Suppenküchen, Obdachlosigkeit und andere Zeichen von Armut gehören nun zum alltäglichen Bild in den Städten. Seit über 100 Jahren bestehende Rechte der Beschäftigten wurden aufgehoben und das gesamte Tarifverhandlungssystem geändert, was zu weiteren Lohnsenkungen führen wird. Griechenland ist zum Versuchslabor eines extrem aggressiven neoliberalen Umbaus der Gesellschaft geworden – und einer ideologischen Erpressung: Griechenland muss den Sparkurs befolgen oder bei Zahlungsunfä- higkeit mit einem Ausschluss aus der Eurozone rechnen. Das ist eine Herausforderung für die Linke. Ist es die richtige Strategie, schrittweise auf die Beendigung der Sparpolitik zu drängen und in der Eurozone zu bleiben? Oder ist es besser, eine radikale Alternative zu formulieren, die auch einen Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone bedeutet? Letzterer scheint mir der einzig gangbare Weg; alle progressiven Lösungsansätze beginnen mit einer Ablehnung der Europäischen Union und des gesamten Europäischen Integrationsprozesses. Um dies zu verstehen, müssen wir bei der europäischen Dimension der Krise beginnen. Denn obwohl die Ereignisse in Griechenland ein Aspekt der globalen Wirtschaftskrise sind, sind sie eben auch Ausdruck der Krise der Eurozone und des gesamten europäischen Projekts. Der Euro war von Anfang an ein Mechanismus für die Vergrößerung von Ungleichheiten und Ungleichgewichten innerhalb der Eurozone.In einem Wirtschaftsraum, der von Unterschieden hinsichtlich Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der verschiedenen Länder gekennzeichnet ist, vergrößert eine gemeinsame Währung dieses Ungleichgewicht tendenziell. Die Bestimmungen der Maastrichter Verträge beziehen sich nur auf die Gefahren, die für die Währungsunion aus großen Unterschieden in den Inflations- und Zinsraten erwachsen können, nicht aber auf strukturelle Widersprüche. Demnach konnte der Euro nur in Zeiten wirtschaftlicher Stabilität und für Länder eines ähnlichen Grades wirtschaftlicher Entwicklung erfolgreich als gemeinsame Währung fungieren. Da Unterschiede in Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit bestehen und Handelsbilanzen unausgeglichen blieben, war die materielle Grundlage für die jetzige Krise seit dem Beginn der Eurozone gegeben. Die europäische Integration und insbesondere die Währungsunion müssen als Klassenstrategien und imperialistische Politik begriffen werden. Einerseits war die Währungsunion nicht nur eine Erleichterung für Investitionen und zwischenstaatliche Handelsund Finanzströme. Sie war auch eine bewusste Entscheidung der hegemonialen »Kernländer« der EU und der nicht-hegemonialen Länder, schützende Barrieren abzubauen und den daraus entstehenden Wettbewerbsdruck als Mittel für kapitalistische Umstrukturierungen zu nutzen. Andererseits war sie eine Strategie der hegemonialen Kräfte, um von dem größeren Wirtschaftsraum für Investitionen und von der Architektur der Eurozone selbst zu profitieren. In diesem zweiten Sinne war es eine imperialistische Strategie. Schon die Architektur der Eurozone führt zu einer Situation, in der Deutschland durch die Unterschiede in Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und Inflation einen ständigen Abwertungs-Wettkampf gegen Länder wie Griechenland führt. Die derzeitigen Wachstumstendenzen der deutschen Wirtschaft sind das Resultat anhaltender Angriffe auf die Beschäftigten – und sie beruhen auf der Funktionsweise der Eurozone. Diese Unausgeglichenheiten könnten in Zeiten relativen Wachstums