Angesichts der Gefahren durch den Aufwind autoritärer, faschistischer Kräfte fragt man sich, wo die antifaschistische Bewegung bleibt, die sich auf den Straßen widerständig zur Wehr setzt. Tatsächlich gibt es diese Bewegung schon, allerdings in einer Form antifaschistischer Politik, die sich querstellt zu traditionellen, oftmals maskulin-kämpferisch aufgeladenen Vorstellungen von Antifa und Antifaschismus. Solch einen feministischen Antifaschismus lassen die CSDs aufscheinen, die in kleineren Städten rechtsextremen Gruppen entgegentreten, trotz Gegenmobilsierungen und gewalttätigen Angriffen. In diesen düsteren Tagen stiften sie Zuversicht. Indem sie für Gleichheit, Sorge und Selbstbestimmung für alle einstehen, lassen sie einen Universalismus von unten aufblitzen. Und sie verteidigen die Demokratie.
Queere Kämpfe als Demokratisierungsbewegungen
Bereits 2019 verwies die Rechtsextremismusforscherin Heike Radvan darauf, dass „Homophobie das demokratische Verständnis unserer ganzen Gesellschaft in Frage stellt“, und beobachtete beim CSD in Cottbus, wie „das breite stadtpolitische Bündnis „vermittelt ‚Wir kämpfen hier für etwas, was alle angeht‘.“[1] Prides treten für die Demokratie ein, sie demonstrieren für die gesamte Gesellschaft. Für Demokratie braucht es Freiheit und Selbstbestimmung, Gleichheit und Vielfalt. Folglich stehen die CSDs nicht bloß für Minderheitenrechte, sie verteidigen die Grundrechte aller. Jedoch mussten queere Menschen mehr für ihre Rechte kämpfen.
Geschichtlich gesehen haben die lesbisch-schwulen Emanzipationskämpfe stets Liberalisierungs- und Demokratisierungsschübe hervorgebracht, die das Leben aller freier und selbstbestimmter gemacht haben, wie die Historikerinnen Dagmar Herzog (2011) und Andrea Rottmann (2024) schildern, ob in den frühen 1920er Jahren oder bei den Stonewall-Aufständen 1969. Diese Kämpfe verdeutlichen, dass gleiche Rechte nicht einfach von oben gewährt werden, sie werden von unten erkämpft. In ihnen tritt Gleichheit als egalitäre Praxis zutage, einander in der Verschiedenheit als Gleiche anzusehen, als Gleichheit, die in Differenz gründet (vgl. Govrin 2025).
Insofern sind Prides keine bloßen Identitätspolitiken, sie sind universalistische Politiken, sie sind Gleichheitskämpfe. In ihnen blitzt ein Universalismus von unten auf, der aus Vielfalt und Verschiedenheit hervorgeht und daran erinnert, dass uns das Grundbedürfnis nach Sorge und Solidarität ebenso eint wie das Begehren, selbstbestimmt in selbstgewählten Beziehungen zu leben.
Obwohl viele Journalist*innen inzwischen erkennen, dass es bei den Prides um Demokratie geht, bleibt es eine Aufgabe aller, die darüber berichten, diese universelle Dimension von Prides sichtbar zu machen, statt sie auf die Frage des Minderheitenschutzes zu beschränken. Denn je mehr Demokratien gefährdet sind, desto dringlicher bedarf es Erzählungen eines Universalismus von unten und breiter antifaschistischer Bündnisse, um Widerstand zu organisieren und die politische Vorstellungskraft zu weiten.
