Seit gut 9 Monaten gibt es Fridays for Future in Deutschland. Ihr habt in kurzer Zeit viel Aufmerksamkeit gewonnen. Klimapolitisch hat sich aber noch nicht soviel bewegt. Welche Bilanz zieht ihr?
Für mich ist der größte Erfolg, dass allen klar geworden ist: unsere Streiks haben realen politischen Einfluss. Ich hatte vor den Europawahlen immer das Gefühl, dass wir belächelt wurden. Politiker*innen haben sich mit uns getroffen, um Fotos zu machen, aber nicht, weil sie die Klimakrise wirklich ernst nehmen. Nach den Europawahlen war klar: unsere Kampagnen können Wahlen umschwingen. Und seitdem bekommen wir viel mehr ehrliche Aufmerksamkeit. Viele Politiker*innen haben erkannt: sie sind unter Zugzwang, sie müssen auf diese Krise eine Antwort geben. Vorher hat man unsere Generation ja immer ignoriert, hat gesagt, wir seien politikverdrossen. Dann waren alle überrascht, dass es so vielen ernst ist mit dem Thema. Wir haben in der gesamten Gesellschaft eine neue
Awareness für Umweltthemen geschaffen. Mittlerweile ist die ökologische Krise endlich in allen Zeitungen. Daran sind wir definitv nicht ganz unschuldig. Denn unsere Position ist klar und vermittelbar: Wir erinnern die Politik nur an das, was sie selbst versprochen hat. Wir sind die Generation, die die Politik zur Rechenschaft zieht.
Eine aktuelle Studie der Heinrich Böll-Stiftung zeigt: Aktive bei Fridays 4 Future haben ein relativ hohes Vertrauen in die Demokratie und die staatlichen Institutionen. Warum glaubt ihr, dass die politisch Verantwortlichen jetzt die klimapolitischen Lösungen anpacken, die sie dreißig Jahre lang verschlafen haben?
Ich kann nicht für die gesamte Bewegung sprechen, aber ich persönlich habe wenig Vertrauen in die Politiker*innen. Freiwillig werden sie nichts von dem tun, was notwendig ist. Sie sind ja selbst Teil der Krise und haben sie zu verantworten. Darum müssen wir permanent Druck machen, jede Woche. Und nicht nachlassen, bis die Versprechen eingelöst sind. Es geht nicht um Vertrauen, sondern um Druck.
Aber wie lässt sich dieser Druck so lange aufrechterhalten? Was ist eure Strategie?
Wir brauchen eine Bewegung, die sich über alle Teile der Gesellschaft erstreckt. Ja, wir sind eine Schülerbewegung und wollen es auch bleiben. Aber wir wollen uns mit den anderen Teilen der Gesellschaft verbünden. Wenn es uns nicht gelingt, eine aktive Unterstützung der Mehrheit zu gewinnen, die über das „leere Lob“ vom Fernsehsessel hinausgeht, werden wir keinen Erfolg haben. Darum mobilisieren wir zur Streikwoche im September.
In der Streikwoche vom 20.9. bis zum 27.9. sind weltweit Aktionen von Fridays for Future geplant. Was ist das Ziel?
Die Protestwoche begleitet den Klimagipfel der UN in New York. Sie soll die Einflussreichen und Mächtigen der Welt daran erinnern, dass die Zeit abläuft. Hier in Deutschland fokussieren wir auf den 20.9., den Tag, an dem das Klimakabinett tagt. Deutschlandweit gibt es in vielen Städten Proteste. In Berlin planen wir an dem Tag eine Großdemonstration. Sie soll eine ganz große Geste sein, die unmissverständlich klarmacht, dass die jetzige Politik nicht im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung handelt. Und dafür brauchen wir wirklich alle. Jede einzelne Person, die auf der Straße geht und sagt: ich streike mit, ich solidarisiere mich. Und es geht nicht nur um Solidarität. Die Klimakrise ist kein Jugendthema, sie betrifft über kurz oder lang alle. Unsere Körper, unsere Gesundheit. Auch die materiellen Kosten – sie werden immer höher, je länger wir warten. Natürlich ist es moralisch geboten, zu streiken, aber es ist auch im Eigeninteresse jeder klar denkenden Person. Wer ein Fitzelchen Klimabewusstsein hat, muss auf die Straße gehen.
Wen mobilisiert ihr konkret für die Demo? Und was bedeutet „Streik“ – in Deutschland ist es ja rechtlich schwierig, die Arbeit aus politischen Gründen niederzulegen.
