Vor unseren Augen verändert sich der Kapitalismus. Im Spätneoliberalismus, einer Phase der Instabilität und Dauerkrisen, droht die politische Herrschaftsausübung die Form der liberalen Demokratie zu sprengen.[1] Durch das Erstarken rechts-nationalistischer Kräfte in fast allen Ländern der westlichen Zentren ist der vermeintlich »progressive Neoliberalismus« (Fraser) ans Ende gekommen. Der »grüne Kapitalismus« als liberales Modernisierungsprojekt ist gescheitert, ein neuer Wachstumsschub durch ökologische Modernisierung nicht in Sicht. Es handelt sich um eine »blockierte Transformation« (Candeias 2025, Becker 2024).


Es entstehen aktuell in den USA, Italien oder Argentinien neue Synthesen von autoritärem Neoliberalismus und Faschismus (vgl. die Beiträge von MayerFletcher Jr. /Davidson und Callison/Gago in Luxemburg 1/2025). Der historische Faschismus kehrt dabei nicht einfach wieder. Vielmehr entwickelt sich ein transnationales Laboratorium rechts-autoritärer antidemokratischer Staatsprojekte. Die neofaschistischen Kräfte sind dabei (noch) untergeordnet, bilden aber mit Blick auf die nächsten zwei Jahrzehnte eine erstarkende Kraft im Wartestand.  Es gilt, das Neue zu verstehen (vgl. auch Demirović in Luxemburg 1/2025; Taylor/Klein 2025). Faschisierung heißt eben nicht, dass wir unmittelbar vor dem Faschismus stehen. Die Begriffe »beginnender Faschismus« (»incipient fascism«, Seymour 2024) oder spätneoliberaler Faschisierung versuchen, die Übergänge zwischen »nicht mehr liberaldemokratisch« und »noch nicht faschistisch« einzufangen. 


Mit dem so fulminanten wie unerwarteten Comeback der Partei Die Linke in Deutschland wird Hoffnung zugleich wieder spürbarer, denn Faschisierung und gesellschaftliche Polarisierung schließen sich nicht aus. Die Linke muss sich vorbereiten und neue Orientierungen anbieten. Die nächsten 10 bis 15 Jahre werden richtungsentscheidend sein. Die Verbindung von autoritär-neoliberalen und neofaschistischen Kräften ist derzeit die größte Gefahr. Entweder gelingt es, Bündnisse für ein popular-demokratisches und sozialökologisches Projekt zu schließen und Gegen-Macht aufzubauen – mit dem Ziel einer linken Regierung des sozialen Antifaschismus – oder es drohen autoritäre Brüche, die einem neuen Faschismus den Weg bereiten können.

Die letzte GroKo?

Zur spätneoliberalen Krisenkonstellation gehört auch das Moment der Disruption von herrschender Seite. Über ideologische Differenzen hinweg kommt es zu einer strategischen Konvergenz zwischen rechtsnationalistischen und autoritär-neoliberalen Kräften in den USA, der EU und in Lateinamerika. Diese wollen eine Offensive gegen die Reste des Sozialstaates, Teile der Verwaltung und des öffentlichen Sektors, gegen Gewerkschaften und Umweltverbände sowie gegen die Sozialdemokratie, die Zivilgesellschaft und die Linke durchsetzen. Diese »produktive Zerstörung« von Teilen des Staates und gesellschaftlicher Strukturen soll »Innovation« und eine grundlegende Erneuerung des Kapitalismus, praktisch jedoch vor allem neue Bereicherungsmöglichkeiten für die Eliten mit sich bringen. Modellhaft stehen hierfür der mittels Schockstrategie eingeleitete Staatsumbau in den USA, Mileis Kettensägen-Ansatz in Argentinien und in Deutschland die Kräfte rund um das »Merz-Projekt« sowie Medienmachern wie Ulf Poschardt, der FDP und der AfD. Relevante Teile des Bürgertums schauen mit Interesse dabei zu, wie weit man gehen kann, ohne die liberale Herrschaftsform (völlig) hinter sich zu lassen. 


Die Kräfte neoliberaler Disruption orientieren auf »bürgerliche Mehrheiten« ohne SPD und Bündnis 90/Die Grünen, also de facto auf eine schwarz-blaue bzw. schwarz-blau-gelbe Koalition. Auch der rechte Flügel der Union liebäugelt längst damit. Deutschland stand vor der Bundestagswahl bereits am »Kipppunkt« in Richtung neoliberal-rechter Konvergenz (vgl. (Becker 2024). 

»Relevante Teile des Bürgertums schauen mit Interesse dabei zu, wie weit man gehen kann, ohne die liberale Herrschaftsform (völlig) hinter sich zu lassen.«

Wenige Wochen nach Bildung der GroKo sieht es so aus, dass diese sich nur als Intermezzo auf dem Weg in eine tiefere politische Krise erweisen könnte. Friedrich Merz wird sein zentrales Versprechen, »Dieses Land soll wieder funktionieren«, gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung und insbesondere gegenüber den SPD-Wähler*innen mit der von ihm eingeschlagenen Politik nicht einlösen können. Stattdessen setzt sich beim Thema Migration die bereits bekannte Radikalisierungsdynamik autoritärer »Scheinlösungen« fort. Mit der Grundrichtung wird der »imperiale Krisenliberalismus« der Ampel fortgesetzt – allerdings mit noch mehr Militarisierung, mehr Sozialabbau, mehr Abschottung und »innerer Sicherheit« und weniger Klimaschutz. Neuer Konsens lässt sich so kaum herstellen. Schon jetzt traut nur eine Minderheit der Bevölkerung der Regierung zu, die richtigen Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit zu geben. Die wahrscheinlich letzte klassische GroKo aus Union und SPD wird keine Wende in der sozialen Krise bringen und absehbar zum Katalysator der autoritären Krisendynamik.


