Julia Dück: Ich sehe bei Merz und seinem Flügel in der CDU/CSU-Fraktion auch faschistische Elemente. Das zeigen die gemeinsame Abstimmung mit der AfD, die Ankündigung, am Tag eins nach der Wahl die Grenzen zu schließen, was jeglicher rechtsstaatlichen Grundlage entbehrt, die Dämonisierung der »Anderen« wie Geflüchtete oder Bürgergeldbezieher*innen. Es ist nicht mehr alleine die AfD, die eine Faschisierung in Deutschland vorantreibt, daran beteiligen sich auch Teile der Union. Das sollten wir auch so benennen. Wenn wir über Merz‘ Vorstellung von Wirtschaftspolitik sprechen, dann finde ich den Begriff der spät-neoliberalen Offensive treffend: Merz hat ja klar gesagt, dass er die Schuldenbremse für Ausgaben in die soziale Infrastruktur und Sozialpolitik nicht anfassen will. Für ihn sind eine stärkere Militarisierung, der sogenannte Bürokratieabbau und Steuererleichterungen für Unternehmen sowie die Senkung der Sozialausgaben zentral. In einer Koalition mit der SPD kann Merz seine Vorstellungen natürlich nicht in Reinform durchsetzen. Dennoch zeigt es die Richtung der kommenden Auseinandersetzungen an. Eine neue Welle der Austeritätspolitik ist mehr als wahrscheinlich.
Braucht es nun – angelehnt an Frankreich – eine gesellschaftliche Volksfront gegen die weitere Faschisierung sowie die absehbaren Angriffe auf soziale Errungenschaften in Form von Austerität und Deregulierung?
Hans-Jürgen Urban: Kein Zweifel: In Gesellschaft und staatlichen Institutionen hat sich ein menschenfeindlicher Autoritarismus festgesetzt. Der massive Zugewinn der AfD bei der Bundestagswahl 2025 und ihre Stellung als zweitstärkste Kraft im bundesdeutschen Parteienspektrum, in Umfragen teilweise schon vor der Union, sind ein nicht zu übersehender Beleg. Und mehr noch: Der Resonanzraum rechter Erzählungen reicht bis in die gesellschaftliche Mitte hinein. Eine demokratiestabilisierende Gegenbewegung ist dringend geboten. Dass es hier breite Bündnisse braucht, liegt auf der Hand. Doch das ist leichter gesagt als getan. Bisher bleibt unklar, wer ein solches »Pro-Demokratie-Bündnis« tragen und mit welchen Strategien es sich der rechten Offensive entgegenstellen sollte. Es gab in der Vergangenheit ja durchaus zivilgesellschaftliche Proteste gegen rechts. Doch je breiter diese ausfielen, umso besser waren die Ergebnisse der AfD an der Wahlurne. Ein antifaschistisches Bündnis muss sich dieser Paradoxie stellen. Vorwiegend moralisch begründete Massenproteste reichen offensichtlich nicht. Es muss etwas hinzukommen. Ein Bündnis gegen rechts muss eine »Mobilisierungs-Plus-Strategie« entwickeln, die in den rechten Milieus vor allem die adressiert, die für demokratische Konfliktlösungen noch erreichbar sind. Ein riskantes Unterfangen, aber ohne eine solche Orientierung werden wir die Verfestigung einer rechten Massenbasis nicht verhindern können.
Magdalena Schulz: Ein ähnlich angelegtes Bündnis wie der Nouveau Front populaire aus vielleicht SPD, Grünen und Linkspartei hätte ein Glaubwürdigkeitsproblem. Grüne und SPD haben sich zuletzt selbst daran beteiligt, den Nährboden für den erstarkenden Rechtsruck zu bereiten. Die SPD wird jetzt genau dort weitermachen. Die Ängste und der Frust derjenigen, die jetzt AfD wählen, sind ja in Teilen völlig berechtigt. Es braucht ein klares Bild davon, wer wirklich Schuld an der ganzen Misere trägt, einen stetigen Vertrauensaufbau sowie deutliche Beweise dafür, dass man es selbst anders macht. Was in Deutschland weniger Beachtung findet, ist, wie im Front populaire die Zusammenarbeit zwischen nicht parteigebundener Zivilgesellschaft und Parteien gelungen ist. Es gab da ein gemeinsames Commitment: Jetzt kommt es drauf an, dass wir uns im Kampf gegen rechts gemeinsam hinter ein im weitesten Sinne links-grünes Gesellschaftsprojekt stellen. Und plötzlich haben Tausende Menschen Wahlkampf gemacht, die dies zuvor noch nie getan hatten. In Ansätzen gab es dieses Phänomen ja auch im Wahlkampf der Linkspartei. Ich glaube, eine linke Volksfront kann es dann geben, wenn es gelingt, die Zivilgesellschaft auf ein gemeinsames politisches Projekt zu verpflichten und gleichzeitig dabei den Fokus auf die Ansprache von Menschen zu richten, die weder mit der organisierten Zivilgesellschaft noch mit Parteien bisher irgendwas am Hut haben wollten.
