Wie kann man in einer Zeit des Katastrophenkapitalismus sinnvoll und verantwortlich von »Hoffnung« sprechen oder sogar als linke Partei »die Hoffnung organisieren«, wie das Leitthema des Bundesparteitags in Chemnitz im Mai 2025 proklamierte? Meine Frage zielt nicht darauf ab, das Nachdenken über unsere Hoffnungsressourcen, ihre Aktivierung und Stabilisierung zu delegitimieren. Aber in der spektakulären Aufmerksamkeitsökonomie unserer digitalisierten Welt sind wir immer in Gefahr, die Rede von der Hoffnung zur Beschwörungsformel verkommen zu lassen. Als solche kann sie nicht dauerhaft wirksam sein, sondern wird von den zu erwartenden Niederlagen erstickt oder verliert sich im alltäglichen Ansturm kapitalistischer Glücksversprechen.
Ich schlage deshalb vor, das Nachdenken über Hoffnung an ihrem Gegenpol zu beginnen. Gramsci hat ihn als »Pessimismus der Intelligenz« bezeichnet und als unabdingbares Gegenstück eines »Optimismus des Willens« behandelt (Gef. 28, § 11, 2232). Diese beiden scheinbar entgegengesetzten Haltungen bilden für ihn eine untrennbare Einheit.
»Pessimismus der Intelligenz« – eine Momentaufnahme
Dass wir auf dieser Spur eher in der Hoffnungslosigkeit landen, ist kaum von der Hand zu weisen. Nicht nur in Trumps USA, auch in Europa stecken wir in einer Konstellation, in der die Oligarchisierung oder gar Faschisierung der bürgerlichen Gesellschaft nahezu unaufhaltsam erscheint. Ulrich Brand und Markus Wissen (2024) zufolge befinden wir uns in einem Stadium des Kapitalismus, in dem die gesellschaftlichen Widersprüche »nur noch durch eine autoritäre Transformation der Demokratie bearbeitet werden können«, wobei die radikale Rechte oft »nur der extreme Ausdruck einer Entwicklung [ist], die in manchen Bereichen auch von den bürgerlichen Kräften vorangetrieben wird« (ebd., 194f).
Walter Benjamin (1941) interpretiert Paul Klees Bild Angelus Novus als Engel der Geschichte, der vom Sturm des vermeintlichen Fortschritts rückwärts in die Zukunft geschleudert wird, während »eine einzige Katastrophe […] unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert« (ebd., 697). Hilf- und fassungslos erleben wir, wie Israel in Gaza trotz Massendemonstrationen und kreativer Protestaktionen (wie z. B. die Sumud Flotilla) einen Völkermord begeht, dessen Ende trotz proklamierter Waffenruhe nicht absehbar ist. Spätestens seit dem von der Washington Post im August 2025 veröffentlichten Plan eines »Gaza Reconstitution, Economic Acceleration and Transformation Trust« ist bekannt, dass das neokoloniale Projekt nicht nur von einer rechtsradikalen Netanjahu-Regierung betrieben, sondern auch von den Großkonzernen des Hightech-Kapitalismus unterstützt wird: Im Norden Gazas soll eine »Elon Musk Smart Manufacturing Zone«, im Süden ein »American Data Safe Haven« errichtet werden, entlang der Küste die »Gaza Trump Riviera« mit etwa sechs bis acht »free cities«, wie sie die Trump-Regierung auch für die USA vorsieht. Dass die gegenwärtigen Kriege und die forcierte Aufrüstung auch angesichts der ökologischen Katastrophe ein Verbrechen darstellen, wird weithin gespürt, ohne dass dies bisher zu einer Friedensbewegung führte, die dem militaristischen Wahn in die Speichen fallen könnte. Der kapitalistische Akkumulationstrieb hat sich in einen Todestrieb verwandelt, der die menschliche Zivilisation mitsamt der sie umgebenden und ermöglichenden Biosphäre zu verschlingen droht.
Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, die pessimistischen Zeitdiagnosen der ersten Generation der Kritischen Theorie wieder zu lesen, die Therborn (1996, 67) als »dunkle Denker des Marxismus« gewürdigt hat. Die neue Ideologie der »Kulturindustrie« habe die Funktion, ein »lückenlos geschlossenes Dasein« zu verdoppeln und ins unhinterfragbare »Reich der Tatsachen« zu erheben, heißt es in der »Dialektik der Aufklärung« (Adorno/Horkheimer 1981 [1944], 170ff). Mehr noch: Da die Beherrschten die herrschende Moral ernster nehmen als die Herrschenden selbst, entwickeln sie zu dem, was man ihnen antut, eine »böse Liebe«, die der Klugheit der ideologischen Instanzen »noch voraus[eilt]«: »Unbeirrbar bestehen sie auf der Ideologie, durch die man sie versklavt.« (Ebd., 155) In der von der Kulturindustrie geleisteten Subjektkonstitution bedeute »personality« kaum noch mehr als »blendend weiße Zähne und Freiheit von Achselschweiß und Emotionen« (ebd., 191).
Zu Recht ist der Kritischen Theorie von vielen Seiten die Unterstellung eines perfekten Verblendungszusammenhangs vorgeworfen worden, bei dem aktive Kulturtätigkeit und subversiv-widerständige Dekodierung ausgeschlossen sind. Ihr schwächster Punkt sei ihre »Unfähigkeit, die befreienden Tendenzen innerhalb der bestehenden Gesellschaft aufzuweisen«, resümiert Marcuse (1994 [1965], 265). Aber trotz ihrer Einseitigkeit erfasst sie durchaus realistisch den Aspekt, dass sich Möglichkeitsräume verkleinern oder auch schließen können. Eine nüchterne Analyse muss auch solche Schließungen einbeziehen, freilich ohne sie zu verabsolutieren.
Tatsächlich ist die Geschichte voll von Zeugnissen, dass die Hoffnung in den dunkelsten Zeiten der Hoffnungslosigkeit aufbrechen kann (z. B. das Kreuz als verächtlichstes Stigma der Todesstrafe im Römischen Reich, das sich zum Charisma eines christlichen Neuanfangs wandelte). Nicht weniger als die illusionäre Hoffnung kann auch die metaphysische Űberhöhung des Ausharrens im Sinn- und Ausweglosen zur Aufrechterhaltung der Herrschaft in Dienst genommen werden. »Ideologie und Kulturindustrie arbeiten periodisch daran, Hoffnungslosigkeit zu ästhetisieren und als Weltverhältnis konsumierbar zu machen.« (Haug 2004, 481)
Wir stehen also vor einer doppelten Schwierigkeit: Zum einen sind wir konfrontiert mit einem weitverbreiteten und tief verankerten Nihilismus, der die Hoffnungen auf eine bewohnbare Welt aufgegeben hat und entweder nur noch für sich privat etwas herauszuschlagen versucht oder in lähmende Handlungsunfähigkeit (Depressionen, Drogen, Spielsucht etc.) fällt. Zum anderen laufen wir Gefahr, dass unsere Appelle an die Hoffnung angesichts der wirklichen Kräfteverhältnisse als unrealistisch erscheinen. Wenn Hoffnung nach Bloch (1979, 83) »die menschlichste aller Gemütsbewegungen« ist, so wird sie zugleich in Ermangelung von Verwirklichungsmöglichkeiten leicht zur »leeren Hoffnung«. Zudem ist in Klassengesellschaften, in denen Emanzipation und Selbstverwirklichung sich vornehmlich auf Kosten anderer, davon Ausgeschlossener vollziehen, die Hoffnung selbst von sozialen Gegensätzen durchzogen. Was den einen die Hoffnung auf Sieg, sozialen Aufstieg und Anerkennung, ist den anderen die Aussicht auf Untergang, Elend und Missachtung.
Arbeit an der Fundierung und Konkretisierung von Hoffnungen
Bei Marx und Engels stoßen wir auf einen interessanten Widerspruch. Einerseits verwenden sie den Ausdruck Hoffnung meist mit den negativen Konnotationen des Illusionären – zum Beispiel als »frommen Wunsch«, der im Gegensatz zur »besseren Erkenntnis« steht (MEW 1, 18); andererseits trugen ihre Theorien und die von ihnen inspirierten Bewegungen und Parteien zu einer ungeheuren Freisetzung von Hoffnungspotenzialen bei, die hinsichtlich ihrer Dynamik und Intensität mit dem frühen Christentum verglichen werden kann. Der ethische Kern dieser Freisetzung ist der »kategorische Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist« (385). Damit verbunden ist der Kritiktypus einer »bestimmten Negation«, die sich dadurch auszeichnet, »nicht dogmatisch die Welt [zu] antizipieren« (344), sondern die im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft entwickelten »Elemente der neuen Gesellschaft« aufzufinden und »in Freiheit zu setzen« (MEW 17, 343). Intendiert ist auch eine kritische Beerbung, die zutage fördert, »dass die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewusstsein besitzen muss, um sie wirklich zu besitzen« (MEW 1, 346). Beansprucht ist also eine Űbersetzung traumhafter Hoffnungen in bewusste und begründete. Zieht man bei Marx’ Kritik am Utopismus den polemischen Űberschuss ab, geht es im Kern um die Entwicklung eines analytischen Instrumentariums, das es erlaubt, zwischen illusionären und realistischen Hoffnungen zu unterscheiden.
