Die Europäische Union (EU) muss gleich mehrere, sich überschneidende Krisen auf einmal meistern. Neben der Klimakrise und dem imperialistischen Krieg in Europa wachsen auch die geopolitischen Spannungen von Tag zu Tag. Das Zollpaket von US-Präsident Trump markiert den Beginn einer großen globalen Rezession und stellt auch die transatlantische Partnerschaft unter dem Dach der NATO vor eine Bewährungsprobe. Hinzu kommt der sich stetig verschärfende Konkurrenzdruck aus den technologisch aufholenden Schwellenländern. Während sich die EU-Länder nur langsam von der Finanzkrise 2008 und der Corona-Pandemie erholen, konnten insbesondere chinesische Hersteller in Schlüsselbranchen der globalen Wertschöpfungsketten in die führende Position aufrücken.
Um sich global neu zu positionieren, hat die EU eine Reihe von Initiativen verabschiedet, um Industrien, die sie als strategisch wichtig betrachtet, zu fördern. Gleichzeitig muss sie die Koordination zwischen den Mitgliedstaaten vorantreiben, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen (Europäische Kommission 2023). Eine grüne EU-Industriepolitik mag auf breite politische Akzeptanz stoßen, doch sowohl ihre inhaltliche Ausrichtung als auch die ihr zugrunde liegende Finanzarchitektur sind voller Widersprüche. Und nun sollen angesichts des Scheiterns der ökologischen Modernisierung im Westen (Candeias 2024) und zunehmenden geoökonomischen Unsicherheiten und Handelskriege Milliarden Euro für Rüstung mobilisiert werden. Ist das das Ende des European Green Deal?
Geopolitische Strukturen im kapitalistischen Wettbewerb und neue Machtverhältnisse
Die Industriestrategie der EU muss im Rahmen der neuen Konstellationen des globalen Kapitalismus gesehen werden, die das wirtschaftliche Gewicht Europas infrage stellen. Schwellenländer wie China und Indien haben ihren Anteil am globalen BIP zwischen 1990 und 2010 verdoppelt und nach der Weltfinanzkrise 2008 ehrgeizige Industrieprogramme wie »Made in China 2025« (vgl. Köncke 2025) oder »Make in India« verabschiedet, die auf Spitzentechnologie und Sektoren mit hoher Wertschöpfung abzielen (Lavery 2024). Im Zuge der globalen Wiederbelebung der Industriepolitik kündigte auch die EU 2014 eine »Renaissance der europäischen Industrie« an und versprach, den Anteil des verarbeitenden Gewerbes am BIP der EU bis 2020 um 20 Prozent zu erhöhen (Europäische Kommission 2014). Zwar blieb das quantitative Ziel unerreicht, doch hat die Kommission eine Fülle von industriepolitischen Plänen, Gesetzen und Vereinbarungen sowie konkrete Initiativen auf den Weg gebracht, die zumindest den Eindruck umfassender Reformbemühungen entstehen lassen.
Der 2019 verabschiedete European Green Deal als neue Wachstumsstrategie der EU integrierte industriepolitische Initiativen nahtlos in das Narrativ der digitalen und grünen Transformation, wobei die Digitalisierung von Industrien und Gesellschaften als Wegbereiter des grünen Kapitalismus legitimiert wurde. Selbst Initiativen im Bereich der Rüstungsindustrie bekamen eine grünen Ausrichtung und sollten die »Energieresilienz und die Verringerung von Umweltbelastung und CO2-Fußabdruck der Verteidigungsindustrie« fördern (Europäische Kommission 2025a).
Gleichzeitig hat die Präsidentin der Europäischen Kommission von der Leyen unmissverständlich klargestellt, dass der Sieg im Rennen um führende grüne und saubere Wertschöpfungsketten im Technologiebereich Vorrang vor einer umfassenden Dekarbonisierung des Kapitalismus habe (Europäische Kommission 2023b). Das zeigen verschiedene Initiativen, etwa der »Industrieplan zum Grünen Deal« (Green Deal Industrial Plan) aus dem Jahr 2023, der das Ziel verfolgt, »Europas Netto-Null-Industrie an die Spitze zu bringen«, und der »Deal für eine saubere Industrie« (Clean Industrial Deal) aus dem Jahr 2025, der auf globale Wettbewerbsfähigkeit setzt und die »Zukunft des verarbeitenden Gewerbes in Europa sichern soll« (Europäische Kommission 2025b). Ähnlich wie »Build and Buy America«, »Powering Up Britain« und »Made in Canada« sollte die EU-Industriepolitik darüber hinaus eine (Rück-)Verlagerung von Produktionskapazitäten nach Europa erleichtern und die Abhängigkeit von globalen Lieferketten verringern. Diese Strategie spiegelt sich auch in den Verpflichtungen der EU zu einer »offenen strategischen Autonomie« und »technologischen Souveränität« wider, flankiert von regulatorischen Schutzmaßnahmen für die Kontrolle von Auslandsinvestitionen und einer koordinierten Exportkontrolle.
