Nach dem Ersten Weltkrieg wurden in Europa Massen von einer Welle eines revolutionären Optimismus erfasst. Kommunist*innen und unabhängige Linke nutzten den Moment, um eine neue radikale Identität zu erschaffen, mit der sie sich von der Sozialdemokratie absetzten. Eine Reihe verheerender Niederlagen und Rückzugsgefechte der Linken führte in den darauffolgenden Jahren jedoch dazu, dass die ursprüngliche revolutionäre Euphorie versiegte. Als der Faschismus 1922 in Italien und 1933 in Deutschland an die Macht kam, hatte die Linke noch immer mit den tiefen Spaltungen zu kämpfen. An der Basis begann sich – in Reaktion darauf – eine Sehnsucht nach Einheit auszubreiten. Dennoch dauerte es bis Mitte der 1930er-Jahre – bis eine neue Strategie zur Vereinigung der Linken offiziell Einzug hielt: die Volksfront.
Front Populaire
Die Idee der Volksfront ist eng mit der damaligen politischen Situation in Frankreich verbunden. Ihre unmittelbaren Ursprünge lassen sich auf die Ereignisse des 6. Februar 1934 zurückführen, als die faschistische Organisation Croix de Feu einen Protestmarsch durch Paris anführte, bei dem es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kam. Angesichts eines drohenden faschistischen Staatsstreichs schien es geboten, die demokratische Republik zu verteidigen. Und so kam es am 13. Februar zu zwei getrennten antifaschistischen Demonstrationen der Linken in Paris, die von einfachen Mitgliedern der Sozialistischen und der Kommunistischen Partei spontan zusammengeführt wurden. Der Druck von der Straße war ebenso spürbar wie die Rufe nach einem geeinten Vorgehen gegen den Faschismus.
Die Kommunist*innen riefen bereits seit Jahrzehnten zur Bildung von »Einheitsfronten« auf (d. h. zur Einheit mit sozialdemokratischen und anderen sozialistischen Kräften). Aber erst der französische Kommunistenführer Maurice Thorez rief 1935 öffentlich dazu auf, diese Vision einer antifaschistischen Einheitsfront auf Parteien der Mittelschicht auszuweiten: Es war die globale Geburtsstunde des Konzepts einer Rassemblement populaire (dt. etwa: Volksversammlung), bekannter unter den Namen Front Populaire oder Volksfront.
Die Kommunist*innen hinterfragten ihre bisherige Politik. Sie wandten sich nicht nur an Sozialist*innen und Sozialdemokrat*innen, sondern auch an Liberale, an die Mittelschicht, an fortschrittliche Intellektuelle und sogar an Christlich-Konservative, um eine vereinte Front gegen die radikale Rechte zu bilden. Dem vorausgegangen war das Eingeständnis der Schwäche der kommunistischen Parteien. Die Kommunist*innen befanden sich nach Jahren des linken Sektierertums und massiven Repressionen in den faschistischen Staaten international in einer isolierten Position und waren nicht in der Lage, den Faschismus allein wirksam zurückzudrängen. Mit der Volksfrontpolitik endete ihre Gleichsetzung der »bürgerlichen Demokratie« mit Kapitalismus und Faschismus, die Grundlage ihrer berüchtigten und desaströsen Politik in der Weimarer Republik gewesen war.
Handelte es sich bei der Volksfront nun um eine dauerhafte Abkehr von einer revolutionären Politik hin zum Gradualismus in Europa oder um einen neuartigen Ansatz einer antifaschistischen Demokratie?
Auf dem Weg zu einer internationalen Volksfront
Erst nach der Machtübernahme der NSDAP in Deutschland und damit recht spät konnte sich die Komintern dazu durchringen, die Entwicklung breiterer Bündnisstrategien mitzutragen. Auf dem VII. Weltkongress der Komintern in Moskau im Sommer 1935 stellte Palmiro Togliatti (1965) seinen Genoss*innen die rhetorische Frage: »Warum verteidigt ihr bürgerlich-demokratische Freiheiten?« Er spielte darauf an, wie reaktionär die bürgerlich-demokratischen Regime oftmals gewesen waren. Doch, so Togliatti weiter, sei es der Arbeiterklasse in der Weimarer Republik oder im liberalen Italien trotz aller Mängel nicht besser ergangen als unter den offen faschistischen Diktaturen?
