Mit offenen Augen rast die Linkspartei in die parlamentarische Bedeutungslosigkeit. 2,7 Prozent bei der Europawahl bestätigen den andauernden Abwärtstrend. In Sachsen und Brandenburg wird gerade um den Einzug in die Landtage, in Thüringen um die Regierungsmacht gekämpft. Die Krise ist das Produkt einer langen Kette unterschiedlicher Entscheidungen und Entwicklungen innerhalb wie außerhalb der Partei. Nun steht die Linke vor einer Richtungsentscheidung. Richtungsentscheidungen geben Raum zum Hinterfragen, Evaluieren und dem Aufbruch in etwas Neues. Diese Chance sollte genutzt werden, ein „weiter so“ darf es nicht geben. Wohin es gehen soll, muss die Partei jedoch breit diskutieren. Verantwortungsträger*innen dürfen nicht resignieren, sondern sollten auf die Situation reagieren, damit Die Linke nächstes Jahr den Klassenerhalt schafft.

Debatte bündeln und organisieren

Gerade laufen parallel Diskussionen über die strategische Ausrichtung der Partei. Erstmal ist das ein Gewinn für die innerparteiliche Auseinandersetzung. In längeren Beiträgen wird die Analyse der Partei und die darauf aufbauende Strategie dargelegt. Teilweise werden die Autor*innen beeindruckend ausführlich. In den anfänglich noch sehr grundlegenden Strategieartikel zeigten sich Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den Beteiligten und die um sie herum formierenden Strömungen. Nicht immer wird aufeinander Bezug genommen und die Debatte ist nicht für alle Leser*innen transparent, da Beiträge auf unterschiedlichen Plattformen veröffentlicht werden – was nicht an den Autor*innen, sondern an der zerklüfteten digitalen Debattenlandschaft liegt. 

Es reicht nicht, wenn viele kluge Köpfe debattieren, ohne die Basis mitzunehmen. Doch möglichst viele an einer solchen Debatte teilhaben zu lassen, ist eine schwierige Aufgabe. Formate mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen können ergänzend genutzt werden. Die beste Strategie bringt nichts, wenn nur die Vorstände überzeugt sind, während die Basis zum Folgen bestimmt ist. Die innerparteiliche Kohärenz ist auch mit dem Austritt von Sahra Wagenknecht nicht hergestellt. Noch immer gibt es unterschiedlichste Strategien, was dazu führt, dass keine stringent verfolgt wird. Strategien zu ordnen, gegeneinander abzuwägen und sich letztendlich auf eine festzulegen, bleibt ein langer Prozess, der auf allen Ebenen stattfinden sollte.
Es braucht klare Positionen, um ein geeintes Auftreten möglich zu machen. Kontroversen dürfen nicht verschleppt, sondern müssen angegangen werden. Obwohl die Parteiströmungen in den letzten Jahren an Einfluss verloren haben, müssen sie jetzt Gemeinsamkeiten ausloten. Auf dem Bundesparteitag im Oktober darf es nicht um die Durchsetzung der eigenen Interessen gehen, sondern um nicht weniger, als den Erhalt der Partei. Diese Prämisse sollte vor parteipolitischen Machtkämpfen stehen. Der Parteivorstand sollte seine Rolle nutzen, um Räume der Begegnung und Diskussion zu öffnen. Formelkompromisse der Vergangenheit werden Die Linke zu dieser Bundestagswahl nicht retten. Verschiedene Diskussionsstränge müssen gebündelt werden und der Prozess organisiert. Man sollte sich nicht darauf verlassen, dass Strömungen oder externe Strukturen wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung das übernehmen. 

»Alte« Wahlstrategie – neue Parteistrategie

In der Debatte sollte unterschieden werden zwischen einer Parteistrategie, die über Wahlen hinweg kohärent bleibt, und einer Wahlstrategie, die auf die spezifische Situation zugeschnitten und zeitlich begrenzt ist. Auch wenn die letztere auf einer allgemeinen Parteiausrichtung aufbaut, sind beides unterschiedliche Strategien, deren Trennung für die Debatte wichtig wäre. 

