Die Frage so stellen, kann etwas tendenziös erscheinen, denn sie unterstellt mit Blick auf die jüngeren gesellschaftlich-politischen Entwicklungen bereits die Antwort: Ja, es handelt sich um Faschismus; und vermutlich bedürfte es nicht nur aufgrund historischer Veränderungen, sondern auch der inneren Veränderungen der kapitalistischen Produktionsweise einer Erneuerung der Theorie. In früheren Diskussionen der Linken und des Antifaschismus war die Erwartung an die Theorie groß. Der Faschismus würde sich nur verhindern oder aufhalten lassen, wenn er theoretisch begriffen würde. Von Clara Zetkin und Ignazio Silone über Leo Trotzki und Bert Brecht bis Theodor W. Adorno gab es entsprechende Bemühungen um eine Theorie der autoritären, faschistischen Dynamik der kapitalistischen Gesellschaft. In den 1970er Jahren konnte man durchaus denken, dass der Erfolg der Rechten in erheblichem Maße den Defiziten linker Theoriebildung geschuldet gewesen sei, da diese sich doch weitgehend ökonomistisch orientiert habe.

»Wie muss man die Erfolge einer antidemokratischen, kalten, sozialrassistischen Politik deuten? Eigentlich hat sie alle Theorien, wenn nicht widerlegt, so doch unterlaufen.«

Doch all die Theorien und umfangreichen Untersuchungen zu Sozialstruktur und Kapitalfraktionen, Wählerschaft und Wahlverhalten, zur sozialen Lage der Arbeiter*innen oder Wählerschaft, zur Sexualmoral, zur Organisation der Rechten und ihren Ideologien haben den Aufstieg der Autoritären nicht verhindern können. Wie muss man diese Erfolge einer antidemokratischen, kalten, sozialrassistischen Politik deuten? Eigentlich hat sie alle Theorien, wenn nicht widerlegt, so doch unterlaufen; sie weist auf eine Ratlosigkeit im demokratischen und im sozialistischen Spektrum hin. Denn wenn die Theorien nicht falsch sind, legt der Erfolg der autoritären Rechten nahe, dass es nicht an den einzelnen Theorien hängt. Die kritisch-materialistischen Theorien des Faschismus und Autoritarismus haben viele wichtige Einsichten hervorgebracht. Aber irgendetwas ist dennoch nicht hinreichend, denn sie halten die Mächtigen (die Bourgeoisie, die Herrschenden, die Eliten) nicht davon ab, ihre Herrschaft in dieser Form zu organisieren; und sie ergreifen die Leute (die Subalternen, Massen, das Volk, das Proletariat) nicht derart, dass sie zu einer dauerhaften Gewalt des Widerstands und der Alternative werden. Möglicherweise sind die Erwartungen zu groß oder gar falsch, die sich an die Theorien geknüpft haben. Dabei war die von kritischen Faschismustheorien vertretene Haltung vielfach nicht rationalistisch. Es ging nicht um einfache Aufklärung im Sinn eines Humanismus, eines Appells an Vernunft an bürgerliche Normen wie Freiheit und Gleichheit oder Demokratie; auch nicht um den bloßen Hinweis auf Fakten. Der Antifaschismus konnte sich auf die „Macht der Gewehrläufe“ der alliierten Siegermächte und der Widerstandsbewegungen berufen und die Überzeugung vertreten, dass die autoritäre Revolte des Faschismus militärisch niedergeschlagen wurde. Die Demokratie war und ist nicht schwach. Die Auseinandersetzung mit dem Faschismus, rechtsradikalen und autoritären Tendenzen in den Bemühungen um Aufklärung bestand in dem Hinweis: Schaut mal, das werden die Folgen sein: Zerstörung, Armut, Hunger, Bildungsverlust, Ressentiments und Rassismus, Gewalt und Mord. Der Faschismus heute hat aus seiner historischen Niederlage gelernt. Er will langfristig siegen, ist aber auch bereit, den Untergang der Menschheit hinzunehmen. Mit einer metapolitischen Strategie will er jene Kräfte schwächen oder zerstören, die in der Lage wären, die Macht der Demokratie zu demonstrieren und nicht bereit sind, den Nihilismus hinzunehmen.

Ich will im Folgenden argumentieren, a) dass es sinnvoll ist, über eine Erneuerung der Faschismustheorie nachzudenken, b) dass aber auch eine solche erneuerte Theorie nicht hinreicht und c) die gegenwärtige Konjunktur nicht als Faschismus begriffen werden sollte.