In einer wegweisenden Bestandsaufnahme wies der Vorsitzende der Komintern, Georgi Dimitroff (1935), darauf hin, dass die Sozialdemokratie nicht länger als Bollwerk der Bourgeoisie betrachtet werden könne, da die Bourgeoisie dabei sei, sich nach rechts zu wenden und ihre Unterstützung für das bürgerlich-demokratische Projekt aufzugeben. Infolge dieses Rechtsrucks hätten die Kommunist*innen nicht länger die Wahl zwischen »proletarischer Diktatur« und »bürgerlicher Demokratie«, sondern nur noch zwischen »bürgerlicher Demokratie« und »faschistisch-autoritärer Diktatur«. Die Erfahrungen aus Italien und insbesondere aus Deutschland boten eine klare Schlussfolgerung: Die politischen Freiheiten, die die Demokratie bot, selbst wenn diese von der Bourgeoisie dominiert wurde, waren es in der Tat wert, verteidigt zu werden.
Die Komintern forderte in der Folge die Kommunist*innen auf, sich des »selbstgefälligen Sektierertums« zu entledigen: Es sei ein großer Fehler gewesen, die Macht der linken Bewegung oder den revolutionären Geist der Bevölkerung überzubewerten. Es war Dimitroff selbst, der als Generalsekretär der Komintern die programmatische Rede hielt: In dieser neuen Situation solle die kommunistische Bewegung bereit sein, »jeden Fußbreit der bürgerlich-demokratischen Freiheiten« zu verteidigen (ebd.) und sich gegebenenfalls an Einheitsfronten oder Volksfrontregierungen zu beteiligen. Es ging der Komintern darum, die Gefahren des Faschismus nicht zu unterschätzen und zugleich dem Fatalismus vorzubeugen: Der Sieg des Faschismus war keineswegs unvermeidlich und die Volksfront galt als mächtiges Bollwerk dagegen.
Damit wandten sich die kommunistischen Parteien dem gewöhnlichen Parlamentarismus zu sowie der Möglichkeit, im Rahmen einer breiteren antifaschistischen Front auf einer gemeinsamen Liste oder Plattform zu kandidieren. Und nicht zuletzt war es ein Versuch, mit dem linken Flügel sozialdemokratischer Parteien sowie mit Bewegungen, Gewerkschaften und Arbeiter*innen zusammenzuarbeiten, die die Sozialdemokratie zu einem Linksschwenk bewegen wollten, statt sich der Mitte zuzuwenden.
Die Volksfrontstrategie bewirkte auch einen Wandel in der Sprache der kommunistischen Parteien, die ihren klassenkämpferischen Duktus mit einer Hinwendung zu einem widerständigen Konzept des Volkes verbanden. Neu war die Betonung des Parlamentarismus und der Achtung vor der Verfassung. Die Volksfront traf die strategische Entscheidung, die Idee der Nation, des Nationalstaats, nicht den Faschist*innen und den Reaktionären zu überlassen. »Wir nahmen unseren Feinden mutig das, was sie von uns gestohlen und mit Füßen getreten hatten. Wir eroberten die Marseillaise und die Trikolore zurück«, wie es Thorez im Januar 1936 im Wahlprogramm der Volksfront formulierte (zit. nach Degras 1971, 384). Die Massen reagierten darauf und bescherten 1935 der Kommunistischen Partei in Frankreich nie dagewesene Wahlerfolge.
Die Praxis der Volksfront
Die Volksfront bot zwar eine Antwort auf die in der damaligen Linken weitverbreitete »Sehnsucht nach Einheit«, doch die jahrelangen erbitterten Auseinandersetzungen hatten ein tief verankertes gegenseitiges Misstrauen geschürt. Wie sollte der Aufbau einer Volksfront gelingen, wenn intern Misstrauen und Argwohn herrschten? Skeptische Zeitgenoss*innen fragten sich, ob das nicht ein weiterer, taktisch motivierter Aufruf war, um die Sozialdemokratie zu zersetzen. Andere fürchteten den Ausverkauf kommunistischer Ideen durch Anpassung an den Liberalismus.
Zu den Wegbereiter*innen der Volksfront zählen kommunistische Organisator*innen wie der deutsche Kommunist Willi Münzenberg und der französische Schriftsteller Henri Barbusse. Die beiden waren seit 1923 am Aufbau einer internationalen Vernetzung antifaschistischer Einheitskomitees in Berlin und Paris beteiligt. Ihr größter Erfolg war die 1932 gegründete Antikriegsbewegung in Amsterdam, die sich in Paris zu einer globalen antifaschistischen Initiative unter dem Namen »Das Weltkomitee gegen Krieg und Faschismus« entwickelte, in der Intellektuelle, fortschrittlich gesinnte Personen, Sozialist*innen, Kommunist*innen, Humanist*innen und Liberale zusammenkamen – ganz ähnlich wie im späteren Volksfrontprojekt. Doch diese Vorarbeit führte nicht zu einer Änderung der offiziellen Parteilinie in den kommunistischen Parteien jener Zeit. Das Weltkomitee ermöglichte dennoch neue Wege der Zusammenarbeit und des Engagements gegen den Faschismus, über Parteigrenzen hinweg – ein bedeutender erster Schritt, das Vertrauen wiederherzustellen.