Die spätneoliberale Offensive wiederum, auf die Teile des Exportkapitals gehofft hatten, ist bisher nur in abgeschwächter Form durchgesetzt. Deswegen gibt es massive Kritik aus dem Arbeitgeberlager: Angeprangert wird nicht nur Merz’ Bruch mit Schäubles Erbe der schwarzen Null. Denn mit der Aufweichung der Schuldenbremse – nicht nur für unbegrenzte Aufrüstung, sondern auch für Infrastruktur- und Konzernsubventionen – schlägt Merz einen anderen Kurs ein. Entgegen Forderungen der Union und der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BdA) wird es auch keine Deckelung der Sozialausgaben geben. Merz gerät damit in Widerspruch zur »Disruptions-Fraktion« des Machtblocks. Zugleich hofft diese, die SPD in der Regierung unter Druck setzen zu können. Fast täglich kommen neue Vorstöße aus den Reihen »der Wirtschaft« oder der Union. Die SPD stellt sich mit Klingbeil als »konstruktive« Kraft für eine neue neoliberale Agenda-Politik auf. Es ist offen, wie viel Widerstand aus Reihen der SPD(-Fraktion) Angriffen auf Arbeitszeiten, Rente und Gesundheitsversorgung sowie Kürzungen bei der sozialen Infrastruktur entgegengebracht werden wird. Es könnte so sein, dass die SPD erneut »erfolgreich« für eine neue Phase neoliberalen Gesellschaftsumbaus eingebunden und damit eben vom Standpunkt von Teilen des Exportkapitals (noch) »benötigt« wird. Während ein Teil des Machtblocks trotz Unzufriedenheit mit Teilen des Koalitionsvertrages auf politische Stabilität hofft und die Stärkung europäischer Industriepolitik und Aufrüstung als prioritär sieht, schielen andere Teile weiter auf eine Regierungsoption, die eine Schockstrategie nach dem Vorbild Mileis möglich macht. Zwischen den Kräften einer autoritär-neoliberalen Offensive im Unternehmerlager, dem rechtsneoliberalen Flügel der Union und der AfD ist eine neue Konvergenz entstanden, wobei ihr Weg an die Staatsmacht derzeit (noch) politisch blockiert ist. Die politische Krise schwelt damit weiter. Die Rolle der Union als organisierender Staatspartei des neoliberalen Machtblocks kriselt. Die AfD kann versuchen, diese Lücke zu füllen, was jedoch bei Teilen des Exportkapitals auf Widerstand stoßen dürfte.


Die Brandmauer gegen eine AfD-Regierung ist mittlerweile mehr als bröckelig. Aufgrund der Einschätzung der AfD als »gesichert rechtsextrem« durch den Verfassungsschutz sind Koalitionen zwischen Union und AfD in den ostdeutschen Bundesländern im Moment jedoch noch schwerer vorstellbar. Die mehr oder weniger deutliche Kritik aus Reihen der Union daran deutet auch auf tieferliegende Widersprüche innerhalb des Machtblocks im Umgang mit der AfD hin (vgl. zu den unterschiedlichen Strategien Becker 2024). Die Offensive, die dem rechten Unionsflügel vorschwebt, ist in einer Koalition mit der SPD (oder Bündnis 90/Die Grünen) nicht vollständig durchsetzbar. In der Union wiederum lehnt eine relevante Minderheit den Kurs von Merz, ab und fordert eine christdemokratische Politik, die sich auch klar gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD wendet (vgl. Püttmann 2025). 


Vieles wird davon abhängen, ob und wie schnell die strukturelle Krise des Exportmodells (vgl. Sablowski in Luxemburg 1/2025) sich zu einer tiefen Wirtschaftskrise auswächst. Diese würde vermutlich Widersprüche in der GroKo verschärfen und könnte zum Gelegenheitsfenster der »Disruptions-Fraktion« werden. Die Gefahr besteht, dass die AfD den Unmut über die Krise bündelt und rassistisch wendet. Die GroKo könnte sich als Übergangsregierung erweisen und mit ihrem absehbaren Bruch von Wahlkampfversprechen einer Regierung mit Beteiligung der AfD den Weg bereiten. Spätestens 2029, vielleicht auch eher, steuert das Land damit auf eine zugespitzte politische Krise zu. Schwarz-Blau(-Gelb) oder ein letztes Aufgebot der »demokratischen Mitte« unter Beteiligung der Grünen, so sieht ein wahrscheinliches Szenario bei der nächsten Bundestagswahl aus. 

Für einen sozialen Antifaschismus

Die massenhaften Proteste gegen Merz’ Flirt mit der AfD haben ein gesellschaftliches Momentum geschaffen. Ohne dieses wäre Die Linke nicht gestärkt in den Bundestag eingezogen. Ohne Zweifel kam viel zusammen (vgl. Wolf in Luxemburg 1/2025). Entscheidend für das starke Ergebnis war aber nicht primär die kluge Fokussierung auf einen bundesweiten Mietendeckel und steigende Preise, sondern dass die Partei zur Adressatin eines neu entstehenden Pols eines sozialen Antifaschismus geworden ist. Der Partei ist es gelungen, zur Adressatin der Erwartungen und Hoffnungen vieler Menschen zu werden, die Angst vor autoritärer Rechtsentwicklung haben und gegen Merz‘ Politik neoliberaler Härte sowie rassistische Hetze gegen Geflüchtete eintreten. Durch schnelles Handeln und eine glaubwürdige klare Haltung, durch Heidi Reichinneks Rede im Bundestag (»Wir sind die Brandmauer«), durch ausgezeichnete Öffentlichkeitsarbeit und die aktive Teilnahme an den antifaschistischen Massendemonstrationen wurde dies möglich.