Transnational verbündete Nationalisten 

In zumindest einer relevanten Hinsicht ist die aktuelle Konjunktur mit der faschistischen Konjunktur der 1920er und 1930er Jahren zu vergleichen: Es kommt zu einer Erstarkung von antidemokratischen Kräften. Die Entwicklungen in einzelnen Staaten tragen in unterschiedlichen Rhythmen seit längerem dazu bei. Das geschieht nicht isoliert voneinander: Es gibt nationalistische und autoritär-populistische Parteien, deren Vertreter*innen sich treffen, rechtskonservative Medien, Intellektuellenzirkel, die in einem Austausch stehen, militante, teilweise bewaffnete Neonazi-Gruppen in vielen Staaten, die kooperieren, eine kulturelle Szene mit Musik, Kleidung, Verlagen und Zeitschriften. Die rechten Strategien und Akteure, die teilweise neofaschistischen Akteure verstärken sich wechselseitig, vernetzen sich mit Kräften in den Kirchen, Behörden, Medien oder organisierter Kriminalität und finden hier Sympathie und Unterstützung; und sie perforieren die Grenzen zwischen formell-rechtsstaatlich-institutionellen, zivilgesellschaftlichen und Untergrundaktivitäten. Die autoritäre Dynamik lässt sich nicht nur durch die soziale Lage eines Teils der Bevölkerung, der politischen Entwicklung oder den Aktivitäten von rechten Parteien in einem Nationalstaat erklären. Zwischen den rechten Parteien kommt es trotz ihres bekundeten Nationalismus zu programmatischen Übereinstimmungen; es kommt zu Absprachen, zu Bündnissen, zu Kooperationen, wechselseitigen Unterstützungen, zu Besuchen oder Konferenzen. Ein jüngeres Beispiel ist die Kritik an der gerichtlichen Verurteilung von Marine Le Pen, die als EU-Abgeordnete EU-Gelder für ihre Partei missbraucht hatte. Unmittelbar nach dem Urteilsspruch meldeten sich Orbán, Meloni oder Trump zu Wort und kritisierten das politische Urteil. Ein mehrfacher Skandal: die Einmischung von ausländischen Regierungen in die Rechtsprechung eines Landes; die Ignoranz gegenüber der französischen Gesetzeslage; politisch die Unterstützung einer autoritären Politik, denn andere Regierungen wie etwa die türkische oder russische werden nicht in entsprechender Weise kritisiert. Dasselbe hat sich wiederholt, als vom Bundesverfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextrem bezeichnet wurde. Vertreter der US-Regierung haben von einer Tyrannei in Deutschland gesprochen. Es verhält sich wie im Fall der Nazi-Propaganda, denn es kommt zu einer Verkehrung von Verfolgern und Verfolgten, Tätern und Opfern. Unerwartet kommt es zu dem Spektakel, dass ein Teil der Herrschenden die Herrschaftsapparate radikal desavouieren und ablehnen: die Medien, die Gerichte, die Polizeien. 

»Es gibt eine weit breitere, transnationale Tendenz zur autoritären Herrschaft, die getragen wird von relevanten Kräften der Bourgeoisie.«

 Es muss tiefliegende Ursachen für diese synchronen Prozesse geben. Diese finden sich nicht in den Aktivitäten rechtsnationaler und autoritärer Gruppen, auch nicht in den von der Meinungsforschung abgefragten verbreiteten Ansichten der Bevölkerung oder in der sozialen Armutslage. Es gibt eine weit breitere, transnationale Tendenz zur autoritären Herrschaft, die getragen wird von relevanten Kräften der Bourgeoisie. Einige ihrer Gruppen wollen wahrscheinlich die rechten Regierungen nicht oder sind ambivalent (wenn man an Bezos oder Musk in der Zeit nach 2017 denkt, an das distanzierte Verhältnis der deutschen Wirtschaftsverbände zur AfD). Vermutlich geraten sie selbst in eine autoritäre Dynamik, die tendenziell zu einem zwingenden Verhältnis wird. Sie haben sich immer mehr in eine feindselige Stimmung hineingeredet: gegen Gender, politische Korrektheit, vermeintliche Identitätspolitik, Überlastung des Sozialstaats, Bürokratie. Aus den Ausländer-raus-Parolen der CDU, der immer weiteren Aushöhlung des Asylrechts, aus der Behauptung, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, wird dann die Forderung nach entschiedener Abschiebung und der entschiedenen Verhinderung der Einwanderung. Dass Wolfgang Schäuble, Christian Wulff oder Horst Seehofer nach der Aufgabe ihrer Ämter ihre eigenen rassistischen Äußerungen zurückgenommen haben, spielt keine Rolle mehr. Es handelt sich um kontinuierlich vorhandene rechte Kräfte in den Medien, in den konservativen Parteien, in den Interessenverbänden. Sie betreiben diese Politik oder eignen sich deren Dynamik bewusst an, arbeiten strategisch damit, ziehen Konsequenzen und wenden sich gegen die vermeintliche Unentschlossenheit und Heuchelei der herrschenden Parteien. Sie radikalisieren verbreitete Positionen in den Parteien der sog. demokratischen Mitte (man denke an Sarkozy, Kurz, Seehofer, Spahn). Weil im bürgerlichen Umfeld, in Parteien, Medien oder Kirchen, eine gewisse Unentschiedenheit besteht, wie weit man gehen will und auch Konzessionen gemacht werden müssen, also politisch-strategische Auseinandersetzungen über die Begrenzungen stattfinden, können sich einzelne Personen und Gruppen radikalisieren und sich abspalten. Das ist mit der AfD passiert, die sich aus Marktlibertären und aus rechtsbürgerlichem CDU-Personal gebildet hat. 

Manchmal bezeichnen sich Akteure in den rechten Parteien als Faschisten und berufen sich auf historische Vorbilder wie Hitler, die SS, die SA („Alles für …“ = AfD); sie äußern sich auch ausdrücklich judenfeindlich und leugnen den Holocaust, graben Stolpersteine aus, randalieren in Gedenkstätten oder schänden jüdische Friedhöfe – um schon einen Moment später ihren Gegnern anzudrohen, dass sie ihnen genau das antun würden, was sie leugnen („mitgehangen, mitgefangen“). Oft ist es nicht so eindeutig, sondern eher wird angespielt auf eine gewisse Sympathie und Kontinuität zum historischen Faschismus – doch diese Anspielungen werden dann auch wieder zurückgenommen. Es wird geschichtsrevisionistisch und relativierend argumentiert oder behauptet, es handele sich nur um Missverständnisse. Aber es gibt auch deutliche Bemühungen, sich von der faschistischen oder nationalsozialistischen Vorgeschichte zu distanzieren. So werden aus den autoritär-populistischen Parteien Mitglieder ausgeschlossen, die sich antisemitisch äußern oder sich positiv auf den NS beziehen; Vertreter dieser Parteien besuchen Israel und suchen die Nähe zu rechten israelischen Regierungen und Politiker*innen. Das Verhältnis zu Jüd*innen ist ambivalent. Trump bekämpft die Wissenschaften im Namen eines Kampfes gegen den Antisemitismus an den US-Universitäten. Aber seine Dreistigkeit besteht darin, dass er die Neonazis von Charlottesville, die proklamieren, dass sie sich von Juden nicht ersetzen lassen würden, als gute Patrioten bezeichnet und Rechtsradikale begnadigt. 