Dabei gestaltete sich die Anbahnung der Volksfront in Frankreich nicht einfach top-down, sondern entsprach dem Druck der Basis, die sich Einheit, wirtschaftliche Veränderung und soziale Reformen wünschte. In diesem antifaschistischen Block hatten nicht nur Meinungsverschiedenheiten weiterhin einen Platz, auch die politischen Identitäten und die Überzeugungen der Einzelnen konnten weiterhin Bestand haben. Ein Nichtangriffspakt zwischen Sozialist*innen und Kommunist*innen jedoch erteilte zersetzenden internen Kämpfen eine Absage. Neu war die Betonung eines gemeinsamen Glaubens an die Demokratie und der Wille, sich gemeinsam für die Bewahrung der politischen Freiheiten einzusetzen, die die Republik bot.
Eine Einheitsfront musste notwendigerweise auf Kompromissen beruhen und Togliatti zufolge waren die Kommunist*innen in der Tat bereit, Zugeständnisse zu machen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die linken Kritiker*innen der Komintern, wozu auch die Trotzkist*innen gehörten, die Volksfrontidee für einen verheerenden Verrat an revolutionärer Politik hielten. Die Kommunist*innen entschieden sich in jenem Moment jedoch dafür, den demokratischen Sozialismus mit kommunistischer Präsenz populär zu machen, anstatt zu ihrer eigenen Marginalisierung und einem revolutionären Isolationismus beizutragen, wie es die Trotzkist*innen taten. Ungeachtet möglicher strategischer und taktischer Erwägungen steht fest, dass ohne den äußeren Druck des Faschismus und eines drohenden weiteren Rechtsrucks eine solche Volksfront undenkbar gewesen wäre.
Da die Volksfrontregierungen in Frankreich, Spanien und Chile jedoch in Augenblicken tiefgreifender und lang anhaltender Wirtschaftskrisen zustande kamen, blieb damit auch ihr Handlungsspielraum beschränkt. Die Volksfront musste jedes Mal einen Spagat meistern, um sowohl den Interessen des Kapitals als auch denen der Arbeiter*innen Rechnung zu tragen. Fielen die Reformen zu moderat aus, führte dies zur Enttäuschung der Arbeiterklasse; zu radikale Reformen hingegen hätten die Mittelschicht verschreckt und gegen das Projekt aufgebracht. Waren die Linken tatsächlich bereit, die radikalen Forderungen ihrer eigenen Basis zu unterdrücken? Waren bürgerliche Liberale oder Sozialdemokrat*innen bereit, eine ambitioniertere Wirtschafts- und Sozialpolitik zu akzeptieren und dafür zu kämpfen?
Die im Februar 1936 gewählte Volksfrontregierung in Spanien musste besonders diffizile Herausforderungen meistern. Die Hauptsorge war, dass allzu radikale Forderungen die Mittelschicht nach rechts treiben würden oder den rechten Kräften einen Vorwand für einen Putsch auf Grundlage weitverbreiteter antibolschewistischer Ressentiments liefern könnten. Die Angst vor einer Revolution war ein potentes Elixier für die politische Rechte, weswegen die Komintern die spanischen Kommunist*innen direkt angewiesen hatte, bei der Bildung der Volksfront keine Forderungen aufzustellen, die den Rahmen einer demokratischen Republik überstiegen. Radikalere Forderungen nach einer sozialen Revolution sollten abgemildert und vertagt werden.[1]
In Chile führte die Bildung einer Volksfrontregierung nicht zu grundlegenden sozialen Umwälzungen, aber zur Institutionalisierung sozialistischer Politik. Eine Taktik der chilenischen Kommunist*innen, um Teile der Führung anderer Parteien in der Volksfront von sich zu überzeugen, bestand darin, ihre Wähler*innen aus der Arbeiterklasse zur Wahl von Mitte-links-Kandidat*innen aufzurufen. Auf diese Weise konnte die Kommunistische Partei ihre Glaubwürdigkeit als politischer Bündnispartner untermauern; zugleich erlangte die Volksfront größere Respektabilität, indem sie weitere Mittelschichts- und Zentrumsparteien für sich gewinnen konnte. Trotz ihres Scheiterns entstand aus dieser Erfahrung die Frente de Acción Popular (FRAP) und später die Unidad Popular (UP), ein Bündnis von Linksparteien, das zwischen 1958 und 1973 existierte und zur Regierung von Salvador Allende führte.