und relativer Stabilität toleriert werden. Die herrschenden Eliten peripherer Gesellschaften wie der griechischen könnten die günstigeren Kredite oder den leichteren Zugang für Importe nutzen oder sie als politische Instrumente einsetzen, um die Zustimmung zur neoliberalen Politik innerhalb der subalternen Klassen zu verbreitern. Dies ist einer der Mechanismen, die zur griechischen Staatsschuldenkrise führten, denn nur durch zunehmende Verschuldung konnten die Konsumgewohnheiten und Staatsausgaben aufrecht erhalten werden. Der Euro konnte Unterstützung gewinnen, da er stabiler erschien als die meisten nationalen Währungen – vor allem im Vergleich zu denjenigen, die mit Inflation assoziiert wurden. Dadurch wurde der Euro zu Anfang positiv gesehen, obwohl er in den meisten Fällen mit Preissteigerungen einher ging. Jetzt zeigt sich die wahre Natur des Euro als wirtschaftspolitischem Mechanismus. Er kann nur zu einem »Negativ-Wettlauf« der Sparmaßnahmen führen, zu endlosen Opfern und einer fortwährenden Erosion der produktiven Basis peripherer Länder. Das ist das wahre Gesicht des europäischen Integrationsprozesses. Entgegen der vorherrschenden Erzählung, dass die griechische Gesellschaft durch Subventionen, die Finanzierung öffentlicher Bauvorhaben und die Modernisierung von Institutionen von der EU-Mitgliedschaft profitieren würde, ist die Bilanz der Beziehung Griechenlands zur europäischen Integration unter dem Strich negativ: Umstrukturierung der Landwirtschaft, Zwangsprivatisierung der Infrastruktur, Handelsdefizite, Implementierung von Hochschulreformen im Rahmen des »Bologna-Prozesses«, steigende Verschuldung. Die Europäische Union könnte ein Vehikel zur Umverteilung von Ressourcen sein, ein Raum der Annäherung und des sozialen Zusammenhalts, der von zwischenstaatlicher Solidarität getragen wird, oder eine föderale demokratische politische Einheit, die den Euro als Währung teilt. Die derzeitigen Kräfteverhältnisse lassen dies nicht zu. Alle institutionellen Entwicklungen der Europäischen Union wirken in die entgegen gesetzte Richtung. In diesem Zusammenhang ist die derzeitige Wende der EU-Maßnahmen entscheidend. Von Anfang an waren Einschränkungen nationaler Souveränität im Namen der Integration Teil der Logik des europäischen Projekts. Heute nimmt dies nicht mehr nur die Form einer freiwilligen Aufgabe von Souveränität unter Gleichen zugunsten eines Machtzuwachses der europäischen Institutionen und Behörden an; den EU-Mechanismen und hegemonialen Ländern wird immer mehr Macht eingeräumt, um zu intervenieren und Maßnahmen zu diktieren. In der heutigen Situation der Schuldenkrise wurden die peripheren Länder offen zur Aufgabe der Souveränität ihrer Regierungen gedrängt.3 Griechenland ist ein Beispiel für die Entwicklung hin zu eingeschränkter Souveränität. Im Zuge der Rettungs-Pakete erlangten EU und IWF – als Teil der so genannten Troika aus EU, IWF und EZB – die Macht, nicht nur politische Maßnahmen, sondern auch Formen der Governance zu diktieren. Die Erpressung der politischen Eliten Griechenlands, im November 2011 die Regierung unter Premierminister Papadimos zu bilden, zeigte dies anschaulich. Die neuen Kreditvereinbarungen bemächtigen RepräsentantInnen der EU und des IWF, die politischen Prozesse des Landes zu überwachen und einzuschreiten.4 Vielfach geht dies mit fast neokolonialen Andeutungen einher, wie unfähig die Griechen seien, ihre Probleme zu lösen, da sie chronisch faul seien und keinerlei kapitalistische Disziplin an den