Migration war im Bundestagswahlkampf 2025 kein Ausdruck gesellschaftlicher Vielfalt, kein Thema von Gerechtigkeit, kein Feld der Solidarität. Sie wurde – fast ausschließlich – als Bedrohung verhandelt. Es wurde von «irregulärer” oder sogar «illegaler” Migration gesprochen. Wie halten wir sie ab? Wie schnell können wir abschieben? Der Diskurs war brutal. Fakten wurden verdreht, europäisches Recht falsch zitiert, verfassungsrechtliche Grundsätze offen in Frage gestellt. Selbst in den Parteien, die einst für humanitäre Standards gekämpft hatten, schien die Bereitschaft zu schwinden, sich dem rechten Druck entgegenzustellen. Und in Teilen der gesellschaftlichen Linken herrschte Zurückhaltung: Sollte man Migration überhaupt zum Thema machen? Würde das nicht der AfD nutzen?
Und dann kam die Rede von Heidi Reichinnek. Es war ein Moment, der Die Linke gepusht und gezeigt hat, was es heißt, Haltung zu zeigen, wenn es zählt. Ihre Rede war ein glasklares Bekenntnis zu einer offenen und solidarischen Gesellschaft, zu den Menschenrechten, zu Solidarität mit Geflüchteten. Denn worum es in diesem Moment ging, war mehr als nur ein Antrag: Die CDU hatte zum ersten Mal offen Mehrheiten mit der AfD, deren Alleinstellungsmerkmal ein fast ausschließlicher Fokus auf eine Anti-Migrationspolitik ist, gesucht und gefunden. Das war eine historische Zäsur. Und Heidi Reichinnek hat benannt, was es war: ein Tabubruch – nicht nur in der Form, sondern auch im Inhalt. Diese Merz-Politik wird die neue Regierung fortsetzen. Deshalb braucht es weiterhin diesen klaren und lauten Widerspruch.
Autoritäre Wende mit Migration als Einfallstor
Die Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und SPD enthält eine Reihe von Maßnahmen, die in ihrer Gesamtheit ein repressives System weiter zementieren werden. Die Ideen der neuen Bundesregierung sind dabei zahlreich und beziehen sich an manchen Stellen auf kleine Details mit großer Wirkung. Grob lassen sich die Maßnahmen jedoch in drei Teilbereiche aufteilen: Schließung der Migrationsrouten, mehr Abschiebungen und Abbau des Asylsystems.
Bezüglich der Migrationsrouten werden zuallererst vermeintlich »irreguläre« Migrationswege geschlossen. Dobrindt und Merz hatten bereits vor den Wahlen angekündigt, dass es ab Tag eins der neuen Regierung eine ganz konkrete Änderung an den deutschen Außengrenzen geben wird: Bisher wurde dort zwar kontrolliert, wer aber ein Asylgesuch geäußert hatte, durfte einreisen. Zumindest in der Theorie gab es somit keine Push-Backs an deutschen Grenzen – aus der Praxis ist allerdings bekannt, dass Asylgesuche öfter mal von den Beamt*innen vor Ort überhört wurden. Diese Praxis soll nun zum Regelfall werden, wenn auch schutzsuchende Menschen direkt an der Grenze in die europäischen Nachbarstaaten zurückgewiesen werden. Zusätzlich will die neue Regierung auch die legalen Fluchtwege so weit wie möglich schließen. Sie beendet daher bestehende Aufnahmeprogramme, wie das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan. Und auch der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten wird vorerst für zwei Jahre ausgesetzt, obwohl der Nachzug schon jetzt auf nur 1 000 Visa pro Monat beschränkt ist. Das Ziel dieser Maßnahmen ist eindeutig: Es sollen möglichst überhaupt keine Schutzsuchenden mehr nach Deutschland kommen.
Die Koalition will außerdem dafür Sorge tragen, dass möglichst viele Menschen ohne gesichertes Aufenthaltsrecht Deutschland wieder verlassen. Unter anderem sollen deswegen Asylsuchende, die über einen anderen EU-Staat nach Deutschland gekommen sind, keine Leistungen mehr vom Staat erhalten und somit zur Ausreise gezwungen werden. Eine entsprechende Regelung wurde bereits von der Ampel beschlossen, wird aber in mehreren Bundesländern nicht umgesetzt, da sie effektiv zu Obdachlosigkeit und Hunger bei den Betroffenen führen würde. Die neue Bundesregierung will sich für eine »konsequente Umsetzung« einsetzen. Ergänzt werden solche »Anreize« für eine »freiwillige Rückkehr« durch eine »Rückführungsoffensive«. Die Regierung plant mehr Abschiebungen in Nachbarstaaten und in Herkunftsländer. Selbst Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien sollen – trotz Lebensgefahr – wieder möglich werden. Ein kleines, aber entscheidendes Detail ist dabei, dass der Koalitionsvertrag diese Abschiebungen »beginnend« mit Straftätern und sogenannten Gefährdern vorsieht. Bei diesen als gefährlich diffamierten Gruppen ist mit wenig Widerstand zu rechnen. Wenn ein Gewöhnungseffekt eingetreten ist, sollen in einem nächsten Schritt alle Menschen in das instabile Syrien oder das Taliban-regierte Afghanistan abgeschoben werden. Für diese »Offensive« erhält die Polizei zusätzliche Kompetenzen. Zusätzlich sollen mehr Abschiebungshaftplätze eingerichtet werden. Dabei erweisen sich diese Inhaftierungen bereits jetzt in vielen Fällen als rechtswidrig. Dieses Problem dürfte sich künftig verschärfen ̶ auch weil die schwarz-rote Bundesregierung die erst kürzlich eingeführten Pflichtanwälte für Abschiebegefangene wieder abschaffen will.