Seit der Veröffentlichung des »Sonderberichts 1,5°C globale Erwärmung« des Weltklimarats der Vereinten Nationen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) im Oktober 2018 besteht zwischen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger*innen weitgehend Einigkeit darüber, dass wir unseren CO2-Ausstoß erheblich und rasch verringern müssen. Vom petrochemisch verseuchten Ödland des intensiv ausgebeuteten Nigerdeltas bis zur aktuellen Hungersnot im südlichen Madagaskar, die erstmalig als durch den Klimawandel verursachte Nahrungsmittelkrise eingestuft wurde: Die Auswirkungen der ungezügelten Gier und mutwilligen Zerstörung der fossilen Industrie sind überall auf der Welt spürbar. Jüngere Unwetterereignisse wie die Zyklone Idai und Kenneth, die Hitzeglocke über der Westküste Nordamerikas 2021, Dürren, Gluthitze und Überschwemmungen haben immer wieder die Dringlichkeit unverzüglichen und entschlossenen Handelns verdeutlicht.
Ereignisse wie die kürzlich erfolgte Verabschiedung des Gesetzes zur Inflationsbekämpfung Inflation Reduction Act in den USA sowie der Aufstieg Grüner Parteien innerhalb der EU sind von nicht wenigen Klima- und Umweltaktivist*innen begrüßt worden. Sie sehen in diesen Entwicklungen das Potenzial, die bestehenden Widerstände und die Gleichgültigkeit gegenüber grünen Technologien in unseren Gesellschaften im Eiltempo aufzulösen, sodass sich eine vernunftbasierte Politik durchsetzen kann und grüne Projekte umgesetzt werden.
Die Internationale Energieagentur hat in ihrem Bericht »Net Zero by 2050« während der letzten Jahrzehnte stark gesunkene Kosten für erneuerbare Energien festgestellt (IEA 2021). Der Bericht merkt an, dass die Kosten für Energiequellen wie Sonne und Wind heute bei weniger als der Hälfte des Wertes konventioneller Grundlastenergie liegen und nur einen Bruchteil des Zeitaufwands für die Installation benötigen. Parallel zu dieser Entwicklung haben Autohersteller strategische Pläne vorgelegt, die ihre Absicht bekunden, den Verbrennungsmotor über die kommenden Jahrzehnte durch E-Fahrzeuge zu ersetzen (Motavalli 2021). China, wo aktuell nur 15,4 Prozent der Energie aus nicht-fossilen Quellen stammt, hat eine Erhöhung seiner Kapazitäten zur Energiegewinnung aus Solar und Wind bis 2030 auf 1 200 Gigawatt angekündigt – also auf fast das Doppelte (Reuters, 1.6.2022). Südafrika hat seine Solar- und Windenergiegewinnung seit 2018 um etwa 4 Gigawatt gesteigert und plant bis zum Jahr 2025 eine weitere Erhöhung um 6 Gigawatt. Das mag wenig erscheinen, doch die ohnehin bereits starke Nachfrage nach grüner Energie wird auf absehbare Zeit weltweit zunehmen, da immer mehr Länder und Branchen eine Energiewende vollziehen – was ein ressourcenintensives Unterfangen darstellt.
Worüber jedoch kaum gesprochen wird, ist die Herkunft der Rohstoffe für diese Energiewende, also der Rohmaterialien zur Herstellung all der Batterien, Solarpaneele, Windräder, Kabel usw. Wo werden all diese Rohstoffe herkommen? Schaffen wir bei der Lösung des einen Problems womöglich ein neues?

Der Kolonialismus, Treiber der Industriellen Revolution und Produzent gigantischer CO2-Emissionen


Die extrovertierten modernen Volkswirtschaften des globalen Südens sind zum Großteil ein Produkt des einstigen globalen, Großbritannien-zentrierten Ernährungssystems – eines extraktivistischen Projekts zur Beschaffung von Rohstoffen aus allen noch so entlegenen Winkeln des Empire zur exklusiven Nutzung in der globalen Metropole. Von den Anfängen dieses Produktionssystems bis heute war und ist die vorherrschende Ontologie eine der Massenvernichtung, in deren Verlauf Ökozid, Brüche im Mensch-Natur-Stoffwechsel und die Reduzierung von Menschen auf bloße Lasttiere und Träger*innen von Arbeitskraft vorangetrieben wurden.