Das sichtbare Bündnis der neofaschistischen MAGA-Bewegung mit Elon Musk und anderen Tech-Oligarchen in den USA sowie die öffentlich inszenierte Unterstützung der AfD durch Musk haben mit dazu beigetragen, dass immer mehr Menschen erkennen, dass Neoliberalismus und gesellschaftlicher Rechtsruck »irgendwie« zusammenhängen, und eine Dringlichkeit verspüren, »etwas zu tun«. Als handelnde und politisch wirksame Kraft muss dieser heterogen zusammengesetzte Pol jedoch noch konstituiert werden. Das ist die Aufgabe der LINKEN und der gesellschaftlichen Linken in den nächsten Jahren. Alles andere als einfach, denn die Hoffnung, die sich primär an Umfragewerten festmacht, ist fragil. 

»Entscheidend für das starke Ergebnis war, dass die Partei zur Adressatin eines neu entstehenden Pols eines sozialen Antifaschismus geworden ist..«

Der kurzfristige Horizont linker Parteipolitik (im besten Fall eine Legislaturperiode) muss erweitert werden. Die Zusammenhänge von autoritärem Neoliberalismus, imperialer Konfrontation und sich verschärfender Klimakrise mit den Tendenzen der Faschisierung werden auf unvorhersehbare Weise die nächsten zehn Jahre prägen. Wie kann also Hoffnung entstehen, die weiterträgt als bis zur nächsten Wahl? Wie könnte sozialer Antifaschismus als offensive Defensivstrategie in diesem Sinne aussehen?  Zunächst braucht es Klarheit darüber, was es bedeuten würde, mit der autoritären Dynamik zu brechen. Die neoliberale Faschisierung kann nur durch einen demokratisierenden Bruch mit dem Finanzmarktkapitalismus gestoppt werden. 


Solange die Krise organisierter Gegenmacht in der Gesellschaft nicht überwunden ist, bewegt sich jede linke Politik in einem Dilemma. Im Spätneoliberalismus werden die Spielräume selbst für sozialdemokratische Reformpolitik geringer, um weitere Verschlechterungen zu verhindern braucht es massive gesellschaftliche Bewegungen und Streiks.  Die Lehre aus verschiedenen Linksregierungen ist, dass ein Bruch mit dem neoliberalen Finanzmarktkapitalismus nicht ohne populare Gegenmacht und eine neue, radikal demokratisch organisierte Form der verbindenden linken Partei gelingen kann. Hoffnung auf Veränderung durch eine Regierung, die etwas »für uns« tut, kann schnell in Enttäuschung umschlagen. Diese praktische Kritik des sozialdemokratischen Reformismus holt die Linke immer wieder ein. Umgekehrt verweisen die Erfahrungen des letzten Jahrzehnts auf das »linkspopulistische Momentum«. Egal ob bei Sanders, Corbyn, La France insoumise oder Syriza: Es brauchte das Versprechen einer Regierung, die die Interessen der Mehrheit der Lohnabhängigen gegen die neoliberale Elite vertritt, um Hoffnung und sogar Begeisterung vieler Menschen zu erzeugen. Zugleich reicht der beengte Horizont linkspopulistischer Politik – das Versprechen, die Interessen der Lohnabhängigen mittels Wahlen wieder zu repräsentieren und mithilfe linker Parteien durchzusetzen – nicht aus. Als mittelfristige Strategie führt er in eine Sackgasse, auch weil das Demokratieverständnis auf Wahlen verengt ist und die Frage des »Wie« einer »radikalen Transformation« des neoliberalen Staates nicht gestellt wird. 


Die Dialektik der Krise reicht aber noch weiter: Das ideologische Vakuum, das durch die tiefe Krise des Liberalismus entsteht, darf nicht von der neofaschistischen Rechten gefüllt werden. Um die Rechte nachhaltig zurückzudrängen, braucht die Linke eine erkennbare Systemalternative. Die Führungskrise der herrschenden Klasse kann der Nährboden für sozialistische Alternativen sein. Würden aber soziale Kämpfe, Klassenmacht und gar linke Staatsprojekte ernsthaft auf die Agenda rücken, würde damit auch die Gefahr einer »präventiven« neofaschistischen Gegenrevolution steigen. 


Der notwendige Kampf gegen die autoritär-neoliberale Entwicklung und Faschisierung darf nicht dazu führen, dass der Horizont linker Politik auf eine Verteidigung des Bestehenden zusammenschrumpft. Zugleich braucht es Allianzen zur Verteidigung und Ausweitung der Demokratie. Für den Kampf gegen neoliberale Faschisierung greift eine auf Wahlen verengte linkspopulistische Politik zu kurz. Umgekehrt ist die Orientierung auf ein »Bündnis aller Demokraten« in der Form von Allparteienkoalitionen gegen rechts, die den neoliberalen Status quo verwalten, eine Sackgasse. Sie bietet keinen Ausweg aus der autoritär-neoliberalen Dynamik, zudem erodieren die Kräfte des liberal-neoliberalen Zentrums und rücken nach rechts. Sozialer Antifaschismus als offensive Defensivstrategie muss diese Widersprüche aufnehmen, die Demokratie- mit der Klassenfrage neu verbinden, und dies nicht nur in linkspopulistischer Manier. Die gesellschaftliche Linke und Die LINKE sollten sich anders als bisher und gemeinsam vorbereiten auf eine Zuspitzung der Krisen und ein popular-demokratisches Projekt entwickeln. 

