der Bevölkerung. Zwar behauptet die Regierung, diese Zahl sei inzwischen auf 38 Prozent gesunken. Tatsache ist jedoch, dass weiten Teilen der Bevölkerung immer mehr das Geld ausgeht, die Inflation sich bei grundlegenden  Bereichen wie den öffentlichen Dienstleistungen und bei Lebensmitteln besonders stark bemerkbar macht und 93 Prozent der Haushalte inzwischen in irgendeiner Form verschuldet sind.

Derzeit bemüht sich die argentinische Regierung um ein neues Darlehen in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar beim Internationalen Währungsfonds und verknüpft damit einen weiteren Zyklus staatlicher mit der wachsenden privaten Verschuldung im Land, wobei all dies auf Grundlage einer fortschreitenden Finanzialisierung des gesellschaftlichen Lebens geschieht. Die Rückzahlung von Staatsschulden muss in US-Dollar erfolgen, die wiederum in stark deregulierten Sektoren wie dem Bergbau (u.a. in der Lithium-Förderung), der Agrarindustrie und der Energiebranche erwirtschaftet werden sollen. In einem jüngsten Schritt erlaubte Mileis Regierung Jugendlichen ab 13 Jahren, in US-Dollar geführte Bankkonten zu eröffnen: Ein verlockendes, aber weitgehend symbolisches Angebot, da laut UNICEF die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen in Argentinien unterhalb der Armutsgrenze lebt.. Ähnlich wie in den USA ist das Projekt insbesondere unter Jungen und jungen Auf individueller Ebene begreift Milei unter dem Schlagwort »finanzielle Freiheit« sein Modell, welches insbesondere in seiner Aufgeschlossenheit gegenüber Kryptowährungen zum Ausdruck kommt Männern beliebt und trägt zur Konsolidierung einer neuen toxischen Form politisierter Maskulinität bei.

Jüngere Führungsfiguren der lateinamerikanischen «neuen Rechten» verstehen ihr weiteres Projekt als »Kulturkampf« und beziehen sich dabei auf das Konzept des »Stellungskriegs« des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci. Während Gramsci diesen Begriff allerdings nutzte, um den Widerstand gegen die kulturelle Hegemonie der kapitalistischen Klasse zu beschreiben, richtet sich dieser Kulturkampf gegen die wahrgenommene Hegemonie progressiver und linker Kräfte– gegen »progres« und »zurdos« wie Milei sie bevorzugt nennt – und greift feministische, queere, indigene und Menschenrechtsbewegungen sowie den gesamten öffentlichen Dienst an. Ganze Regierungsbehörden – das Ministerium für Nationale Sicherheit (unter Patricia Bullrich), das Ministerium für Humankapital (unter Sandra Pettovello) und das Ministerium für Deregulierung und Transformation des Staates (unter Federico Sturzenegger) – widmen sich nun der Aufgabe, die »inneren Feinde« zu bekämpfen, Proteste zu kriminalisieren und die Finanzierung für Wissenschaft, das öffentliche Bildungssystem, Menschenrechtsprogramme, Initiativen gegen geschlechterspezifische Gewalt und Suppenküchen zu streichen. Mileis libertäre »Revolution« höhlt den Staat von innen aus, zugunsten des Kapitals.

Indem Milei sofort radikal per Dekret regierte, testete er nicht nur die Grenzen der Exekutive. Ein regelrechter Schwall an Verordnungen gleich nach seiner Amtsübernahme – ein Vorgeschmack auf Trumps Vorgehen, das Steve Bannon als »flooding the zone« (dt.: die Überflutung der Zone) bezeichnete – machte den Weg frei für einen gewaltigen legislativen Erfolg: das Grundlagengesetz »Ley Bases« das rund ein halbes Jahr später vom Kongress verabschiedet wurde. Ein Element dieses Gesetzpakets sind die neuen Regelungen und Anreize für Großinvestitionen (Régimen de Incentivo a las Grandes Inversiones, kurz RIGI), die umfangreiche rechtliche Garantien sowie Steuer-, Zoll- und Wechselkursvorteile bei Großinvestitionen in Forstwirtschaft, Tourismus, Infrastruktur, Bergbau, die Tech-Branche und die Stahlindustrie vorsehen. Die Kettensäge trifft dabei jedwede Regulierung, die den Einfluss des Kapitals oder die Ausbeutung natürlicher Ressourcen einschränken könnte.