Antifeminismus als Bindeelement der global organisierten Rechten
Für die global organisierte Rechten fungiert Antifeminismus – und mithin Queerfeindlichkeit – als Bindeelement. Sie bedienen sich einer Art negativer Intersektionalität, indem sie Verschwörungsideologien wie die des „großen Austauschs“, antisemitische Erzählmuster über herbeifabulierte Eliten mit antimuslimischem Rassismus und antifeministischen, queerfeindlichen Ressentiments verflechten: Ebenjene Eliten, so der verschwörungsideologische Spin, würden weiße christliche Familien durch muslimische Familien ersetzen. Dabei werden queere und trans* Menschen mitsamt des Feminismus bezichtigt, den Niedergang der heterosexuellen Familie herbeizuführen (vgl. Paternotte/Kuhar 2017; Butler 2025). Vonseiten der AfD wird diese eugenische Erzählung zudem von Behindertenfeindlichkeit getragen (vgl. Herzog 2025). Alles in allem bildet Antifeminismus einen gemeinsamen Nenner verschiedener autoritärer Strömungen wie evangelikale Netzwerke, Anhänger*innen des libertären Autoritarismus wie Musk oder Milei und Akteur*innen eines völkischen Nationalismus, für den der AfD-Faschist Björn Höcke einsteht.
Allianzen mit transfeindlichen, sich als feministisch verstehenden Stimmen wie Alice Schwarzer wirken als Schleusenöffner, um alte Ressentiments in neuer Fassung wiederzubeleben, wie die Assoziation von trans* Menschen mit Pädophilie, die derzeit virulent wird. Derweilen wirkt die propagierte Rückkehr zur patriarchalen Familie, wie sie von der AfD gefordert und von selbsternannten ‚Trad Wives‘ auf TikTok ästhetisch in Szene gesetzt wird, als affektpolitische Verheißung gegen die Unsicherheiten neoliberaler Prekarisierung (vgl. Sauer/Penz 2023). Folglich trachten autoritäre Akteure danach, queere Menschen als Bedrohung der Gesellschaft darzustellen, wenn sie von „woker Diktatur“ raunen und Nachwuchsnazis, gewaltbereit wie ihre Väter in den Baseballschlägerjahren, „weiß, normal, hetero“ brüllen.
Derweilen setzen in der CDU unter Merz so manche wie Jens Spahn und Andreas Rödder auf eine Normalisierung der AfD und arbeiten einer möglichen Koalition zu (vgl. Keller u.a. 2025). Bezeichnend war Merz‘ Kommentar zu Julia Klöckners Weigerung, im Pride-Monat Juni die Regenbogenfahne über dem Reichstag wehen zu lassen. Merz sagte, der Reichstag sei kein Zirkuszelt, ein Bild, das alte Assoziationen von queeren Menschen als Freaks aufruft.
Die Verweigerung des Minderheitenschutzes ist eine Absage an den Schutz einer demokratischen, pluralen Gesellschaft. Minderheitenschutz wird umso dringlicher derzeit. Derweilen geht es bei den Prides nicht bloß um Minderheitenschutz, es geht ebenso um Mehrheitsschutz. Denn Demokratie beruht auf gesellschaftlicher Vielfalt und Gleichheit in der Differenz, weshalb Minderheiten- und Mehrheitsschutz einander bedingen. An Queerfeindlichkeit lässt sich ablesen, in welcher Bedrohungslage sich Demokratie befindet. Klaus Lederer hat kürzlich von queeren Menschen als Kanarienvögel der Demokratie gesprochen. Früher nahmen Bergarbeiter die Vögel mit in die Grube. Wurde der Sauerstoff knapp, verstummten die Vögel als Warnung für alle, um deren Überleben zu sichern. So flattern wir voran, laut, bunt, sichtbar, im Testflug für die Demokratie.
