In der Debatte um eine angemessene Reaktion auf den Ukraine-Krieg geht es auch um Sanktionen gegen russische Oligarchen. Deren Yachten und Villen sollen nun beschlagnahmt werden. Du hast öffentlich die Frage aufgeworfen, wie viel Geld sie eigentlich im Berliner Immobilienmarkt investiert haben. Warum?
Zunächst muss man sagen, dass weltweit Immobilien auch für Geldwäsche genutzt werden. Dabei geht es nicht nur um russische Oligarchen, sondern auch um texanische Cowboys und alle möglichen Gestalten. Deutschland gilt seit langem als Geldwäscheparadies und Berlin als einer der Hotspots. Die wegen des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Putins erlassenen Sanktionen lenken jetzt das Scheinwerferlicht auf dieses Casino.
Aber wir müssen aufpassen, dass die Sanktionen nicht zu einer Show-Veranstaltung verkommen. Es stimmt: Russische Oligarchen und die reiche Elite des Landes lebten in den letzten Jahren in Saus und Braus. Der Aufenthalt mit der Yacht an der Cote d´Azur gehörte wie auch der Skiurlaub in so genannten Chalets in den besten europäischen Ski-Resorts dazu, aber jenseits dieses extrem überteuerten Lifestyles ist ihr wirklicher Reichtum natürlich anders angelegt. So war der bisher größte Aktionär von TUI z.B. ein russischer Oligarch. Ihm gelang es offenbar die Sanktionen zu umgehen, indem er seine Aktienpakete in letzter Minute an eine Briefkastenfirma übertrug, bei der bisher niemand sagen kann, wer der Eigentümer ist – vermutlich er selbst oder Personen aus seinem nächsten Umfeld. Immobilieninvestments in Deutschland sind auch deshalb attraktiv für schmutziges Geld, weil man hier Immobilien immer noch in bar bezahlen kann. Und sie gelten seit der Finanzkrise 2009ff als so genanntes ‚Betongold’ – als sicherer und zugleich äußerst gewinnträchtiger Hafen für Kapital aus der ganzen Welt. Es ist daher nur naheliegend, dass auch in Berlin viel von dem Vermögen investiert wurde, das jetzt sanktioniert werden soll.
Hast du eine Einschätzung um wie viel es geht?
Hier sind wir bereits bei einem großen Problem. Diesen Überblick hat aktuell niemand. Denn Deutschland hat seine Hausaufgaben in dieser Frage nicht gemacht und ist damit seit langem nicht auf der Höhe der Zeit. Etwas zugespitzt formuliert kann man sagen: Deutschland droht zur sanktionsfreien Zone für Oligarchen zu werden. Einreisen dürfen sie zwar nicht mehr, aber ihrem Vermögen wird hier erst einmal auch nichts passieren, sofern sie sich nicht völlig blöd anstellen. Zur Dimension dieses Vermögens gibt es nur grobe Schätzungen. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit schätzt, dass in Deutschland russisches Vermögen im Wert von 20 bis 50 Milliarden Euro liegt. Dabei geht es um Unternehmensbeteiligungen, Yachten, Immobilien, Gemälde, alle möglichen Anlageformen. In Berlin haben wir ein paar sehr prominente Immobilienprojekte. Direkt am Alexanderplatz wird derzeit das höchste Hochhaus Berlins von einem russischen Investor geplant. Auch der österreichische Immobilienspekulant René Benko, der Karstadt gekauft und die Immobilien des Konzerns schamlos verwerten möchte, soll sich sein Imperium mitunter von russischen Geldgebern finanzieren lassen. In der letzten Legislatur habe ich jahrelang gegen das Megaprojekt am Checkpoint Charlie am Potsdamer Platz gekämpft. Dessen Träger „Trockland“ kooperiert mit zwielichtigen Investoren aus der Familie des ehemaligen turkmenischen Diktators Nijasow, offenbar wohnhaft in Moskau und mit besten Verbindungen zu russischen Banken. Am Ende war dieser Kampf erfolgreich. Aber die genannten Beispiele dürften nur die Spitze des Eisbergs sein. Hierzu habe ich gerade eine Anfrage an den Senat gestellt. Aber ich fürchte die Wahrheit ist: So richtig weiß aktuell niemand, wie groß das Problem mit schmutzigem Geld auf dem Berliner Immobilienmarkt wirklich ist. Und das muss sich ändern.
