Wenn Ernten kollabieren, bedeutet das unter Marktbedingungen, dass die Ärmsten ihre Lebensmittel nicht mehr bezahlen können. Für die oberen 20 Prozent hingegen sind Preissteigerungen nicht bedrohlich. Mit wachsender Ressourcenknappheit wird es sogar noch attraktiver, zu den Eliten zu gehören. Deshalb: Wer die Klassenverhältnisse ausblendet, wird die ökologische Krise weder verstehen noch stoppen können.
Wenn man ganze Wirtschaftszweige schließen will, muss man nicht nur die Macht des Kapitals, sondern auch die Belegschaften mitdenken. Wie nimmt man sie mit?
Raul Zelik: Jede emanzipatorische Industrietransformation muss von den Beschäftigten ausgehen. In Großbritannien gab es in den 1970er-Jahren eine Gewerkschaftsdiskussion über die Konversion von Rüstungsbetrieben, seit 2021 gibt es die besetzte Fabrik des Autozulieferers GKN in Italien. An solche Erfahrungen müssen wir anknüpfen. Die meisten Beschäftigten möchten sicherlich lieber Gegenstände herstellen, die keine verheerenden Umweltschäden verursachen. Sie sind auch nicht unbedingt scharf darauf, im Schichtsystem am Band zu stehen. Sie wollen gesellschaftliche und materielle Teilhabe. Und sie fordern zu Recht ein, dass die Industriekonversion nicht auf ihrem Rücken durchgesetzt wird. Was die gesamtgesellschaftliche Debatte angeht, halte ich Klaus Dörres Vorschlag der Transformationsräte für richtig. Die Debatte darüber, wie sich die Gesellschaft verändern soll, muss auf die Erfahrungen von Arbeitenden und Konsumierenden zurückgreifen.
Sabine Nuss: Es gibt in den Unternehmen sehr unterschiedliche Interessen. Die Aktionäre wollen, dass ihr Kapital sich verwertet, das Management will, dass in diesem Sinne der Laden läuft, und die Belegschaft hat eigene Interessen und Expertisen. Hans-Jürgen Urban sagte vor Kurzem aus Sicht der IG Metall: Wir wissen, wie der Umbau technologisch möglich wäre, aber das Problem ist: Er ist nicht rentabel. Darum ist es wichtig, über die Klassenverhältnisse und Hierarchien in den Unternehmen zu sprechen: Wer entscheidet, was dort produziert wird und zu welchem Zweck? Da haben die Belegschaften oft das bessere Wissen, aber ihnen fehlt die Entscheidungsmacht. Im bürgerlichen Recht sind die Beschäftigten die Besitzdiener und die Eigentümer der Produktionsmittel die Besitzherren. Das stellt die Welt auf den Kopf, denn eigentlich sind die »Besitzdiener« die Besitzer der Produktionsmittel, weil sie haptisch und physisch mit ihnen arbeiten. Sie stehen aber unter dem Kommando der Chefs, der Aktionäre, der Kapitalverwertung und können nicht im Sinne des Gebrauchswerts kooperieren. Man müsste untersuchen, ob man das bürgerliche Recht nicht auch auf diesem Gebiet als Hebel nutzen kann, so wie die Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen, die den Vergesellschaftungsartikel des Grundgesetzes wieder hochgeholt hat.
Ulrike Herrmann: Natürlich muss ein Umbau der Gesellschaft demokratisch passieren. Aber auf welcher Ebene wollen wir Demokratie? Wenn man eine ganze Wirtschaft klimaneutral umbauen will, dann gehen Millionen von Arbeitsplätzen verloren: in der Autoindustrie, in der Chemie, bei den Banken. Das muss man auf der staatlichen Gesamtebene steuern, damit sind Transformationsräte in einzelnen Betrieben völlig überfordert. Trotzdem wären Gewerkschaften, Arbeiter*innen oder Kund*innen bei der Planung dabei, nicht nur Unternehmer*innen. Aber wichtig ist, dass es eine makroökonomische Planung ist, also auf der Ebene der Regierung. Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis in der Klimadebatte, dass viele Nischen von selbst das Ganze ergeben.
In der antikapitalistischen Linken gibt es wenig Modelle oder Ansätze, die auf der makroökonomischen Ebene eine umfassende Alternative zum Kapitalismus aufzeigen. Brauchen wir mehr davon?
Sabine Nuss: Ich bin nicht per se gegen Planung auf der Makroebene, wenn man sie als kooperative Planung denkt. Ich würde staatliche Makroplanung aber nicht unbedingt als demokratische Wirtschaftsplanung bezeichnen, weil der Staat ein sehr ambivalenter Akteur ist. In der langen Geschichte der sozialistischen Arbeiter*innenbewegung gab es immer wieder Versuche, die Sozialisierung der Produktionsmittel einzufordern. Dafür sind die Menschen 1918 in Massen auf die Straßen gegangen. Was hatten sie dabei im Kopf und was können wir daraus lernen? Schließlich sind sie damals mit ihren Forderungen gescheitert. Ihre Erfahrungen zeigen, dass der Staat eben nicht der Ansprechpartner ist für ein Anliegen, das für alle Menschen gut sein soll.