Tag legen würden.5  Trotz allen angeblichen Ermunterungen, dass Griechenland mit ein wenig Hilfe der europäischen Institutionen wieder auf die Beine kommen würde, wird ein riesiger Apparat zur Aufsicht der Wirtschaft aufgebaut, der parallel zu den eigentlichen Entscheidungsprozessen der Regierung funktioniert. In den oberen Etagen der griechischen Ministerien schreiben die Repräsentanten der Troika nicht nur in Zusammenarbeit mit Angehörigen der jeweiligen Ministerien griechische Gesetze um, sie gestalten auch das soziale Gefüge neu. Die Rhetorik wirklicher Annäherung und technologie- und innovationsbasierten Wachstums ist verhallt. Das neue »Wachstumsmodell« für Griechenland basiert auf Exportvorteilen durch niedrige Löhne und darauf, jegliche umweltpolitischen, archäologischen oder sozialen Hindernisse für Investitionen zu beseitigen. Dies bedeutet nicht, dass die EU einfach einem ganzen Land diktieren würde, was zu tun sei. Das wäre eine zu grobe Vereinfachung der Art und Weise, wie die Maßnahmen der EU und die Klassen-Strategien verbunden werden. Das griechische Kapital unterstützt diese Politik offen, obwohl eine lang andauernde Rezession auch von den kapitalistischen Unternehmen einen hohen Tribut fordert. Tatsächlich scheinen sie diesen Zustand eingeschränkter Souveränität zu nutzen, um auf gewalttätige Weise die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu verschieben und sich der Rechte der Beschäftigten zu entledigen, die in mehr als einem Jahrhundert erkämpft worden waren.6 Alle Versuche, die europäische Einigung voranzutreiben – den gescheiterten Versuch einer europäischen Verfassung, der schließlich zum Lissabonner Vertrag führte, eingeschlossen –, sind offen und aggressiv neoliberal. Und diese Wende zu eingeschränkter Souveränität ist tief reaktionär und undemokratisch: Die verfassungsmäßige Festschreibung des Neoliberalismus und des »Freien Marktes« durch die Zunahme an Wichtigkeit, Umfang und Befugnissen der supranationalen europäischen Legislative und Regulierung vollzieht sich auf Kosten der Demokratie und der Souveränität der Bevölkerung. Sie schränkt gezielt die Möglichkeitsräume sozialer Bewegungen und der politischen Linken ein, die Kräfteverhältnisse innerhalb der europäischen Gesellschaften zu verschieben. Die Diskussion um eine »Europäische Wirtschafts-Regierung«, die sich in der Unterzeichnung des europäischen Fiskalpaktes durch die Mitgliedsländer niederschlägt, stärkt weiter die Institutionen der EU: etwa die Verweise auf Zwangsmaßnahmen zur Haushaltskonsolidierung und Strafmechanismen für Länder mit zu hohen Staatsausgaben sowie die Forderungen, permanente Sparpolitik in den Länderverfassungen festzuschreiben. An Griechenland lässt sich ablesen, was auf andere europäische Länder noch zukommen wird. Die Bestimmungen des Kreditvertrages – die endlose Liste gewalttätiger Maßnahmen, die vor jeder Teilzahlung des Rettungspaketes an Griechenland durchgesetzt werden müssen, die Mechanismen permanenter Aufsicht, die an koloniales Regierungswesen erinnern – all diese Entscheidungen haben nichts mit einem »griechischen Sonderweg« zu tun, sondern sind integrale Bestandteile der derzeitigen Form europäischer Integration. Die neuen Formen der Kooperation zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Union markieren einen entscheidenden Wendepunkt innerhalb der Politik der EU und der Strategien der Integration. Sie umfassen auch aggressive »Strukturanpassungsmaßnahmen« des IWF, deren katastrophale Auswirkungen vor