Die faschistische Dynamik in den USA

Das verweist auf das Problem der Nomenklatur. Wie soll man diese Kräfte und Entwicklungen bezeichnen? Es gibt zahlreiche und durchaus gegensätzliche, kritische Versuche, diesen Zusammenhängen einen Namen zu geben: Populismus, Nationalismus, autoritärer Populismus, Rechtsextremismus, Faschismus, Autoritarismus, radikalisierter Konservatismus, Spät- oder Post-Liberalismus, Spät- oder Post-Faschismus, Mikro- oder Schizo-Faschismus, rechtsautoritärer Nationalismus. Nach den Erfahrungen mit den ersten Wochen unter Trumps Präsidentschaft sprechen Intellektuelle in den USA einfach und direkt von Faschismus. Es ist zu einem Verwaltungs- und Verfassungsputsch durch die Aktivitäten von DOGE gekommen, wodurch viele Beamte und Angestellte fristlos entlassen wurden. Personen wurden quasi-geheimpolizeilich entführt, verhaftet und abgeschoben; Rechtswege werden nicht eingehalten, höchstrichterliche Urteile von der Verwaltung und Regierung nicht beachtet. Medien werden ausgegrenzt, mit Klagen überzogen und damit juristisch und finanziell eingeschüchtert. Rechtsanwaltskanzleien, die Kritiker*innen der Regierung vertreten, verlieren Aufträge oder müssen ihrerseits mit Anzeigen rechnen. Die Wissenschaftsfreiheit der Universitäten und Forschungseinrichtungen wird systematisch verletzt. Politiker*innen werden bedroht. Der Verwaltungsputsch geht einher mit einer politischen und einer Staatskrise, denn es gibt keine politische Institution, die Rechte und Gerichtsentscheidungen durchsetzt, keine Möglichkeit für Betroffene, staatliches Handeln von Gerichten überprüfen zu lassen.

Dennoch: Der Rückgriff auf den Begriff des Faschismus erzeugt ein falsches historisches Bild. Faschismus war eine Selbstbezeichnung und hat dazu gedient, eine bestimmte Form von Gewalt, Massenmobilisierung, Staatsauffassung zu charakterisieren. Die Linke hat sich zu seiner Erklärung häufig auf Marx‘ Bonapartismus-These bezogen. Das hat die Linke der 1920er Jahre an ein historisches Imaginäres gebunden (eine Unterstützung durch eine Vielzahl von isolierten Kleinbauern) und die Realität des Nationalsozialismus nicht angemessen erkennen lassen (die Zerschlagung der Arbeiterbewegung, die ständige Mobilisierung von großen Massen, die Uniformierung der Gesellschaft, die Schaffung von paramilitärischen Kampfverbänden und Geheimpolizeien). Viele glaubten, dass sich Hitler nicht lange an der Macht halten würde und die Massen verstünden, dass das Versprechen auf Sozialismus nicht eingelöst würde. Der Krieg wurde erwartet, die schnellen militärischen Erfolge, die Eroberung und Plünderung erheblicher Teile Europas und vor allem die rassistische Vernichtungspolitik hingegen nicht – eine Politik, die auch die Selbstzerstörung Deutschland-Österreichs in Kauf nahm.

»Der Rückgriff auf den Begriff des Faschismus erzeugt ein falsches historisches Bild. Faschismus war eine Selbstbezeichnung und hat dazu gedient, eine bestimmte Form von Gewalt, Massenmobilisierung, Staatsauffassung zu charakterisieren.«

Aufgrund der NS-Diktatur hat die Linke immer wieder sehr schnell die Einschätzung vertreten, es komme zu einer Re-Faschisierung oder einem Neo-Faschismus. Auf den Demos in den 1970er Jahren gegen den Krieg in Vietnam, den Putsch in Chile oder den Imperialismus der USA war es nicht unüblich, „USA-SA-SS“ zu rufen. Auch der Ausbau und die Militarisierung der Polizeien, der Gerichtsapparate in den 1970er Jahren, die Vielzahl rechter Anschläge in Italien oder die antikommunistische Funktion von Geheimaktivitäten der NATO gegen linke Gruppen oder Nichtregierungsorganisationen legten nahe, von Faschisierung und einem autoritären Staat zu sprechen. Es gab solche Tendenzen, aber sie verdichteten sich nicht in einer neuen Form der Ausnahmeherrschaft.

Es ist überraschend, dass in einem Land wie den USA, in dem seit über zweihundert Jahren eine demokratische Verfassung besteht und die parlamentarische Demokratie einigermaßen stabil in die Verhältnisse eingelassen ist und ein entsprechender regelmäßiger Regierungswechsel vollzogen wird, eine faschistische Dynamik entsteht, die von einem breiten Teil der Bevölkerung getragen wird. Das bedeutet, dass Versuche, den Erfolg des Nationalsozialismus in den 1920er Jahren mit der schwächeren Verankerung demokratischer Institutionen in der deutschen Gesellschaft, den weniger vertrauten demokratischen Gewohnheiten und den geringen Kenntnissen und Erfahrungen mit Demokratie zu erklären, wenig plausibel sind. Auch eine lange Erfahrung und eine rege Zivilgesellschaft schützen offensichtlich nicht. Möglicherweise ist sogar das Gegenteil der Fall: Die Widersprüchlichkeit, in der sich Politiker*innen in den demokratischen Institutionen bewegen müssen, wird ihnen als Heuchelei zugerechnet. Und dass sie sich auf demokratische Regeln berufen, versperrt die Vorstellung, aus und in Demokratie könnten autoritäre Praktiken entstehen.