Der Clean Industrial Deal
Nachdem der Green Deal als allgemeine Wachstumsstrategie verkündet war, folgte das »Fit-for-55«-Paket mit seinen ehrgeizigen Klimazielen. Als am 26. Februar 2025 das Maßnahmenpaket Clean Industrial Deal für eine klimafreundlichere Industrie hinzukam, blieben die Klimaziele trotz der Europawahl mit ihren neuen rechten Mehrheiten zumindest vorläufig unverändert. Der Clean-Tech-Sektor und die Dekarbonisierung in den traditionellen Industrien sollen stärker gefördert werden. Allerdings plant Brüssel gleichzeitig mit dem sogenannten Omnibus-Paket nicht nur Bürokratiekosten für Unternehmen zu senken, sondern auch wichtige Verpflichtungen des EU-Lieferkettengesetzes, der EU-Umwelttaxonomie und der EU-Richtlinie für Nachhaltigkeitsberichterstattung abzuschwächen, wodurch der Schutz der Menschenrechte ins Hintertreffen geraten dürfte.
Diese Aufweichung manifestiert sich in mehreren Dimensionen: Die Regelungen sollen für deutlich weniger Unternehmen gelten – im Falle der Nachhaltigkeitsberichterstattung beispielsweise nur noch für 20 Prozent der bisher verpflichteten Wirtschaftssubjekte. Gleichzeitig werden die qualitativen Anforderungen gesenkt: Weniger aussagekräftige Daten sind erforderlich, und es wird seltener kontrolliert. Zusätzlich wird das Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes um ein Jahr auf Juli 2028 verschoben. Besonders problematisch ist jedoch die Schwächung der Durchsetzungsmechanismen: Mögliche Mindestsanktionen und Haftungsrisiken bei Verstößen wurden verwässert (siehe Witt 2025).
Am 5. März 2025 stellte die Kommission den Aktionsplan für die europäische Automobilindustrie vor, der in einigen Bereichen erstmals den Klimaschutzregelungen von Fit-for-55 zuwiderläuft. Mit dem Aktionsplan kündigt sie an, das für 2025 gesetzte CO2-Ziel zugunsten der Autohersteller abzuschwächen, denen bei Überschreitung der Flottengrenzwerte sonst hohe Strafzahlungen an Brüssel gedroht hätten. Konkret bekommen Hersteller nun drei Jahre Zeit, um die Abgasvorschriften einzuhalten, anstatt die Einhaltung noch in diesem Jahr nachzuweisen. Zwar ändert der Aktionsplan nichts daran, dass ab 2035 neu zugelassene Fahrzeuge kein CO2 mehr ausstoßen dürfen, doch soll das Verbrenner-Aus bereits in diesem Jahr geprüft werden – und nicht wie ursprünglich geplant im Jahr 2026. Dabei sei laut Kommissionspräsidentin von der Leyen uneingeschränkte Technologieneutralität ein zentrales Prinzip (ebd.).
Ein Schwachpunkt des Green Deals war jedoch von Anfang an seine Finanzierung. Die Kommission nutzt dafür einen höchst fragwürdigen Hebel. Im Folgenden werden die strategische Ausrichtung der EU-Industriepolitik und die komplexe Mischung aus öffentlich-privaten Finanzierungsmodalitäten kritisch beleuchtet. Mit einem Fokus darauf, wer Gewinne anhäuft, wer den Innovationsprozess kontrolliert und zu welchem Zweck, wird dargelegt, dass die EU-Industriepolitik lediglich eine Lösung aus dem Bereich technologischer Solutionismus zur Stärkung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit der EU ist. Dabei verleiht sie dem Finanzkapital unverhältnismäßig viel Gewicht – zulasten der demokratischen Überwachung und Kontrolle. Abgesehen von den verteilungspolitischen Folgen verlagert die EU die Verantwortung und das Tempo der Dekarbonisierung auf investitionswillige Privatanleger*innen.
