Am Abend des 23. Februar 2025 versammelten sich weit über hundert Menschen vor dem Glashaus in Berlin Treptow. Die Linke hatte öffentlich zur Wahlparty geladen. Der Andrang zeigt die Hoffnung innerhalb und außerhalb der Partei: An diesem Abend möchte man tatsächlich etwas feiern können. Der Rest ist Geschichte. Der Linken gelang in kurzer Zeit die Trendwende und zog mit fast neun Prozent und damit wieder in Fraktionsstärke in den 21. Deutschen Bundestag ein. Statt Mitgliedereinbruch gab es eine enorme Eintrittswelle, statt Stillstand ergriff Euphorie die Partei. In den kommenden Wochen und Monaten wird es darauf ankommen, den Aufwind und den Zustrom der vielen Neumitglieder für eine strukturelle Erneuerung zu nutzen.

Verwoben statt vereinzelt – Politik, die aus Gemeinschaft wächst

Die Fraktion bringt viele neue Gesichter mit: 46 der jetzigen 64 Abgeordneten sind erstmals im Bundestag vertreten. In den letzten beiden Legislaturen lag die Erneuerungsquote bei knapp 54 Prozent und damit deutlich unter den jetzigen 72 Prozent. Dabei gab es im letzten Bundestag auch nur 39 Linken-Abgeordnete (vor den Austritten durch den Bruch mit Wagenknecht). 

Spannend ist, wie die neue Fraktion ihre parlamentarische Arbeit aufbaut und welche Verknüpfung es mit der Partei geben wird. In den letzten Jahren gab es die Tendenz, dass sich Abgeordnete auf das Parlament beschränkten. Es wurden Anträge geschrieben, Anfragen formuliert und Reden gehalten, immer mit Verbindung zum aktuellen politischen Geschehen, jedoch weniger mit der Parteiarbeit. Die Abgeordnetenbüros waren mehr ein Außenposten als der Fokus ihrer Arbeit. Natürlich ist der Bundestag auch nicht gerade ein arbeitsarmes Mandat. Man kann den Abgeordneten nicht vorwerfen, nichts oder zu wenig getan zu haben, viele haben eine 60-80-Stunden-Woche. Der Knackpunkt ist, wie parlamentarische Arbeit mit (lokaler) Parteiarbeit verwoben wird.

Die alte Linksfraktion schaffte es häufig eine linke Perspektive in das Plenum des Bundestages zu tragen. Diese Perspektive entstand jedoch abgetrennt von der Partei und den Aktiven vor Ort, wodurch sie immer wieder in andere oder gar gegensätzliche Richtungen gingen. Sie beraubt sich so aber ihrer politischen Schlagkraft als Teil eines Ganzen.

Die Partei täte gut daran, die Verbindung zwischen Fraktions- und Parteiarbeit deutlich stärker zu verschränken. Ein Mandat für Die Linke verpflichtet, dieses in den Dienst der Partei zu stellen. Die Inhalte der Fraktionsarbeit waren grundsätzlich nicht falsch, wenn auch nicht so radikal, wie es sich manche wünschen würden, aber es fehlte eine gemeinsame strategische Basis. In der Fraktion müssen jetzt die Grundsteine gelegt werden, um dann gemeinsam in die gleiche Richtung zu gehen. Damit würde man auch einem erneuten Abdriften der Fraktion, wie unter Sahra Wagenknecht als Fraktionsvorsitzende, von Anfang an die Grundlage entziehen. Eine enge Kooperation und Abstimmung würde nicht nur der Fraktion helfen, sondern auch der Partei als Ganzes. Für diese darf sich nicht nur die Partei erneuern.

Die Büros der Abgeordneten können ein sozialer Raum werden, an dem man an der Partei teilhaben kann, die Nachbarschaft vernetzen und anhand von konkreten Konflikten organisieren.

