Angesichts der unschönen Ergebnisse der Bundestagswahlen, wie habt ihr die Wiedergeburt der Linken erlebt?

Hans-Jürgen Urban: Überrascht und erfreut zugleich! Die Herausforderungen sind immens. Wir stehen vor der Epochenaufgabe einer ökologischen Transformation. Sie wird nur gelingen, wenn aus der ökologischen auch eine soziale Transformation wird. Eine linke Kraft, die wichtigen verteilungs- und sozialpolitischen Forderungen in den Parlamenten eine Stimme verleiht, erkennbar an Lösungen für die drängenden sozialen Probleme arbeitet und sich mit politisch-moralischer Eindeutigkeit in die gesellschaftlichen Debatten einmischt, ist eine Bedingung dafür, dass wir einer solchen Transformation näherkommen können. 

»Der ökologische Umbruch muss mit einem gerechtigkeitspolitischen Aufbruch einhergehen. Linkes Agenda Setting muss hier ansetzen.« (Hans-Jürgen Urban)

Magdalena Schulz: Dass die Partei Die Linke es auf 8,8 Prozent geschafft hat, zeigt für mich auch, dass Grüne und SPD links deutlich Platz gelassen haben. Die Grünen waren bei den Europawahlen 2019 noch die Hoffnungsträger der jungen Leute, die von einer besseren Welt geträumt haben. Das hat sich durch die Entwicklungen der letzten Jahre endgültig erledigt, und auch die SPD kann schon lange nicht mehr glaubwürdig von sozialer Gerechtigkeit sprechen. In diese Lücke hat sich Die Linke mit einem starken Wahlkampf, der kommunikativ klar auf die soziale Frage zugespitzt war, hineingearbeitet. Dort, wo viele Haustürgespräche geführt wurden und den Menschen zugehört wurde, hat sich das direkt in den Wahlergebnissen niedergeschlagen. 


Julia Dück: Ehrlicherweise war ich sehr überrascht. Ich habe eine Wette haushoch verloren. Denn ich hatte getippt, dass Die Linke knapp unter 5 Prozent landen und nur über drei Direktmandate in den Bundestag einziehen wird. Studien der Rosa-Luxemburg-Stiftung zufolge hat die Partei zwar ein Wählerpotenzial von etwa 20 Prozent. Um dieses besser auszuschöpfen, müsste sie aber einen guten Teil der enttäuschten Grünen- und SPD-Wähler*innen gewinnen. Genau daran hatte ich Zweifel. Die Fokussierung auf das Mietenproblem, steigende Kosten und die Skandalisierung von Milliardär*innen – das sind alles keine wirklich neuen Ansätze. Aber der Haustürwahlkampf und der »Heidi-Reichinnek-Moment« haben es geschafft, sowohl einen Teil der an sozialer Gerechtigkeit interessierten Wähler*innen zu mobilisieren als auch diejenigen enttäuschten SPDler*innen und Grünen, die Angst vor einer Faschisierung haben. Voraussetzung dafür war der längst überfällige Weggang des Wagenknecht-Flügels. Da musste vieles zusammenkommen. Der Erfolg der Linken hat mich sehr gefreut. Nichtsdestotrotz: Insgesamt hat der linke Pol bei der Bundestagswahl an Zustimmung verloren.

Steht nach dem Rechtsruck bei den Bundestagswahlen mit der neuen Bundesregierung nun eine neoliberale Offensive an? Worauf müssen wir uns einstellen?