Faschistische Entwicklungen hängen auch nicht primär von Meinungen oder Einstellungen in der Bevölkerung ab. Die Vertreter*innen der Kritischen Theorie argumentierten in den 1940er Jahren aufgrund persönlicher Erfahrung, dass der Antisemitismus in den Einstellungen der US-Bevölkerung viel verbreiteter sei als vor 1933 in Deutschland. Für die Kritische Theorie war diese Überlegung herrschaftssoziologisch von Bedeutung. Einstellungen in der Masse der Bevölkerung erlauben keine Prognose über die politische Entwicklung eines Landes. Entscheidend ist, was die Herrschenden wollen. Sie erzeugen mit ökonomischem Druck, Drohung, Gewalt, Propaganda, Lüge eine Atmosphäre des Gehorsams, der Konformität, so dass viele Menschen sich dem autoritären Kollektiv anschließen und eingliedern. Die Meinungsforschung unterstützt dies.

Ich überlege also in eine andere Richtung. Wir haben es nicht mit genuin neuen Phänomenen, aber auch nicht mit historischen Wiederholungen zu tun. Autoritäre Politikmuster und Herrschaftspraktiken stellen eine langfristige Tendenz dar, sie gehören konstitutiv zur kapitalistischen Produktionsweise und zu den Formierungsprozessen der bürgerlichen Gesellschaft. Dabei folge ich einer Überlegung von Marx, die er im dritten Band des Kapitals formuliert. Was er zu bestimmen versucht, ist der „ideale Durchschnitt“ der kapitalistischen Produktionsweise. Marx schlägt vor, mit seiner Theorie statistische Regelmäßigkeiten in den Blick zu nehmen und die ständigen Wechsel, Instabilitäten, Krisen und revolutionären Selbstveränderungen der bürgerlichen Gesellschaftsformation zu begreifen. Nichts bleibt stabil, identisch – aber mit einiger Regelmäßigkeit kehren bestimmte Praktiken in gleichzeitig identischer und veränderter Form wieder. Dazu gehören nicht nur die ökonomischen Prozesse und ihre Oszillationen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit dann zu Überschüssen und Unterproduktionen, zu Mangel und Überfluss an Arbeitskräften, zu gleichzeitiger Armut und Reichtum, zu Streit über Freihandel oder Merkantilismus führen. Marx war sich in seinen Forschungen offensichtlich nicht sicher, welche Phänomene er zum idealen Durchschnitt der kapitalistischen Produktionsweise zählen sollte. Aber er trug der Neuartigkeit der bürgerlichen Gesellschaft Rechnung: Die kapitalistische Produktionsweise ist die Einzige, die sich in der Form von statistischen Verteilungen, Regelmäßigkeiten, Wahrscheinlichkeiten und Durchschnitten vollzieht – was entscheidend mit der Bestimmung des Werts durch abstrakte Arbeit zu tun hat, die Ergebnis des marktvermittelten Austauschs konkret nützlicher Arbeiten ist. 

»Faschistische Entwicklungen hängen nicht primär von Meinungen oder Einstellungen in der Bevölkerung ab.«

Diese Überlegung betrifft auch den kapitalistischen Staat und die unterschiedlichen politischen Strategien bürgerlicher Herrschaft. In seinen Analysen gelangt Marx zum Ergebnis, dass die parlamentarische Republik im „idealen“ Durchschnitt die Normalform des bürgerlich-kapitalistischen Staates ist. Es handelt sich um einen „idealen“ Durchschnitt, denn real wurde die bürgerliche Herrschaft in unterschiedlichen und häufig in nicht-staatlichen Formen organisiert: also Städte, feudal-aristokratische Herrschaften, Imperien, oder sie wurde in autoritären Formen ausgeübt: Monarchie, koloniale Diktatur, Militärdiktatur, Bonapartismus, Faschismus. Die bürgerliche Herrschaft formierte sich seit Ende des 15. Jahrhunderts, und in diesen Kämpfen gegen die Bäuer*innen, die den Feudalismus und die katholische Kirche loswerden wollten, spielten Formen von autoritärer Herrschaft eine bedeutsame Rolle: die Vernichtung der Bauernemanzipation und städtischen Bewegungen, die Gegenreformation, die Niederschlagung von Volksbewegungen zur Aneignung von Agrareigentum, die Restauration nach der französischen Revolution mit ihren intellektuellen Vertretern wie de Maistre und Bonald oder Teilen der deutschen Romantik, die Bekämpfung der sich bildenden Arbeiterbewegung, die katholische Gegenrevolution nach 1848 mit einem Vertreter wie Donoso Cortez oder der aufkeimende Antisemitismus, nach dem ersten Weltkrieg der Faschismus und Nationalsozialismus. Es handelte sich um Bemühungen und Strategien, Herrschaft zu erhalten und auf erweiterter Stufenleiter zu reproduzieren, also Volksbewegungen nicht nur zu bekämpfen, wenn sie bereits entstanden waren, sondern konterrevolutionär schon präventiv zu wirken, so dass Widerstand, Protest, soziale Bewegungen gar nicht erst entstehen würden. Damit stellte Herrschaft sich um auf die Wahrscheinlichkeit, dass Widerstand und Volksbewegungen entstehen würden. In besonderer Weise haben sich die bürgerlichen Herrschaftsprozesse organisiert mit und gegen eine umfassende, historisch völlig neue soziale Bewegung, die Arbeiter*innenbewegung, die nicht nur organisierte große Kontinuität und räumlich weite Ausdehnung erlangte, sondern auch ein säkularisiertes Wissen über die realen gesellschaftlichen Verhältnisse ausarbeitete und konkrete Pläne für eine Alternative zur bürgerlichen Welt und Existenzweise entwickeln konnte. Das zwang dem Bürgertum nicht nur Realismus auf, also die Hinwendung zur konkreten Immanenz der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Ausarbeitung eines Wissens der Herrschaft und der Kämpfe, sondern auch den Aufbau von Präventivdispositiven, die Sicherheit und Ordnung gewährleisten sollen und die gesellschaftliche Vorgänge und Ereignisse daraufhin überwachen sollten, wieweit sie eingespielte Gewohnheiten und Regelmäßigkeiten in Frage stellten. Der Faschismus war dementsprechend eine konterrevolutionäre Praxis. Es ging nicht primär um die Durchsetzung der Interessen einer bürgerlichen Fraktion, wie dies Dimitroff vorgeschlagen hat: Demnach sei der Faschismus die offen terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals. Mit Gramsci und Poulantzas lässt sich demgegenüber plausibilisieren, dass der Faschismus Ergebnis einer umfassenden Krise des Machtblocks des Bürgertums war: einer ökonomischen Krise, einer Krise der Hegemonie, einer politischen Krise, schließlich einer Krise des Staates, insgesamt eine Destabilisierung vorangegangener Kompromissgleichgewichte der sozialen Kräfte. Auch wenn die Arbeiterbewegung keine Perspektive auf einen revolutionären Erfolg hatte, so war doch das Bürgertum demoralisiert, sah sich bedroht und wusste nicht, wie es Reproduktionsprobleme der kapitalistischen Gesellschaft bewältigen und lösen sollte. Es musste verhindern, dass sich die sozialistische und kommunistische Bewegung derart organisierte, die nationale und militärische Politik von innen zu untergraben, Produktionsverhältnisse zu transformieren und die gesellschaftliche Produktion und Reproduktion zu sozialisieren.