Vergegenwärtigen wir uns die folgenreiche Praxis von Kolonialismus und Imperialismus. Großbritannien wollte Gold, also verwüstete es den Kongo sowie die Königreiche im Sahel und im südlichen Afrika, um es zu bekommen. Europa verlangte nach landwirtschaftlichen Erzeugnissen, also wurden in Afrika sowie in Nord- und Südamerika Wälder gerodet, um Platz für Latifundien zu schaffen. In ihrer unersättlichen Gier nach Kautschuk, Baumwolle, Gold, Elfenbein, Palmöl, Erdnuss, Öl und Gas zerstörten die Kolonialisten die Pflanzenvielfalt und rotteten zahllose Arten aus. Ob kongolesischer Regenwald oder ganze Inseln – kein noch so erschreckendes Ausmaß an Biodiversitätsverlust reichte aus, um die raublustigen Kolonialisten zum Einhalten oder zu einer Kurskorrektur zu bewegen. Mancherorts wurden Frauen und Männer, die sich weigerten, als Sklav*innen zu arbeiten, schwer bestraft. Dazu zählte die als »kurze oder lange Ärmel« bezeichnete Verstümmelung der Gliedmaßen mit einer Machete. Bedenkt man die Gräueltaten während des Genozids in Ruanda, des Bürgerkriegs in Liberia oder im gegenwärtigen Bürgerkrieg in Kamerun, wirken diese grausamen Praktiken bis heute nach.
Das moderne Afrika ist im Zuge dieses extrovertierten und ungeordneten darwinistischen Projekts entstanden, dessen sichtbarster Ausdruck der Staat ist. Daraus leiten Aaron Gana und Claude Aké die These ab, dass die politische Ökonomie Afrikas von Enteignung, der Zwangsproletarisierung von Afrikaner*innen in kapitalistischen Unternehmen im Besitz westlicher Akteure, der Peripherisierung Afrikas als Anhängsel der Metropolregion Europa sowie der Schaffung eines brutalen Staatsapparats zur Ermöglichung und Aufrechterhaltung dieses Ausbeutungssystems geprägt ist (vgl. Gana 1985; Aké 1985).
Rohstoffe aus den Kolonien trugen dazu bei, in den hoch entwickelten Ländern ein prometheisches Wachstum zu befeuern, wodurch völlig unhaltbare Idealvorstellungen von Wohn- und Lebensverhältnissen erzeugt wurden: ein stattliches Anwesen für jede Familie, dazu grüner Rasen, ein großer Pool, in der Garage ein teurer Wagen – und die endlose Verfügbarkeit von Konsumgütern. Dies mündete in die beispiellose Konsumorgie der Gegenwart, die unseren Planeten an den Abgrund geführt hat.
Daten des Weltklimarats der UN zeigen, dass die Welt derzeit die Folgen der globalen Erwärmung des Anthropozäns erlebt, die nahezu ausschließlich durch hoch industrialisierte Länder verursacht wurde, deren Aufstieg und Wachstum auf maßlosem Raubbau an der Natur fußt.
Verschiedene Entwicklungen legen nahe, dass jene Akteure, die den Planeten des unablässigen Wachstums wegen ausbeuten, zu Beginn der vierten industriellen Revolution (Industrie 4.0) fest entschlossen sind, ihre destruktiven Aktivitäten fortzusetzen wie bisher, während wir alle durch Greenwashing in Hochglanzzeitschriften und TV-Werbungen für dumm verkauft werden. Wurden unliebsamen Personen in der Vergangenheit Gliedmaßen abgetrennt, werden sie heutzutage physisch eliminiert, wie im Fall von Ken Saro-Wiwa.  Oder wie bei dem Vorsitzenden des Amadiba Crisis Committee, Sikhosiphi Bazooka Rhadebe, der in der südafrikanischen Provinz Ostkap einem Attentat zum Opfer fiel, nachdem er sich gegen die Bergbauvorhaben des australischen Konzerns Mineral Commodities Limited (MRC) in seinem Dorf ausgesprochen hatte.