Finanzinnovation der EU: Zwänge und Widersprüche
Die Europäische Kommission schätzt, dass das derzeitige Investitionsniveau für den Ausbau der Produktionskapazitäten für Netto-Null-Technologien unter gleichzeitiger Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit um mindestens 25 Prozent steigen müsste. Das wären bis 2030 jedes Jahr 5 Billionen Euro (Europäische Kommission 2024, 44). Mit einem Jahreshaushalt, der mit dem Dänemarks vergleichbar ist, und dem primärrechtlichen Ausschluss von deficit spending und Schuldenfinanzierung, verfügt die EU jedoch nicht über die finanzielle Schlagkraft ihrer wichtigsten Handelspartner. Auch kann sie ihre Einnahmen nicht mit der Erhebung von Steuern aufbessern oder Steuervergünstigungen für bestimmte Branchen beschließen. Und mit der Wiedereinführung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit im Rahmen des überarbeiteten Stabilitäts- und Wachstumspakts nach der Corona-Pandemie sind die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten der Eurozone bei groß angelegten industriellen Investitionsvorhaben eingeschränkt.
Trotz der begrenzten finanziellen Möglichkeiten hat die Europäische Kommission aus verschiedenen öffentlich-privaten Finanzierungsstrategien einen halbseidenen Finanzierungsplan aufgestellt. Neben der Neuausrichtung von Strukturfondsmitteln für industriepolitische Zwecke lockerte sie staatliche Beihilfemöglichkeiten auf nationaler Ebene. Dazu gehört auch der Rückgriff auf Beihilfevorschriften für wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse, die im Gegensatz zu herkömmlichen staatlichen Beihilfen eine unbegrenzte Zuschussfinanzierung ermöglichen. Auf dieser Grundlage sind verschiedene Projekte in strategischen Sektoren zustande gekommen, etwa in den Bereichen Batterietechnologien, Mikroelektronik, Wasserstoff, Cloud- und Edge-Computing sowie Gesundheit (Lopes-Valença 2024). Ergänzend zu diesen direkten Finanzierungsinstrumenten bürgt die EU zunehmend für private Investor*innen und nutzt die Vorzüge des gemeinsamen Triple-A-Ratings der EU-Länder, um sich Finanzmittel auf den Kapitalmärkten zu beschaffen.
InvestEU – Mobilisierung von privatem Kapital
Das Förderprogramm InvestEU ist ein sogenanntes Risikotragfähigkeitssystem, das in der Haushaltsperiode 2021–2027 umgesetzt wird und eine EU-Haushaltsgarantie in Höhe von 26,2 Milliarden Euro bereitstellt. Diese sichert bis zu 80 Prozent der Investitionsrisiken von Finanzintermediären ab, die der Industrie Kredite, Eigenkapital oder sogenanntes Quasi-Eigenkapital zur Verfügung stellen. Es handelt sich bei Letzterem um ein Finanzierungsinstrument, das zwischen Eigen- und Fremdkapital rangiert. Durch die Absicherung von Investitionsrisiken sollen die Ausgaben der öffentlichen Hand minimiert und gleichzeitig mindestens 372 Mrd. Euro an zusätzlichen Investitionen mobilisiert werden (Europäische Kommission 2024). Im Gegensatz zu nicht rückzahlbaren Zuschüssen, die nur einmal ausgegeben werden können, sollte der EU-Haushalt als revolvierender Garantiefonds fungieren, der mehrfach wiederverwendet werden kann, um die Risiken zahlreicher künftiger privater Investor*innen abzusichern. So kann deutlich mehr privates Kapital mobilisiert werden als durch direkte öffentliche Investitionen.
Während 75 Prozent der InvestEU-Haushaltsgarantien über die Europäische Investitionsbank-Gruppe abgewickelt werden, kann die Europäische Kommission für die verbleibenden 25 Prozent nach eigenem Ermessen alle möglichen Finanzintermediäre beauftragen, darunter regionale oder nationale Entwicklungsbanken, Förderinstitute, Staatsfonds oder Geschäftsbanken, Private Equity[1] und Risikokapital sowie Angel Investors[2].