Wie kann das sein?
Sich einen Überblick zu verschaffen, wer hier in Deutschland oder speziell in Berlin investiert und am Mietenwahnsinn mitverdient oder diesen sogar noch befeuert, ist sehr schwer. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat mit dem Projekt „Wem gehört die Stadt?“ eine Öffentlichkeit für das Problem geschaffen und hat ja auch beachtliche Rechercheerfolge gehabt. Aber das ändert an der völlig unzureichenden staatlichen Regulierung wenig. Es ist wirklich etwas absurd. Wenn du in Deutschland Hartz-IV-Bezieher*in bist, musst du dem Staat umfassend Auskunft über alles Mögliche geben, vom Kontostand über all deinen Besitz bis hin zu deinen Liebschaften. Das wird systematisch erfasst, das Jobcenter darf die Angaben sogar durch unangekündigte Besuche in der Wohnung überprüfen. Wer in Deutschland aber eine Immobilie besitzt, kann sich für die Behörden in der Regel mühelos unsichtbar machen.
Wie funktioniert das?
Stellen wir uns mal einen Moment vor, du bist einer dieser superreichen Typen und willst nicht, dass der deutsche Staat weiß, wie viel deines Vermögens in Deutschland liegt und wo du es sonst parkst oder investierst – vielleicht auch, weil die Quellen deines Reichtums nicht ganz legal sind. Dann besitzt du vielleicht neben einer Menge Aktien, Diamanten, Gemälden und anderem Kram, den du eigentlich nicht brauchst, eine Villa, ein Sommerhaus und eine Yacht für die Ferien sowie jeweils ein Großimmobilienprojekt in Berlin, Hamburg und München als Investment. Da du nicht willst, dass man dir diese Besitztümer zuordnen kann, gründest du Briefkastenfirmen, auf den Cayman-Inseln oder auf Zypern, die als Eigentümer fungieren. Am besten für jeden Vermögenstitel eine eigene Briefkastenfirma. Du besitzt dann also die folgenden Briefkastenfirmen: „Firma Villa“, „Firma Yacht“, „Firma Investment Berlin“, „Firma Investment München“, usw. – wenn du es wirklich ernst meinst mit der Verschleierung, kannst du zusätzlich auch noch Verschachtelungskonstruktionen einbauen. Die drei Firmen für die Investments in Berlin, Hamburg und München könnten einer „Firma Business“ gehören, die übrigen einer „Firma Privat“. Wenn man jetzt Vermögen sucht, die auf deinen Namen laufen, ergeben sich keine Suchtreffer. Geht man das Grundbuch durch, dann würde man nur auf die Namen der Briefkastenfirmen stoßen. Und selbst wenn man dazu die Eigentümer herausfindet, landet man wieder nur bei dem Namen einer Briefkastenfirma. So werden deine Vermögensverhältnisse zu einer Detektivgeschichte und du musst schon sehr viel Pech haben, damit man deinen tatsächlichen Reichtum entschlüsselt. All das führt zu einer Situation, die das Gebaren von Christian Lindner, dass er jetzt die russischen Oligarchen belangen wolle, zur Posse verkommen lässt. Die WELT titelte vor ein paar Tagen: „Jagd auf Oligarchen? Deutschland findet nicht mal ihre Villen und Yachten“ und trifft damit ins Schwarze.
Wie erklärst du dir dann, dass vor ein paar Tagen die 600-Millionen teure Yacht des Putin-Freundes Usmanow in Hamburg beschlagnahmt wurde?