Der historische Faschismus in Italien und mehr noch in Deutschland formierte sich zu einer Gesamtheit von autoritären Praktiken, die die bürgerliche Herrschaft über die Jahrhunderte herausgebildet hatte. Faschismus war eine bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannte Form der Entfesselung herrschaftlich-staatlicher Gewalt. Sie hat moderne Industrie, Kommunikation, Recht, Wissenschaft, technologische Entwicklungen einbezogen, um Herrschaft über riesige Bevölkerungen auszuüben, sie zu verwalten, zu verfolgen und nach rassistischen Gesichtspunkten zu vernichten. Die Prävention zielte darauf, auf der Ebene des biologischen Lebens jede Abweichung derart zu bekämpfen, dass nur noch eine reine rassistische Normalität und homogene Volksgemeinschaft herrschen sollten. Dies schloss die Vernichtung des Marxismus und der Arbeiterbewegung, der Jüd*innen in Europa, der Slaw*innen, der Sinti und Roma, der Schwulen, der Behinderten ein – also all derjenigen, die nicht zum Bild einer aufgezüchteten Herrenrasse passen würden. 

»Autoritäre Politikmuster und Herrschaftspraktiken stellen eine langfristige Tendenz dar, sie gehören konstitutiv zur kapitalistischen Produktionsweise und zu den Formierungsprozessen der bürgerlichen Gesellschaft.«

Auch wenn manchmal problematisiert wird, den Faschismus mittels einer Art Checkliste zu bestimmen, erscheint es mir sinnvoll, eine Reihe von Merkmalen festzuhalten, die für die faschistische Form autoritärer Herrschaft charakteristisch sind. Dazu gehören: Bereitschaft zur Gewalt als alltägliche und willkürliche Herrschaftspraxis; elitäre Geringschätzung der Masse; Volksgemeinschaft und Ablehnung des freien Individuums; Nihilismus und geschichtsphilosophischer Pessimismus (Kulturverfall, Degeneration); Populismus und eine Führerschaft, die sich selbst als widerständig inszeniert, um mit Hilfe des mobilisierten Volkes Interessen von Herrschenden durchzusetzen; Nationalismus; Konservatismus; Rassismus und Antisemitismus; Sexismus, Misogynie und Feindlichkeit gegenüber sexuellen Minderheiten; Ablehnung von Demokratie; Ablehnung von Urbanität, Intellektuellen und wissenschaftlicher Rationalität. Der Faschismus war der Versuch, in der bürgerlichen Gesellschaft die generischen Momente des Dissenses, der Abweichung mit wissenschaftlichen und polizeilichen Mitteln zu suchen und zu vernichten, verbunden mit dem wahnhaften Glauben, jede solche Praxis der Andersheit und einer alternativen Perspektive ein für alle Mal zu beseitigen. Es sollte ein Endsieg, eine absolute Vernichtung des Feindes werden. Die militärische Niederlage durch die alliierten Kräfte unter der Führung der USA hat demgegenüber demonstriert, dass es erfolgreicher ist, bürgerliche Herrschaft im Medium der Demokratie, der offenen statistischen Regelmäßigkeiten und der instabilen Normalisierungsverläufe auszuüben. Der wahnhafte Glaube an die Suprematie der Deutschen, der arischen Rasse wurde widerlegt. In Gestalt eines familiären Rassismus, des Glaubens an die eigene Auserwähltheit und die Überlegenheit der eigenen Familie, des Glaubens, zu wissen, was Wahrheit des Geschlechts, der Wirtschaft, des Wohls der USA ist, kommt dieses Imaginäre mit Trump und Musk auf die politische Bühne. Sie geben damit anderen Regimes, die zwar nationalistisch und rassistisch sind, aber nicht derartige Macht haben, sich auf Kosten anderer zu bereichern und auszudehnen, Rückhalt.