Hans-Jürgen Urban: Wenn die neue Bundesregierung tatsächlich 500 Milliarden Euro für Investitionen in die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur bereitstellt, dann ist das zu begrüßen. Doch schon heute sind harte Konflikte absehbar. Ob der notwendige Pfadwechsel in der Ökologiepolitik eingeleitet wird, scheint mir eher fraglich. Vor allem aber kommt mir die verteilungs- und sozialpolitische Dimension zu kurz: Wenn sich die avisierte staatliche Investitionspolitik in eine angebotsorientierte Wirtschafts- und Sozialpolitik einordnen sollte, und vieles spricht leider dafür, dann drohen Arbeitsplatzverluste, Sozialabbau und Umverteilung von unten nach oben. Unverzichtbar ist und bleibt daher eine Steuerpolitik, die das Geld dort abholt, wo es im Übermaß vorhanden ist, nämlich bei übergroßen Erbschaften- und Vermögen, bei Spitzeneinkommen und bei Finanzerträgen. Mit anderen Worten: Der ökologische Umbruch muss mit einem gerechtigkeitspolitischen Aufbruch einhergehen. Linkes Agenda Setting muss hier ansetzen. Dazu wird auch gehören, jener unsäglichen gesellschaftlichen Diskursverschiebung etwas entgegenzusetzen, die die Privilegien der Wirtschaftseliten ausblendet und stattdessen Verteilungsfragen zwischen den Generationen (alt gegen jung), zwischen Bürgergeldempfänger*innen und den »ehrlichen Arbeitern« sowie In- und Ausländer*innen konstruiert. Die faktische Schließung der Grenzen für Asylsuchende verstößt gegen europäisches Recht und ist vor allem eine Verbeugung vor Rechtsaußen. Die Drohung mit dem völligen Entzug des Bürgergelds für sogenannte Arbeitsverweigerer bedient vor allem Vorurteile gegenüber Arbeitslosen. Widerstand ist auch gegen alle Versuche angesagt, den Sozialstaat mit der Kettensäge des Bürokratievorwurfs zu attackieren. Um nur ein Stichwort zu nennen: Im Arbeitszeitgesetz soll die Begrenzung der täglichen Höchstarbeitszeit von grundsätzlich acht Stunden abgeschafft werden, obwohl die gesundheitsschädigenden Folgen überlanger Arbeitszeiten vielfach belegt sind. Mal abgesehen davon, dass bereits das geltende Gesetz Ausnahmen von dieser Regelung ermöglicht: Abschaffung des Acht-Stunden-Tages als Bürokratieabbau? Das ist doch eher kapitalorientierte Wettbewerbspolitik zulasten der abhängigen Arbeit.


Magdalena Schulz: Die Reform der Schuldenbremse lässt ja darauf hoffen, dass zumindest das absolute Spardogma ein Ende hat – eigentlich kein Anzeichen für einen neoliberalen Turn. Die Frage ist aber, in welche Infrastruktur am Ende wirklich investiert wird. Fließt das Geld in Krankenhäuser und Schulen oder in Autobahnen und fossile Infrastruktur? Investitionen, die bisher aus dem Stammhaushalt gezahlt wurden, sollen in Zukunft teilweise über das Sondervermögen finanziert werden. Ich habe wenig Hoffnung, dass jetzt wirklich die große Investitionsoffensive in Daseinsvorsorge und Klimaschutz kommt, die es eigentlich bräuchte. Merz’ gesetztes Ziel ist es außerdem, den Sozialstaat weiter auszuhöhlen. Die CDU hat mit der Agenda 2030 einiges angekündigt, aber nicht alles im Koalitionsvertrag durchsetzen können. Die Finanzierung von Rente, Gesundheit und Pflege bleibt offen. Eine neoliberale Offensive ist also in Sicht. Sie kann nur dazu führen, dass sich noch mehr Menschen abgewertet fühlen. Am Ende wird dieser Frust vor allem weiterhin den Rechten in die Karten spielen.

»Grüne und SPD haben sich zuletzt selbst daran beteiligt, den Nährboden für den erstarkenden Rechtsruck zu bereiten.« (Magdalena Schulz)

Julia Dück: Ich sehe bei Merz und seinem Flügel in der CDU/CSU-Fraktion auch faschistische Elemente. Das zeigen die gemeinsame Abstimmung mit der AfD, die Ankündigung, am Tag eins nach der Wahl die Grenzen zu schließen, was jeglicher rechtsstaatlichen Grundlage entbehrt, die Dämonisierung der »Anderen« wie Geflüchtete oder Bürgergeldbezieher*innen. Es ist nicht mehr alleine die AfD, die eine Faschisierung in Deutschland vorantreibt, daran beteiligen sich auch Teile der Union. Das sollten wir auch so benennen. Wenn wir über Merz‘ Vorstellung von Wirtschaftspolitik sprechen, dann finde ich den Begriff der spät-neoliberalen Offensive treffend: Merz hat ja klar gesagt, dass er die Schulden­bremse für Ausgaben in die soziale Infrastruktur und Sozialpolitik nicht anfassen will. Für ihn sind eine stärkere Militarisierung, der sogenannte Bürokratieabbau und Steuererleichterungen für Unternehmen sowie die Senkung der Sozialausgaben zentral. In einer Koalition mit der SPD kann Merz seine Vorstellungen natürlich nicht in Reinform durchsetzen. Dennoch zeigt es die Richtung der kommenden Auseinandersetzungen an. Eine neue Welle der Austeritätspolitik ist mehr als wahrscheinlich. 