Demokratie- und Klassenfrage ins Zentrum. Für eine popular-demokratische Linke

Was meint popular-demokratisch? Für den Schwarzen britischen Marxisten Stuart Hall (2014: 102) meinte ein popular-demokratischer Kampf die »Vertiefung des demokratischen Lebens«, mit dem Ziel eines neuen »egalitären, offeneren, vielfältigeren, freiheitlicheren« und radikal-demokratischen Sozialismus (Hall 1989: 210). In diesem Sinne plädierte Hall für eine linke Neuorientierung gegen den rassistischen, autoritären Populismus von Margaret Thatcher, der sich mit der Durchsetzung des neoliberalen Staatsprojekts in Großbritannien verband. Hall verstand Ende der 1980er Jahre unter popular-demokratisch auch die »Sozialisierung des Feminismus« sowie die »Feminisierung der Linken« (ebd.), also die Entwicklung eines sozialistischen und antirassistischen Feminismus, der sich alle gesellschaftlichen, ökonomischen und demokratischen Fragen aneignet und darauf zielt, die Lebensweisen in der Arbeiter*innenklasse zu erneuern und einen »popularen Block, eine praktische materielle Kraft« gegen traditionalistische und konservative, patriarchale und rassistische »Elemente in der Volksmoral« zu bilden (Hall 2014: 116; 114-119). Hall knüpfte damit an Gramscis Perspektive der Hegemonie neu an: Sozialistische Hegemonie kann nur durch die Neuverbindung emanzipatorischer, antirassistischer und feministischer Klassenperspektive mit Kämpfen um radikale Demokratisierung entstehen. Eine solche Neuorientierung der Linken steht heute umso dringlicher und in neuer Form an. Ins Heute übersetzt hieße das: Über die bloße Verteidigung der Demokratie hinaus bilden sozialer Antifaschismus, die intersektionale (!) Klassenfrage und eine neu zu entwickelnde ökologisch-sozialistische Perspektive einen Dreiklang für Hegemoniepolitik. 


Eine popular-demokratische Strategie des sozialen Antifaschismus stellt die Demokratiefrage aus der Perspektive von Klassen- und Emanzipationskämpfen ins Zentrum. Nur mit einer Vision »wirklicher Demokratie« und damit verbundener Prozesse der Organisierung im Alltag lässt sich die neoliberale Krise der Demokratie überwinden. Gegen die rechte reaktionäre »Elitenkritik« braucht es eine Zuspitzung des Klassengegensatzes, die Arbeit an Verankerung und Machtaufbau im Alltag (in Betrieben, Stadtteilen, Schulen, Universitäten, Vereinen und im Kulturbereich) und eine Vision für die Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche. Es gilt, das Versprechen der Demokratie von der Arbeit, den Erfahrungen und Bedürfnissen der Lohabhängigen her zu erneuern, als konstituierende Macht, gemeinsam über die gesellschaftliche Arbeit und die Verwendung des Reichtums zu entscheiden. 


Sozialen Antifaschismus popular-demokratisch zu verstehen heißt auch, anders über die notwendigen Allianzen nachzudenken. Queerfeministische Bewegungen stellen sich weltweit gegen neoliberale Politiken, autoritäre Rechtsentwicklung, Militarisierung und Krieg. Sie sind neben Gewerkschaften und der Klimabewegung zentral für die Entwicklung eines internationalistischen sozialen Antifaschismus und zeitgemäßen Anti-Imperialismus. In den nächsten Jahren geht es darum, den Klassenkulturkampf von links offensiv (statt reaktiv oder ausweichend wie bisher) durch eine eigenständige Polarisierung zu führen: für eine solidarische Einwanderungsgesellschaft, für eine Demokratisierung staatlicher Infrastrukturen zur Stärkung von Solidarität gegen Rassismus, Sexismus und Queer- und Transfeindlichkeit, für bessere  soziale Infrastrukturen, eine Aufwertung von Sorgearbeit und gegen Gewalt in der Familie, für geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung, für Inklusion als Überwindung einer behindertenfeindlichen gesellschaftlichen Struktur, für eine radikale Demokratisierung usw. Damit eine Gegenpolarisierung mit intersektionaler Klassenperspektive entstehen kann, braucht es Lernprozesse in der Linken, aber auch in antirassistischen, queeren und feministischen Bewegungen und Initiativen.


Nur durch Opposition zu neoliberal-autoritärer Politik und symbolische Zuspitzung kann überhaupt erst ein gesellschaftlicher Pol gebildet werden.  Ein Argument von Etienne Balibar zum Verständnis einer »neuen Volksfront« aufgreifend, ginge es um eine politisch-kulturelle Praxis der Gegenpolarisierung: die Merz-Regierung (insbesondere die Union) und die AfD vs. eine linke Alternative, die die gesellschaftlichen Krisen, die gesellschaftliche Arbeit und die Demokratie anders aufgreift, versteht und verbindet. Wie Balibar (2024) schreibt: Es geht um völlig unterschiedliche Vorstellungen von Arbeit, Volk, Nation und Europa, Gemeinschaft und Demokratie: »Volk gegen Volk, Nation gegen Nation, Gemeinschaft gegen Gemeinschaft. Und, in der heutigen Situation: ›Front‹ gegen ›Front‹. Das ›Volk‹ der Volksfront ist nicht gegeben, in gewisser Weise lässt sich sogar behaupten, dass es nicht existiert, es noch im Kommen ist.« Ein entscheidender Punkt dabei: Sozialer Antifaschismus kann nicht durch eine Anrufung des »reinen« Klassengegensatzes (Arbeiter*innen vs. Kapital) gelingen. Als eine soziale, politisch-kulturelle Praxis geht er über eine berufständische Logik der Klassenrepräsentation und eine sozialdemokratische Form der Repräsentation eines Mitte-unten-Bündnis, über die Interessenvertretung durch Parteien hinaus. Es geht um kollektive Ermächtigung, um eine politisch-kulturelle Transformation des Alltags und der Weltauffassung der unteren und mittleren Klassen, um das Überbrücken von Widersprüchen und (kulturellen) Unterschieden. Daher kommen wir als Linke nicht darum herum, unsere Perspektiven in nicht links geprägte Räume zu bringen und dabei auch »übersetzen« zu lernen und sie zu verändern, Anknüpfungspunkte zu schaffen, Brücken in sozialdemokratische, liberale und christlich-konservative Kreise zu schlagen. Nur so kann der Pol eines sozialen Antifaschismus verbreitert und ein gesellschaftlicher Block gebildet werden.