allem in lateinamerikanischen Ländern umfassend dokumentiert sind. Hinzu kommt eine wachsende Entschlossenheit Deutschlands und anderer europäischer »Kernländer« eine offener hegemoniale Rolle einzunehmen, was der ideologischen Mythologie von der »Gemeinschaft der Gleichen« ein Ende bereitet (vgl. Anderson in diesem Heft). Diese Wende ist post-demokratisch und post-hegemonial: Neoliberale Politikansätze werden weiter verfolgt, obwohl die derzeitige kapitalistische Krise das Scheitern des Neoliberalismus bereits bezeugt hat. Politik wird lediglich als Autopilot-Programm immer aggressiverer Lösungen präsentiert, die keinerlei Rücksicht auf gesellschaftliche Bündnisse oder soziale Kosten nehmen. Das erklärt auch die autoritäre Wende, die überall in Europa zu beobachten ist. Es ist nicht so, dass sie nicht um die Gefahren sozialer Explosionen wüssten. Das Problem ist, dass sie absolut unfähig zu sein scheinen, diese Einschätzung in ihr politisches Kalkül mit einzubeziehen und ihr Vorgehen entsprechend zu ändern. In den letzten zwei Jahren wurden wir Zeugen, wie ein Bankier der EZB zwangsweise als Premierminister eingesetzt wurde, wie Verabschiedungen umfangreicher Gesetzestexte ohne jegliche Diskussion erzwungen wurden (in Griechenland ist es nicht ungewöhnlich, dass mehrere hundert Seiten Gesetzestexte an einem einzigen Tag vom Parlament abgesegnet werden). Parteien und Parlamentsabgeordnete, die jegliche Form der Legitimität eingebüßt hatten, wurden als nützliche Zombies instrumentalisiert, um die Forderungen der Gläubiger in Gesetze zu überführen. Ich denke, es ist notwendig, für einen Bruch mit dem Projekt der europäischen Integration zu plädieren. Dabei will ich nicht die Wichtigkeit aller demokratischen und internationalistischen Traditionen der Arbeiterbewegung und der europäischen Linken außer Acht lassen, die in der Vision eines Europa der Demokratie, Zusammenarbeit und der sozialen Gerechtigkeit zum Ausdruck kommen (vgl. Händel in diesem Heft). Aber diese haben nichts mit der materiellen Realität des tatsächlichen institutionellen Rahmens der Europäischen Union zu tun. Der berühmte acquis communautaire ist nichts anderes als der Versuch, kapitalistische Imperative in ganz Europa durchzusetzen. Nicht einmal die Vision einer demokratischen Europäischen Union hat etwas mit der Eurozone oder der derzeitigen Politik zu tun. Die Argumente, soziale Bewegungen könnten auf europäischer Ebene bessere Ergebnisse erzielen, sind gut gemeint. Ich denke, das Gegenteil ist der Fall. Die europäischen Institutionen mit ihrem inhärenten Neoliberalismus und strukturellen »Demokratiedefizit« sind in keinem Fall ein besseres Umfeld für Kämpfe als die sozialen Strukturen und politischen Einheiten innerhalb der Länder. Außerdem stellt die finanzpolitische und monetäre Architektur der EU, für die der Euro ein Beispiel ist, ein zentrales Hindernis für gesellschaftliche Veränderungen dar. Durch einen Bruch mit der Europäischen Union eine gewisse Form der monetären und wirtschaftlichen Souveränität wiederzugewinnen, erscheint derzeit als einzig gangbarer Weg zu einem sozial gerechten Umgang mit der Krise. Es geht nicht darum, die Eurozone lediglich als »technische« monetäre Maßnahme zu verlassen.Dieser Schritt sollte mit einer Reihe anderer radikaler Maßnahmen einhergehen, wie einer unverzüglichen Einstellung des Schuldendienstes, der Verstaatlichung von Banken und strategischer Infrastruktur sowie der Wiedereinführung von Maßnahmen zur Kapitalkontrolle. Darüber hinaus