Braucht es nun – angelehnt an Frankreich – eine gesellschaftliche Volksfront gegen die weitere Faschisierung sowie die absehbaren Angriffe auf soziale Errungenschaften in Form von Austerität und Deregulierung?

Hans-Jürgen Urban: Kein Zweifel: In Gesellschaft und staatlichen Institutionen hat sich ein menschenfeindlicher Autoritarismus festgesetzt. Der massive Zugewinn der AfD bei der Bundestagswahl 2025 und ihre Stellung als zweitstärkste Kraft im bundesdeutschen Parteienspektrum, in Umfragen teilweise schon vor der Union, sind ein nicht zu übersehender Beleg. Und mehr noch: Der Resonanzraum rechter Erzählungen reicht bis in die gesellschaftliche Mitte hinein. Eine demokratiestabilisierende Gegenbewegung ist dringend geboten. Dass es hier breite Bündnisse braucht, liegt auf der Hand. Doch das ist leichter gesagt als getan. Bisher bleibt unklar, wer ein solches »Pro-Demokratie-Bündnis« tragen und mit welchen Strategien es sich der rechten Offensive entgegenstellen sollte. Es gab in der Vergangenheit ja durchaus zivilgesellschaftliche Proteste gegen rechts. Doch je breiter diese ausfielen, umso besser waren die Ergebnisse der AfD an der Wahlurne. Ein antifaschistisches Bündnis muss sich dieser Paradoxie stellen. Vorwiegend moralisch begründete Massenproteste reichen offensichtlich nicht. Es muss etwas hinzukommen. Ein Bündnis gegen rechts muss eine »Mobilisierungs-Plus-Strategie« entwickeln, die in den rechten Milieus vor allem die adressiert, die für demokratische Konfliktlösungen noch erreichbar sind. Ein riskantes Unterfangen, aber ohne eine solche Orientierung werden wir die Verfestigung einer rechten Massenbasis nicht verhindern können. 


Magdalena Schulz: Ein ähnlich angelegtes Bündnis wie der Nouveau Front populaire aus vielleicht SPD, Grünen und Linkspartei hätte ein Glaubwürdigkeitsproblem. Grüne und SPD haben sich zuletzt selbst daran beteiligt, den Nährboden für den erstarkenden Rechtsruck zu bereiten. Die SPD wird jetzt genau dort weitermachen. Die Ängste und der Frust derjenigen, die jetzt AfD wählen, sind ja in Teilen völlig berechtigt. Es braucht ein klares Bild davon, wer wirklich Schuld an der ganzen Misere trägt, einen stetigen Vertrauensaufbau sowie deutliche Beweise dafür, dass man es selbst anders macht. Was in Deutschland weniger Beachtung findet, ist, wie im Front populaire die Zusammenarbeit zwischen nicht parteigebundener Zivilgesellschaft und Parteien gelungen ist. Es gab da ein gemeinsames Commitment: Jetzt kommt es drauf an, dass wir uns im Kampf gegen rechts gemeinsam hinter ein im weitesten Sinne links-grünes Gesellschaftsprojekt stellen. Und plötzlich haben Tausende Menschen Wahlkampf gemacht, die dies zuvor noch nie getan hatten. In Ansätzen gab es dieses Phänomen ja auch im Wahlkampf der Linkspartei. Ich glaube, eine linke Volksfront kann es dann geben, wenn es gelingt, die Zivilgesellschaft auf ein gemeinsames politisches Projekt zu verpflichten und gleichzeitig dabei den Fokus auf die Ansprache von Menschen zu richten, die weder mit der organisierten Zivilgesellschaft noch mit Parteien bisher irgendwas am Hut haben wollten.