Popular-demokratische Politik zielt auch darauf ab, unseren Alltag, die Art und Weise, wie wir leben, denken und fühlen, zu transformieren. Es geht darum, die in uns »schlummernden« oder schon widerständig gelebten Begehren nach Befreiung zu einem politisch wirksamen »Geist der Abspaltung« (Gramsci) zu verweben. Das Erstarken der radikalen Rechten sowie die Ignoranz der Regierungen gegenüber der Klimakrise sind für viele auch mit Gefühlen der Ohnmacht verbunden. Popular-demokratischer Antifaschismus muss daher bestrebt sein, eine umfassende kulturelle Praxis »militanter Hoffnung« und der Solidarität, des Sorgens umeinander, zu entwickeln. 


Hoffnung braucht eine solche begründete Perspektive auf Veränderung. In diesem Sinne verwendete Gramsci auch den Begriff des »Mythos«, der angesichts von Erniedrigung, Krisen, Ohnmachtsgefühlen und Fatalismus einen kollektiven Glauben erzeugen kann. Hoffnung wird zur »militanten Hoffnung«, wenn Erfahrungen gemeinsamer Kämpfe, Solidarität und Empowerment sich mit einer »konkreten Utopie«, der Vorstellung von einer emanzipatorischen, sozialistischen Veränderung, verbinden. Diese entsteht nicht von heute auf morgen. Notwendig ist eine politische Organisierung und Kultur, die den »Wärmestrom« (Ernst Bloch) stärkt und sich mit der Sehnsucht der Menschen nach Zugehörigkeit, Solidarität, Empathie und Liebe verbindet. 


Es geht dabei nicht um die hohle Hoffnung, dass es »so schlimm nicht kommen wird« (eine Schrumpfform der klassischen liberalen Fortschrittsrationalität) und auch nicht um Zweckoptimismus. Hoffnungen existieren immer zusammen mit der Trauer, dem Verarbeiten von Niederlagen, mit Ratlosigkeit und Erschöpfung (vgl. Jaffe in Luxemburg 1/2025). Umso wichtiger ist es, der neoliberalen Individualisierung und der Erfahrung, mit Prekarität, Gewalt und Zukunftsängsten allein zu sein, eine kollektive Care-Praxis entgegenzusetzen. Ein solches queerfeministisches Verständnis von Care geht über die Neuverteilung (unbezahlter) Sorgearbeit hinaus und zielt auf eine Politik, die (unterschiedliche) Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt. Bedürfnisse anders erfahren zu können, ist zentral, um »militante Hoffnung« zu erzeugen. Kollektives Überleben braucht soziale Räume, in denen praktische Solidarität, Vergnügen und das Begehren nach Befreiung aus einem unterdrückenden und beengend erlebten Alltag genährt werden. 

Erneuerung als ökologisch-sozialistische feministische Partei 

Eine Mehrheit der Bevölkerung traut den Parteien nicht mehr zu, die sozialen Fragen und die drängenden Probleme der Zukunft zu lösen. Aber zugleich gibt es keine breit verankerte Deutung der Krisen und ihrer Ursachen, keinen erkennbaren Horizont für eine emanzipatorische Krisenlösung. Das Oben-unten-Narrativ, das die Verteilungsfrage (Lebenshaltungskosten, Steuer- und Sozialpolitik) in den Mittelpunkt stellt, prägte den erfolgreichen Wahlkampf Der Linken. Wirken konnte er aber nur, weil unterschiedliche Erfahrungen in den Wahlbotschaften aufgegriffen wurden. Ein verengter Sozialstaatspopulismus greift als Antwort auf die Krisen und die autoritäre Entwicklung jedoch zu kurz und wird die erneuerte Partei auf Dauer nicht tragen können. Die sich durch viele neue Mitglieder neu formierende Partei sollte sich endgültig von der zu engen Formel »Sozialstaat und Frieden« lösen und sich als Kraft für eine grundlegende Erneuerung und Aneignung der Demokratie von unten begreifen. Der Kampf um ein anderes Wirtschaftssystem, um Frieden und der Kampf um die Zukunft der Demokratie bilden einen Zusammenhang, der in der Übersetzung in eine politische Strategie nicht verengt werden darf. Die zentralen Fragen unserer Zeit sollten in eine erkennbare ökologische, feministisch-sozialistische und internationalistische Perspektive neu eingebettet werden, mit dem Ziel der Verteidigung der Grundlagen für das Überleben und ein besseres Leben für alle.


In Zeiten spätneoliberaler Zerstörung der Zukunft bedeutet, »sich vorzubereiten«, mehr denn je, an einer konkreten Systemalternative zu arbeiten, die bisherige Diskussionen um solidarische Gemeinwohlwirtschaft und Care-Ökonomie, Kreislaufwirtschaft und sozialökologische Konversion der Industrie, Arbeitszeitverkürzung und Vergesellschaftung, Wirtschaftsdemokratie und Elemente demokratischer Planung aufgreift. Viele Fragen sind noch offen, die Alternativen zu wenig in der Partei verankert, um in die Gesellschaft als überzeugende Alternative wirken zu können. Wie wollen wir die Demokratie demokratisieren und die Strukturen des neoliberalen Wettbewerbsstaates überwinden? Was bedeutet sozialistische Demokratie für uns? Wie kann die Partei sich diesen Zusammenhängen stellen, ihr intellektuelles Umfeld stärken und einen zielgerichteten Diskussionsprozess befördern? 


