Die Occupy-Bewegung, die Proteste von Studierenden in Chile und im kanadischen Montreal, die Kämpfe gegen Austeritätspolitiken in Europa, selbst Teile der Bewegungen des Arabischen Frühlings und die Streiks von LehrerInnen, GesundheitsarbeiterInnen und anderen im öffentlichen Dienst Beschäftigten überall auf der Welt können als Aufbegehren der Klasse derjenigen begriffen werden, die unter dem System des kommunikativen Kapitalismus proletarisiert wurden. Diese Kämpfe sind nicht Kämpfe der Multitude, nicht Kämpfe für mehr Demokratie oder Kämpfe, die allein aus lokalen Bedingungen heraus zu erklären sind. Es sind keine sozialen Abwehrkämpfe der Mittelschichten und es ist nicht der Freiheitsdrang von Netzwerkindividuen, der sich hier Bahn bricht (vgl. Mason 2012). Vielmehr sind es Kämpfe derjenigen, deren Arbeitskraft der kommunikative Kapitalismus ausbeutet und deren Lebensäußerungen von diesem enteignet werden (vgl. Dean 2009, 2010).

Der Begriff der »Wissensarbeiter« bezeichnet diejenigen, deren kommunikative Aktivitäten Werte produzieren, die vom Kapital angeeignet werden (vgl. Fuchs in diesem Heft). Das sind Beschäftigte im expansiven Bereich der Wissens- und Kulturproduktion, sowie jene deren vielfältige, alltägliche, unkommerzielle Formen der Mediennutzung verfolgt, analysiert und in eine proprietäre Ressource der Kapitalakkumulation verwandelt werden (vgl. Fuchs in LuXemburg 1/2015; McKercher/Mosco 2007). Man sollte in diesem Setting des kommunikativen Kapitalismus die verschiedenen Formen der Arbeit − bezahlte, prekäre und unbezahlte − nicht getrennt voneinander behandeln. Sie alle konstitutieren das, was Enda Brophy und Greig de Peuter (2014) sehr anschaulich als »Kreislauf der Ausbeutung« beschrieben haben. Die Kommunikationsnetzwerke sind gleichzeitig Ausbeutungsnetzwerke, die über das gesamte soziale Feld hinweg kommunikative Aktivitäten miteinander verknüpfen.

Revolte der WissenarbeiterInnen

Studien zu Occupy Wall Street, den Gezi-Protesten und den Massendemonstrationen in Brasilien 2013 zeigen, dass in diesen Bewegungen Studierende und hochqualifizierte junge Leute überrepräsentiert sind, viele von ihnen verschuldet, arbeitslos oder unterbeschäftigt (vlg. Milkman/Luce/Lewsi 2013 und Singer 2014). Von ihren Bildungsinvestitionen profitieren sie immer weniger, landen häufig auf Stellen, für die sie überqualifiziert sind. Menschen ohne akademische Ausbildung werden dadurch aus dem Arbeitsmarkt gedrängt, die Langzeitarbeitslosigkeit nimmt zu (Weissmann 2012). In den USA war im Jahr 2013 die Mehrheit der Beschäftigten im Dienstleistungssektor tätig: im Einzelhandel, als KassiererInnen, in der Gastronomie, als Büroangestellte, in der Pflege oder im Kundendienst (Bureau of Labour Statistics 2014).

Anhaltende Arbeitskämpfe stützen die These von der Revolte des »Kognitariats«. Neben den Protestbewegungen hat es in den vergangenen Jahren eine Reihe von Streiks von KommunikationsarbeiterInnen gegeben: die Arbeitskämpfe im öffentlichen Dienst in Wisconsin im Jahr 2011 und der Streik der Chicagoer Lehrerinnen und Lehrer im Jahr 2012, Streiks von MitarbeiterInnen der öffentlichen Verwaltung und Flughafenangestellten in Deutschland; Streiks im Telekommunikationssektor in Ghana; Streiks von LehrerInnen und anderen Beschäftigten im Bildungsbereich im westlichen Australien; 7 000 ÄrztInnen in Südkorea, die sich gegen die Einführung von Telemedizin und Niederlassungen von privaten Krankenhauskonzernen wehren; Arbeitskämpfe von Staatsbediensteten, LehrerInnen, ÄrztInnen und ApothekerInnen in Griechenland und von Schul- und Postangestellten in Indien.[1]