InvestEU soll zu den Klima- und Umweltzielen der EU beitragen, doch nur 30 Prozent der Programme müssen die Umsetzung des European Green Deal bezwecken. Darüber hinaus ist das Instrument von der konkreten europäischen Industriepolitik abgekoppelt. Das heißt, dass die Haushaltsgarantien für alle Arten von Finanzierungen angeboten werden können, die darauf abzielen, »Tätigkeiten von strategischer Bedeutung für die Union zu unterstützen« (Europäische Kommission 2024, 14).
Ähnlich wie bei anderen Mechanismen lässt die EU mit InvestEU zu, dass Investor*innen mit ihrer Investitionsbereitschaft bestimmen, in welchem Tempo und in welche Richtung sich der grüne Wandel vollzieht. Dazu gehören auch Investor*innen, deren primäres Ziel die kurzfristige Gewinnmaximierung ist. Innerhalb festgelegter Parameter haben nämlich die Finanzintermediäre die Kontrolle darüber, wer zu welchen Bedingungen Finanzmittel erhält. Es überrascht daher nicht, dass die Gestaltung und Umsetzung des Instruments stark von organisierten Zusammenschlüssen des Finanzkapitals beeinflusst wurde. 2013 hat die Europäische Kommission einen »strukturierten Dialog mit der Finanzindustrie« begonnen, um »private Investitionen attraktiver zu machen« (Europäische Kommission 2022).
Finanzierung außerhalb des EU-Haushalts
Obwohl die EU ihre Ausgaben nicht durch Aufnahme von Schulden finanzieren kann, erlauben die EU-Verträge die Ausgabe von Wertpapieren oder Anleihen für Maßnahmen außerhalb des EU-Haushalts (Off-Budget-Maßnahmen), die durch Staatsanleihen der Mitgliedsländer besichert sind. Diese müssen nur vom Rat genehmigt werden (Begg u.a. 2022). Dieses Schlupfloch kam umfangreich für die Finanzierung von NextGenerationEU (NGEU), RePowerEU und die Unterstützung bei der Minderung der Arbeitslosigkeitsrisiken in einer Notlage zur Anwendung (Europäische Kommission 2023). NGEU, das größte Instrument zur kollektiven Kreditaufnahme in der Geschichte der EU, wurde zu 90 Prozent durch die temporäre Aufbau- und Resilienzfazilität (Recovery and Resilience Facility, RRF) finanziert, für die die Europäische Kommission 807 Milliarden Euro an Schulden durch die Ausgabe grüner Anleihen aufgenommen hat. Die Rückzahlung beginnt im Jahr 2028 und endet 2058, wodurch künftige Generationen eine Schuldenlast von jährlich 30 Milliarden Euro tragen müssen (Draghi 2024, 289). Da ungenutzte Mittel zur Aufstockung der InvestEU-Mitgliedstaaten-Komponente herangezogen werden können, sind derzeit 40 Prozent der InvestEU-Garantien schuldenbasiert. Das Risiko privatwirtschaftlicher Kreditvergabe wird demnach mit öffentlichen Schulden abgesichert (Europäische Kommission 2024, 13).
Der Einsatz von Risikotragfähigkeitsprogrammen wie InvestEU in Kombination mit einer Schuldenfinanzierung außerhalb des EU-Haushalts ist nur als zeitlich begrenzte Strategie gedacht. Mit der geplanten Kapitalmarktunion, die kürzlich in Spar- und Investitionsunion umbenannt wurde, zielt die Europäische Kommission darauf ab, private Ersparnisse von EU-Bürger*innen, Unternehmen, Pensionsfonds und Versicherungsgesellschaften für industrielle Investitionen zu erschließen (Europäische Kommission 2025c). In der Zwischenzeit fördert die EU »die Risikobereitschaft privater Investoren wobei öffentliche Gelder als Anker dienen« (ebd., 20).