Freilich erwies sich der von Engels verkündete Sprung »von der Utopie zur Wissenschaft« als eine rationalistisch einseitige Illusion, die selbst utopische Züge aufwies. Ernst Bloch kritisiert, dieser Übergang sei zu schnell erfolgt, nämlich »dergestalt, dass mit der Wolke auch die Feuersäule der Utopie liquidiert werden konnte«, was zu einer »Unterernährung der revolutionären Phantasie« (1979, 726) geführt habe. Vor diesem Hintergrund ist Blochs »Prinzip Hoffnung« als Projekt zu verstehen, die im deterministischen Marxismus abgesprengten utopischen Gehalte in den unterschiedlichsten Gestalten aufzusuchen und mit den analytischen Errungenschaften der marxschen Kritik zu verbinden. Vorgeschlagen wird eine Erweiterung, die beide Seiten aufnimmt: Die bestimmte Negation marxscher Kritik wird als »Kältestrom« reartikuliert und als konkrete »Bedingungsanalyse« mitsamt Ideologiekritik und »Entzauberung des metaphysischen Scheins« ausgewiesen. Diesem analytischen Strom verdanke der Marxismus seine Qualität als »Bedingungs- und Oppositionswissenschaft«. Zum »Wärmestrom« gehört dagegen die »befreiende Intention«, gerichtet auf ein Fernziel, bei dem Mensch und Welt sich nicht mehr fremd sind (240f). In dieser Perspektive sind Gesellschaft und nicht-menschliche Natur durch eine »Naturallianz« verbunden, bei der die Technik nicht mehr in der Natur steht wie eine »Besatzungsarmee im Feindesland«, sondern in der Lage ist, sich mit der »Mitproduktivität der Natur zu vermitteln« (807, 813f). »Erst Kälte und Wärme konkreter Antizipation zusammen [...] bewirken, dass weder Weg an sich noch Ziel an sich undialektisch voneinander abgehalten und so verdinglicht-isoliert werden.« (240)
An die Stelle des allzu abstrakten Gegensatzes zwischen Utopie und Wissenschaft tritt somit die Unterscheidung zwischen »abstrakter« und »konkreter Utopie«, bei der die Weltverbesserung als »geschulte Arbeit in und mit wirklichen Tendenzen« erfolgt (723). Es geht Bloch um die Entwicklung einer »fundierten […], mit dem real Möglichen vermittelten« Hoffnung (389). Deshalb bestimmt er die Hoffnung nicht nur emotional als »Erwartungsaffekt«, sondern auch als »Richtungsakt kognitiver Art« (10f), »fähig zu logisch-konkreter Berichtigung und Schärfung« (126). Sie kann somit gelernt werden (5).
Ausgangspunkt: Hoffnungen im Alltagsleben
Bloch zufolge ist die Hoffnung nicht nur ein Gefühl oder eine intellektuelle Einsicht, sondern auch eine weithin unerforschte »Weltstelle« (5), das heißt eine Komponente der Wirklichkeit selbst. Damit ist die traditionelle Entgegensetzung von Subjekt und Objekt durchbrochen. Sobald die Wirklichkeit nicht mehr positivistisch als Ansammlung von »Tatsachen«, sondern praxisphilosophisch als Ensemble praktisch vermittelter gesellschaftlicher Naturverhältnisse verstanden wird, schließt sie die Hoffnungen als Triebkräfte des Handelns mit ein.