Über die Defensive hinaus?
Während ihrer Hochphase gelang es der französischen Volksfront, sich von zwei Seiten zu zeigen: als mächtige antifaschistische Massenbewegung und gleichzeitig als funktionierendes parlamentarisches Bündnis. Anders formuliert: Eine Mindestanforderung an die Volksfront hatte darin bestanden, das staatliche demokratische System vor einer faschistischen Übernahme zu schützen und die rechtlichen Bedingungen aufrechtzuerhalten, die es ermöglichten, den Staat für die Arbeiterbewegung zu öffnen.
Aus kommunistischer Perspektive waren die Volksfronten überall als Übergangsmodell gedacht, doch die kommunistischen Akteur*innen jener Zeit glaubten nicht daran, dass die Volksfrontregierungen allein grundlegende soziale und politische Reformen bewirken konnten. Eine zentrale Rolle bei der Schaffung eines Machtgleichgewichts in der Volksfront spielten die Gewerkschaften. Das Zustandekommen und die Durchsetzungskraft der Volksfront in Frankreich gehen auf Betriebsbesetzungen und Generalstreiks im Jahr 1935 zurück, die die Kräfteverhältnisse verschoben und eine politische Euphorie ausgelöst hatten. Auch die französischen Arbeitgeber zeigten sich in der Folge zu beeindruckenden Zugeständnissen bereit.
Die erste Volksfrontregierung führte zum Teil auf Druck der Gewerkschaften anfänglich zu durchaus beachtlichen Verbesserungen: bezahlte Urlaubstage für Arbeiter*innen, eine 40-Stunden-Woche, erhebliche Lohnerhöhungen sowie umfassendere gewerkschaftliche Rechte. Der »Sommer der Hoffnung« 1935 spiegelte sich im Slogan »Für Brot, Freiheit und Frieden« wider – bevor Enttäuschung und ein Rückschritt folgten. Die Einführung eines kooperativen und demokratischen Ansatzes der Arbeitsbeziehungen ist jedoch ein bleibendes Vermächtnis der Volksfront in Frankreich ebenso wie das Frauenwahlrecht und vieles mehr.
Offen bleibt die Frage, ob das Volksfrontmodell mehr leisten kann als reines »Krisenmanagement«: etwa, ob es auch als Motor für weitergehende und langfristige gesellschaftliche Veränderungen und eine Vision eines demokratischen Sozialismus fungieren kann. Hätte man mit diesen Experimenten auch Ziele jenseits der Verteidigung des etablierten liberal-demokratischen Rahmens verfolgen und erreichen können, wenn sie nicht durch Bürgerkrieg und Weltkrieg vorzeitig beendet worden wären?
Mitte der 1930er-Jahre gab es unter Kommunist*innen grundlegende Vorstellung-en davon, wie eine zukünftige »antifaschistische Demokratie« hätte aufgebaut werden können, sie entwickelten diesen Ansatz jedoch nicht zu einer echten Alternative zum Sowjetmodell weiter. Weder Kommunist*innen noch Sozialist*innen in Volksfrontregierungen hatten Pläne ausgearbeitet, wie sich diese Regierungen in Richtung Sozialismus bewegen ließen. Es bleibt daher eine der spannendsten Aufgaben der heutigen Linken, die Idee einer antifaschistischen Demokratie weiterzuentwickeln, die die Verteidigung der Rechte und Freiheiten der liberalen Demokratie anstrebt, während sie sich gleichzeitig mit Unterstützung der Gewerkschaften und fortschrittlicher sozialer Bewegungen für die Umsetzung ambitionierter sozialistischer Ideen starkmacht.
Die Volksfront wird auch heute noch – womöglich zu Unrecht – vor allem als Werkzeug zur Verteidigung gegen den Faschismus betrachtet. Sie sollte jedoch als ebenso mächtiges Instrument bewertet werden, mit dem ein Linksruck der politischen Mitte befördert werden kann (vgl. Candeias in diesem Heft).
Aus dem Englischen von Sebastian Landsberger und Claire Schmartz für Gegensatz Translation Collective