Julia Dück: Die massenhaften Proteste waren Ausdruck einer breiten gesellschaftlichen Angst vor dem Faschismus, vor Entwicklungen, auf die wir seit Jahren keine Antwort haben. Diese breit geteilte Angst kann mobilisieren. Aber diese Mobilisierungen halten nicht auf Dauer. Viele derjenigen, die auf die Straße gehen, wollen vor allem ihre Position im politischen Raum repräsentiert sehen, nicht selbst kämpfen. Entsprechend waren Versuche, die Proteste in längerfristige, wirklich breite Bündnisse zu überführen, vorerst nicht erfolgreich. Nur: Auf der Ebene der politischen Repräsentation gibt es im Moment keine politischen Mehrheiten für eine konsequente antifaschistische Position. Die gute Nachricht: Die Linke ist als einzige politische Kraft durch ihre klare antifaschistische Haltung nunmehr auch für Teile der enttäuschten Grünen- und SPD-Anhänger*innen wählbar geworden. Die schlechte Nachricht: Es fragt sich, wie eine gesellschaftliche Volksfront in Deutschland unter diesen Bedingungen aussehen könnte. Die SPD kann in der Regierung schlecht gegen sich selbst demonstrieren. Und selbst wenn die Grünen in der Opposition ihr humanistisches Gewissen wiederentdecken sollten, wäre es für sie sicherlich nicht einfach, ihre Glaubwürdigkeit wiederzugewinnen. Dafür bräuchte es eine echte Erneuerung der Partei. Gesellschaftspolitisch sieht die Situation anders aus. Im Vorfeld der Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg haben sich eine Reihe von Verbänden, Kirchenorganisationen und Unternehmen für die »Brandmauer« ausgesprochen und sich offensiv gegen die AfD positioniert. Darüber hinaus ist es Akteuren wie »Widersetzen« gelungen, massenhafte Mobilisierungen gegen die Parteitage der AfD zu organisieren; die Kampagne für ein AfD-Verbot erlebt weiterhin einen starken, nicht endenden Zustrom an Mitstreiter*innen. Es gibt durchaus eine Offenheit für breite Bündnisse gegen den Faschismus – und eine zunehmende Dringlichkeit.
Was könnten Verbindungslinien eines sozial-ökologischen Antifaschismus sein, wie könnte er zu einem attraktiven Projekt für möglichst viele werden?