Sich vorbereiten hieße: ein konkretes ökologisch-sozialistisches, feministisches Projekt sozialer Transformation zu entwickeln. Ein linkes Staatsprojekt meint dabei mehr als ein Regierungsprogramm, nämlich den Aufbau von Macht für eine radikale Transformation der Ökonomie und des neoliberalen entdemokratisierten Staates von »innen« und »außen«. Statt einer Programmdebatte sollte die Energie in eine solche »konkrete Utopie« und eine damit verbundene Transformationsstrategie gesteckt werden. 


Wie der Strukturkrise des Exportmodells begegnet wird, entscheidet über die gesellschaftliche Entwicklungsrichtung. Eine Riesenherausforderung besteht für Die Linke darin, über die Kampagnen-, Öffentlichkeits-, Bildungs- und Alltagsarbeit hinaus einen erfolgreichen Kampf um die Hegemonie zu führen, um das Wirtschaftsmodell, die Arbeitsteilung und die gesamtgesellschaftliche Entwicklung. Oder mit anderen Worten: Es kommt darauf an, der GroKo eine andere demokratisierende, sozialökologische und feministische Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik entgegenzuhalten. Das neoliberale Exportmodell, das die GroKo, die AfD, aber auch Bündnis 90/Die Grünen auf unterschiedliche Weise in den Krisen verteidigen wollen, beruht auf niedrigen Löhnen, zu langen Arbeitszeiten und der Abwertung von Sorgearbeit und sozialer Infrastruktur. Es geht mit ungleichen Geschlechterverhältnissen und strukturellem Rassismus einher. Anders als bisher müsste auch der zerstörerische Hunger nach billigen Ressourcen, steigendem Ressourcen- und Energieverbrauch stärker thematisiert werden. 

Einen progressiven Block bilden

Es ist richtig, dass Die Linke klare Schwerpunkte bei konkreten sozialen Fragen setzt und systematisch daran arbeitet, für Forderungen wie die nach dem bundesweiten Mietendeckel Mehrheiten zu gewinnen. Auch die Themen armutsfeste Rente, solidarische Gesundheitsversorgung, öffentlicher Nahverkehr und ein sozialökologisches Investitionsprogramm bieten sich für exemplarische Konflikte, an denen Kräfteverhältnisse verschoben werden können, an. Die Linke braucht eine erkennbare Alternative zum neoliberalen Exportmodell unter Bedingungen der Krise. Es gilt an entwickelte Konzepte wie den »linken Green New Deal« kritisch anzuknüpfen und sie weiterzuentwickeln. Stärker als bisher müsste diese Alternative im Parteileben und im gesellschaftlichen Umfeld der Partei verankert werden. Mit vielen neuen Mitgliedern und Aktiven sind die Voraussetzungen dafür besser geworden.


Was überzeugende Konzepte für die Stärkung der sozialen Infrastruktur – von Wohnen, Bildung und sozialer Arbeit bis hin zu Gesundheit und Pflege – angeht, so hat Die Linke inzwischen ein Alleinstellungsmerkmal. Sie sollte einen größeren Schwerpunkt auf die Betriebe legen, da hier in der Krise Unsicherheit um sich greift und ein wachsender Resonanzboden für rechtspopulistische Krisenantworten entsteht. Darauf kann die Partei mit einem Investitionsprogramm für eine funktionierende und klimaneutrale soziale Wirtschaft und Infrastruktur, die Infrastruktur für ein besseres Leben, reagieren und somit eine Alternative zur Politik der GroKo und der AfD bieten. Dies wäre zugleich eine Alternative zur Aufrüstungsspirale, die die Gesellschaft autoritär zu formieren droht und wie die Klima- und Wirtschaftspolitik der GroKo in die Klimakatastrophe führt.


Das Momentum von Bündnis 90/Die Grünen ist mit dem Scheitern des »grünen Kapitalismus« und dem Ende des »progressiven Neoliberalismus« vorbei. Damit sind die Grünen zwar keineswegs am Ende, aber der Versuch der Bildung einer neuen liberalen Zentrumspartei, die den bürgerlichen Block führen könnte, ist gescheitert. Die Grünen sind inhaltlich und sozial gespalten, ihre Wählerschaft besteht aus der hochqualifizierten Mittelschicht, dem modernisierten Bürgertum und Teilen der Lohnabhängigen, von ihrer Parteistruktur und ihrem Parteiapparat her sind sie jedoch fester Teil des neoliberalen Blocks und weit entfernt von einer Erneuerung. Die Linke sollte daran arbeiten, Teile der gesellschaftlichen Basis der Grünen und ihres Umfelds anzusprechen und somit die Hegemonie im »progressiven Lager« zu gewinnen (vgl. Goes 2024). Das ist das Gegenteil von politischer Anpassung. 