Der Faschismus nahm die Form einer Ausnahmeherrschaft an. Er war eine Verdichtung aller jener autoritären Momente. An seinem Ende standen die traumatisierende Ermordung vieler Menschen, der Genozid, die Zerstörung, die Bevölkerungsverschiebungen in Europa, die Auflösung der Kolonialreiche und damit der ethnozentrischen Überlegenheitsgewissheit der Europäer*innen. Wenn von Faschismus gesprochen wird, dann meint man häufig diese Art von Finalität in der gesellschaftlichen Dynamik, also die totalisierende Herrschaft und die zerstörerischen Folgen. Deswegen konnte der Hinweis auf den faschistischen oder antisemitischen Charakter von Überzeugungen, öffentlichen Äußerungen oder Handlungen auch eine Art politisch-moralische Grenze errichten. Es reichte, auf die antisemitischen Implikationen der Äußerung eines Politikers hinzuweisen, um eine Entschuldigung, einen Rücktritt oder eine Änderung der Praxis zu erzwingen. Denn für die Mehrheit des Bürgertums bedeutete die Erfahrung entfesselter rassistischer Gewalt und Beseitigung der Demokratie, dass sie zurückschreckten vor allen Versuchen, eine autoritäre Herrschaft von der Form des Faschismus erneut zu versuchen. Das Bürgertum war und ist nicht gegen die Anwendung autoritärer Praktiken, aber es wollte nicht, dass sie die Herrschaftsordnung selbst in Frage stellten, zu beispiellosen Zerstörungen, in Niederlagen und Destabilisierungen von Gleichgewichten und Normalisierungsprozessen führen. Das hat sich in den vergangenen Jahren aufgrund der metapolitischen Strategie der Rechten geändert. Sie leugnen den Holocaust nicht, aber können ihn relativieren, mit Zweideutigkeiten operieren, Anspielungen zurücknehmen oder sich zynisch bekennen: Dann bin ich eben Faschist. Aufklärende Argumente laufen auf, sie verlieren ihre Wirksamkeit. Ein Druck entsteht, erneut mit autoritären Formen von Herrschaft zu experimentieren und zu operieren.

Die Dynamik in den Blick bekommen

Wenn ich argumentiere, dass der historische Faschismus als Ausnahmeherrschaft aus einer Reihe von Praktiken besteht, so schlussfolgere ich daraus, dass es eine solche Finalität nicht geben muss. Ich stelle es mir als eine Art Prisma vor: Alle autoritären Elemente sind vorhanden. In den gesellschaftlichen Kämpfen und Kräfteverhältnissen können sich jeweils spezifische politisch-ideologische Praktiken nach vorne schieben: der politisch-ökonomische Konservatismus, der Anti-Genderismus, der autoritäre Populismus, der Rassismus, der Antisemitismus, der Etatismus, der Faschismus (hier gekennzeichnet, wie Adorno und Scurati vorschlagen, durch Gewalt und Propaganda). Eines dieser Momente kann alle anderen in das Licht einer Farbe tauchen und überdeterminieren. Diese Momente müssen sich nicht dynamisch zur Form faschistischer Ausnahmeherrschaft derart verdichten, dass der Faschismus zum dominanten Aspekt wird. Sie können sich mit den bestehenden Formen der Demokratie verbinden, sich in diese einlagern, diese durchdringen. Es kann weiterhin ein Parlament, Parteien, eine mediale Öffentlichkeit, Verfassung, Recht, Gerichte geben. Aber diese formellen Institutionen und ihre Vertreter*innen werden gespalten und gehen in ein offenes und krisenhaftes Kräftefeld über: Richter, Staatsanwälte oder Polizisten werden Teile von faschistischen Netzwerken, Journalist*innen oder Schriftsteller*innen verbinden sich allmählich organisch mit der Rechten und werden zu deren Sprecher*innen. Aber es ist auch festzustellen, dass Richter*innen, Politiker*innen, Wissenschaftler*innen, Journalist*innen und ihre Familienangehörigen beleidigt, rechtlich und körperlich bedroht, angegriffen oder schließlich sogar ermordet werden. Dieser Prozess findet kontinuierlich statt, Institutionen, Individuen werden häufig einzeln angegriffen, die Angriffe wirken bedrohlich, zersetzend, demoralisierend, weil eine Lösungsperspektive nicht klar ist. Die Polizei, die Staatsanwaltschaften können nach bestehender Gesetzeslage wenig ausrichten oder wollen nichts machen. Das juridische Handlungsmodell erweist sich angesichts faschistischer Drohung und Gewalt (viel mehr als im Fall organisierter Kriminalität) als unbrauchbar. Selbst eine breite Mobilisierung gegen die Rechte kann deren Terror gegen einzelne Individuen, Drohungen, Beleidigungen kaum verhindern. 

Anstatt von Faschismus zu sprechen, kann es sinnvoll sein, den dynamischen Prozess einer Faschisierung in den Blick zu nehmen. Aber was genau bedeutet das? Es wird damit auf eine gefährliche Dynamik hingewiesen. Doch sollte sie nicht im Sinn eines zielgerichteten, finalisierten Prozesses begriffen werden, an dessen Ende Faschismus stünde. Eher ist an Konstellationen jener Momente zu denken, die oben angesprochen wurden. Faschistische Elemente sind kontinuierlich vorhandene Momente des bürgerlichen Machtdispositivs (also Rassismus, Neonazigruppen, Revisionismus, Soldatenkult), aber sie schieben sich nur konjunkturell nach vorn und tauchen dann die anderen autoritären Verhältnisse in ein besonderes Licht. Wenn also Faschisierung ein wichtiges Moment der gegenwärtigen Konjunktur ist, diese aber nicht teleologisch in faschistische Ausnahmeherrschaft übergeht, stellt sich die Frage nach einer Bestimmung der konkreten Form von Herrschaft. 