»Die Reden auf dem ersten argentinischen CPAC schossen gegen alle geläufigen Feindbilder: die ›Gender-Ideologie‹, ›Migranteninvasionen‹ und den ›zivilisatorischen Niedergang‹.«

Im Januar 2025 vollzog Milei seine erste Privatisierung. Es traf die IMPSA, ein nationales Unternehmen, das in der Energie- und Tech-Branche sowie Metallverarbeitung tätig ist. Nachdem der Aktienkurs des Unternehmens infolge von Mileis Reformen eingebrochen war, verkaufteer es zum Schleuderpreis von 27 Millionen US-Dollar an den in den USA ansässigen Industrial Acquisitions Fund – ein offensichtlicher Wink an Donald Trump. Darüber hinaus kündigte Milei an, neue Atomkraftwerke zur Unterstützung der KI-Entwicklung zu errichten und forcierte parallel dazu die Erschließung der nationalen Uranreserven für den Inlandsgebrauch sowie den Export.

Gleichzeitig arbeitet die Regierung daran, aus Argentiniens Wirtschaft eine Plattformökonomie zu machen, in enger Zusammenarbeit mit Mercado Libre und Mercado Pago zwei Unternehmen von Marcos Galperin, dem argentinischen Elon Musk. Geplant ist eine übergreifende Plattform für Einkünfte, Zahlungen, Kredite, Renten und Sozialleistungen, die unabhängig von klassischen Banken funktionieren soll. Wie es der Zufall will, entspricht diese Vision exakt jener, die Elon Musk mit seiner Plattform X verfolgt, die kürzlich mit Visa eine Partnerschaft zur Abwicklung von Finanztransaktionen geschlossen hat. Gleichzeitig geriet genau jene Aufsichtsbehörde, die für die Regulierung der neuen Finanzdienstleistungen von X zuständig wäre, ins Visier von Musks DOGE-Behörde. Doch ähnlich wie im Fall Tesla scheinen auch die Zukunftsaussichten von X als »Alles-App« derzeit zunehmend fraglich. 

Wie Milei hat auch Trump sich dem Kampf im und gegen den Staat verschrieben. Damit stellt er eine Strategie politisch auf den Kopf, die Theoretiker*innen wie Nicos Poulantzas einst von sozialistischer Warte beschrieben haben. Obwohl Trumps Plan »Project 2025« diese Instrumentalisierung des Verwaltungsapparats bereits weitgehend vorweggenommen hatte – nicht um ihn zu zerstören, sondern um ihn im Sinne einer »erzkonservativen Herrschaft« umzumodeln, wie James Goodwin argumentierte –, war Milei sowohl Vorbild als auch Verbündeter in diesem Prozess. Russell Vought, Direktor des einflussreichen Office of Management and Budget (Dt.; Amt für Verwaltung und Haushaltswesen) im Weißen Haus und Mitautor von Project 2025, erklärte freimütig, die Beschäftigten im öffentlichen Dienst sollten dadurch »traumatisiert« werden. Haushaltsunterlagen des Weißen Hauses deuten auf Regierungspläne hin, die Mittel einiger Behörden und Ministerien um bis zu 60 Prozent zu kürzen. Die US-Umweltschutzbehörde zog kürzlich einen Plan zur Entlassung von 65 Prozent ihres Personals zurück; das Bildungsministerium kündigte an, beinahe die Hälfte des Personals abbauen zu wollen; und Robert F. Kennedy Jr. streicht mindestens 25 Prozent der Stellen im Ministerium für Gesundheit und Soziales.