Die Abgeordneten können durch ihre Abgeordnetenbüros und ihre Arbeit im Allgemeinen, die Erneuerung quasi von unten unterstützen, in ihren Ortsverbänden aktiv und präsent sein (nicht nur für die Pressefotos auf Veranstaltungen). Viele Büros waren in der Vergangenheit eher Echokammern des Parlaments – sie trugen hinaus, was drinnen gesagt wurde, statt selbst politische Resonanzräume zu sein. Die Büros der Abgeordneten können ein sozialer Raum werden, an dem man an der Partei teilhaben kann, die Nachbarschaft vernetzen und anhand von konkreten Konflikten (der Vermieter macht Quatsch, das Schwimmbad soll geschlossen werden, der ÖPNV ist unzuverlässig, usw.) organisieren. Wichtig dabei ist, dass das eben nicht die Angestellten, sondern die Abgeordneten selbst machen. Ihre Rolle ist es, diesen Raum zu schaffen und Verknüpfungen zum Parlament herzustellen. Das kann nicht erreicht werden, wenn man die lokale Arbeit an die Angestellten abgibt. Die Partei sollte der Akteur werden, der unterschiedliche gesellschaftliche Stränge zusammenführt, bündelt, strukturiert und Gesellschaft organisiert. Das Linxxnet und Interim in Leipzig zeigen, dass auch die außerparlamentarische Linke von den Ressourcen der Fraktionen und Partei profitieren kann. Beide Büros sind schon jetzt Orte, an denen sehr unterschiedliche Akteure zusammenkommen und Synergien entstehen. Da gerade die Streichung von staatlichen Förderungen für viele linke Gruppen und Projekte im Gespräch sind, wird die Notwendigkeit einer solchen Verzahnung weiter zunehmen. Ferat Koçak hat gezeigt, dass es auch als Abgeordneter möglich ist, eine aufrichtige Verbindung zwischen dem Kiez, den Nachbar*innen und der Partei zu verkörpern. Benötigte Ansätze sind in der Partei vorhanden. Sie müssen ausgewertet, zusammengeführt, angepasst und ausgeweitet werden. 

Von der Parlamentslogik zur lokalen Verankerung

Der Erfolg droht die Partei zu überrollen. Unreflektiert einfach weiter machen, würde bedeuten, Fehler der Vergangenheit zu reproduzieren. Die Aufgabe der Partei und Fraktion ist es jetzt, diese einzelnen Ansätze in ein Konzept zu überführen und dieses in der Fläche umzusetzen. Da die Zwänge des Parlamentes Abgeordnete allzu schnell einnehmen, müssen Fraktion und Partei aktiv dagegen arbeiten und sich von der parlamentarischen Logik lösen, indem die Abgeordneten zu zentralen Akteuren auf der lokalen Ebene werden, also hin zu einer Logik der Organisierung. Das kann nur funktionieren, wenn die Abgeordneten von Anfang an in die Arbeit der Partei eingebunden sind. Sozialberatungen, Heizkostencheck, Hausaufgabenhilfe entfalten ihre wahre Kraft erst in der Verbindung der Akteur*innen mit den Ressourcen und Möglichkeiten des Parlaments. Der vorpolitische Raum sollte viel aktiver und bewusster genutzt werden. In der Schule, den Betrieben, den Kneipen, den Cafés entsteht Gemeinschaft. Dort gibt es die Möglichkeit, Politik nahbar zu machen und gleichzeitig den vorpolitischen Raum wieder zu repolitisieren und eigene Räume zu schaffen. Durch Finanzialisierung, Einhegung und Inflation werden immer mehr soziale Räume verdrängt oder unzugänglich. Die Partei hat die Kapazitäten, diese Räume selbst zu schaffen. In Zeiten der Hyperpolitik gibt es die Möglichkeit, institutionelle Bindung der Bevölkerung durch Räume mit niedrigen Eintrittsschranken zu stärken, denn obwohl die Parteibindung in allen westlichen Ländern abgenommen hat, sind in Deutschland immerhin noch ca. 40 Prozent der Bevölkerung in Vereinen organisiert. An diese Organisationsstrukturen kann man anknüpfen und dadurch die zunehmende Repolitisierung institutionalisieren.

