Über eine Zukunft des Sozialismus nachzudenken impliziert, sich eine Vorstellung davon zu machen, was kommen wird. Die Frage, die sich dann notwendigerweise anschließt, ist: Wie erreichen wir dieses ersehnte Ziel? In jeder revolutionären Theorie hat die Utopie folglich auch eine pragmatische Seite, die sich auf die Frage des Übergangs bezieht. Dieser Übergang stellt insofern eine Herausforderung dar, als sich historisch immer wieder gezeigt hat, dass es dabei keine Linearität gibt, keinen direkten Weg, der von dem einen zum anderen Punkt führt. Stattdessen müssen wir das Prozesshafte eines solchen Übergangs in den Blick nehmen. Die feministischen Körperpolitiken, die dafür kämpfen, die rigiden Normen von Geschlecht und Sexualität aufzubrechen, haben dies deutlich gemacht: Eine Revolution gelingt nicht von heute auf morgen. In dem zeitlichen Zwischenraum entsteht jedoch ein Feld des Forschens und Experimentierens, ein Terrain, auf dem widerstreitende Kräfte miteinander ringen. Ist es möglich, einen solchen Weg des Übergangs zu beschreiten, ohne genau zu wissen, wohin er führt?
Wenn wir auf die aktuellen Kämpfe blicken, die sich derzeit in Chile, aber auch an vielen anderen Orten der Welt gegen neoliberale Privatisierung, gegen die Zerstörung der sozialen Daseinsvorsorge und gegen eine fortschreitende Inwertsetzung unseres Lebens richten, haben sie auf den ersten Blick ein eher inverses Verhältnis zu einer solchen revolutionären Zeitlichkeit. Sie entwerfen weniger ein in die Zukunft gerichtetes Projekt, sondern verteidigen etwas, das verloren gegangen ist oder bedroht scheint. Es sind Kämpfe um Gemeingüter, Kämpfe, die sich fortgesetzten Enteignungen entgegenstellen oder geraubten Reichtum zurückfordern: In ihnen drückt sich die Erfahrung aus, dass unsere Utopien voraussetzungsvoll sind, dass sie eine Grundlage brauchen, um Wirklichkeit zu werden. Sie sind abhängig von funktionierenden Strukturen der Sorge und Selbstsorge, als Voraussetzung dafür, überhaupt Kraft zum Kämpfen zu finden. Sollten wir daraus folgern, dass diese Kämpfe eher konservativ sind, also rückwärtsgewandt, als utopisch? Nein. Ich würde sagen, dass in ihnen gerade eine utopische Kraft steckt, die sich aus dem Wissen um jene Bedingungen nährt, die wir brauchen, um eine Transformation anzustoßen. Es sind deshalb die derzeit entscheidenden, die unumgänglichen Kämpfe. Ausgehend von einer Art Selbstverteidigung bringen sie die Möglichkeit von etwas Neuem hervor, scheint in ihnen etwas auf, das noch nicht existiert. Diese politische Bewegung setzt eine spezifische Zeitlichkeit voraus, die nicht nostalgisch oder archaisch ist, sondern auf die Produktion von Gegenwart gerichtet. Als bedürfe das revolutionäre Begehren einer soliden Infrastruktur, um sich zu entfalten.
Rosa Luxemburg hat das Konzept einer revolutionären Realpolitik ins Spiel gebracht, um den Prozess des Übergangs genauer zu bestimmen als einen, in dem die alltäglichen Kämpfe um konkrete Verbesserungen in den Horizont eines radikalen Umbaus gestellt werden, in dem die Bewegungen im Hier und Jetzt und eine Politik von unten das Terrain bereiten für die jeweils nächsten Schritte. So verschiebt sich die Teleologie eines revolutionären »Endziels« – nicht, weil es nicht da oder weniger wichtig wäre –, sondern weil es in eine andere zeitliche Beziehung tritt mit der alltäglichen Politik und weil jede einzelne Aktion daraufhin befragt werden kann und muss, inwiefern sie von revolutionärer Dynamik erfüllt ist.
Ich halte das Konzept für hilfreich, um die revolutionäre Perspektive herauszustellen, die die aktuellen Feminismen ins Spiel bringen: Worauf zielen sie? Welche utopische Kraft entfalten sie? Inwiefern sind sie revolutionär-realpolitische Zukunftspolitiken, auch ohne einen festen Plan, wie das Ziel auszusehen hat? In welcher Weise revolutionieren sie die Gegenwart und schaffen Bedingungen einer anderen Zukunft?
In ihrer Entschiedenheit und Radikalität stoßen die gegenwärtigen Feminismen radikale Brüche an – in den Körpern, auf den Straßen, in den Betten und Haushalten. Sie verdichten sich in dem Slogan der feministischen Bewegung Argentiniens: »Wir wollen alles verändern!« Im jüngsten Aufstand in Chile nimmt dieser Anspruch kraftvolle Gestalt an: Die feministische Revolution stellt das Ganze neu auf: »Wir haben ein Programm: Wir wollen alles!«. Es gibt keinen Raum und keine sozialen Beziehungen, die von dieser Dynamik des Bruchs und des Aufbegehrens unberührt blieben. Die Zeit der Revolution liegt im Hier und Jetzt – in ihrer sprühenden Kraft verbindet sie sich mit der Perspektive einer befreiten Zukunft.
Die Dynamik des transnationalen feministischen Streiks hat sich in den letzten Jahren von Lateinamerika ausgehend in mehr als 50 Ländern ausgebreitet. In Chile wurden viele der Parolen und Praxen des feministischen Streiks von den Massen aufgenommen und entfalten als plurinationaler [1] Generalstreik neue Kraft.