Es wäre jedoch falsch, davon auszugehen, dass der Klassenkampf im kommunikativen Kapitalismus ausschließlich oder überwiegend in klar umrissenen Arbeitsumfeldern stattfindet. Kommunikative Produktion vollzieht sich überall in der Gesellschaft. Mit anderen Worten: Ein Kampf muss nicht unbedingt die Form eines klassischen Arbeitskampfes annehmen, um ein Klassenkampf zu sein. Sowohl Proteste von Studierenden und von Verschuldeten als auch Proteste für bezahlbaren Wohnraum und im Bildungswesen müssen vielmehr als Klassenauseinandersetzungen begriffen werden. Sowohl die Demografie, also die Zusammensetzung der Protestbewegungen, als auch die gegenwärtigen Arbeitskämpfe bestärken also die These von der Revolte der Klasse der Wissensarbeiter.

Kommunikativer Kapitalismus

»Kommunikativer Kapitalismus« bezieht sich auf eine spezifische Form des Spätkapitalismus, in der die zentralen Werte der bürgerlichen Demokratie in vernetzten Kommunikationstechnologien materialisiert sind. Ideale wie Zugänglichkeit, Inklusion, offene Diskussionen und Partizipation werden zunehmend durch eine Ausweitung, Intensivierung und Verkopplung weltweiter Telekommunikation verfolgt. Im kommunikativen Kapitalismus basiert die kapitalistische Produktivität mehr und mehr auf der Enteignung und Ausbeutung kommunikativer Prozesse. Das Kapital nutzt Kommunikation für seine Zwecke: Das gilt gerade auch für die affektiven Formen, wenn es darum geht, sich um ProduzentInnen und KonsumentInnen zu kümmern. Sie sind ein Instrument am Arbeitsplatz, um die ‚menschlichen Beziehungen’ und die Beiträge in den allgegenwärtigen Medienkreisläufen zu verbessern.

Der kommunikative Kapitalismus subsumiert alles, was wir tun. Er verwandelt nicht nur unsere vermittelten Interaktionen, sondern all unsere Interaktionen in Rohmaterial für das Kapital (Bilbao-Osorio et al. 2014). Finanzielle Transaktionen, Interaktionen, die mit Video oder auf Fotos eingefangen sind, GPS-Positionsdaten, Signale von RFID-Chips und bald schon Daten, die von den vielen allgegenwärtigen kleinen Sensoren generiert werden durch das, was als »Internet der Dinge« bezeichnet wird, sodass fast alle Aspekte unseres Lebens demnächst in Datenform ausgewertet werden können. Vor einigen Jahren hätten wir dies noch als die Herausbildung einer Art von kommunikativer Commons begrüßt. Heute, nachdem bekannt ist, dass Massen von unstrukturierten Informationen in gewaltige Datensammlungen einfließen, ist klar: Wir haben es mit etwas viel Umfassenderen zu tun. Das Material, das Marx einst als gesellschaftliche Substanz bezeichnet hat, wird heute von den Kapitalisten Big Data genannt.

Teilt man die Annahmen in Bezug auf den kommunikativen Kapitalismus, dann wirkt sich das auch auf unser Verständnis von Kommunikation, Subjektivität und Gesellschaft aus. Die Vorstellung von einer Nachricht als etwas, das von einem Absender an einen Empfänger geschickt wird, um von diesem eine Antwort zu erhalten, trifft es nicht mehr. In der Kommunikation sind Mitteilungen Beiträge zu zirkulierenden Inhalten. Es vollzieht sich ein Wandel weg vom Vorrang des Gebrauchswerts einer Nachricht hin zu ihrem Tauschwert, das heißt, es zählt immer mehr, ob diese in den Kreislauf eingespeist, von anderen weitergeleitet, gewichtet und gezählt wird. Diese Verschiebung lässt sich in den sozialen Medien jedesmal dann beobachten, wenn eine Plattform oder ein Netzwerk eine gewisse Popularität erlangt: Was mit einer gewissen Intimität zwischen Menschen beginnt, die sich über bestimmte Äußerungen und Inhalte austauschen (Posts, Updates, Tweets), verändert sich immer stärker, desto mehr daran beteiligt sind. Am Ende ist die wichtigste Aktivität das Weiterleiten von Beiträgen. Es kommt nicht so sehr darauf an, was, sondern dass etwas geäußert wird. Jede und jeder fügt ›etwas‹ dem Flow hinzu. Fakten, Theorien, Urteile, Ansichten, Fantasien, Witze oder Lügen: Alles zirkuliert unterschiedslos. Die astronomischen Wachstumsraten der Informationen, die unser ständiges Suchen im Netz, unsere Kommentare und unsere Teilnahme an verschiedenen Foren produzieren, bescheren uns eine Situation, in der wir ständig kommunizieren, uns aber kaum noch über etwas verständigen. Kommunikative Produktion dient mehr der Zirkulation als dem Gebrauch.