Wir brauchen jeden und jede. Jeden Mann, Frau, Kind, Oma, absolut alle. Wir wollen so viele Leute erreichen wie möglich. Dazu kooperieren wir mit den Gewerkschaften, etwa mit ver.di. Über sie können wir viele Kontakte in Betriebe herstellen und überlegen, wie die Beteiligung aussehen kann. Uns ist klar, dass nicht alle streiken können. Wir wollen auch nicht, dass Leute ihren Job riskieren. Aber wir verhandeln konkret mit vielen Unternehmen, wie es aussehen kann, dass Mitarbeiter*innen kommen können . Es gibt viele Beispiele, wo geschlossene Betriebe zur Demo gehen.
Wie wollt ihr die Beschäftigten konkret einbinden?
Hier in Berlin, und ich denke, das ist in vielen Ortsgruppen genauso, wollen wir auf der Demo Blöcke von Berufsgruppen haben, z.B. Ärzt*innen und Pflegepersonal, Leute aus der Verwaltung, aus der Industrie usw. Damit wollen wir zeigen: Es sind nicht nur linksgrüne Leute, die das Thema interessiert, sondern ein Querschnitt durch die Gesellschaft, ganz normale Menschen. Wir stellen die Kontakte über die Gewerkschaften her, aber auch über persönliche Verbindungen. Dann sagt einer von uns „Ich habe eine Bekannte, die arbeitet da“, oder „Mein Papa ist Chef in dem Unternehmen“. Persönlich schaffen wir ganz andere Zugänge. Diese Vernetzung soll über den 20.9. hinausgehen. Es gibt schon die Initiative
Care for Future, wo sich Ärzte und Pflegekräfte organisieren. Wir sind dafür, dass sich alle in ihren Bereichen so zusammenschließen, wie sie können. Auch eine Berufsgruppe ist eine Lobbygruppe.
Was sind leere Flecken? Wo habt ihr wenig Unterstützung?
Relativ schwach aufgestellt sind wir, was Bauern- und Landwirtschaftsverbände angeht. Auch im Bereich Handwerk und Bau oder allgemein im Auszubildenden-Bereich ist es mühsamer. Ich selbst bin gerade in Kontakt mit der Lebensmittelgewerkschaft, um dort an Azubis ranzukommen. Wir wollen auf keinen Fall eine Bewegung sein, wo nur Leute mit höherer Bildung mitmachen.
Aber diese Tendenz gibt es schon, oder? Die Studie der Böll-Stiftung sagt: ihr seid überwiegend Abiturient*innen bzw. Gymnasiast*innen.
Natürlich gibt es die Tendenz, aber ich kann das so pauschal nicht bestätigen. Wir haben schon mehrfach erlebt, dass hier in Berlin Schüler*innen aus Sekundarschulen mit Journalisten gesprochen haben und später im Artikel zu Gymniasiasten gemacht wurden. Wir sind in Berlin gut vertreten an Sekundarschulen. Ja, Sekundarschüler*innen sind in der Minderheit, aber es gibt nicht wenige von ihnen. Und für Azubis ist es natürlich auch einfach eine wesentlich größere Hürde, an einem Streik mitzumachen.
Euer Hauptziel ist die Demo. Habt ihr noch weitere Aktionsformen geplant? Braucht es nicht mehr, um echten Druck aufzubauen?
Wir sprechen ja nicht nur von einem Tag, sondern von einer ganzen Streikwoche vom 20. bis zum 27. September. Es finden unglaublich viele Aktionen von vielen anderen Teilen der Klimabewegung statt. Wir geben dem Ganzen einen Rahmen und schaffen auch Aufmerksamkeit für andere Aktionsformen.
Was fordert ihr denn konkret am 20.9. von der Bundesregierung?
Ich erwarte ein wirkliches Erkennen der Krise. Das ist der allererste Schritt. Zwar tut die Politik gerade sehr viel mehr als vorher. Aber es ist wie Akupunktur-Klimapolitik: hier was kleckern und dort was klecksen. Die Ursachen der Krise - der zentrale Widerspruch zwischen dem, was klimapolitisch notwendig ist und dem, wie unser Wirtschaftssystem gestaltet ist – die werden nicht angepackt.
Ihr habt euch bisher auf einen kurzen Katalog von Kernforderungen beschränkt. Müsst ihr nicht im nächsten Schritt konkrete Alternativen vorschlagen?
Umso konkreter man wird, umso sehr verzettelt man sich. Wir sind nicht dafür da, die Gesetze der Politik zu schreiben. Das ist die Verantwortung dieser Leute, dafür werden sie gewählt und bezahlt. Natürlich mischen wir uns ein und kritisieren. Aber was viele vergessen: Wir sind trotz allem Jugendliche und Kinder. Wir haben ein gutes Verständnis von dieser Krise und der ökonomischen Struktur, die dahintersteht. Aber wir haben nicht die zig Berater*innen und Expertinnen der Bundesregierung, um umfangreiche Konzepte auszuarbeiten.