Afrika musste bereits in der Vergangenheit leiden, um den Nachschub an billigen Rohstoffen für die Industrien der westlichen Welt zu gewährleisten, und dieser Trend setzt sich bis heute fort. Zugleich muss festgestellt werden, dass Lohnarbeiter*innen in aller Welt und unter ganz unterschiedlichen hegemonialen Produktionsparadigmen unter die Räder einer sehr entschlossen und aggressiv agierenden – und in der Regel mit dem Staat eng verbündeten – Kapitalelite kommen.

Green Grabbing und der neue grüne Kolonialismus


Afrika erstickt im Würgegriff eines allgegenwärtigen neuen Kolonialismus – eines schmutzigen, grünen Kolonialismus, dessen Entwicklung vermeintlich dem Ziel einer saubereren Welt dient. Neue Produktionsformen haben die Gier und Brutalität vorheriger extraktivistischer Modelle weiter zementiert und übertreffen Letztere in dieser Hinsicht zum Teil sogar.
Was viele Menschen übersehen: dass effizientere, grüne Technologien mehr erfordern als die bloße Wiederverwertung alter Technologien und Komponenten. Sie benötigen große Flächen, mineralische Rohstoffe, Wasser und natürlich Arbeitskraft – genau wie der schmutzige fossile Sektor. Zur Herstellung von Elektrofahrzeugen braucht es beispielsweise eine Kombination aus Basismetallen (Aluminium, Kupfer, Eisen), Edelmetallen (Kobalt, Nickel, Mangan) sowie Graphit und Lithium. Bei der Produktion einer einzigen Tonne Lithium werden durchschnittlich zwei Millionen Liter Wasser verbraucht, von den erforderlichen Förderflächen ganz zu schweigen.  Für die Rotorblätter von Windturbinen wird wiederum Balsaholz benötigt – und so weiter und so fort, die Liste ließe sich endlos fortsetzen.
Die Beschaffung dieser Ressourcen ist mit Zwang, Enteignung und mitunter auch mit Sklaverei verbunden. Entsprechende Muster, die sich heute auf dem gesamten afrikanischen Kontinent abzeichnen, sprechen für die Entfaltung eines destruktiven neuen, grünen Kolonialismus als direkte Folge des weltweiten Heißhungers nach Rohstoffen für die Energiewende. Die Akteure mögen heute andere sein, doch erinnern ihre Praktiken stark an eine Ära, die Afrika schon einmal durchlebt hat.
Nehmen wir das Beispiel der Demokratischen Republik Kongo, wo sich mehr als 70 Prozent der weltweit bekannten Kobaltvorkommen befinden. Nachdem das Land bereits in der Vergangenheit wegen seiner vielen Rohstoffe – darunter Holz, Kautschuk, Gold, Kupfer, Bienenwachs, Palmöl – ausgeplündert wurde, ist es heute eine einzige große Mine und Plantage, ein Tummelplatz gieriger ausländischer Akteure, die nach der Ausbeutung seiner Ressourcen trachten, um das weltweite Verlangen nach billigen Smartphones, Solarpanels und Elektrofahrzeugen zu bedienen.
Im Jahr 2008 unterzeichnete der damalige Präsident Joseph Kabila das 6,8 Milliarden US-Dollar schwere »Minen-gegen-Infrastruktur«-Abkommen (Sicomines-Abkommen), in dem China Zugriff auf verschiedene Minen erhält und sich im Gegenzug zum Bau von Flughäfen, Straßen, Regierungsgebäuden und anderer Infrastruktur verpflichtet. Seit 15 Jahren betreibt China nun im Kongo Minen, in denen Tausende von Kindern unter höchst unsicheren Bedingungen schuften, während ihre Altersgenoss*innen in anderen Ländern zur Schule gehen. Die von China zu leistenden Infrastrukturprojekte sind allerdings nicht umgesetzt worden.