Von der Statistik zur Selbstermächtigung

Vor der Wahl gab es, vor allem abseits der Großstädte, Schwierigkeiten aktive Mitglieder zu finden. Mit den immens gestiegenen Mitgliederzahlen gibt es mittlerweile wieder Ressourcen. Doch wie viele aktiv werden wollen und in welchem Ausmaß, ist offen. Rein statistisch ist Die Linke eine neue Partei: Über 40 Prozent der Parteimitglieder sind erst dieses Jahr eingetreten. Das stellt eine enorme organisatorische und politische Herausforderung für die Partei dar. Die Vorsitzenden reagierten optimistisch, aber zentrale Konzepte fehlen bisher. Praktisch, organisatorisch und ideologisch.

Praktisch: Veranstaltungen zu diskutieren und umzusetzen ist immer noch Aufgabe der Vorstände. Im Wahlkampf integrierte man, eher aus der Not als aus strategischen Überlegungen, die Neumitglieder in die Parteiarbeit. Trotzdem gibt es zu wenig Möglichkeiten, als einfaches Basismitglied sich aktiv in die Arbeit einzubringen und diese mitzugestalten, außer man ist schon politisch erfahren und versteht die Abläufe. Mitglieder werden dadurch passiviert, gerade die Neumitglieder. Ihnen sollte der Raum gegeben werden, sodass sie Selbstermächtigung und Gemeinschaft erfahren können. Dafür fehlt es weniger an Kapazitäten, noch an Ansätzen und Ideen, sondern an Ermächtigung der Basisstrukturen. Dabei bringen die Neueingetretenen sicher Ideen und Bedürfnisse mit, die Gehör verdienen. Das Ziel der Partei sollte sein, die Mitglieder zu befähigen, Politik zu machen und dafür den Raum zu bieten. Dafür ist die Organisationsstruktur zu sehr auf Funktionär*innen ausgelegt.

Meinungspluralismus ist ein Gewinn, solange es eine gemeinsame inhaltliche und strategische Grundlage gibt

Ideologisch: Um die Neumitglieder zu Aktiven werden zu lassen, braucht es gemeinsame politische Bildungsarbeit. Nicht einheitliche Positionen sind das Ziel. Vielmehr muss Gesellschaft kritisch betrachtet werden können, um sie zu verändern. Eine materialistische Analyse ist für eine sozialistische Partei unabdingbar, um die Welt zu verändern. Bildungsarbeit in der Partei spielte lange eine untergeordnete Rolle. Nun braucht es breite Bildungsangebote, etwa zur aktuellen politischen Lage und den Konsequenzen, die daraus für die politische Linke entstehen. Dies ist auch vielfach geäußertes Bedürfnis der Neumitglieder und erster Anknüpfungspunkt an eine materialistisch-dialektische Schulung. Die Linksjugend [’solid] hat in den letzten Jahren schon die Kapazitäten für Grundlagenseminare ausgebaut. Dabei legt sie den Fokus auf genau diese Denkstrukturen, die sich von einer moralischen Kapitalismuskritik emanzipieren und deren Konsequenz die Notwendigkeit des Sozialismus offenlegen. Marxismus als Instrument, um die Welt zu begreifen, unterscheidet Sozialist*innen von »Bauch-Linken«.

Die Bildungsarbeit in der Partei muss dafür dezentralisiert, Verantwortliche gefunden und bestimmt, Ressourcen bereitgestellt werden. Politische Bildung sollte als Baustein des Parteiaufbaus verstanden werden, als eine Grundlage für die inhaltliche und strategische Kohärenz einer Organisation. Dafür braucht es einen roten Faden, der durch die Veranstaltungen gelegt wird, sofern man nicht unterschiedliche Ansätze parallel laufen lassen möchte, die kein sinnvolles Ganzes ergeben. 