Es werden vermutlich bald Maßnahmen verabschiedet werden, die das Problem angeblich lösen sollen. Die Frage ist, ob sie ausreichen. Wie diskutiert ihr das, an welchem Maßstab wollt ihr das bewerten?
Unser Konsens, unsere gemeinsame Messlatte sind die Klimaziele des Abkommens von Paris. Ist eine Maßnahme Paris-konform oder nicht, das interessiert uns. Denn diese Frage wird letztendlich über Leben und Tod entscheiden, so krass das klingt. Reicht diese Politik, um die Erderwärmung unterhalb der 1,5 Grad Grenze zu halten? Dazu holen wir uns Expertise. Und da können wir keinerlei Kompromisse machen. An dieser Gradzahl lässt sich nichts drehen, das verstehen viele nicht.
Das heißt, diese Forderungen bleiben der Minimalkonsens der Bewegung?
Die Frage ergibt für mich keinen Sinn. Ich würde das nicht als Minimalkonsens oder kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern als größten gemeinsamen Nenner bezeichnen. Es ist das einende Ziel von uns allen, und es ist ein sehr großes. Wenn man es einhält, hat das radikale Konsequenzen.
Aber es gibt unterschiedliche Ansichten, wie man das Ziel erreicht. Muss man Produktionsverhältnisse ändern? Braucht man Verbote, Steuern oder eine andere Preispolitik? Müssen wir alle unseren Konsum einschränken? Wie diskutiert ihr das?
Vorneweg: Wir sind unglaublich divers und haben unterschiedliche Ansichten und Zugänge , finden manchmal auch unterschiedliche Aktionsformen gut. Wir finden aber bisher immer einen Konsens, weil unser größtes Ziel – der Schutz des Klimas – das gleiche ist. Ganz klar ist für mich: Die Konsumentscheidung der Einzelnen ist nicht unser Fokus. Das wäre fatal für unsere Bewegung. Wir wollen der Oma, die mit dem Auto zum Bäcker fährt oder dem Behinderten, der seinen Strohalm zum Trinken braucht, nichts wegnehmen. Die meisten von uns haben ja gar nicht die Möglichkeit, ökologisch zu konsumieren. Wenn ich auf dem Land lebe, habe ich häufig keine Alternative zum Auto. Darum brauchen wir den Systemwechsel von oben. Individualkonsum kann ein bisschen was bewegen. Es ist eine wichtige Art, seine Kritik auszudrücken und hat in der Masse auch einen Effekt. Aber die ganz großen Übel packen wir so nicht an.
Dennoch sind ja viele der Ansicht, wenn „von oben“ Regulierungen kommen, wird ihre persönliche Freiheit angegriffen. Wenn die Politik andere Vorschriften macht, muss das ja auch gesellschaftlich mehrheitsfähig sein.
Das Schöne ist ja, dass in unserer Vorstellung die Politik der Wirtschaft Grenzen setzt und nicht den Einzelnen. Sie schreibt der Industrie was vor, und die Industrie muss sich zwangsläufig innovative Lösungen überlegen, wie sie mit geringeren Ressourcen umgeht und den Leuten attraktive Angebote macht. Ich kann das nicht genau vorhersagen. Aber ich persönlich will nicht Verzicht predigen. Es geht darum, dass die Industrie zur Rechenschaft gezogen wird, nicht die Einzelperson. Ich glaube daran: Wenn wir die Strukturen grundlegend ändern, müssen gar nicht so viele Freiheiten eingeschränkt werden. Ja, wir müssen vieles ändern – aber vielleicht wird es viel weniger betreffen, als wir denken.
Zum Abschluss interessiert mich noch, wie ihr euch organisiert. Zum Beispiel in Berlin – wie seid ihr aufgestellt, wie trefft ihr Entscheidungen?
Im Moment ist es so, dass wir permanent mehr Leute werden und das ist auch gut so. Dafür braucht man natürlich gute Strukturen. Wir haben große Plena, wo Entscheidungen getroffen werden. Ganz viele der Diskussionen im Vorfeld führen wir auf digitalen Plattformen – Whatsapp, Telegram usw. Trello ist unsere Arbeitsoberfläche, wo die vielen Arbeitgsruppen sich koordinieren, da hat jeder Zugriff. Und über Instagram mobilisieren wir vor allem auch die Leute, die gerade erst neu dazu kommen. Aber wir versuchen auch, selbst an den Schulen Veränderungen einzufordern. Wir haben Schul-Delis seit fast einem halben Jahr. Sie sind dazu da, an den einzelnen Schulen konkrete Forderungen zu stellen, sich mit den Schulleitungen auseinandersetzen, aber auch Vorträge zu dem Thema zu halten und aufzuklären. Das Prinzip ist: In dem Lebensbereich, wo man selbst ist, kann man auch was tun.
Das Gespräch führte Hannah Schurian