China ist jedoch keineswegs der einzige Player im afrikanischen Sektor der Transformationsressourcen, also der für die Energiewende wichtiger Bodenschätze. Manche unzufriedene Politiker*innen haben gar beschlossen, zu den Waffen zu greifen und Teile des Landes für die Ressourcenausbeutung zu erkämpfen. Andere Player wie der US-Elektrofahrzeughersteller Tesla (der sein Kobalt von Glencore Congo bezieht; vgl. Clowes et al. 2020) betreiben die Beschaffung eher über Privatunternehmen als über Staaten und Regierungen. Doch unabhängig vom konkreten Zugang ausländischer Unternehmen – das Ergebnis ist das altbekannte: Kinderarbeit, ein Ökozid ungeheuren Ausmaßes einschließlich der raschen Ausbreitung von Kleinbergwerken im Primärwald, interethnische Konflikte, die Umtriebe einer ganzen Reihe kongolesischer und ruandischer Milizen, insbesondere der berüchtigten M32, die vom ruandischen Präsidenten Paul Kagame unterstützt wird (France 24, 8.4.2022).
Auch Madagaskar erlebt derzeit einen Massenansturm ausländischer Konzerne, nachdem dort Vorkommen seltener Erden und Minerale entdeckt wurden. Auf der malerischen Halbinsel Ampasindava bzw. der vorgelagerten Insel Nosy Be übernimmt das von deutschen und singapurischen Unternehmen gegründete Joint Venture Tantalum Rare Earth Malagasy (TREM) den Abbau. Die indische Varun Group ist in der Region Anosy ebenfalls auf große Vorkommen seltener Erdminerale gestoßen; dort sind die Unternehmen QIT Madagascar Minerals (QMM) und China Nonferrous Metal Mining Group (CNMC) bereits aktiv.
Ebenso wie zu kolonialen Zeiten führt die Entdeckung von reichen Rohstoffvorkommen dazu, dass die örtliche Bevölkerung kurzerhand umgesiedelt wird und man ihnen eine Entschädigung verspricht, die ihren Verlust in keiner Weise ausgleicht. Zudem bleibt die Auszahlung solcher Entschädigungen nicht selten aus. Das Recht, Nein zu sagen, existiert hier schlicht und einfach nicht.
»Es hat sich nichts verändert!«, schimpft Zo Randriamaro, Direktorin des Research and Support Center for Development Alternatives – Indian Ocean (RSCDA-IO), als ich ihr im Rahmen eines Forschungsprojekts im August 2022 in Madagaskar begegne. Sie deutet auf eine niedergeschlagene, ausgezehrte Frau, die eine 21-stündige Reise auf sich genommen hat, um im Zentrum mit jemandem über das Problem der Verfolgung ihrer Gemeindemitglieder durch die Malagasy-Regierung und ausländische Bergbauunternehmen sprechen zu können. In ihrem Dorf haben sich chinesische Bergbauunternehmen angesiedelt, die über 300 Quadratkilometer Land – einschließlich der sich darauf befindlichen Wälder, Wohnhäuser, Ackerböden und angestammten Begräbnisstätten – beanspruchen, um dort mit dem Einverständnis der Regierung seltene Erden abzubauen.
An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass es beim Green Grabbing nicht nur um Bodenschätze geht. Ebenso können auch Wüstengebiete betroffen sein, die für grüne Energieerzeugung genutzt werden, wie es laut Hamza Hamouchene vom Transnational Institute (TNI) auf Marokko zutrifft: Um Platz für das Solarkraftwerk Noor Ouarzazate zu schaffen, wurden die örtlichen Gemeinden mit der Behauptung, es gehe »nur um wertloses Wüstenland, das ohnehin niemand nutze«, von ihrem angestammten Acker- und Weideland vertrieben (vgl. Hamouchene auf LuXemburg-Online).