Julia Dück: Die massenhaften Proteste waren Ausdruck einer breiten gesellschaftlichen Angst vor dem Faschismus, vor Entwicklungen, auf die wir seit Jahren keine Antwort haben. Diese breit geteilte Angst kann mobilisieren. Aber diese Mobilisierungen halten nicht auf Dauer. Viele derjenigen, die auf die Straße gehen, wollen vor allem ihre Position im politischen Raum repräsentiert sehen, nicht selbst kämpfen. Entsprechend waren Versuche, die Proteste in längerfristige, wirklich breite Bündnisse zu überführen, vorerst nicht erfolgreich. Nur: Auf der Ebene der politischen Repräsentation gibt es im Moment keine politischen Mehrheiten für eine konsequente antifaschistische Position. Die gute Nachricht: Die Linke ist als einzige politische Kraft durch ihre klare antifaschistische Haltung nunmehr auch für Teile der enttäuschten Grünen- und SPD-Anhänger*innen wählbar geworden. Die schlechte Nachricht: Es fragt sich, wie eine gesellschaftliche Volksfront in Deutschland unter diesen Bedingungen aussehen könnte. Die SPD kann in der Regierung schlecht gegen sich selbst demonstrieren. Und selbst wenn die Grünen in der Opposition ihr humanistisches Gewissen wiederentdecken sollten, wäre es für sie sicherlich nicht einfach, ihre Glaubwürdigkeit wiederzugewinnen. Dafür bräuchte es eine echte Erneuerung der Partei. Gesellschaftspolitisch sieht die Situation anders aus. Im Vorfeld der Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg haben sich eine Reihe von Verbänden, Kirchenorganisationen und Unternehmen für die »Brandmauer« ausgesprochen und sich offensiv gegen die AfD positioniert. Darüber hinaus ist es Akteuren wie »Widersetzen« gelungen, massenhafte Mobilisierungen gegen die Parteitage der AfD zu organisieren; die Kampagne für ein AfD-Verbot erlebt weiterhin einen starken, nicht endenden Zustrom an Mitstreiter*innen. Es gibt durchaus eine Offenheit für breite Bündnisse gegen den Faschismus – und eine zunehmende Dringlichkeit.

Was könnten Verbindungslinien eines sozial-ökologischen Antifaschismus sein, wie könnte er zu einem attraktiven Projekt für möglichst viele werden?

Hans-Jürgen Urban: Moralischer Antifaschismus ist gut und richtig, reicht aber nicht. Wir müssen über die politisch-inhaltlichen Essentials einer linken demokratiestabilisierenden Politik nachdenken. Ich will auf drei Aspekte hinweisen: Da gilt es erstens die Spezifik der gegenwärtigen Epoche herauszuarbeiten. Die multiplen Krisendynamiken wirken als Energiezufuhr für antidemokratische Kräfte. Nur wenn es gelingt, die notwendige Dekarbonisierung der Produktions- und Lebensweise mit einer sozialen Transformation zu verbinden, wird man diese Energiezufuhr unterbrechen können. Dabei können Umlenkungen von Investitionen, etwa von der Automobil- in die Rüstungsindustrie, weder das ökologische noch das Beschäftigungsproblem lösen. Und sozial nachhaltig wäre ein solcher Paradigmenwechsel auch nicht. Es gibt wohl kaum etwas Unsozialeres als eine forcierte Rüstungspolitik, die – das lehrt die Vergangenheit – früher oder später zulasten des Sozialstaates geht. Kurzum: Aufrüsten, um Arbeitsplätze zu sichern, das ist nicht die Linie der IG Metall. Zweitens sollte sich die Gesellschaft, zumindest die gesellschaftliche und politische Linke, wieder deutlich stärker mit den systemischen Gefahren auseinandersetzen, die vom Kapitalismus für die Demokratie ausgehen. In einem Gesellschaftsmodell, in dem kleine und große Wirtschaftskrisen immer wieder die soziale Sicherheit und gesellschaftliche Anerkennung großer Bevölkerungsgruppen attackieren, bleibt die politische Demokratie notwendigerweise fragil. Und drittens braucht gerade die Linke einer Art demokratiepolitische Vorwärtsverteidigung. Das heißt: Der Kampf um politische Demokratie muss auch und gerade an den Orten geführt werden, an denen tagtäglich nicht demokratische Selbstbestimmung eingeübt wird, sondern an denen sich Belegschaften und ihre Interessenvertretungen mühsam gegen hierarchische und autoritäre Strukturen durchsetzen müssen: im kapitalistischen Betrieb und in der kapitalistischen Wirtschaft insgesamt. Positiv formuliert: Wissenschaftliche Studien und gewerkschaftliche Erfahrungen belegen, dass positive Demokratieerfahrungen durch kollektive Einflussnahme auf betriebliche Entscheidungen auch die Resilienz gegenüber autoritären Anrufungen in der Gesellschaft steigern. Offensive Demokratiepolitik muss in diesem Sinne als wirtschaftsdemokratische Transformationspolitik verstanden werden. Da ist auch für die gewerkschaftlichen Debatten noch Luft nach oben.