Teil der Bildungsarbeit sind auch immer Debattenräume, deren Besetzung aber hauptsächlich in den Strömungen liegt. Die Aushandlung von Anträgen durch Funktionär*innen ist symptomatisch für die Funktion der Partei und zeugt von einer Positionsfindung, die jedoch oft weniger in Prozessen als Beschlüssen gedacht wird. Das ist insofern problematisch, als dass dadurch Debatten zwischen den Basismitgliedern außer Acht gelassen werden. Diese erfahren nur die Ergebnisse, ohne den konkreten Aushandlungsprozess zu kennen. Inhaltliche sowie strategische Kohärenz fällt nicht vom Himmel, sondern muss bewusst erarbeitet und diskutiert werden. Aktuell gibt es einen überproportionalen Fokus auf Funktionär*innen. Einzelne Landesvorstände sind in der Vergangenheit durch alle Ortsverbände getourt, um regionale Debatten zum Wahlprogramm zu ermöglichen. Solche Konzepte können der Partei helfen, Einigkeit zu erhöhen und Basismitglieder besser einzubinden. Die Grundsatzerneuerung 2027 sollte genau in solchen Prozessen gedacht werden. Es braucht dezentrale Diskussionen, über die Ebenen gebündelt werden und bis zum Bundesparteitag reichen. Letztes Jahr wurden mit dem Plan 25 Grundsteine für Basisprozesse gelegt. 

Die Linke zentralisiert die Aufgabenverteilung stark auf Funktionär*innen. Das bringt zwar einige Vorteile mit sich, bspw. bei der Umsetzung von Strategie und Kampagnen. Doch im Allgemeinen führt es dazu, dass man sich auf die Gremien als Akteure verlässt, ohne ausgleichend die Basis zu emanzipieren. Deshalb braucht es jetzt ein Umdenken: Was bietet die Partei ihren Mitgliedern? Wie können und sollen sie mitarbeiten?

Der große Verlust einer Kader- oder Funktionärspartei ist immer die fehlende Emanzipation ihres politischen Subjekts, denen eine untergeordnete Rolle zugewiesen wird. 

Deshalb braucht Die Linke lokale, regelmäßige Treffen als Keimzelle. Praxis und Bildungsarbeit müssen von unten gedacht und aufgebaut werden. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Die Linke hilft zeigt, dass die Symbiose eines emanzipatorischen Projekts, welches an der Basis ansetzt und zentral durch die Partei unterstützt wird, effektiv sein kann. 

Die Existenzangst der letzten Monate konnte in produktive Einigkeit übersetzt werden, jetzt braucht es etwas Neues, was Einigkeit schafft. Immer noch existieren parallel sehr unterschiedliche Strömungen mit diametralen Ansätzen. Meinungspluralismus ist ein Gewinn, solange es eine gemeinsame inhaltliche und strategische Grundlage gibt. Der Richtungskampf innerhalb der Partei hat sich mit dem Austritt des Wagenknechtflügels verändert, aber nicht aufgehört. Bis zum Wahltag gab es einen legitimen Grund, die Konflikte vorerst ruhen zu lassen. Das stillschweigende Einverständnis ist jedoch schon jetzt im Begriff zu bröckeln, wie das Abstimmungsverhältnis linker Minister*innen zum Finanz- und Aufrüstungspaket von CDU, SPD und Grüne in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern zeigte. Über solidarische Praxis, den vorpolitischen Raum und eine strukturelle Emanzipation der Basis kann man sich die Einigkeit erarbeiten.

 Erneuerung von der Basis

Der Parteitag in Halle versprühte eine Hoffnung, der Wahlkampf Euphorie. Jetzt müssen Anknüpfungspunkte geschaffen werden, damit nicht beides wieder verfliegt. Die Sehnsucht nach einer einheitlichen Parteistrategie ist bei vielen so groß, dass sie glauben, sie existiere bereits. Wenn man den Trend der letzten Monate verstätigen möchte, sollte die Partei sich selbst verstetigen. Damit Die Linke zum Zentrum einer sozialistischen Bewegung werden kann, braucht es eine radikale Erneuerung von Strukturen und Praxen, um eine neue sozialistische Partei zu ermöglichen, die Klassenmacht aufbaut. 

Bisher ist die Art und Weise, wie die Linkspartei Politik macht, im Vergleich zu anderen Parteien fast vollständig austauschbar. Es scheint, als würde man lieber über die Erneuerung reden, als sie tatsächlich umzusetzen. Die Partei muss sich einmal umkrempeln. Es reicht nicht lose Kongresse abzuhalten und sich über Erfolge, Fehler und Perspektiven auszutauschen. Daraus müssen strukturelle und strategische Konsequenzen gezogen und die bereits vorhandenen Ansätze kohärent ausgebaut werden.

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