Das Ergebnis der Bundestagswahl zeigt, dass es möglich ist, einen progressiven Pol der Lohnabhängigen anzusprechen, darunter viele FLINTA*s, junge Migrant*innen, Arbeiter*innen und Gewerkschafter*innen, denen sozial gerechter Klimaschutz am Herzen liegt, sowie Teilen der zuvor grün wählenden Mittelschicht. Die Bildung eines progressiven Blocks um Die Linke kann allerdings nur gelingen, wenn sich dieser Kern verfestigt, politische Gemeinsamkeit entwickelt und Teile davon fürs Mitmachen und Organisieren gewonnen werden können. In den Städten und Gemeinden kann Die Linke eine sozialökologische Kommunalpolitik (bspw. Konzepte für klimaneutrale Kommunen mit genossenschaftlichem Wohnungsbau) sowie eine organisierende ökologische Klassenpolitik verfolgen (z.B. mit Kampagnen für den Ausbau eines bezahlbaren öffentlichen Nahverkehrs), die regional oder sogar bundesweit ausstrahlen könnte. Zugleich kann an einer besseren Verankerung unter Lohnabhängigen gearbeitet werden: bei Industriearbeiter*innen mit einer industriepolitischen Alternative und solidarischer Arbeitszeitverkürzung, darüber hinaus mit Themen wie Mietendeckel, Rente, Gesundheitsversorgung, Pflege sowie steuerliche Entlastung. Damit können sowohl die lohnabhängige Mittelschicht wie auch diejenigen, die sich enttäuscht von den Parteien abgewandt haben, über politische Differenzen hinweg angesprochen werden. 

Feministisch intersektional

Die erneuerte Linke ist durch viele neue und alte Genoss*innen, nicht zuletzt aber entscheidend verstärkt durch die mediale Ausstrahlung von Heidi Reichinnek mit klarer feministischer Kante zum Gegenpol von rechtem Kulturkampf, Misogynie, Queer-Feindlichkeit und Rassismus geworden. Erst die Loslösung von Wagenknechts »sozialkonservativer« Variante des autoritären Populismus ermöglichte diese Entwicklung.


Die Ansätze feministischer Klassenpolitik etwa zu sorgenden Städten, Aufwertung und Vergesellschaftung von Care-Arbeit, Arbeitszeitverkürzung etc., die in den letzten Jahren in der Partei, in der Rosa-Luxemburg-Stiftung und in ihrem Umfeld entwickelt wurden, sollten um Perspektiven aus antirassistischen, queeren, trans*- und disability-kritischen Bewegungen intersektional erweitert werden. Es gilt, feministisch-intersektionale Politiken von den Rändern mit ins Zentrum der Partei zu bringen. Miteinander verbunden entsteht aus diesen je konkreten intersektionalen Klassenfragen (zur Klasse mit Differenz vgl. Becker 2022) eine Perspektive radikaler Transformation und Demokratisierung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und des Staates. 


Feministisch-intersektionale und populare, am Alltag und dem Alltagsdenken der Menschen ansetzende Politiken stehen dabei nicht in einem Widerspruch, sondern in einem für sozialistische Politik nicht einfach aufzulösenden Spannungsverhältnis. Der Schwerpunkt, den Oben-unten-Gegensatz starkzumachen, ist richtig. Gefragt ist, darin für inklusive Solidarität einzutreten, ganz konkret und manchmal auch lauter als bisher, wenn es um Hetze gegen Erwerbslose, um das Gegeneinander-Ausspielen von Rassismus und Antisemitismus, um Repression gegen die Gaza-Proteste und Widerstand gegen einen genozidalen Krieg, um Alltagssexismus am Arbeitsplatz, die Kriminalisierung von Sexarbeiter*innen und trans*feindliche »Moralpaniken« geht. Eine feministische Kampagne, die von der Parteibasis (und Bewegungsinitiativen?) ausgehend feministisch geprägte Alltagsorganisierung fördert, wäre ein großer Sprung und ein wichtiger Beitrag zu den notwendigen Allianzen eines sozialen Antifaschismus.

Für eine Regierung des sozialen Antifaschismus

Anders als in einer Strategie »Klasse gegen Klasse«, die prinzipiell zurecht betont, dass der neoliberale Flügel der Herrschenden kaum als Bündnispartner gegen autoritäre Entwicklungen anzusehen ist, dürfen wir (vorübergehende) Bündnisse in der Not, zur konkreten Verteidigung demokratischer Errungenschaften und des liberal-demokratischen Rahmens gegen rechte Angriffe nicht ausschließen. Einmal an der Regierungsmacht, besteht die Gefahr, dass die antidemokratische und faschistische Rechte eine neue Qualität von autoritärem Umbau von Staat und Gesellschaft einleitet, der die linken Kräfte, Gewerkschaften und soziale Bewegungen existentiell bedroht und wahrscheinlich auf einige Jahre hin nicht zurückgedreht werden kann. Dies gilt es mit aller Entschlossenheit zu verhindern.


Über das Verhältnis von linkem Regieren, Antifaschismus und Transformationsperspektive muss daher neu nachgedacht werden. Es ist sinnvoll, Situationen einer extremen Defensive – dazu zählt, eine unmittelbar drohende AfD-geführte Regierung zu verhindern – von der Perspektive einer linken Regierung, einer Regierung des sozialen Antifaschismus, zu unterscheiden. Auch eine denkbare Tolerierung einer Minderheitsregierung muss mit Mindestbedingungen seitens der Linken verbunden sein. Mit Beteiligung der Linken darf es niemals zu weiteren Angriffen auf die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Lohnabhängigen, zu Aufrüstung und Demokratieabbau kommen.


Angesichts des Zustands von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist eine linke Regierung 2029 oder früher kaum vorstellbar. Selbstverständlich kämpfen wir um jede soziale, ökologische, feministische und antirassistische Reform. Das kann auch die Beteiligung an Landesregierungen bedeuten, aus einer Position der Stärke heraus, mit klaren, verbindlichen Wendepunkten statt voreiliger Selbstbegrenzung, um »koalitionsfähig« zu sein. Wir brauchen aber dringend einen »Plan«, also eine Strategie und eine klare Botschaft, wie wir gemeinsam die autoritäre Rechtsentwicklung stoppen können.