muss dieser Schritt als Auftakt eines Prozesses gesellschaftlicher Veränderung verstanden werden – bei dem eine Stärkung von öffentlichem Eigentum, das Prinzip der Selbstverwaltung, alternativer, nicht-kommerzieller Netzwerke für die Distribution von Waren und des Umweltschutzes als Aspekte einer notwendigen Neudefinition sozialistischer Strategien verstanden werden. Dafür sind breite soziale und politische Bündnisse mit radikaler antikapitalistischer Ausrichtung notwendig. Nichts von alledem wird möglich sein, solange die Europäische Zentralbank die Finanzpolitik beherrscht, die EU und der Internationale Währungsfonds die griechischen Ministerien beaufsichtigen und die EU-Richtlinien weiter bestehen, die Privatisierungen obligatorisch machen und jede Form nationaler Industriepolitik untersagen. Ein Austritt aus der Eurozone zielt nicht auf eine wettbewerbsbedingte Abwertung der Währung. Er ist vielmehr ein Versuch, die monetäre Souveränität wieder zu erlangen – als Teil eines Bruchs mit dem »real existierenden Neoliberalismus« durch ein gegenhegemoniales Bündnis der subalternen Klassen. Er ist keine Form ökonomischen Protektionismus, sondern ein Versuch, kollektive Produktivkräfte gegen die Gewalt kapitalistischer Internationalisierung zu verteidigen. Er ist kein Wirtschaftsnationalismus, sondern der Versuch, das aggressive imperialistische kapitalistische Währungssystem zu zerschlagen, das nur den Interessen multinationaler Konzerne und großer Banken dient. Dies ist ein internationalistischer Standpunkt. Nur die Auflösung des monetären und politischen Rahmens der Europäischen Union kann das wirkliche Potenzial der Kooperation europäischer sozialer Bewegungen und Bevölkerungen frei setzen. Es erfordert einen langen Kampf, die Europäische Union durch eine neue Form der Kooperation zu ersetzen. Er muss damit beginnen, dass einzelne Länder die Eurozone oder die EU verlassen bzw. ihre Beziehung zu ihr neu definieren. Es ist unmöglich, solch tiefgreifende Veränderungen durch einfache Beschlüsse und Entscheidungsprozesse innerhalb der EU zu bewirken. Sie müssen die Form eines Bruchs annehmen. Anstatt darüber nachzudenken, wie soziale Bewegungen Druck auf Institutionen ausüben können, deren institutionelle Beschaffenheit sie schon immun gegen solchen Druck macht, oder nach Möglichkeiten einer tatsächlich progressiven Mehrheit innerhalb der EU zu suchen, die sich nach ihrer Erweiterung zudem politisch nach rechts verschoben hat – ist es nicht sinnvoller, nach Wegen zu suchen, wie soziale Bewegungen und die politische Linke wirkliche Brüche mit der Politik und den Institutionen der Europäischen Union bewirken können? Dies erscheint umso wichtiger, wenn wir bedenken, dass eine zentrale Herausforderung für soziale und politische Kämpfe ist, die »Souveränität des Volkes« neu zu definieren. Dabei dürfen wir nicht die Mystifizierung der Tradition europäischer Verfassungen wiederholen. Die Souveränität der Bevölkerung muss verstanden werden als die kollektive Fähigkeit breiter Bündnisse von Beschäftigten und anderen subalternen Klassen, ihren Willen gegenüber kapitalistischen Imperativen durchzusetzen. Das bedeutet, dass die Versuche, den sozialen und politischen Raum Europas grundlegend anders zu denken und zu gestalten, kein gesamt-europäischer Prozess sein können. Es müssen komplexere und unebenere Wege gewählt werden, bei denen bestimmte Länder als »schwache Glieder der Kette« Wege für breitere Transformationsprozesse eröffnen. Jedes Nachdenken über einen