Auch wenn manchmal problematisiert wird, den Faschismus mittels einer Art Checkliste zu bestimmen, erscheint es mir sinnvoll, eine Reihe von Merkmalen festzuhalten, die für die faschistische Form autoritärer Herrschaft charakteristisch sind. Dazu gehören: Bereitschaft zur Gewalt als alltägliche und willkürliche Herrschaftspraxis; elitäre Geringschätzung der Masse; Volksgemeinschaft und Ablehnung des freien Individuums; Nihilismus und geschichtsphilosophischer Pessimismus (Kulturverfall, Degeneration); Populismus und eine Führerschaft, die sich selbst als widerständig inszeniert, um mit Hilfe des mobilisierten Volkes Interessen von Herrschenden durchzusetzen; Nationalismus; Konservatismus; Rassismus und Antisemitismus; Sexismus, Misogynie und Feindlichkeit gegenüber sexuellen Minderheiten; Ablehnung von Demokratie; Ablehnung von Urbanität, Intellektuellen und wissenschaftlicher Rationalität. Der Faschismus war der Versuch, in der bürgerlichen Gesellschaft die generischen Momente des Dissenses, der Abweichung mit wissenschaftlichen und polizeilichen Mitteln zu suchen und zu vernichten, verbunden mit dem wahnhaften Glauben, jede solche Praxis der Andersheit und einer alternativen Perspektive ein für alle Mal zu beseitigen. Es sollte ein Endsieg, eine absolute Vernichtung des Feindes werden. Die militärische Niederlage durch die alliierten Kräfte unter der Führung der USA hat demgegenüber demonstriert, dass es erfolgreicher ist, bürgerliche Herrschaft im Medium der Demokratie, der offenen statistischen Regelmäßigkeiten und der instabilen Normalisierungsverläufe auszuüben. Der wahnhafte Glaube an die Suprematie der Deutschen, der arischen Rasse wurde widerlegt. In Gestalt eines familiären Rassismus, des Glaubens an die eigene Auserwähltheit und die Überlegenheit der eigenen Familie, des Glaubens, zu wissen, was Wahrheit des Geschlechts, der Wirtschaft, des Wohls der USA ist, kommt dieses Imaginäre mit Trump und Musk auf die politische Bühne. Sie geben damit anderen Regimes, die zwar nationalistisch und rassistisch sind, aber nicht derartige Macht haben, sich auf Kosten anderer zu bereichern und auszudehnen, Rückhalt.
Der Faschismus nahm die Form einer Ausnahmeherrschaft an. Er war eine Verdichtung aller jener autoritären Momente. An seinem Ende standen die traumatisierende Ermordung vieler Menschen, der Genozid, die Zerstörung, die Bevölkerungsverschiebungen in Europa, die Auflösung der Kolonialreiche und damit der ethnozentrischen Überlegenheitsgewissheit der Europäer*innen. Wenn von Faschismus gesprochen wird, dann meint man häufig diese Art von Finalität in der gesellschaftlichen Dynamik, also die totalisierende Herrschaft und die zerstörerischen Folgen. Deswegen konnte der Hinweis auf den faschistischen oder antisemitischen Charakter von Überzeugungen, öffentlichen Äußerungen oder Handlungen auch eine Art politisch-moralische Grenze errichten. Es reichte, auf die antisemitischen Implikationen der Äußerung eines Politikers hinzuweisen, um eine Entschuldigung, einen Rücktritt oder eine Änderung der Praxis zu erzwingen. Denn für die Mehrheit des Bürgertums bedeutete die Erfahrung entfesselter rassistischer Gewalt und Beseitigung der Demokratie, dass sie zurückschreckten vor allen Versuchen, eine autoritäre Herrschaft von der Form des Faschismus erneut zu versuchen. Das Bürgertum war und ist nicht gegen die Anwendung autoritärer Praktiken, aber es wollte nicht, dass sie die Herrschaftsordnung selbst in Frage stellten, zu beispiellosen Zerstörungen, in Niederlagen und Destabilisierungen von Gleichgewichten und Normalisierungsprozessen führen. Das hat sich in den vergangenen Jahren aufgrund der metapolitischen Strategie der Rechten geändert. Sie leugnen den Holocaust nicht, aber können ihn relativieren, mit Zweideutigkeiten operieren, Anspielungen zurücknehmen oder sich zynisch bekennen: Dann bin ich eben Faschist. Aufklärende Argumente laufen auf, sie verlieren ihre Wirksamkeit. Ein Druck entsteht, erneut mit autoritären Formen von Herrschaft zu experimentieren und zu operieren.