Was früher einmal wichtige Markierungen symbolischer Identität waren – die Orte, von denen aus wir uns selbst und gegenseitig beurteilten –, ist heute weitgehend verschwunden. Die zentralen politischen Subjekte der Vergangenheit, die Industriearbeiter und die Bürger, die sich zwischen der öffentlichen und privaten Sphäre hin- und her bewegten, sind nicht länger die entscheidenden Akteure. Als symbolische Figuren der Politik hat man sie vielfach infragegestellt und kritisiert. Wir erleben gerade, wie symbolische Identitäten von imaginären Identitäten abgelöst werden. Symbolische Identitäten beruhen auf der Identifikation des Subjekts mit einem Selbstideal, auf einer Perspektive, aus der heraus das Subjekt sich und sein Handeln betrachtet. Imaginäre Identifikation dagegen bezieht sich auf das Bild, welches das Subjekt von sich übernommen hat. Man könnte sagen: Symbolische Identifikation schafft das Umfeld, das darüber bestimmt, welche Bilder entstehen und warum manche Bilder für uns verlockender und anziehender sind als andere. Imaginäre Identifikation bezieht sich nur auf unser Selbstbild.

Die vernetzten Interaktionen im kommunikativen Kapitalismus stellen keine symbolischen Identitäten bereit, keine Orte, von denen aus wir uns als Akteure und Ausgangspunkte kollektiven Handelns begreifen könnten. Vielmehr bieten sie mir vielfältige Möglichkeiten, wie ich mich neu sehen und erfinden kann, durch diverse Lifestyles und Moden, die ich aus- und anprobieren kann. Diese Viefältigkeit und Wandlungsfähigkeit macht meine imaginäre Identität jedoch extrem verletzlich und unsicher – die Referenzrahmen, die ihr Bedeutung und Gewicht verleihen, ändern sich unaufhörlich. Jederzeit können andere auftauchen, die meine Identität total erschüttern und deren Erfolge und Leistungen meine eigenen Erfolge und Leistungen grundlegend infrage stellen. Das soziale Feld des kommunikativen Kapitalismus ist gekennzeichnet von Wettbewerb, Ausdifferenzierung und Ungleichheit. Es handelt sich um eine Arena, die wenig zu tun hat mit Vorstellungen von einer öffentlichen Sphäre, in der rationale Erwägungen und demokratische Entscheidungsprozesse vorherrschen.

Zusätzlich zu den vielen erprobten und wirkungsvollen Maßnahmen, mit denen die Kapitalisten schon immer die Arbeiterinnen und Arbeiter ausgebeutet haben – Verlängerung des Arbeitstages, Lohnklau, Arbeitsbeschleunigung, die Inrechnungstellung von Produktionsmitteln – eröffnet der kommunikative Kapitalismus also neue Möglichkeiten der Ausbeutung. Ungleichheit wird hergestellt durch den freien Informationsfluss mithilfe von Netzwerken und wird dann im Zuge des kapitalistischen Wettbewerbs um Profit benutzt und ausgebeutet. Digitale Medien sind Klassenmedien. Vernetzte Kommunikation beseitigt keine Hierarchien, wie wir früher einmal angenommen haben. Vielmehr ist es so, dass sich diese mithilfe unsere eigenen Entscheidungen, die nun gegen uns gerichtet werden, eher noch verfestigen.