Im Jacobin haben Momo Eich und ich für eine grundlegend neue Parteistrategie plädiert. Sowohl die Strategiediskussion, als auch die Umsetzung einer Strategie in der Partei brauchen Zeit. Damit wird der notwendige Prozess einer strategischen Neuausrichtung länger dauern, als dass er zur Bundestagswahl tragfähig werden kann. Daraus entsteht kein Widerspruch, denn Strategie darf nicht nur bis zur (nächsten) Wahl gedacht werden. Es braucht Zeit um eine neue Praxis zu entwickeln und umzusetzen. Aus einer breiten Debatte kann eine Strategie entstehen, der sich die ganze Partei verpflichtet fühlt. Natürlich sind immer auch kurzfristige taktische Anpassungen notwendig, eine Strategie sollte nicht statisch sein. Es darf sich dabei aber nur um Anpassungen innerhalb der einmal gewählten Strategie handeln, sonst kann sich deren Wirkung nicht entfalten. Die Linke braucht gerade jetzt, wo sich das Elektorat nicht sicher ist, wofür sie eigentlich steht, eine Stetigkeit in der Strategie, im Auftreten und in den Themen.


Mit einer Weststrategie, wie sie Daphne Weber einfordert, gewinnt man vielleicht an der Wahlurne nächstes Jahr, sie bringt uns aber leider wenig für die Gesamtpartei. Denn die Hochburgen liegen weiter im Osten, auch wenn sie bröckeln. Es gilt sie zu halten, um nicht komplett in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg werden eine erneute Probe für den innerparteilichen Zusammenhalt. Man kann mit einem herben Verlust von Mandaten und damit auch Ressourcen rechnen, die die Partei vor neue Herausforderungen stellen wird. Das Ost-West-Gefälle sollte also durchaus in einer neuen Strategie adressiert werden, um hier wie dort Ort- und Landesverbände mit Potenzial aufzubauen. Die Linke hat unterschiedliche Situationen in Ost- und Westdeutschland: abgesehen von den Stadtstaaten ist sie nur noch in den Ostverbänden im Landtag. Folglich gibt es ein Gefälle von Arbeitsplätzen, Geld, Räumen; kurz: Ressourcen der Partei. Die Ansätze widersprechen sich nicht unbedingt: Aufbau im Westen und Verteidigung im Osten - beides darf nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es gilt zu schauen, wo es welche Bedarfe gibt und wie sie sich am besten erfüllt und Einklang gebracht werden können. Ein übermäßiger Fokus der Debatte auf dieses Spannungsfeld wäre jedoch unproduktiv. Die Parteistrategie sollte an die unterschiedlichen Möglichkeiten der Landesverbände angepasst werden, aber eben nicht alleine auf der Analyse der Partei, sondern auch auf der Analyse der Gesellschaft fußen. Letztere zeigt, dass die Grundprobleme in ganz Deutschland die gleichen sind.


Gerade jetzt braucht es einen Blick nach vorne, eine Perspektive für die Partei nach der Bundestagswahl. Denn egal wie das Ergebnis ausfällt, eines darf nicht eintreten: allgemeine Ratlosigkeit. Realistisch wäre es, die Arbeit der Partei wieder mehr in die Gesellschaft zu verlegen. Mit vergleichsweise wenigen Ressourcen sind Sozialberatungen, Feste, Nachbarschaftsarbeit, kurz: die Erfahrung von Solidarität und Gemeinschaft trotzdem umsetzbar. Hier sollte der Fokus der Parteiarbeit liegen und nicht auf den Parlamenten. Denn gerade in den sozialen Räumen, die vermeintlich unpolitisch sind, fassen Rechte immer mehr Raum. Die politischen Veränderungen, die wir als Sozialist*innen erkämpfen wollen, passieren nicht einfach so in den Parlamenten, sondern sie setzten Veränderungen in den Köpfen der Menschen voraus. Wir müssen die kapitalistische Hegemonie brechen, um eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen. Das erreichen wir nicht, wenn wir uns nur in der eigenen Suppe bewegen. Bewegungen mit kapitalismuskritischer Ausrichtung müssen von uns nicht mehr grundsätzlich politisiert werden, sie sind es schon. Viel wichtiger sind da die Arbeiter*innen, denen ihr Ausbeutungsverhältnis gar nicht bewusst ist oder die keine Alternative zum Kapitalismus sehen. Die Linke könnte daran arbeiten, einen Ort der Gemeinschaft zu bieten, fernab von Leistungsdruck und Konkurrenz, aufgebaut auf Solidarität. Ein Ort, der politische Diskussionen genauso ermöglicht, wie gemeinsam zum Fußball gehen. Ein Akteur, der Organisierungsansätze und Arbeitskämpfe zwischen unterschiedlichen Betrieben verbindet und politisiert und dessen politische Bildung ebenso wie die parlamentarische Arbeit der Selbstermächtigung dienen. Dafür müssen wir ein neues Verständnis von Parteien entwickeln und leben. Aus einer sozialistischen Perspektive sollten Parteien keine reinen Wahlvereine sein. Die Linke sollte sich stattdessen ihrer Rolle als ein Baustein in der sozialistischen Bewegung bewusst sein.