Während Europa in der Folge des russischen Überfalls auf die Ukraine verzweifelt nach neuen Energielieferanten sucht, planen Marokko und andere Länder die Errichtung weiterer Solarparks, deren produzierte Energie nach Europa geliefert werden soll, die entsprechenden Erlöse allerdings direkt in die Kassen afrikanischer Hauptstädte fließen. Die von solchen Projekten betroffenen Gemeinden ernten höchstens die Früchte des Zorns. Hamza Hamouchene berichtet: »Vor unseren Augen wird ein altbekanntes koloniales System errichtet: ein uneingeschränkter Strom billiger natürlicher Ressourcen (einschließlich Solarenergie) aus dem globalen Süden in den reichen Norden, während die Festung Europa Mauern und Zäune errichtet und Menschen auf der Suche nach einem würdigen Leben einen sicheren Hafen verwehrt.«

Hin zu einem neuen Internationalismus 


Der Übergang zu CO2-neutralen Gesellschaften erfordert mithin die Umstellung praktisch unserer gesamten Versorgungs-, Transport-, Arbeits- und Freizeitinfrastruktur auf grünere Alternativen. Wer sich einmal vorstellt, die gesamte Infrastruktur zwischen New York und Tokio klimafreundlich umrüsten zu müssen, bekommt womöglich annähernd eine Ahnung von der gewaltigen Aufgabe, die vor uns liegt. Sollte sich die Menschheit für die Fortsetzung des bisherigen Pfades des unablässigen Wachstums entscheiden, dürfte dies die Gesamtheit aller jemals auf dem Planeten vorhanden gewesenen Rohstoffe verschlingen – und noch weitere darüber hinaus. Eine irrwitzige Vorstellung – woher sollen diese Ressourcen kommen?
Der Schluss liegt nahe, dass das Zurückdrängen des grünen Kolonialismus einer neuen Ontologie bedarf. Wir müssen uns mit der lebendigen, atmenden Natur versöhnen und erkennen, dass sie nicht nur eine nach Lust und Laune auszubeutende Abstraktion ist, sondern ein endlicher Raum, aus dem wir – im Zuge einer Degrowth-Dynamik – tatsächlich nur das entnehmen sollten, was wir wirklich benötigen.
Die Aussöhnung mit der Natur ist vielleicht nicht einfach zu bewerkstelligen für eine Menschheit, die sich an die uneingeschränkte Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen gewöhnt hat – und doch ist es möglich. Es braucht dazu einen neuen Internationalismus, der auf Demokratie, Solidarität und Interdependenz basiert (vgl. dazu auch Charaby/Kühne auf LuXemburg-Online). 
Dazu müssen wir drei Dinge tun:
Erstens bedarf es einer Neugestaltung des Handels im Sinne einer dekolonialen Perspektive, die die Souveränität von Handelspartnern respektiert. Wir können nicht alles zu jedem Zeitpunkt produzieren – oder konsumieren. Wir müssen kurze Wertschöpfungsketten schaffen und inländische Erzeugnisse konsumieren, sodass wir nur die Güter importieren müssen, die uns tatsächlich fehlen. Eine solche Priorisierung signalisiert zugleich die Anerkennung der Notwendigkeit besserer Beziehungen zwischen Gewerkschaften, Parlamenten (z. B. zwischen dem Panafrikanischen Parlament und dem Europäischen Parlament oder zwischen dem westafrikanischen ECOWAS-Parlament und der ASEAN Inter-Parliamentary Assembly), der Zivilgesellschaft und Regierungen.
Außerdem müssen wir verantwortungs­bewusste Konsummuster entwickeln und verstehen, dass Lebensmittel und Konsumartikel ihren Preis haben. So gebietet sich etwa der Verzicht auf Fleisch aus der Amazonas-Region, auf Mobiltelefone, deren Herstellung auf kongolesischer Kinderarbeit basiert, auf schicke T-Shirts, die von indischen Bäuer*innen oder Sweatshop-Arbeiter*innen in Bangladesch ohne die Einhaltung von Umwelt- und sozialen Standards produziert werden. Wir müssen uns klarmachen, dass jeder Kauf eines Päckchens billigen Kaffees oder Kakaos unmittelbar Profit für gierige, umweltzerstörende Konzerne generiert.