Antifaschistische Sorge
Was wir auf den Straßen sehen, in Bautzen, Eberswalde, Cottbus und andernorts, ist ein feministischer Antifaschismus. Ein Antifaschismus, der keine maskulinen Kämpferfiguren nach vorne spielt und dafür sorgende Gemeinschaften sichtbar macht. Im bunten Miteinander zeigen sich Praktiken der antifaschistischen Sorge – wie die kleine Geste bei den bestens organisierten Brandenburger CSDs, wo Menschen umherlaufen, die Wasser, Müsliriegel, Sonnenmilch und Regenbogenschirme verteilen. Die Regenbogenschirme dienen zudem dazu, sich buchstäblich abzuschirmen, als kunterbunte Schutzwand gegen die rechten Blogger, die offensiv filmend am Rande mitlaufen, gegen den geifernden Hass der AfD-Anhängerschaft. Antifaschistische Sorge leisten auch die Antifa-Gruppen, die vor Ort sind, wenn die Polizei nicht den nötigen Schutz bietet, oder die Netzwerke, die die gemeinsame Anfahrt aus anderen Städten organisieren. Solche antifaschistischen Schutznetze sind existenziell, da diejenigen, die Prides in Orten mit hoher Nazidichte organisieren, offen attackiert werden. Häufig werden Namen und Adressen verbreitet. Wie Ocean Hale Meißner vom CSD Döbeln berichtet: „Am Tag des CSD ist viel Polizei unterwegs, da greifen sie uns nicht an. Das machen sie erst im Alltag, wenn die Polizei wieder weg ist.“
Vielerorts werden CSD-Organisationen die Gelder gekürzt, bürokratische Hürden hochgefahren oder Demorouten so ungünstig gelegt, dass sie rechten Gegenmobilisierungen zupasskommen, wie 2024 in Döbeln. Doch scheinen Polizei und Kommunalregierungen die akute Gefahr mittlerweile ernster zu nehmen und erhöhen den Schutz. Vor allem gibt es breite Bündnisse, die weit über das linke Spektrum hinausreichen, mit Vertreter*innen von Kirchen und Stadtpolitiker*innen, die mancherorts sogar aus den Reihen der CDU kommen. Zudem gibt es Städte, in denen sich Bürgermeister*innen klar positionieren, wo die Regenbogenfahne auf dem Marktplatz oder vor dem Rathaus weht. Götz Hermann, parteiloser Bürgermeister von Eberswalde, ging beim dortigen CSD begeistert auf die Bühne und dankte den Pride-Protestierenden dafür, dass sie die Stadt in ihrer Vielfalt bewahren – eine Rede, wie man sie sich von jeder Regierungsvertreterin, jedem Lokalpolitiker wünschen würde. Solche Bündnisse haben zuletzt in vielen ostdeutschen Orten verhindert, dass sich AfD-Politiker*innen bei der Oberbürgermeisterwahl durchsetzen konnten, wie in Meißen und Wolmirstedt. Gerade dort, wo die Gewalt der Baseballschlägerjahre nachwirkt und mit Wucht wieder auflebt, gibt es wegweisendes Organisationswissen darüber, wie man Bündnisse bildet und wie antifaschistische Sorge aussehen kann. Wie es Christian Müller vom CSD e.V. in Cottbus sagt, wo kurz vor der Pride Ende Oktober ein Brandanschlag auf das Regenbogenkombinat verübt wurde: „Wir brauchen alle demokratischen Menschen auf der Straße."
Neben den CSDs, die über die jeweiligen Orte hinaus demokratische Vielfalt und queeren, feministischen Antifaschismus sichtbar machen, sind andere Organisationsformen beachtenswert, die im Alltäglichen das demokratische Miteinander fördern wie die Initiative Happy Monday Bautzen, die wöchentlich einlädt zu öffentlichen Zusammenkünften und gemeinsamem Essen. Solche Formen des demokratischen Community-Building sind elementar. Essen bringt Menschen zusammen. Eben deshalb liegt darin eine antifaschistische Sorgepraxis, wie bei den Kuchendemos von Unteilbar Südbrandenburg in Cottbus. Wie es Yali Hashash 2025 bei der Konferenz „Good Night Far Right – Strategien gegen Rechts“ bekräftigte, wollen Menschen Gemeinschaft. Wenn die Angebote von rechten Parteien und Organisationen kommen, wenden sich Menschen dorthin. Deshalb müssen wir Gegenangebote machen. Manchmal, fuhr Yali Hashash fort, haben wir als Feminist*innen den Eindruck, wir können der Macht der Rechten nichts entgegensetzen. Doch wer, wenn nicht wir, Queers und Feminist*innen, kennt sich besser damit aus, Gemeinschaften zu schaffen?