Der Plan 25 ist ein guter Fahrplan für die Bundestagswahl. Er fokussiert sich auf wenige Themen, um den Kern der Linken zu festigen. In der Vorbereitung gibt es Räume für den Dialog mit den Parteiaktiven. Gespräche in den Stadt- und Kreisverbänden sollen die Kampagne in der Partei verankern. Dieser partizipative Prozess ist wichtig, sowohl für die Kampagne, als auch für die Strategiedebatte. Deswegen sollte an dem Plan 25 festgehalten werden, um Stetigkeit zu waren. 

Die Schlagwörter mit Leben füllen: Sozialismus, Einigkeit und Solidarität

Damit die Kampagne im nächsten Jahr erfolgreich wird, muss Die Linke gemeinsam an ihrer Umsetzung arbeiten. Auf dem Bundesparteitag im Oktober braucht es einen solidarischen und produktiven Umgang damit. Die Linke kann es sich nicht leisten, Halle in unterschiedlichen strategischen Richtungen zu verlassen.

Die Partei sollte sich auf ihren antikapitalistischen Kern konzentrieren und auf dieser Basis inhaltliche Debatten führen. Als Partei der Arbeiter*innen – die sie wieder werden sollte – muss Die Linke die Grundbedürfnisse des menschlichen Lebens in den Vordergrund stellen. Diese sollten nicht erkauft werden müssen; jede*r hat ein Geburtsrecht auf ihre Erfüllung. Diese grundlegende sozialistische Überzeugung führt Die Linke zu einer sozialen Politik, die 99 Prozent der Bevölkerung zugutekommt. Ein gutes Leben für alle ist eine zutiefst menschliche Forderung, die keine leere Phrase bleiben muss. Diese Forderungen ist ein Schnittpunkt der verschiedenen Positionen. Wir sollten uns ins Gedächtnis rufen, dass die Gleichheit unser Kernanliegen ist – so wie es Lorenz Gösta Beutin formuliert hat. Frieden, Sicherheit, EU und Außenpolitik – das sind nicht die Themen, die Die Linke zu einer sozialistischen Partei machen. Natürlich sind sie von zentraler Bedeutung für die Partei. Es braucht jedoch strategische Klarheit über die Bedeutung der unterschiedlichen Themen für die Arbeit der Linken. Ein klarer gemeinsamer Fokus auf Klasse und Sozialismus würde Die Linke davor bewahren, sich an einzelnen Positionen zu zerreiben. Kontroversen lassen sich besser aushalten, wenn es einen gemeinsamen, beständigen Kern gibt. Und auch in der Außenwahrnehmung wird durch einen zu bunten Blumenstrauß an Themen, der möglichst viele Zielgruppen ansprechen will, das eigentliche Kernanliegen verwaschen. Zu groß ist zudem die Gefahr, dem Diskurs der bürgerlichen Gesellschaft hinterherzurennen, auf Kosten der eigenen analytischen Stärke. Nur wenn man wenige Kernthemen fokussiert, kann man diese im breiten Diskurs auf die Agenda setzen. Rechte Parteien in ganz Europa haben das mit ihrem Fokus auf Migration bewiesen: Sie konnten den Diskurs deutlich nach rechts verschieben. Es gilt, dem nicht hinter zu laufen, sondern die Debatte durch eigene Themen zu beeinflussen. 

Der kommende Bundesparteitag im Oktober bietet der Partei die Chance, einen klaren Kurs für die Zukunft zu setzen und sich wieder auf sozialistische Grundwerte zu besinnen. Es ist entscheidend, dass die Partei zusammenhält und gemeinsam an einer einheitlichen Strategie arbeitet, um sowohl bei den kommenden Wahlen als auch langfristig erfolgreich zu sein. Mit einem solidarischen Umgang und einer organisierten Debatte gelingt beides: eine Erneuerung und ein geeinter Kampf um den Wahlerfolg.