Magdalena Schulz: Will man eine solche Front gesellschaftlich aufbauen, kommt man nicht drum herum, die brennenden sozialen Fragen und den Konflikt zwischen oben und unten in den Mittelpunkt zu stellen. Genau das, in Verbindung mit einem klaren antifaschistischen Standpunkt, hat dem Nouveau Front populaire in Frankreich zum Sieg verholfen. Das muss aber nicht bedeuten, sich vor der ökologischen Frage wegzuducken, weil sie vermeintlich unpopulär ist. Ich glaube eher, dass eine Klimapolitik, die soziale Härten, wenn überhaupt, zu spät und zu wenig berücksichtigt hat, vielen Menschen Angst eingejagt hat. Dabei sind es doch gerade Menschen, die körperlich arbeiten, die die Folgen der Erderhitzung im Alltag am schnellsten und härtesten zu spüren bekommen. Und es sind auch nicht die Topmanager von Daimler, VW und BMW, die an stark befahrenen, lauten und verdreckten Straßen wohnen, sondern Menschen, für die die ruhigen Wohnlagen unbezahlbar sind. Es gilt also einerseits, die Betroffenheit ökologischer Krisen als eine Klassenfrage zu begreifen und zu benennen, aber, was wahrscheinlich noch wichtiger ist, klarzumachen, dass sich die Klimakrise nur bekämpfen lässt, wenn sie mit einer gigantischen Umverteilung von Vermögen und Produktionsmacht einhergeht. Das Ganze muss dann mit konkreten Projekten unterfüttert werden: zum Beispiel mit einer Vermögensabgabe fürs Klima, mit der dann energetische Sanierungen, bezahlbare Energiepreise und ein günstiger und gut ausgebauter Nahverkehr finanziert werden. 


Julia Dück: Wenn es so etwas wie eine gesellschaftliche Volksfront gegen den Faschismus geben sollte, müsste sie Fragen von Austerität und Deregulierung thematisieren, die mit einer Merz-Regierung auf uns zukommen werden. Gleichzeitig glaube ich, dass eine Fokussierung auf soziale Fragen nicht ausreicht. Der Aufstieg der Rechten konnte auch gelingen, weil es Abwertungserfahrungen auf kultureller und subjektiver Ebene gab. So haben etwa die Veränderungen der Arbeits- und Lebensweisen zu einer Abwertung fordistischer Männlichkeit geführt. All das lässt sich mit einem alleinigen Fokus auf soziale oder sozial-ökologische Fragen nicht adressieren. Eine gesellschaftliche Volksfront gegen den Faschismus müsste auch für neue solidarische Arbeits- und Lebensweisen werben und bei den Menschen den Wunsch nach Veränderung wecken, weil sie sehen, dass sie damit etwas zu gewinnen haben. 

»Wenn es so etwas wie eine gesellschaftliche Volksfront geben sollte, müsste sie Fragen von Austerität und Deregulierung thematisieren.« (Julia Dück)

Das Problem ist, dass es ein solches gesellschaftliches Projekt bisher nicht gibt. Um die bereits existierenden Bewegungen zu verbinden, sind daher die Angst vor dem Faschismus und die Opposition zur AfD die Ansatzpunkte. Von dort ausgehend kann an andere Fragen inhaltlich angeknüpft und auf die sozialen Ursachen für den Aufstieg der Rechten hingewiesen werden. Vielleicht bräuchte es noch einmal etwas Ähnliches wie »Unteilbar«. Allerdings ist es notwendig und zugleich herausfordernd, in einer solchen Bewegung Fragen von Austerität, Deregulierung und von Migration zu integrieren. »Unteilbar« ist in einer anderen gesellschaftlichen Situation entstanden, nach dem Sommer der Migration und im Sommer der Solidarität. Jetzt haben wir mit Blick auf migrationspolitische Fragen eine andere gesellschaftliche Stimmungslage. 