Ausgangspunkt linker Politik sind zunächst die Hoffnungen im Alltag. Bei Adorno und Horkheimer (1981 [1944], 145f) scheint es ausgemacht, dass die von Kant diagnostizierte Fähigkeit, die Mannigfaltigkeit der sinnlichen Eindrücke mithilfe eines Apriori-Mechanismus in Anschauungen und Urteile zu transformieren, dem Subjekt von der Kulturindustrie abgenommen wurde. Hier gibt es offenbar nichts mehr zu synthetisieren, was nicht schon zuvor vorprogrammiert wäre. Dagegen ist bei Gramsci der Alltagsverstand (senso commune) weder »falsch« noch durchgehend manipuliert, sondern widersprüchlich zusammengesetzt, er enthält immer auch ein potenziell gegenhegemoniales Widerlager, den »gesunden Menschenverstand« (buon senso), der sich durch realistische Realitätsbeobachtung und Experimentiergeist auszeichnet (Gef. 10.II, 1338). Mit ihm müsse sich eine Philosophie der Praxis verbinden, um von dort aus das Gewicht der Ideologien im Alltagsverstand zurückzudrängen und diesen kohärenter zu machen. Bloch fügt eine wichtige Dimension hinzu, nämlich die der Tagträume, von denen »das Leben aller Menschen durchzogen ist« (1979, 1). Auch das »privateste und unwissendste wishful thinking […] kann informiert« und mit großen gesellschaftlichen Entwürfen eines guten Lebens für alle vermittelt werden (1616).
Hier liegt die prekäre Grundhoffnung linker Theorie und Praxis: dass Menschen auch unter fremder Hegemonie immer wieder selbst Erfahrungen machen und Vorstellungen eines besseren Lebens entwickeln, die grundsätzlich aus den ideologischen Űberformungen herausgelöst und zu einer widerständigen und selbstbestimmten Weltanschauung weiterentwickelt werden können. Deshalb ist der Ansatz der Partei Die Linke, an die Haustüren zu gehen, den Menschen zuzuhören (statt sie zu belehren) und von ihren Erfahrungen und Erwartungen aus die politischen Schwerpunkte zu entwickeln, weit mehr als eine Wahlstrategie: Nur auf dieser Grundlage kann es gelingen, Hoffnungspotenziale zu erschließen, durch die Verdichtung auf Forderungen zu bestärken und den Alltagsverstand nach links zu verschieben.
Hoffnungsaufbrüche und ihre Enttäuschungen
Hoffnungen können nicht von Politiker*innen erzeugt werden, sondern sie sind »da«, freilich in der Regel keimhaft und vereinzelt, sodass es darauf ankommt, ob und wie sie verknüpft und verdichtet werden. Wenn zum Beispiel nach Jeremy Corbyns Ankündigung am
24. Juli 2025, zusammen mit Zarah Sultana eine linke Partei zu gründen, innerhalb eines Monats über 800 000 Unterzeichner*innen ihre Unterstützung bekunden, ist dies eine Realität, die empirisch beobachtbar und gesellschaftswissenschaftlich erklärbar ist. Ähnliches gilt für den eindrucksvollen Sieg des demokratischen Sozialisten Zohran Mamdani bei den New Yorker Bürgermeisterwahlen, und nicht zuletzt für die weithin für tot erklärte deutsche Linkspartei, die im Februar 2025 bei den Bundestagswahlen eine »Auferstehung aus der Asche« erlebte.
In diesen Beispielen manifestieren sich Aufbruchsbewegungen der Hoffnung. Sie werden weder am Reißbrett entworfen, noch brechen sie als reines »Ereignis« von außen in die Wirklichkeit ein. Das Problem scheint darin zu liegen, dass sie sowohl vorbereitet sind als auch in gewissem Sinne nicht vorbereitet werden können. Althusser (1968, 137) hat versucht, diese Widersprüchlichkeit mit dem von Freud übernommenen Begriff der Überdeterminierung zu fassen, der sich gegen eine im Marxismus weit verbreitete deterministische Ableitung aus der Őkonomie richtet und eine Mehrfachdeterminierung durch verschiedene Realitätsebenen bezeichnet. Bewegungen entstehen aus Dynamiken, die sich komplex überlagern, wobei gerade diese Überlagerungen nur zu einem bestimmten Grad geplant werden können.