Gewerkschaften und Verbraucher*innen spielen eine wichtige Rolle bei der Beeinflussung des Verhaltens von Unternehmen, sowohl mit Blick auf ihre Produkt- und Materialbezugsquellen als auch im Umgang mit ihren Beschäftigten. Und mögen wir auch ein Planet mit vielen verschiedenen Nationalstaaten sein, teilen wir letztlich alle dasselbe Schicksal. In seiner Analyse von Wertschöpfungsketten und ihrer großen geografischen Streuung hat Gary Gereffi anschaulich dargestellt, wie mitunter mehr als 30 Länder an der Herstellung eines einzelnen Produkts beteiligt sind. Aus diesem Grund spielen insbesondere Gewerkschaften eine entscheidende Rolle für die Durchsetzung von Fairness, Demokratie und sozialer Verantwortung an allen beteiligten Arbeitsstandorten weltweit. Indem sie im Rahmen globaler Partnerschaften zusammenarbeiten, können Gewerkschaften sicherstellen, dass das, was in einem Land in den Fabriken und Betrieben ankommt, nicht das Produkt von Sklavenarbeit oder Green Grabbing in einem anderen Land ist. Zugleich ist dies der sicherste Weg, transnationale Konzerne (TNC) für ihr Handeln zur Rechenschaft zu ziehen.
Zweitens muss ein neuer Internationalismus gemeinschaftliche Anstrengungen zur Durchsetzung von Rechenschaftspflicht und Transparenz bei allen Handelsabkommen und bedeutenden Transaktionen voranbringen. Das Einzige, was afrikanische Regierungen zu verantwortungsvollem Handeln bewegt, ist die auf sie gerichtete Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit, insbesondere die ihrer Förderer. Die starke Unterstützung der Aktivist*innen und Medien im globalen Norden hat beispielsweise maßgeblich zu den Siegen beigetragen, die die Volksgruppe der Ogoni in Nigeria über die Jahre gegen Shell erringen konnte. Diese Art der öffentlichen Kontrolle muss verstärkt werden, damit Finanzinstitutionen vor offensichtlich kriminellen Deals zurückschrecken.
Drittens gehört zu einem neuen Internationalismus auch, dass die Bürger*innen jener Länder, die seit der Industriellen Revolution zu den größten Verschmutzern zählen, ihre Regierungen dazu zwingen, gemachte Zusagen über Geld- und Technologietransfers an ärmere Länder zur Bewältigung und Anpassung an die Folgen des Klimawandels einzuhalten. Dazu gehört, die UN-Klimakonferenz und ähnliche Prozesse ernster zu nehmen.
Zweifelsohne müssen auch die schwach entwickelten Volkswirtschaften zum Wohle des Planeten grünere Technologien einführen und ihren CO2-Ausstoß verringern. Allerdings: Wenn der globale Süden eine erhebliche Reduktion seiner CO2-Emissionen einleiten soll, scheint es nur gerecht, dass sich diejenigen, die am meisten zum Problem beigetragen haben, an den Kosten für sauberere Alternativen beteiligen. Wenn Klimazahlungen als Reparationen dargestellt werden, gibt es schnell Einwände und Widerstände. Daher sollte in der Debatte um Reparationen eine andere Dimension betont werden: die finanziellen Folgen des Nichthandelns für die führenden Industriestaaten. Was die Welt heute bitter nötig hat, ist genau die Art globaler Gerechtigkeit, die (etwa im Rahmen eines Green New Deals) durch umfangreiche Finanz- und Technologietransfers von den hoch entwickelten Industriestaaten an arme, weniger entwickelte Länder hergestellt werden könnte. Auf einen grünen Kolonialismus kann sie dagegen sehr gut verzichten.

Aus dem Englischen von Jan-Peter Herrmann.