Hans-Jürgen Urban: Moralischer Antifaschismus ist gut und richtig, reicht aber nicht. Wir müssen über die politisch-inhaltlichen Essentials einer linken demokratiestabilisierenden Politik nachdenken. Ich will auf drei Aspekte hinweisen: Da gilt es erstens die Spezifik der gegenwärtigen Epoche herauszuarbeiten. Die multiplen Krisendynamiken wirken als Energiezufuhr für antidemokratische Kräfte. Nur wenn es gelingt, die notwendige Dekarbonisierung der Produktions- und Lebensweise mit einer sozialen Transformation zu verbinden, wird man diese Energiezufuhr unterbrechen können. Dabei können Umlenkungen von Investitionen, etwa von der Automobil- in die Rüstungsindustrie, weder das ökologische noch das Beschäftigungsproblem lösen. Und sozial nachhaltig wäre ein solcher Paradigmenwechsel auch nicht. Es gibt wohl kaum etwas Unsozialeres als eine forcierte Rüstungspolitik, die – das lehrt die Vergangenheit – früher oder später zulasten des Sozialstaates geht. Kurzum: Aufrüsten, um Arbeitsplätze zu sichern, das ist nicht die Linie der IG Metall. Zweitens sollte sich die Gesellschaft, zumindest die gesellschaftliche und politische Linke, wieder deutlich stärker mit den systemischen Gefahren auseinandersetzen, die vom Kapitalismus für die Demokratie ausgehen. In einem Gesellschaftsmodell, in dem kleine und große Wirtschaftskrisen immer wieder die soziale Sicherheit und gesellschaftliche Anerkennung großer Bevölkerungsgruppen attackieren, bleibt die politische Demokratie notwendigerweise fragil. Und drittens braucht gerade die Linke einer Art demokratiepolitische Vorwärtsverteidigung. Das heißt: Der Kampf um politische Demokratie muss auch und gerade an den Orten geführt werden, an denen tagtäglich nicht demokratische Selbstbestimmung eingeübt wird, sondern an denen sich Belegschaften und ihre Interessenvertretungen mühsam gegen hierarchische und autoritäre Strukturen durchsetzen müssen: im kapitalistischen Betrieb und in der kapitalistischen Wirtschaft insgesamt. Positiv formuliert: Wissenschaftliche Studien und gewerkschaftliche Erfahrungen belegen, dass positive Demokratieerfahrungen durch kollektive Einflussnahme auf betriebliche Entscheidungen auch die Resilienz gegenüber autoritären Anrufungen in der Gesellschaft steigern. Offensive Demokratiepolitik muss in diesem Sinne als wirtschaftsdemokratische Transformationspolitik verstanden werden. Da ist auch für die gewerkschaftlichen Debatten noch Luft nach oben.
Magdalena Schulz: Will man eine solche Front gesellschaftlich aufbauen, kommt man nicht drum herum, die brennenden sozialen Fragen und den Konflikt zwischen oben und unten in den Mittelpunkt zu stellen. Genau das, in Verbindung mit einem klaren antifaschistischen Standpunkt, hat dem Nouveau Front populaire in Frankreich zum Sieg verholfen. Das muss aber nicht bedeuten, sich vor der ökologischen Frage wegzuducken, weil sie vermeintlich unpopulär ist. Ich glaube eher, dass eine Klimapolitik, die soziale Härten, wenn überhaupt, zu spät und zu wenig berücksichtigt hat, vielen Menschen Angst eingejagt hat. Dabei sind es doch gerade Menschen, die körperlich arbeiten, die die Folgen der Erderhitzung im Alltag am schnellsten und härtesten zu spüren bekommen. Und es sind auch nicht die Topmanager von Daimler, VW und BMW, die an stark befahrenen, lauten und verdreckten Straßen wohnen, sondern Menschen, für die die ruhigen Wohnlagen unbezahlbar sind. Es gilt also einerseits, die Betroffenheit ökologischer Krisen als eine Klassenfrage zu begreifen und zu benennen, aber, was wahrscheinlich noch wichtiger ist, klarzumachen, dass sich die Klimakrise nur bekämpfen lässt, wenn sie mit einer gigantischen Umverteilung von Vermögen und Produktionsmacht einhergeht. Das Ganze muss dann mit konkreten Projekten unterfüttert werden: zum Beispiel mit einer Vermögensabgabe fürs Klima, mit der dann energetische Sanierungen, bezahlbare Energiepreise und ein günstiger und gut ausgebauter Nahverkehr finanziert werden.
Julia Dück: Wenn es so etwas wie eine gesellschaftliche Volksfront gegen den Faschismus geben sollte, müsste sie Fragen von Austerität und Deregulierung thematisieren, die mit einer Merz-Regierung auf uns zukommen werden. Gleichzeitig glaube ich, dass eine Fokussierung auf soziale Fragen nicht ausreicht. Der Aufstieg der Rechten konnte auch gelingen, weil es Abwertungserfahrungen auf kultureller und subjektiver Ebene gab. So haben etwa die Veränderungen der Arbeits- und Lebensweisen zu einer Abwertung fordistischer Männlichkeit geführt. All das lässt sich mit einem alleinigen Fokus auf soziale oder sozial-ökologische Fragen nicht adressieren. Eine gesellschaftliche Volksfront gegen den Faschismus müsste auch für neue solidarische Arbeits- und Lebensweisen werben und bei den Menschen den Wunsch nach Veränderung wecken, weil sie sehen, dass sie damit etwas zu gewinnen haben.