»Anstatt von Faschismus zu sprechen, kann es sinnvoll sein, den dynamischen Prozess einer Faschisierung in den Blick zu nehmen. Aber was genau bedeutet das?«

An anderer Stelle habe ich dafür plädiert, von einem autoritären Populismus zu sprechen. Die Grundlage für diese Herrschaftspraxis war die Demoralisierung relevanter Teile des Bürgertums nach der Finanzkrise und die Entstehung einer großen Welle von Protestbewegungen. Erwartet wurde, dass aufgrund dieser Dynamik ein Green (New) Deal zustande kommen könnte. Doch die multiple Krise ist weiter fortgeschritten. In zahlreichen Hinsichten sind Kipppunkte überschritten: Schmelzen der Gletscher und des arktischen Eisschildes, Erwärmung der Meere und Zerstörung der Küsten, hohe CO2- und Methan-Emissionen, Artensterben, Vermüllung durch Mikro- und Nanoplastik, Verluste an Grundwasser, Trockenheit und Erosion der Böden, Fluchtbewegungen von großen Menschengruppen. Rohstoff- und Energieknappheit machen sich angesichts der Nutzung von KI zunehmend bemerkbar, die Sicherheit von Infrastrukturen und die militärische Einsatzbereitschaft erweisen sich als bedroht, der Weltraum und die Tiefsee stellen neue politisch-militärische Konfliktgebiete dar. Eine notwendige Transformation, die sofort in Gang gebracht werden müsste, wirft, gemessen an den Investitionen, nicht nur zu wenige Gewinne ab, sondern sie wäre auch der Beginn eines Prozesses, der von kapitalistischen Eigentums- und Produktionsverhältnissen wegführte. Die Herausforderungen im Widerspruch von Produktionsverhältnissen und Produktivkräften sind zu groß. Es müsste ernst gemacht werden mit dem Verzicht auf Kapitalakkumulation auf immer höherer Stufenleiter, mit dem Umbau oder gar der Einstellung ganzer Produktionszweige, mit der Entwicklung anderer Konsummuster, mit einer Überwindung der Abhängigkeit von fossiler Energie, mit der Herstellung neuer weltwirtschaftlicher Gleichgewichte. Die Probleme werden von der transnationalen Bourgeoisie nicht verdrängt. Sie weiß um die Herausforderungen. Die Diskussionen auf den jährlichen Treffen des Weltwirtschaftsforums in Davos zeugen davon. Aber es gibt ein Bemühen darum, das Wissen und die Entstehung neuer, entsprechender Praktiken zu bekämpfen. Das Wissen soll nicht handlungsrelevant werden, die Politik nicht der wissenschaftlichen Einsicht folgen. Sich vor dem Wissen abzuschotten, verlangt, sich dumm zu machen, Handlungsperspektiven zu blockieren und mit einem patzigen Weiter-so zu reagieren: mehr, größere, wertvollere Autos, mehr und intelligentere Rüstung, Wiederherstellung konventioneller Familienformen und Sexualpraktiken, die Zerstörung von Forschungseinrichtungen und Hochschulen – so als wäre nichts, als gäbe es alle die Erkenntnisse der Erdsystemforschung, der Gender-Studien oder kritischen Rassismusforschung nicht. Dies schließt ein, eine Kontrolle über die stattfindenden oder bevorstehenden Katastrophen und die daraus sich ergebenden Solidarpraktiken zu haben und die Warnungen des Militärs oder der Versicherung auszuschlagen: Es kommt nicht so schlimm, es waren nur einmalige Ereignisse. Anders gesagt: Die Stärkung der faschisierenden Momente ist ein Versuch, die sozial-ökologische Transformation zu blockieren. Die bürgerliche Gesellschaft will von den Ungeheuern, die sie erzeugt, nichts wissen und hofft, durch die Unterdrückung der Wissenschaften („Universitäten als Feind“), durch die Drangsalierung der Medien, durch Steuerung und Kontrolle der sozialen Medien die Kommunikationsströme und dissidenten Praktiken einzudämmen oder zu verhindern.

Feudalisierung der Staatsapparate

Die Konjunktur ist bestimmt von der Form der Autokratie. Das unterscheidet die gegenwärtige Konstellation von früheren Formen der Ausnahmeherrschaft. Diejenigen, die die Staatsmacht einnehmen, sind keine Angestellten der bürgerlichen Klasse, die unterschiedliche bürgerliche Kräfte repräsentieren würden. Vielmehr gehören sie selbst schon unmittelbar zur herrschenden Klasse. Sie sind Unternehmer, sie verfolgen oligarchische Interessen. Es kommt zu einer Feudalisierung der Staatsapparate: Überlappung der Macht, Überlagerung oder Beseitigung von Hierarchien. Das kann bis zu einem neofeudalen Habitus gehen, der bei Trump, Putin oder Erdoğan zu beobachten ist. Der Zugang für die Vertreter*innen anderer Kapitalinteressen können erleichtert oder erschwert werden, denn sie stoßen nun auf ihresgleichen, nicht auf Personen, die an rechtliche Regelungen (Gleichheit vor dem Gesetz) gebunden und entsprechend ausgebildet sind. Die Medienöffentlichkeit wird restrukturiert und teilweise blockiert (Zurückweisung von Zeitungen, Bekämpfung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Verfolgung von Journalist*innen), die Bedeutung eines Teils der zivilgesellschaftlichen Organisationen wird erheblich eingeschränkt, der Einfluss des wissenschaftlichen Wissens verringert. Die Autokraten sind offensichtlich misstrauisch gegenüber den Staatsapparaten, ihrer Gliederung, dem Staatspersonal. Sie kapern den Staat und bauen ihn teilweise um und ersetzen das Führungspersonal durch Oligarchen, durch Freunde, durch Familienangehörige. Demokratische Institutionen und autoritäre Führung durchdringen sich, Parlamente, Parteien und Wahlrecht bleiben, doch werden sie reorganisiert, so dass die Macht einer Gruppe Kontinuität gewinnt, der Wechsel in den Entscheidungsfunktionen erheblich erschwert wird und es zu quasi-dynastischen Repräsentationen kommt. Die Entwicklung in den USA legt nahe, dass Staatsapparate auch drastisch abgebaut werden können oder eine Organisation wie DOGE, von außen kommend, genutzt werden kann, einzelne Staatsapparate dysfunktional (Soziales, Außen-, Bildungsministerium, Forschungseinrichtungen, Universitäten, Medien) zu machen oder zu zerstören. Es könnte sein, dass diese Autokratie eine Kombination verschiedener Formen bürgerlicher Herrschaft praktiziert. Dazu kann neben der repräsentativen Demokratie die Form des totalitären Staates und die Form der libertären Auflösung des Staates in der Gestalt von Seasteads, Charter Cities oder Freihandels- und Wirtschaftssonderzonen gehören.