Also erst einmal: In der Zeitung liest man, das sei ein Zufallsfund gewesen. Interessant ist das Beispiel Usmanow trotzdem, denn seine Yacht wurde eben bisher nicht eingefroren, weil sie offiziell einer Briefkastenfirma aus Malta gehört. Jetzt soll eine Klärung der Eigentumsverhältnisse erfolgen. Die Stadt Hamburg versucht pragmatisch zu handeln und lässt die Yacht bis zur Klärung immerhin nicht auslaufen, auch wenn das eine Weile dauern könnte. In ähnlicher Weise könnte sich das Land Bayern mit Blick auf seine Villen am Tegernsee die Zähne ausbeißen – auch die gehören offiziell irgendwelchen Briefkastenfirmen.
Ein anderes Beispiel zeigt, wie löcherig das System bisher war: Der langjährige Freund Putins, Arkadi Rotenberg, konnte Berichten des Stern zufolge 2016 seine Villa in Schmagendorf im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf verkaufen, obwohl er seit 2014 auf einer Sanktionsliste der EU stand. Er verkaufte übrigens an seinen Bruder und seine Tochter.
Wie konnte das passieren?
Nach Informationen des Sterns wurde das Geschäft über eine zypriotische Holding abgewickelt, deren Eigner Rotenberg ist. Die Holding stand jedoch nicht auf der Sanktionsliste der EU.
All das ist wirklich zum Haare raufen. Aber es gäbe Konzepte und Instrumente, um dieser Vermögensverschleierung das Handwerk zu legen. Und die müssen wir jetzt aktivieren, wenn wir es mit den Sanktionen ernst meinen. Dabei sollten wir mit Blick auf große Bauprojekte in Berlin ähnlich pragmatisch wie Hamburg mit seinem Hafen handeln und sagen: Bis die Eigentumsverhältnisse transparent und vollständig geklärt sind, wird keine Planung genehmigt und rollt kein Bagger. Der Rechtsprofessor Kilian Wegner schlägt in Anschluss an den Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei zudem eine ungewöhnliche, aber effektive Maßnahme vor: Die Einführung einer so genannten Unexplained wealth order als finanzpolizeiliches Instrument.
Was ist das?
Dabei werden Träger von Vermögensgegenständen bei Vorliegen bestimmter Risikomerkmale dazu verpflichtet, die Herkunft dieses Vermögens zu erklären. Misslingt ein plausibler Nachweis, wird der Gegenstand eingezogen. Ähnlich handhabt es Italien seit Jahren in Verfahren gegen die Mafia. Wenn man das Risikomerkmal weit genug fasst und etwa alle Vermögen, also auch Immobilien, in den Blick nimmt, die Briefkastenfirmen gehören, wären wir einen großen Schritt weiter. Denn das wäre eine Beweislastumkehr. Alle Immobilien, die irgendwelchen Briefkastenfirmen gehören, würden erst mal beschlagnahmt und die Besitzer*innen müssten antanzen und nachweisen, dass sie keine Geldwäsche betreiben und ihre Einnahmen ordentlich versteuern. Darüber hinaus gibt es einige Baustellen, die wir mit Blick auf die staatliche Verwaltung systematisch in den Blick nehmen und angehen müssen.
Was muss getan werden?
Zunächst geht es um die Qualität der staatlichen Daten und dass sie sinnvoll miteinander verknüpft sind, damit staatliche Maßnahmen wie Sanktionen durchsetzbar werden. Wenn ich eine Immobilie besitze, dann steht das entsprechend im Grundbuch. Dass in Deutschland immer noch nicht alle Grundbücher digitalisiert sind, ist bereits die erste Hürde. Aber selbst, wenn die Digitalisierung vollzogen wäre, dann sind die Einträge nicht mit anderen Registern, etwa dem Transparenzregister für Unternehmen oder dem Handelsregister, verknüpft. In Frankreich ist das anders, was zu der Situation führt, dass die russischen Oligarchen dort tatsächlich etwas mehr zu befürchten haben. Das muss sich bei uns ändern. Angenommen es gäbe die Verknüpfung auch in Deutschland, dann hätten wir ein weiteres Problem: Das Transparenzregister ist in Deutschland vollkommen unzureichend ausgestaltet, auch weil man nicht viel zu befürchten hat, wenn man dort unzureichende oder falsche Angaben macht, wie sehr schön in einer Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung nachzulesen ist. Die Lobby der Reichen und Superreichen, die ihre Vermögensverhältnisse aus welchen Gründen auch immer verschleiern wollen, sabotiert an jeder erdenklichen Stelle eine angemessene Transparenz – während Christian Lindner sich jetzt als Robin Hood präsentieren möchte.