sozial gerechten und demokratischen Weg aus der Krise muss eine radikale Neudefinition der griechischen Außenbeziehungen mit sich bringen, unter anderem zur Eurozone und zur EU. Neue Formen der Kooperation können auch jenseits der Beschränkungen der Europä- ischen Integration entwickelt werden, das soll nicht außer Acht bleiben. Mit der neoliberalen Europäischen Union zu brechen, ist aber der einzige Weg, um internationale Beziehungen aufzubauen, die auf Prinzipien wie Gerechtigkeit, Solidarität und beidseitigem Nutzen beruhen. In Zeiten, in denen die Liberalisierung der Finanz- und Warenströme zum Schlachtruf aggressiver kapitalistischer Imperative geworden ist, kann nur eine Art Abkopplung von der kapitalistischen Internalisierung Raum für alternative Formen des Austausches und der Solidarität schaffen. In den letzten zwei Jahren sind wir Zeugen einer beeindruckenden Welle sozialer Proteste und Aufstände geworden, vom »arabischen Frühling« bis auf die griechischen Plätze. Gesellschaftliche Veränderungen scheinen wieder möglicher. Man kann wohl annehmen, dass Gesellschaften, die mit anderen Formen sozialer Organisation experimentieren, nicht allein dastehen werden. Die Art und Weise, wie sich Länder auf internationaler Ebene verhalten, hängt vor allem davon ab, welche gesellschaftlichen Beziehungen in ihnen vorherrschen. Länder und Gesellschaften, die sich in Prozessen sozialer Veränderung befinden, werden eher bereit sein, ihre Beziehungen auf Gerechtigkeit und Solidarität auszurichten. Dies beantwortet auch die Frage nach der Isolation. Die Eurozone zu verlassen, führt nicht in die Isolation, sondern eröffnet den einzigen Weg zu einem breiteren Spektrum möglicher Formen internationaler und wirtschaftlicher Beziehungen. In der griechischen Mythologie wird Europa mit Gewalt und Trauma assoziiert. Auf eine merkwürdige Weise ereignen sich beide gerade. Der Kampf nicht innerhalb, sondern gegen das »Europäische Projekt« ist der einzige Weg, Europa für seine Bevölkerung wieder zurück zu gewinnen. Aus dem Englischen von Tashy Endres  

Anmerkungen

1 Die Bank von Griechenland prognostiziert, dass bis Ende 2012 die Reallöhne im Vergleich zu 2009 um mehr als 25% fallen werden. (Währungspolitischer Bericht 2011-2012 der Bank von Griechenland, Athen, 2012, S. 75 (auf griechisch) www.bankofgreece.gr/BogEkdoseis/NomPol20112012.pdf) 2 Zur Krise der Eurozone vgl. C. Lapavitsas et al., Breaking up? A Route out of the Eurozone Crisis, London: Research on Money and Finance, 2011, www.researchonmoneyandfinance. org/wp-content/uploads/2011/11/Eurozone-Crisis-RMFReport-3-Breaking-Up.pdf 3 Der Vorsitzende der Euro-Gruppe Jean-Claude Juncker forderte öffentlich, in einem Interview im Juli 2011, die Souveränität Griechenlands massiv einzuschränken (www. reuters.com/article/2011/07/03/us-greece-juncker-idUSTRE7620ZK20110703). 4 Zu den aktuellen Entwicklungen in Griechenland vgl. S. Kouvelakis, »The Greek Cualdron« in: New Left Review, 72, 2011 und P. Sotiris, »Greece: From Despair to Resistance« in: Greek Left Review http://greekleftreview.wordpress. com/2012/02/13/greece-from-despair-to-resistance/. 5 Vgl. Stephan Kaufmann, Sell your islands, you bankrupt Greeks. 20 popular fallacies concerning the debt crisis, Rosa Luxemburg Stiftung, 2011. 6 Vgl. P. Sotiris, ›Growth Model‹ or strategy for disaster? www.thepressproject.net/detailsen.php?id=15793 7 Zu den technischen und soziopolitischen Aspekten eines möglichen Austritts aus der Eurozone vgl. Lapavitsas et al. op.cit.