Emanzipatorische Erfolge verteidigen

Es handelt sich für die Linke um neuartige Herausforderungen. Denn tatsächlich steht die Zivilisation, stehen die Machtanordnungen der vergangenen Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte zur Disposition, Dies gilt zuallererst für alle die ökologischen Turbulenzen, die jahrtausendealte Gewissheiten berühren – und damit auch für Ordnungsvorstellungen, die glauben konnten, auf stabilen natürlichen Gegebenheiten aufzuruhen. Angesichts der Tatsache, dass die Naturgesetze sich im Anthropozän als menschlich und historisch erweisen, wird eine Kernideologie des Bürgertums: der Rückgriff auf die Naturhaftigkeit der Verhältnisse, grundlegend geschwächt. Der Nationalstaat, die Rechtsinstanzen, die bürgerlichen demokratischen Verfahren, die Medien und die bürgerliche Öffentlichkeit, die durch den Globalisierungsprozess schon ausgehöhlt wurden, stehen unter starkem Druck. Die progressiven Aspekte, die seit den 1960er durchgesetzt werden konnten – manchmal in einem Bündnis mit dem sogenannten progressiven Neoliberalismus – werden von rechter Seite massiv und bis hin zu sprachpolizeilichen Kontrollen bekämpft. Die Linke muss für diese emanzipatorischen Erfolge einstehen, darf sich nicht selbst schwächen, indem sie sich von den konservativ-autoritären Kräften den Widerspruch von sozialen und identitätspolitischen Orientierungen einreden lässt. Diese Erfolge waren und sind ein Vorgriff auf eine neue Zivilisation, in der es möglich sein soll, ohne Angst anders zu sein und versöhnt mit der Natur frei zu leben.

»Die Linke darf sich nicht selbst schwächen, indem sie sich von den konservativ-autoritären Kräften den Widerspruch von sozialen und identitätspolitischen Orientierungen einreden lässt.«

Es werden neue Solidarpraktiken benötigt. Denn die katastrophischen Tendenzen werden fortschreiten: Waldbrände, Überschwemmungen, Dürre, Versorgungsengpässe durch Störungen beim Transport. Die Menschen, ihr Hab und Gut, die Infrastrukturen erweisen sich als bedroht. Die Staaten helfen nicht ausreichend, Versicherungen entziehen sich ihren Verpflichtungen. Es bedarf eines neuen Gemeinwillens, der ökologische Erneuerungen vorantreibt und in den ökologischen Ernstfällen Solidarität organisiert. 

Während der Ampelkoalition von SPD, Grünen und FDP wurden häufig die Vertreter der SPD und der Grünen kritisiert und etwa als die dümmste Regierung bezeichnet, die Deutschland hatte. Das war eine falsche Polarisierung, denn eine Reihe von Projekten war wichtig, wenn auch nur bedingt richtig: also die Umstellung auf E-Mobilität, die Einstellung von Subventionen für Diesel oder Pendlerpauschale, der Nutzung von Pestiziden wie Glyphosat, das sog. Heizungsgesetz, die Steigerung der Preise von CO2-Emissionen. Kritisch war die unzulängliche Durchführung, der Opportunismus zu bewerten, die Tatsache, dass die Gesellschaft nicht mobilisiert wurde, um eine angemessene sozial-ökologische Transformationen zu unterstützen. In der gegenwärtigen Situation, in der die kleine große Koalition mit Aufrüstung, Wehrpflicht, Einsparungen bei den sozialen Sicherheitssystemen droht, und angesichts faschisierender Momente, die auf eine autokratische Herrschaftsform hinauslaufen, muss über neue, demokratische Bündniskonstellationen nachgedacht werden. Es bedarf eines sozialistischen Pols. Die Kräfte, die diesen Pol tragen, benötigen eine klare Position. Aber es ist auch wichtig, eine Perspektive für Allianzen zu entwickeln. Angesichts der starken autoritären Dynamiken ist es sinnvoll, solche Allianzen nicht entlang von Organisationszugehörigkeiten oder Parteigrenzen zu konzipieren. Ausgangspunkt könnten (ohne falsche Aktualisierung) Überlegungen zu einer Volksfrontbewegung sein, wie sie Willi Münzenberg Ende der 1930er Jahre entwickelt hat. Eine solche Politik kann nur gelingen, wenn sie Ansprüchen an Demokratie im Verhältnis der Bündnispartner und der Mitsprache der Einzelnen genügt.

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