Die Dynamik in den Blick bekommen
Wenn ich argumentiere, dass der historische Faschismus als Ausnahmeherrschaft aus einer Reihe von Praktiken besteht, so schlussfolgere ich daraus, dass es eine solche Finalität nicht geben muss. Ich stelle es mir als eine Art Prisma vor: Alle autoritären Elemente sind vorhanden. In den gesellschaftlichen Kämpfen und Kräfteverhältnissen können sich jeweils spezifische politisch-ideologische Praktiken nach vorne schieben: der politisch-ökonomische Konservatismus, der Anti-Genderismus, der autoritäre Populismus, der Rassismus, der Antisemitismus, der Etatismus, der Faschismus (hier gekennzeichnet, wie Adorno und Scurati vorschlagen, durch Gewalt und Propaganda). Eines dieser Momente kann alle anderen in das Licht einer Farbe tauchen und überdeterminieren. Diese Momente müssen sich nicht dynamisch zur Form faschistischer Ausnahmeherrschaft derart verdichten, dass der Faschismus zum dominanten Aspekt wird. Sie können sich mit den bestehenden Formen der Demokratie verbinden, sich in diese einlagern, diese durchdringen. Es kann weiterhin ein Parlament, Parteien, eine mediale Öffentlichkeit, Verfassung, Recht, Gerichte geben. Aber diese formellen Institutionen und ihre Vertreter*innen werden gespalten und gehen in ein offenes und krisenhaftes Kräftefeld über: Richter, Staatsanwälte oder Polizisten werden Teile von faschistischen Netzwerken, Journalist*innen oder Schriftsteller*innen verbinden sich allmählich organisch mit der Rechten und werden zu deren Sprecher*innen. Aber es ist auch festzustellen, dass Richter*innen, Politiker*innen, Wissenschaftler*innen, Journalist*innen und ihre Familienangehörigen beleidigt, rechtlich und körperlich bedroht, angegriffen oder schließlich sogar ermordet werden. Dieser Prozess findet kontinuierlich statt, Institutionen, Individuen werden häufig einzeln angegriffen, die Angriffe wirken bedrohlich, zersetzend, demoralisierend, weil eine Lösungsperspektive nicht klar ist. Die Polizei, die Staatsanwaltschaften können nach bestehender Gesetzeslage wenig ausrichten oder wollen nichts machen. Das juridische Handlungsmodell erweist sich angesichts faschistischer Drohung und Gewalt (viel mehr als im Fall organisierter Kriminalität) als unbrauchbar. Selbst eine breite Mobilisierung gegen die Rechte kann deren Terror gegen einzelne Individuen, Drohungen, Beleidigungen kaum verhindern.
Anstatt von Faschismus zu sprechen, kann es sinnvoll sein, den dynamischen Prozess einer Faschisierung in den Blick zu nehmen. Aber was genau bedeutet das? Es wird damit auf eine gefährliche Dynamik hingewiesen. Doch sollte sie nicht im Sinn eines zielgerichteten, finalisierten Prozesses begriffen werden, an dessen Ende Faschismus stünde. Eher ist an Konstellationen jener Momente zu denken, die oben angesprochen wurden. Faschistische Elemente sind kontinuierlich vorhandene Momente des bürgerlichen Machtdispositivs (also Rassismus, Neonazigruppen, Revisionismus, Soldatenkult), aber sie schieben sich nur konjunkturell nach vorn und tauchen dann die anderen autoritären Verhältnisse in ein besonderes Licht. Wenn also Faschisierung ein wichtiges Moment der gegenwärtigen Konjunktur ist, diese aber nicht teleologisch in faschistische Ausnahmeherrschaft übergeht, stellt sich die Frage nach einer Bestimmung der konkreten Form von Herrschaft.