In der Novemberrevolution von 1918 begehrten die Arbeiter, Matrosen und Soldaten auf, die sich nicht länger als Kanonenfutter hergeben wollten. Sie beendet mit ihrem Ungehorsam, der den Auftakt zur Revolution bildet, den Krieg. Der Kaiser musste abdanken, die Republik wurde ausgerufen – die ungehorsamen Matrosen wurden blutig niedergeschossen. Die Weimarer Republik begann. Die Gewerkschaften erreichten während der Weimarer Republik den Höhepunkt ihrer Organisierung mit fast 9 Millionen Mitgliedern. Deutschland war in den 1920er Jahren das europäische Land mit den meisten Arbeitskämpfen. Während Gewerkschaften sich gegen Verarmung und Verelendung stemmten, zog am Horizont des Kapitalismus der Faschismus auf. Die unterschiedlichen Reaktionen von Gewerkschaften auf diese fundamentale Bedrohung der Rechte von Beschäftigten prägt bis heute die Diskussion um Aktionsformen gegen Faschismus und ist in diesen Tagen aktuell wie lange nicht.
Von der Verteidigung der Republik zur Zerschlagung 1933
Kaum war die Weimarer Republik gegründet, versuchten Militärs und Nationalisten unter Wolfgang Kapp und General Walther von Lüttwitz mit einem Staatsstreich gegen die neu gewählte Regierung die Geschichte zurückzudrehen. Die Gewerkschaften reagierten geschlossen und eindeutig: Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB), die Freien Gewerkschaften, die christlichen und liberalen Gewerkschaften sowie die USPD und SPD riefen zu einem der wirksamsten Generalstreiks der deutschen Geschichte auf. Am 13. März 1920 wurden weite Teile Deutschlands durch den Streik lahmgelegt. Innerhalb von Tagen kollabierte die Wirtschaft, Kapp musste am 17. März zurücktreten, die Republik war – zunächst gerettet. Der organisierte Ungehorsam gegen die alten Eliten siegte.
Wirtschaftskrisen, Massenentlassungen, Mitgliederverluste und Spaltung, die Debatte um Revolution oder Reform, Einbindung und Parteienbindung prägte die Entwicklung deutscher Gewerkschaften bis zu ihrer Zerschlagung am 2. Mai 1933. Anders als dreizehn Jahre zuvor, setzten 1933 fast alle Gewerkschaftsführungen nicht auf Kampf und Widerstand, sondern auf Legalismus, Zähmung und Kooperation mit den Nationalsozialisten. Die freien Gewerkschaften unterstützten Versuche, gegen die Ermächtigungsgesetze der NSDAP einen Generalstreik zu organisieren, nicht. Tausende von Gewerkschafter*innen wurden direkt nach der Machtübertragung an Hitler verhaftet, gefoltert und ermordet. Die Nationalsozialisten machten keine Kompromisse. Faschisten machen keine Kompromisse. Die Frage, wie Gewerkschaften damit umgehen, stellt sich heute nicht nur in Deutschland, sondern über Ländergrenzen und Milieus hinweg. Verbindende Klassenpolitiken und Handlungsfähigkeit durch massenhaften zivilen Ungehorsam als Organisierungs- und Handlungsraum gegen die drohende Faschisierung stehen als Angebot im Raum.
Kollektiv widersetzen – aus doppeltem Grund
Anknüpfend an die Massendemonstrationen gegen die »Remigrationspläne« von Teilen der AfD und der neuen Rechten organisiert das Netzwerk widersetzen seit März 2024 Aktionen des massenhaften zivilen Ungehorsams gegen die AfD und ihre Politik und spricht dabei offensiv Gewerkschaften und ihre Mitglieder an. Innerhalb weniger Wochen organisierte das Netzwerk, überwiegend online, in einer Struktur um einen Kreis von wenigen Menschen, die Busanreise von mehr als 70 Bussen, zahlreiche Aktionstrainings und Infoveranstaltungen vor Ort und die Planung von Blockaden gegen den AfD-Parteitag. Wie ein schlafender Riese, der erwacht, kamen antifaschistische Strukturen nach der fast starren Stille der Coronapandemie und der Spaltungen zurück in die kollektive Aktivität. 7 000 Menschen reisten im Juni 2024 – nach nur 12 Wochen Organisierung aus dem Nichts – nach Essen, um den Parteitag der AfD zu blockieren. Die Hälfte von ihnen waren zum ersten Mal in Aktionen des zivilen Ungehorsams. Von den Studis gegen Rechts, über Parteijungenden und Gewerkschafter*innen bis zu den Omas gegen Rechts machten sich Menschen auf, um massenhaften zivilen Ungehorsam gegen die Normalisierung der AfD zu leisten – und auch, um den Raum, den die AfD zu erobern sucht, mit ihren Forderungen, Vorstellungen und Hoffnungen zu füllen und zu verteidigen.
Der erste Erfolg von widersetzen war es, eine Mobilisierung aus den Menschen heraus überhaupt wieder denkbar und lebendig zu machen. Der Mut, sich zu widersetzen, war in der Welt. Er ist (bisher) überwiegend jung, divers und aktivistisch. Die Organisierung von widersetzen ist von hoher Beweglichkeit, enormer Verbindlichkeit untereinander und der Bereitschaft zur Toleranz geprägt. Strukturen, die jahrelang nicht miteinander arbeiten wollten, suchen hier einen Weg, miteinander gegen den Faschismus einen Schritt weiter zu gehen und neben Demonstrationen und Kundgebungen, Aktionen des zivilen Ungehorsams als Element der Selbstermächtigung zu erlernen und weiter zu entwickeln. Dabei nehmen sie in Kauf, für die Verteidigung der Demokratie Repressionen zu erleben. Sie übernehmen eine Verantwortung, die eigentlich die demokratischen Institutionen tragen müssten und es aktuell nicht oder nur mit Lippenbekenntnissen zu tun. Sie brauchen die Unterstützung der Gewerkschaften, um diese Verantwortung tragen zu können und Gewerkschaften brauchen diese beeindruckende Energie, die widersetzen nach innen und außen freisetzt. Die Brandmauer muss gebaut werden und dafür brauchen wir neue Werkzeuge, neue Bauarten, neue Strukturen, die das Alte in sich tragen und das Neue schon leben – kollektive, solidarische Arbeit, die geübt werden muss – auch von und in Gewerkschaften. Die Ernsthaftigkeit, Lernbereitschaft, die Bereitschaft, freie Zeit, Kompetenzen von Hunderten von Menschen zwischen 14 und 80 in das Projekt einzubringen, ist beeindruckend.
Die Resonanz ist in den Gewerkschaften zu Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen AfD-Parteitage und zu widersetzen ist geteilt. Bisher war die Beteiligung von Gewerkschafter*innen, über ein kleines, aktivistisches Spektrum hinaus, gering. Aktuell ist sie erstaunlicherweise rückläufig, obwohl die Akzeptanz in den Gremien zumindest formal steigt.
Die Debatte um notwendigen Widerstand gegen den wachsenden Einfluss der AfD und ihres Umfeldes auf politische Prozesse in den Gewerkschaften hat begonnen und ist notwendig. Gelingt es, unterschiedliche Formen von Protesten zu verbinden oder erschöpfen sich die Akteur*innen im Kampf um Deutungshoheit und Rechthaberei?