Raul Zelik: Ich würde die Frage anders beantworten. Ich denke, wir brauchen unbedingt eine staatliche Makropolitik. Transformationsräte bedeuten ja nicht, dass alles in Vollversammlungen gelöst werden sollte – und könnte. Selbstverständlich ist der Staat dazu da, bestehende Herrschaftsverhältnisse abzusichern. Aber die historische Erfahrung zeigt auch, dass er eine Verdichtung von Kräfteverhältnissen ist und begrenzt demokratisiert werden kann. Die Aufgabe von Linken ist es, die repressiven Funktionen im Staat durch Kämpfe zu schwächen und soziale Funktionen zu stärken. Mit Blick auf die großen sozialen Verwerfungen, die die ökologische Krise mit sich bringen wird, müssen soziale Sicherungssysteme auf- und ausgebaut werden. Es muss, wenn es hart auf hart kommt, Lebensmittel- und Wasserversorgung für alle geben, es muss Institutionen geben, die solidarische Antworten organisieren. Damit wir eben keine allgemeine Bürgerkriegssituation erleben, wie sie in Konkurrenzgesellschaften als natürlich erscheint.
Wirtschaftsplanung und grünes Schrumpfen sind große, teils abstrakte Themen: Wie gelingt es, dafür Mehrheiten zu gewinnen? Wie führen wir eine Debatte, in der es nicht primär um Verzicht geht?
Raul Zelik: Verzicht? Ich glaube, dass der durchschnittliche Mensch in Deutschland viel zu gewinnen hätte in einer Gesellschaft, in der sich nicht mehr alles um das Kapital dreht. Weniger Konsumgüter, aber dafür nur noch 20 Stunden Lohnarbeit in der Woche. Ich finde, das ist ein positives Zukunftsversprechen.
Sabine Nuss: Ich bin kein großer Fan davon, von Schrumpfung oder Verzicht zu sprechen. Man kann Dinge so produzieren, dass sie lange halten und sich reparieren lassen. Es gibt genug solcher Ideen, die aber in Schubladen liegen, weil sie sich nicht rechnen. Wir müssen qualitativ anders produzieren. Wenn man nicht alle zwei Jahre ein neues Handy haben kann, muss man das nicht als Verzicht framen, es ist ein Gewinn, wenn Dinge länger halten. Ich glaube, dass die Leute mit dem Verzichtsdiskurs wenig anfangen können, weil viele ein Leben in der permanenten Überlastung führen und keine Lust auf weitere Zumutungen haben. Wenn aber nicht mehr so viel produziert werden müsste, wäre eine riesige Umverteilung von Arbeit möglich, die zu einer Arbeitszeitverkürzung führen könnte. Das wäre für etliche vielleicht erstrebenswerter als permanent materielle Dinge zu konsumieren.
Ulrike Herrmann: Wenn man nicht mehr fliegen kann, kein privates Auto mehr haben darf, seinen Arbeitsplatz verändern muss, dann ist das durchaus ein großer Verzicht. Das ahnen die Leute und deswegen wollen sie es nicht. Wir müssen ehrlich sein und sagen: Das, was wir hatten, fossile Energie im Überfluss, war sehr bequem, aber es ist vorbei. Dafür können wir aber überleben. Ob wir die Arbeitszeit am Ende verkürzen können, das weiß niemand, das ist alles noch nicht durchgerechnet. Wir müssen zum Beispiel weg von der industriellen Landwirtschaft und Ökolandbau im großen Stil betreiben. Ich überspitze, aber Millionen, die gerade bequem an ihren Computern sitzen, müssten raus in die Natur. Das ist nicht nur nett. Generell gilt: In dem Moment, wo man keine fossile Energie mehr hat, sinkt die Effizienz der Volkswirtschaft. Also muss man pro Produkt mehr Arbeit aufwenden. Deswegen halte ich das Versprechen einer Arbeitszeitverkürzung für kühn.
Was sind für euch gute Einstiegsprojekte, wo beispielhaft dafür gekämpft werden kann, demokratische Wirtschaftsplanung im Zeichen der Klimakrise voranzubringen?
Ulrike Herrmann: Es gibt einen Bereich, wo man ohne Riesenplanung anfangen kann: beim Fleisch. Die Landwirtschaft produziert enorme Schäden, vor allem durch die Fleischproduktion. 60 Prozent der Ernte in der EU landet in Tiermägen. Alle kennen die Probleme: Lachgas, Gülle, Grundwasserverseuchung, Pestizide, Herbizide, Artensterben und so weiter. Man muss nicht Vegetarier werden, aber sehr viel weniger Fleisch konsumieren. Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie würde das nicht gefährden: Wenn die Leute kein Fleisch mehr essen, essen sie etwas anderes. Menschen, die nach meinen makroökonomischen Vorträgen etwas tun wollen, sich aber sehr ohnmächtig fühlen, denen sage ich: Esst weniger Fleisch!
Raul Zelik: Mein Beispiel wäre der Ausbau öffentlicher Infrastrukturen, die uns in den anstehenden Krisen allen gleichermaßen zugutekommen. In der Schweiz betreibt ein Staatsunternehmen ein öffentliches Bahnnetz, bei dem die Züge und Busse verlässlich fahren und pünktlich ankommen. Manchmal ist die Utopie sehr klein und sehr konkret.
Sabine Nuss: Wir müssen uns verabschieden von der Idee, dass es die eine Strategie der Veränderung gibt, deren Auswirkung man im Voraus komplett beurteilen kann. Gesellschaftliche Veränderung ist ein hochdynamischer, teilweise unvorhersehbarer Prozess. Ich bringe deswegen die vielen kleinen Graswurzelbewegungen ins Spiel. Ich sehe sie als Teil eines Zusammenspiels von einem Kooperationsprozess von unten und einer möglichen Planung von oben. Initiativen von Kooperativen, für freie Software oder SuperCoops werden oft belächelt. Aber diese alternativen Praxen sind Hoffnungsschimmer, auch wenn sie in vielen Fällen deutlich stärker politisiert werden müssten. Erik Olin Wright nannte sie reale Utopien, denen wir folgen können, wenn wir gemeinsam den Kapitalismus und seinen Wachstumszwang überwinden wollen.
Das Gespräch führten Justus Henze und Eva Völpel.