Das mittelfristige Ziel muss es sein, Die LINKE zur führenden Kraft links der Union zu machen, Deutungshoheit über die soziale, wirtschaftliche und politische Krise zu erlangen und eine Mehrheit der Menschen für einige zentrale Reformprojekte zu gewinnen. Dann kann sich die Perspektive einer Regierung des sozialen Antifaschismus eröffnen (vgl. Goes 2024), getragen von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis. Ein sozialökologischer Bruch mit dem Neoliberalismus wäre damit noch nicht geschafft, aber einige zentrale soziale Verbesserungen und eine aktive Politik zur Förderung progressiver zivilgesellschaftlicher und solidarischer Alltagsstrukturen sind möglich. Dies könnte einen Zeitgewinn für den Aufbau von Gegenmacht schaffen und die Bildung von Hegemonie befördern.


Ohne Neuorientierung der Linken drohte jedoch eher ein Scheitern an den Widerständen der Kapitalseite, an der Rechten und an eigenen Fehlern (ähnlich wie bei Syriza). Es braucht daher klare Wendepunkte, also Mindestbedingungen, ohne die wir »es nicht machen«, klare Projekte und den Aufbau gesellschaftlicher Bündnisse und organisierter Macht darum. Zur Dialektik der Krise gehört aber auch: Ohne es gut vorbereitet zu versuchen, werden wir die Rechte nicht stoppen können. 

Sich vorbereiten, Kräfte bündeln. Schwarz-Blau verhindern

Wir müssen uns schon JETZT auf die absehbare Zuspitzung gegen Schwarz-blau-gelb vorbereiten. Das droht im wichtigen Sich-finden der neuen Partei und Fraktion unterzugehen. Ja, der Aufbau und die Verankerung der Linken als verbindende und organisierende Partei ist der Kern einer Perspektive des sozialen Antifaschismus. Die Linke muss alles daransetzen, mehr Menschen zu organisieren und zu einer starken Vetomacht zu werden. Es geht um die Bildung einer »gesellschaftlichen Partei«, um Organisierungsprozesse, die die Träume, Sorgen und die Energie von vielen Menschen über die Grenzen der Parteiorganisation im engen Sinne hinaus aufgreifen und politisch bündeln können. 


Doch geht die Herausforderung darüber hinaus: Der derzeit noch vielversprechendste Ansatz gegen eine drohende Regierung der extremen Rechten ist die Bildung einer gesellschaftlichen Volksfront (vgl. Candeias 2025). Allerdings sind die Erfahrungen aus Frankreich mit dem Nouveau Front Populaire (NFP) keineswegs nur ermunternd. Es gelingt kaum, die zur neoliberalen Mitte driftende Sozialistische Partei an das Programm des NFP zu binden und noch weniger eine gesellschaftliche Kraft zu entfalten. Ohnehin ist die Strategie nicht einfach übertragbar. Es gehört zur Schwäche der Linken in Deutschland, dass ein gesellschaftliches, also nicht primär von den Parteien ausgehendes Bündnis derzeit kaum realistisch erscheint. Ohne ein gemeinsames Programm und Projekt wäre ein solches hierzulande angesichts der Rolle von SPD und Bündnis 90/Die Grünen für die Durchsetzung neoliberaler und autoritärer Politiken von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Diese Ausgangslage klar zu sehen, spricht aber nicht grundsätzlich gegen eine Strategie, die an konkrete Elemente der historischen Einheits- und Volksfrontpolitiken anknüpft (die Verbindung von Betrieben und gesellschaftlicher Mobilisierung, Klassenpolitik als umfassende Politik des Kulturellen, breite Bündnisorientierung und Regierungsfrage) und diese aktualisiert. Es ginge darum, das Potenzial einer gesellschaftlichen Volksfront des dritten Pols (vgl. auch Demirović in Luxemburg 1/2025; Balibar 2024) zu sehen und als mittelfristige Perspektive die Politik von Partei und Bewegungen daran auszurichten. 


Die entscheidende Frage ist, wie die Kräfteverhältnisse in Bewegung kommen können. Dafür braucht es beides, den Aufbau der Linken mit einer popular-demokratischen Strategie der Hegemonie (siehe oben) und gesellschaftliche Bündnisse, die über Ein-Punkt-Kampagnen hinausgehen. Das dritte notwendige Element für eine Neuzusammensetzung der Kräfte im sozialdemokratischen, linken Lager ist ein neuer Aufschwung von antifaschistischem Protest, sozialen Bewegungen und Streiks. Darauf können wir nicht warten. Wir müssen uns jetzt aktiv vorbereiten und die Initiative ergreifen.


Denn in den nächsten Jahren geht es ganz unmittelbar darum, zu verhindern, dass die Union 2029 die Brandmauer zur AfD einreißt. Dafür braucht es ein breites Bündnis, das über die gesellschaftliche Linke hinausgeht und in Kirchen, Sportvereine, Schulen, Universitäten und Kultur ausgreift. Unterschiedliche Initiativen wie »Widersetzen« können dafür Ausgangspunkte bilden, aber der Prozess müsste darüber hinausgehen – weniger als klassisches Organisationsbündnis und stärker als (Selbst-)Organisierungsprozess und Kampagne aufgebaut, eine Art »Unteilbar 2.0« (vgl. auch Türkmen in Luxemburg 1/2025). Die Partei darf dabei weder dominieren noch sich heraushalten, sie müsste Infrastrukturen bereitstellen, Resonanzräume schaffen und Organisierungs- und Mobilisierungsarbeit leisten. Die Perspektive eines solchen Bündnis sollte ziviler Ungehorsam sein, samt Ansätzen eines gesellschaftlichen Streiks und dem Aufbau solidarischer Strukturen. Um Schwarz-Blau zu verhindern, bräuchte es nicht weniger als einen gesellschaftlichen Aufstand.

[1] Ich danke Atlanta Beyer, Mario Candeias, Barbara Fried, Thomas Goes, Conny Hildebrand und Katharina Pühl für kritisches Feedback und wertvolle Anregungen.

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