Dabei wäre das mit dem entsprechenden politischen Willen kein Hexenwerk. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit macht seit Jahren hierzu eine super Arbeit und hat sehr hilfreiche, konkrete Vorschläge gemacht, was jetzt zu tun wäre. Aktuell gibt es auch eine sinnvolle Petition der Bürgerbewegung Finanzwende. Die vollständige Digitalisierung der Grundbuchämter braucht vielleicht etwas Zeit, aber die Verknüpfung der Daten und die Einführung von hohen Strafen bei Falschangaben im Transparenzregister sollten sich kurzfristig regeln lassen. Dies ist aber Aufgabe der Bundesregierung. Die hat in der Vergangenheit die Dinge nicht nur versäumt, sondern aktiv eine härtere Gangart durch die Länder verhindert.
Wie bitte?
Ja, ich konnte das auch kaum glauben. Das Land Berlin hatte in der letzten Legislatur eine Taskforce zur Ermittlung von Geldwäsche bei Immobiliengeschäften gegründet, die insbesondere bei den Notaren, ohne die kein Immobiliengeschäft abgewickelt werden kann, ansetzte. Die Nummer war relativ erfolgreich. Bis die Bundesregierung im letzten Sommer die Gesetze absichtlich so änderte, dass die Arbeit dieser Taskforce nun weitgehend ins Leere läuft. Die LINKE-Justizsenatorin Prof. Lena Kreck hat bereits beim Bund angemahnt, dass die Blockade dieser erfolgreichen Arbeit umgehend beendet werden muss. Aber die bisherigen Bundesratsinitiativen aus Berlin fanden keine Mehrheit.
Das heißt wir können auf Berliner Ebene gar nicht viel machen?
In dieser Angelegenheit aktuell nicht. Mit Blick auf Berlin haben wir im Koalitionsvertrag verabredet, ein umfassendes Mietkataster einzuführen, um einen besseren Überblick zu bekommen. Das kann die Versäumnisse des Bundes zwar nicht in Gänze kompensieren, aber muss jetzt dennoch unmittelbar angegangen werden.
Was sollte mit den enteigneten Vermögen passieren?
Achtung, es geht bei den Sanktionen nicht um Enteignung, sondern zunächst nur um ein Einfrieren der Vermögen. Hier sieht man erneut, wie zahnlos die Sanktionen der EU eigentlich sind. Aber ich bin auch der Meinung, dass diese Vermögen konfisziert und dem Gemeinwohl zugeführt werden sollten. Eine solche Regelung hat das Land Berlin in der letzten Legislatur bereits für im Kontext von Geldwäscheverfahren beschlagnahmten Immobilien eingeführt, etwa um sie dann z.B. als Jugendzentrum, Seniorenwohnheim oder anderweitig gemeinwohlorientiert zu nutzen. Aus meiner Sicht wäre es auch denkbar, das bundesweit konfiszierte Vermögen im Rahmen der jetzt erlassenen Sanktionen für ein Wiederaufbauprogramm in der Ukraine zu nutzen. Aber bevor wir über diese Schritte nachdenken, komme ich noch mal zum Anfang zurück. Wir müssen aufpassen, dass diese vermeintliche Jagd auf die Vermögen der Oligarchen nicht zur billigen Show der Bundesregierung verkommt, die jetzt reißerisch ein paar Schlagzeilen produziert, aber Deutschland weiterhin als Geldwäscheparadies unangetastet lässt. Wir dürfen der Bundesregierung ihr wohlfeiles Gerede nicht durchgehen lassen. Niemand kann mit Sicherheit sagen, ob wir über den Druck auf die Oligarchen und Multimillionäre als Profiteure von Putins System den Krieg in der Ukraine stoppen können. Aber wir müssen es verdammt noch mal versuchen. Das Casino muss geschlossen werden. Und zwar für alle.
Das Gespräch führte Moritz Warnke.