Finanzkapital: Ja – demokratische Kontrolle: Nein
Ein vom Europäischen Parlament 2017 in Auftrag gegebener Bericht kam zu dem Schluss, dass die komplexe und undurchsichtige »Vielzahl von Fonds und Instrumenten rund um den EU-Haushalt« es extrem schwierig mache, die Europäische Kommission zur Verantwortung zu ziehen (Núñez Ferrer u.a. 2017). Es wird gemunkelt, dass selbst die Europäische Kommission die Übersicht verloren habe und die Kontrolle über den komplizierten Mix aus öffentlichen und privaten Finanzmitteln nur mithilfe externer Expert*innen wiedererlangen könne (Europäischer Rechnungshof 2023, 4). Zwar entscheidet das Europäische Parlament gemeinsam mit dem Rat über den Jahreshaushalt der EU, doch kann es diesen nur genehmigen oder ablehnen und ist nicht berechtigt, die jährlichen Mittelbindungen und Zahlungen von EU-Programmen oder -Fonds zu ändern. Instrumente zur Minderung von Risiken, für die der EU-Haushalt eingesetzt wird, werden in der Regel durch Verordnungen des Rates angenommen, ohne dass das Europäische Parlament in den Gesetzgebungsprozess einbezogen oder auch nur konsultiert wird (Europäischer Rechnungshof 2023, 32).
Darüber hinaus sind die Haushaltsbefugnisse des Europäischen Parlaments nur auf den EU-Haushalt beschränkt, ohne formale Mitsprache- und Interventionsmöglichkeiten für Instrumente, die außerhalb des Haushalts eingesetzt werden. Ebenso hat der Europäische Rechnungshof kein Mandat zur Prüfung von Instrumenten außerhalb des EU-Haushalts oder von Finanzierungsinstrumenten der European Investment Bank (Begg u.a. 2022, 12; Europäischer Rechnungshof 2023, 4/33).
InvestEU geht von der Prämisse aus, dass EU-Bürgschaften für Investitionen nicht tatsächlich in Anspruch genommen werden, sodass dieHaushaltsreserve auch in der Zukunft wiederholt genutzt werden kann. Zwar gibt es den gemeinsamen Dotierungsfonds, der als Sicherheitsreserve für Eventualverbindlichkeiten außerhalb des EU-Haushalts dient, doch deckt dieser Fonds nur 40 Prozent der im Rahmen von InvestEU abgegeben Garantien ab. Es bleibt unklar, ob und wie das Europäische Parlament einbezogen werden würde, falls die Mittel des Fonds durch künftige Verluste und Ausfälle erschöpft sind und damit ein Rückgriff auf den Haushalt nötig wäre (Begg u.a. 2022, 10, 11; Europäischer Rechnungshof 2023, 4).
Green Deal auf wackligen Beinen
Zwar haben EU-Initiativen zur Förderung eines grünen Wandels an Bedeutung gewonnen, doch scheint das Streben nach einer globalen Führungsrolle im Technologiebereich mehr Gewicht zu haben als die geplante Dekarbonisierung des Kapitalismus. Der Green Deal hält lediglich technologische Lösungen bereit, ohne einen Systemwandel herbeizuführen. Damit ergänzt er die kohlenstoffintensive kapitalistische Produktion eher, als dass er sie verdrängt, und verschiebt die Abkehr von fossilen Brennstoffen in eine unbestimmte Zukunft. Ein Blick in das Labyrinth der zugrundeliegenden öffentlich-privaten Finanzierung zeigt außerdem, dass die EU die Zügel des ökologischen Wandels eher der Investitionsbereitschaft des Finanzkapitals als demokratisch legitimierten, rechenschaftspflichtigen Institutionen überlässt. Darüber hinaus handelt es sich bei den Garantien und Mechanismen für eine Finanzierung außerhalb des EU-Haushalts in erster Linie um eine Schuldenfinanzierung. Auch hier wird das Gebot des Wirtschaftswachstums mit dem Ziel eines globalen Wettbewerbsvorteils über eine nachhaltige Transformation gestellt. Dieses Zögern und Aufschieben gefährden in mehrfacher Hinsicht die Lebensgrundlagen künftiger Generationen. Mit den geplanten Milliarden für die Aufrüstung sind die formal geltenden Klimaziele ohnehin Makulatur.
In der gegenwärtigen Krisensituation besteht die Gefahr, dass der auch jetzt schon auf wackligen Beinen stehende grüne Wandel von Aufrüstungsplänen kassiert wird. Die Investitionsprioritäten der EU, einschließlich der Mobilisierung von Finanzkapital, werden in atemberaubendem Tempo auf die Stärkung der militärischen Verteidigung umgelenkt. Dies zeigt, dass eine radikale Linke, die sich für alternative ökologische Transformationen im Sinne einer postkapitalistischen und demokratischen Alternative einsetzt, mehr denn je gebraucht wird.
Aus dem Englischen von Cornelia Gritzner & André Hansen für Gegensatz Translation Collective