Welche Rolle kann die erneuerte Linke als Partei darin spielen? Habt ihr spezifische Erwartungen an sie?

Hans-Jürgen Urban: Die Linke könnte in den anstehenden Transformationskonflikten und sozialen Auseinandersetzungen jene Kraft sein, die die sozialen Abstiegsängste der abhängig Beschäftigten ernst nimmt und den rückwärtsgewandten antihumanistischen und demokratiefeindlichen Erzählungen der Rechten eine solidarische Antwort entgegenstellt. Die Kernfrage wird dabei sein, wie man eine transformative Politik der Dekarbonisierung mit einem ausgebauten, eingreifenden Sozialstaat verbindet. Der anstehende Kampf um die Zukunft des Sozialstaates und die mit ihm verbundenen Verteilungskonflikte beschreiben die Arenen, in denen Die Linke für die Arbeits- und Sozialinteressen der abhängig Beschäftigten als profilierte Kraft streiten muss. Dabei wäre es notwendig, das wirtschaftspolitische Profil der gesellschaftlichen und politischen Linken insgesamt zu schärfen. Nicht zuletzt im erwähnten wirtschaftsdemokratischen Sinne. Hier könnte die Partei eine Art Alleinstellungsmerkmal entwickeln.


Magdalena Schulz: Die Linke müsste eine glaubwürdige dritte Alternative zu dem ständigen »Weiter so« der etablierten Parteien und dem rückwärtsgewandten, menschenfeindlichen Kurs der Rechten aufzeigen. Immer mehr Menschen fürchten oder erleben, dass ihre Sorgen in der Politik kaum Beachtung finden. In diesen Zeiten bloß den beängstigenden Status quo zu verteidigen und »die Demokratie« als abstrakten Wert hochzuhalten, wird kaum jemanden davon abhalten, die AfD zu wählen. Stattdessen braucht es eine Kraft, die zuallererst vor Ort ansprechbar ist, im Alltag unterstützt und dort Gemeinschaft organisiert, wo es sonst niemand oder nur die Rechten tun. Statt von oben verändern zu wollen und sich mit den etablierten Parteien gemeinzumachen, müsste sie auf die stetige Verankerung vor Ort setzen. 


Julia Dück: Im Wahlkampf hat Die Linke stark auf die soziale Frage gesetzt, steigende Mieten und Lebenshaltungskosten skandalisiert sowie das Problem der Superreichen. Um überhaupt die Wahrnehmungsgrenze zu überschreiten und wieder sichtbar zu werden, war dies sicherlich eine sinnvolle Strategie. Allerdings hat sich auch gezeigt, dass für den Wahlerfolg der Linken am Ende ihre konsequent antifaschistische Haltung entscheidend war. Das ist nicht nur eine wahltaktische Frage, sondern eine strategische: Auf welche Klassenfraktionen kann und sollte Die Linke zukünftig setzen? Angesichts der zunehmenden Faschisierung reicht es aus meiner Sicht nicht aus, sich allein auf die prekarisierten Klassen zu fokussieren. Die Linke muss auch zur Partei für die enttäuschten Grünen- und SPD-Wähler*innen werden. Das ist nicht nur wichtig, um breitere gesellschaftliche Schichten zu erreichen, sondern auch, weil – ie vorher beschrieben – der Kampf gegen den Faschismus nicht nur ein sozialer sein kann. Die Linke muss ein klassenübergreifendes, antifaschistisches und trotzdem eindeutig linkes Bündnis hinbekommen. Eine solche Stimmung, in der sich verschiedene gesellschaftliche Akteure von der Linken angesprochen fühlen, kann die Partei aber nicht allein erzeugen. Es braucht dafür ein gesellschaftliches Klima, das neue Solidaritäten ermöglicht.


Das Gespräch führte Mario Candeias.

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