»Während Land, Ressourcen und ganze Bevölkerungsgruppen vermeintlich »geopfert« also dem Zugriff des internationalen Kapitals preisgegeben werden müssen, wird den Einzelnen das Ethos des spekulativen Wettbewerbs als allgemeines Lebensprinzip auferlegt«Milei ist ein gutes Beispiel dafür, wie rechtsextreme Politiker*innen Zuspruch durch ein Versprechen nationaler Größe erhalten, das Opferbereitschaft voraussetzt. Während sie demokratische Verfahren umgehen, greifen sie eine Unzufriedenheit mit einer rein formalen Demokratie auf, die sich aus den Alltagserfahrungen der Mehrheit der Bevölkerung speist, und leiten sie auf die Mühlen eines antidemokratischen Radikalismus. Mileis Kampagnenmotto »Es gibt kein Geld« sollte also nicht lediglich als Argument für Haushaltsdisziplin oder Inflationsbekämpfung verstanden werden, jene »Leistungen« die westliche Medien auf Kosten einer leidenden Bevölkerung bejubeln. Vielmehr dient dieser Satz in erster Linie der Rechtfertigung von Opfern. Denn Milei verwandelt das ganze Land in eine »Opferzone« – um einen Begriff aus der Extraktivismusforschung zu entlehnen –, indem er großen Unternehmen Land und Ressourcen zur weiteren Plünderung und ökologischen Zerstörung überlässt

In diesem Sinne sind individuell erbrachte Opfer und nationale Opferzonen zwei Seiten einer Medaille. Der Rhetorik der Opferbereitschaft fordert die Zustimmung zur eigenen Enteignung. »Du wirst weder ausgebeutet noch wird dir etwas genommen« heißt es, sondern seist vielmehr Teil eines größeren Projekts, für dessen Gelingen Opfer erbracht werden müssen. Dein Leid sei notwendig und werde dir letztlich selbst zugutekommen. Während Land, Ressourcen und ganze Bevölkerungsgruppen vermeintlich »geopfert« also dem Zugriff des internationalen Kapitals preisgegeben werden müssen, wird den Einzelnen das Ethos des spekulativen Wettbewerbs als allgemeines Lebensprinzip auferlegt, was Subjektivitäten deformiert und die Grundlagen der sozialen Reproduktion untergräbt.

Mileis Geschenk an Musk verwies nicht nur auf ein bestimmtes Maßnahmenpaket. Die Kettensäge stand auch für eine Strategie zur Aufrechterhaltung politischer Legitimität. Der inszenierte Fotomoment mit Musk kam dabei zu einem taktisch günstigen Zeitpunkt: Nur wenige Tage zuvor hatte Milei auf X die Memecoin $Libra beworben. Die nach dem Vorbild der $Trump-Memecoin entwickelte Kryptowährung erlebte zunächst einen rasanten Kursanstieg, brach jedoch wenige Stunden später dramatisch ein und verursachte einen nationalen Skandal. Mehr als 40.000 Menschen waren von dem Kurssturz betroffen, der geschätzte Verlust lag bei über 4 Milliarden US-Dollar und der wichtigste argentinische Aktienindex fiel um 5,6 Prozent. »Milei Estafador« wurde der Präsident Argentiniens alsbald genannt: Milei der Betrüger.

Doch immer, wenn seine Legitimität zuhause ins Wanken gerät, buhlt Milei um die Gunst des Auslands – und das meist mit großem Erfolg. Noch vor Kurzem stuften ihn liberale Leitmedien wie The Economist und die Financial Times als rechtsextrem und demokratiegefährdend ein; nun preisen sie seine Politik als Heilmittel für andere krisengeplagte Länder, sogar als mögliche Abhilfe für Europas wirtschaftliche Stagnation. Auch Staatschefs wie Emmanuel Macron und Olaf Scholz haben Milei mittlerweile in die führenden Kreise einer westlichen Ordnung aufgenommen, die mittlerweile sehr angeschlagen erscheint. Durch diese weitere Normalisierung des rechtsextremen Rands verschieben sie die Grenzen des Sagbaren innerhalb demokratischer Gesellschaften, was wiederum den rechtsextremen Kräften zuhause in Europa zugutekommt.