Bei den Prides zeigt sich ein sozialer Antifaschismus, der, wie Lia Becker (2025) schreibt, das Demokratische erweitert, da es nicht allein um Wahlergebnisse geht, sondern darum, sich solidarisch zu organisieren. Demokratie ist dem Philosophen John Dewey (2024) zufolge eine Lebensform, die im Gemeinschaftlichen stattfindet und dort verteidigt wird. Statt bloß das Bestehende zu verteidigen, ist es antifaschistische Aufgabe, die Demokratie weiter zu demokratisieren. Genau dies geschah und geschieht in queeren Bewegungen, da sie für Gleichheit in der Differenz, für vielfältige Lebens- und Liebesweisen ebenso wie für „solidarische Beziehungsweisen“ (Adamczak 2017) kämpfen.
Das sollte nicht dazu verführen, queere Bewegungen zu romantisieren, schließlich sind sie durchzogen von Konfliktlinien. Davon zeugen Berliner Pride-Veranstaltungen und ihr Umgang mit Nahostdebatten. Diese Konflikte führten sogar dazu, dass beim Community Dyke March geschichtsvergessen Regenbogenfahren mit Davidstern zum unerwünschten Symbol erklärt wurden. Auffällig ist, dass dieses Konfliktthema an Orten, an denen die Gefahr durch Rechte greifbar ist, weitaus weniger bedeutend ist und nicht zu derartigen Selbstblockaden führt. Das muss keine Einstimmigkeit bedeuten. Prides, ob groß oder klein, zeugen von gelebter Uneinigkeit. So werden, wie bei der Rede einer Gewerkschafterin in Eberswalde, Austeritätspolitiken und neoliberale Prekarisierung kritisiert, was aber nicht heißt, dass die Prides deswegen geschlossen kapitalismuskritisch wären. Statt auf die nächste große antikapitalistische Bewegung zu warten, lässt sich von ihren konkreten antifaschistischen Praktiken lernen.
Feministischer Antifaschismus
Seit es Faschismus gibt, ist Feminismus antifaschistisch, doch nicht jede Form des Antifaschismus war feministisch. Feministische Bewegungen kämpfen für die Gleichheit. Faschismus ist hingegen antiegalitär. Insofern ist Feminismus antifaschistisch. Faschismus hat sich hingegen aus der Tradition der Gegenaufklärung heraus entwickelt, die sich in ihren Anfängen gegen den aufkommenden Feminismus richtete.[2] Wie beschrieben, ist Antifeminismus für rechte Parteien und Akteure ein Bindeelement.
Was wäre nun, wenn wir Feminismus als antifaschistisches Bindeelement begreifen? Wenn wir Selbstbestimmung, egalitäre Sorge, das gute Leben für alle und eine universelle Verwundbarkeit, die uns bei aller Verschiedenheit aneinanderbindet, als geteilte Grundlage antifaschistischer Kämpfe erachten, eine Grundlage, die über das bloße Dagegen hinausweist, hinein in sich öffnende Horizonte einer radikaldemokratischen Zukunft?
Was genau feministischer Antifaschismus ist, wie er sich gestaltet, wird sich in der nahen Zukunft unserer Gegenwart zeigen. Doch lassen sich bei den Prides ebenso wie bei den Omas gegen rechts oder – um den Blick global zu weiten – bei der feministischen Streikbewegung Ni Una Menos in Argentinien, die gegen Javier Mileis autoritären Austeritätskurs auf die Straße geht, bestimmte Praktiken ausmachen: antifaschistische Sorge und ihre Schutznetze, welche die Vielschichtigkeit körperlicher Bedürfnisse und Bedrohungen mitbedenken; Community-Building, das über gemeinschaftsstiftende Momente gelingen kann, vom öffentlichen Kuchenessen bis zu den CSDs, die alle, ob homo oder hetero, zum Mitlaufen einladen; das, was meist als Identitäts- und Minderheitenpolitiken angesehen und häufig als Nebenschauplatz und Nebenwiderspruch abgetan wird, anders zu erzählen: als universelle, egalitäre Politiken, als Kampf für Demokratie, der alle angeht. Außerdem – hierbei ist der Blick nach Buenos Aires aufschlussreich – werden so die Verflechtungen zwischen Protesten und Bewegungen entlang der Frage von Sorge und Forderungen nach der Vergesellschaftung von Sorgearbeit sichtbar (vgl. Gago 2021; Fried/Wischnewski 2022).