Klassenkampf

Wenn Veränderungen in der Kommunikation und bei den imaginären oder symbolischen Identitäten sowie extreme Ungleichheit die zentralen Merkmale des kommunikativen Kapitalismus sind, was bedeutet dies dann in Bezug auf den Klassenkampf?

Zu erwarten wäre – bezogen auf die Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz – eine Zunahme von Kämpfen derjenigen, die kommunikative Arbeit leisten: Lehrerinnen und Lehrer, Transportarbeiterinnen und -arbeiter, Beschäftigte im Dienstleistungssektor. Es wären Kämpfe zu erwarten, die über den Arbeitsplatz hinausreichen. Zugleich aber wäre damit zu rechnen, dass die Veränderungen im Feld der Kommunikation und bei der Herausbildung von Subjektivität es den „Enteigneten” grundsätzlich erschweren, sich zu organisieren und eindeutige, gemeinsame Narrative und Symbole zu entwickeln. Bilder hätten Vorrang gegenüber Argumenten, Positionen und Forderungen, es gäbe eine klare Fokussierung auf Individualität, Differenz und Einzigartigkeit, was Solidarität behindert. Zu erwarten wäre ein gewisses Misstrauen gegenüber allen und allem, das diese Einzigartigkeit bedrohen könnte. Wahrscheinlich wäre in diesem Umfeld eine Bevorzugung von Mikro- und Themenpolitik, von anarchistischen Ideen, einmaligen Demonstrationen, Klicktivismus und ironisch gebrochenen Veranstaltungen. Auf jeden Fall wären diese einfacher zu organisieren als die Ausdauer und Arbeit, die beispielsweise mit dem Aufbau einer politischen Partei verbunden sind. Zudem wäre von einer verstärkten Ausrichtung an Ungleichheit auszugehen.

Das Konzept des kommunikativen Kapitalismus macht somit die Proteste und Aufstände der letzten Jahre als Klassenkämpfe der Proletarisierten lesbar. Er verweist auf die Bedeutung, die persönlichen Medien zukommt, auf die soziale Position und die wirtschaftliche Stellung der Protestierenden und auf die politische Ambiguität der Proteste. Neu Proletarisierte neigen zu einem stark ausgeprägten Libertarismus. Sie tendieren dazu, sich selbst als postpolitisch oder apolitisch darzustellen (siehe das Beispiel der »Bewegungen der Plätze« in Spanien). Das Offene und Schwammige an ihnen erlaubt eine Entwicklung in verschiedene Richtungen. Es fällt ihnen schwer, sich als eine Klasse zu begreifen und zusammenzuschließen, selbst wenn sich in ihrem Handeln die Interessen einer bestimmten Klasse artikulieren.

Und wie sieht es mit der anderen Seite aus? Wenn es zutrifft, dass wir in den vergangenen Jahren eine Reihe von bedeutsamen Aufständen und Protesten erlebt haben, dann dürfte man vonseiten des Kapitals und der Staates entsprechende Reaktionen erwarten: eine Intensivierung der Überwachung und der polizeilichen Kontrolle, den Einsatz von staatlichen Ressourcen, um Banken und Firmen zu schützen, und den Versuch, so schnell wie möglich zum business as usual zurückzukehren. Zudem wäre davon auszugehen, dass Kapital und staatliche Instanzen versuchen würden, die Proteste, genauer ihre Inhalte oder das damit verbundene Wachstum von kommunikativen Netzwerken, für Zwecke der Kapitalakkumulation auszunutzen. Die Art und Weise, wie sie dies tun, ist jedoch mehr als nur eine reine Reaktion auf die stattfindenden Proteste, sondern ein Ausdruck der direkten Opposition. Big Data macht dies deutlich. Immer dann, wenn Massen von Demonstrantinnen oder Besetzern in ihren kollektiven Kämpfen eine neue Form der Commons hervorbringen, zielt Big Data darauf ab, diese Commons einzuhegen und sich einzuverleiben.

Der Text geht zurück auf den Vortrag Communicative Capitalism and the Challenge for the Left, den Jodi Dean  auf der Tagung»Transformation der Demokratie – demokratische Transformation« der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 29. November 2014 in Berlin hielt. Eine Langfassung wird in einem gleichnamigen, von Alex Demirović herausgegebenen Sammelband Ende dieses Jahres erscheinen.

Aus dem Englischen von Britta Grell