Die gegenseitige Bewunderung, die in den sozialen Medien zum Ausdruck gebracht wird, erfüllt ähnliche Zwecke. Milei, Musk und Bukele unterhalten ein autoritäres Liebesdreieck – ein »panamerikanischer Trumpismus«, wie es der Historiker Greg Grandin formulierte. Was als virtuelle Bekanntschaft von Milei und Musk auf X begann, verlagerte sich in die physische Welt bei einer Reihe von Treffen, die bilateralen Handelsverhandlungen zwischen Staatschefs ähnelten. Auf ihrer gemeinsamen Agenda stehen unter anderem die massive Ausweitung des Lithiumabbaus für Teslas Batteriefertigung sowie die zunehmende Nutzung von Musks Starlink-Satelliten für die argentinische Internetversorgung. Darüber hinaus hat Milei auch andere US-Tech-Giganten besucht, um sie als strategische Partner für Argentinien zu gewinnen. Entgegen aller Austeritätsrhetorik stiegen die Staatsausgaben für persönliche Auslandsreisen dabei auf ein Rekordhoch. Sein Fokus liegt eindeutig auf Allianzen mit dem US-amerikanischen Finanz-, Technologie- und Rohstoffsektor. Seine Tour durch das Silicon Valley umfasste Gespräche mit Sundar Pichai (Google), Sam Altman (OpenAI), Tim Cook (Apple) und Mark Zuckerberg (Meta) sowie mehrere Zusammenkünfte mit Musk. Selfies mit hochgestrecktem Daumen durften dabei nicht fehlen.

Auf dem Rückweg von einem Besuch im Silicon Valley legte Milei im vergangenen Jahr einen Zwischenstopp in El Salvador ein, um der zweiten Amtseinführung von Nayib Bukele beizuwohnen, die allerdings nur möglich war, weil der Oberste Gerichtshof das verfassungsrechtliche Verbot aufeinanderfolgender Amtszeiten neu interpretierte. (Auch Donald Trump ließ kürzlich verlauten, seine Überlegungen zu einer dritten Amtszeit seien »kein Scherz«.) Bukele, der sich selbst als »coolster Diktator der Welt« bezeichnet, empfing bei dieser Gelegenheit neben Milei auch Donald Trump Jr., den spanischen König und den ecuadorianischen Präsidenten Daniel Noboa. Letzterer bedient sich wie Bukele und Milei gezielt Gewaltspektakel in den sozialen Medien, um seine autoritäre Herrschaft zu legitimieren. Aktuell verhandelt Noboa mit Erik Prince, dem Gründer des privaten Militärunternehmens Blackwater, über einen Deal über eine Militarisierung des »Kriegs gegen die Kriminalität« nach US-amerikanischem Vorbild. Kurz vor der Stichwahl am 13. April besuchte Noboa Trump in Florida, um ein bilaterales Handelsabkommen zu besprechen – offenbar in der Hoffnung, seine Chancen auf eine Wiederwahl zu erhöhen. Das autoritäre Dreieck Trump–Milei–Bukele macht also Anstalten, sich zum Viereck zu erweitern. 

»In diesem digitalen Geplänkel zeigt sich der neue Autoritarismus in seiner reinsten Form: Kulturkampf als Shitposting-Spektakel, Verfassungskrise als virales Entertainment.«

Auch Trumps Team hat in Sachen autoritärer Medienstrategien Innovatives zu bieten. Nachdem ein Abschiebeabkommen mit Bukele verkündet worden war, veröffentlichte das offizielle X-Konto des Weißen Hauses ein Video, das als »ASMR« angepriesen wurde, den Zuschauer*innen also ein angenehmes Sinneserlebnis ermöglichen sollte. Darin zu sehen waren Männer in Handschellen, die ein Abschiebungsflugzeug betraten – Grausamkeit, inszeniert als Entspannungshilfe. Kurz darauf veröffentlichte Bukele ein aufwendig produziertes Video, gefilmt mit Drohnen und mit dramatischer Musik unterlegt. Darin zu sehen waren mutmaßliche venezolanische Gangmitglieder, wie sie vom Flugzeug in Bukeles Gefängniskomplex überführt wurden. (Angehörige und Anwält*innen mehrerer dieser Männer bestreiten die Anschuldigungen vehement.) Das Weiße Haus postete danach einen ähnlichen Clip – es zeigte einen gefesselten Venezolaner, begleitet vom Popsong »Closing Time« Das Video wurde jedoch später wieder gelöscht. Trump berief sich auf den Alien Enemies Act von 1798 als rechtliche Grundlage dieser Gefangenentransfers nach El Salvador. Zwar untersagten Bundesgerichte die Abschiebeflüge, doch die Einwanderungsbehörde ICE setzte sie trotzdem fort. Bukele kommentierte dies auf X mit einem »Oopsie… Zu spät« – und wurde prompt von Senator Marco Rubio retweetet. Wenige Tage später behauptete Bukele: »Die USA erleben gerade einen Justizputsch« woraufhin Elon Musk mit »1000 %«  antwortete. In diesem digitalen Geplänkel zeigt sich der neue Autoritarismus in seiner reinsten Form: Kulturkampf als Shitposting-Spektakel, Verfassungskrise als virales Entertainment. 

Das ist die Begleitmusik der systematischen Angriffe auf die Justiz, der Repression von Protesten und der Inhaftierung von Bürger*innen wie Nicht-Bürger*innen. Bereits 2021 entließ Bukeles Partei fünf Verfassungsrichter*innen in El Salvador und ersetzte sie durch loyale Gefolgsleute. Im Februar 2025 setzte auch Milei per Dekret zwei neue Richter am Obersten Gerichtshof ein, während sich das Parlament in der Sommerpause befand. Und nachdem Trump in den USA öffentlich die Amtsenthebung oppositioneller Richter*innen forderte, brachte der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, die Idee ins Spiel, widerspenstige Bundesgerichte vollständig abzuschaffen. Parallel dazu treiben Bukele und Noboa eine autoritäre Law-and-Order-Politik durch massenhafte Inhaftierungen voran, während Milei den anhaltenden sozialen Protesten in Argentinien mit Polizeigewalt begegnet und Trump die Einwanderungsbehörde ICE auf Migrant*innen und ausländische Studierende hetzt.

Von den USA bis Argentinien, von El Salvador bis Ecuador wettet die wiedererstarkte Rechte darauf, dass Vergeltungsspektakel – das Trollen der »Zurdos« , das Fertigmachen der Liberalen – die reale Enteignung verdecken oder gar kompensieren können. Sobald die Bevölkerung beginnt, die geforderten Opfer infrage zu stellen, reagieren diese Regierungen mit Ablenkungsmanövern, weiteren Kürzungen und dem Ruf nach vorauseilendem Gehorsam. Wie lange der Lohn der Grausamkeit grausame Löhne aufwiegen kann, bleibt offen. Doch solange das Kalkül aufgeht, wird populärer Widerstand notwendig sein, der das Regime der Kettensäge herausfordert.



Dieser Beitrag erschien zuerst in der Boston Review unter dem Titel »The Chainsaw International«. Aus dem Englischen von Charlotte Thießen und Maximilian Hauer für Gegensatz Translation Collective

[1] Steve Bannon wurde im Oktober 2024 nach einer viermonatigen Haftstrafe entlassen, da er sich weigerte über die Angriffe auf das Kapitol im Januar 2021 auszusagen. Gegen Jair Bolsonaro wird wegen des Putschversuchs nach seiner Abwahl 2022 ermittelt (Anm.d.Red.).  

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