So wurden die für Die Linke bei den Bundestagswahlen so erfolgreichen Strategien des Organizing und der Haustürgespräche schon seit über zehn Jahren entworfen, erprobt und propagiert, ohne dass sie sich in Wahlerfolgen niederschlagen konnten. Vor den Bundestagswahlen kamen dann verschiedene Bedingungen zusammen, die unerwartet eine Bündelung ermöglichten – freilich nicht »von selbst«, sondern weil es den Akteur*innen gelang, die Gelegenheiten aktiv und geistesgegenwärtig zu ergreifen. Zu nennen wären u. a. ein neues überzeugendes Führungsteam, das nach dem Weggang von Wagenknecht kohärenter auftreten konnte, die Ankündigung der Vorsitzenden, ihre Bezahlung auf das durchschnittliche Facharbeitergehalt zu beschränken, die von Friedrich Merz eingefädelte gemeinsame Abstimmung mit der AfD, die es Heidi Reichinnek ermöglichte, die Partei medienwirksam als antifaschistische »Brandmauer« zu präsentieren sowie ein stärker sichtbares Eintreten für die sozialen Interessen der Lohnarbeiter*innen.
Zu den Erfahrungen sozialer Bewegungen gehört freilich auch, dass diese nach einiger Zeit oft wieder versanden, sich innerlich zerfleischen, entweder kooptiert oder marginalisiert werden. Zu begreifen, wann, wie und unter welchen Bedingungen politische Projekte und Diskurse populare Zustimmung erzeugen und wieder verlieren, massenhaft Hoffnungen freisetzen und wieder enttäuschen, gehört zu den schwierigsten Herausforderungen linker Politik.
Die Privatisierung der Hoffnung überwinden
Es bietet sich an, das Nachdenken über Hoffnungsressourcen und -dynamiken mit Gramscis Hegemonietheorie zu verbinden und mit dieser nach den Bedingungen der Hoffnung bzw. Hoffnungslosigkeit zu fragen. Grob vereinfacht macht sich Hoffnungslosigkeit breit, wenn die Lebensbedingungen der popularen Klassen herabgedrückt, ihre Handlungsräume und Selbstbestimmungsbestrebungen vom herrschenden Machtblock blockiert oder erfolgreich kooptiert, entschärft und entfremdet werden. Unter den Bedingungen einer »passiven Revolution« (Gramsci) werden der Zivilgesellschaft lebendige Energien entzogen. »Die kulturellen Blumen werden ständig von den ideologischen Mächten gepflückt und als ›unverwelkbare‹ Kunstblumen von oben nach unten zurückgereicht, eingebaut in die vertikale Grundstruktur des Ideologischen«, beobachtete das Projekt Ideologietheorie (1979, 184).
Kennzeichnend für die bürgerliche Hegemonie in den kapitalistischen Zentren ist unter anderem, dass ihr weitgehend eine »Privatisierung der Hoffnung« gelungen ist, bei der die Träume einer besseren Welt auf den individuellen Aufstieg und das Wohl der eigenen Familie begrenzt sind. Der Neoliberalismus konnte einen vornehmlich »passiven Konsens« unter anderem dadurch absichern, dass potenziell oppositionelle soziale Bewegungen fragmentiert werden und sich in partikularistischen Identitätspolitiken und Kämpfen um gesellschaftliche Anerkennung verzetteln und erschöpfen.
Als Katharsis bezeichnet Gramsci den Űbergang von einer engen korporatistischen Interessenvertretung zu einer ethisch-politischen Stufe, wo die Hegemoniefrage auf »universeller Ebene« gestellt wird, sodass sie alle subalternen Klassen und Gruppen umfasst (Gef. 13, § 17) – diesen »kathartischen« Moment zu bestimmen, sei der »Ausgangspunkt für die gesamte Philosophie der Praxis« (Gef. 10.II, §6, 1259). Tatsächlich konnten gegenhegemoniale Erfolge vor allem dann erzielt werden, wenn es gelang, die unterschiedlichen Unterdrückungserfahrungen und Kämpfe zu verbinden und als Teil übergreifender Gerechtigkeits- und Űberlebensfragen zu artikulieren. Wie man am Beispiel des Occupy-Wallstreet-Slogans »We are the 99 %« beobachten konnte, entfachte die Artikulation einer identitätsübergreifenden sozialökonomischen Gemeinsamkeit eine Dynamik, mit der die Bewegung sich landesweit wie ein Lauffeuer ausbreiten konnte. Die Stränge können auch an anderen Verdichtungspunkten zusammenlaufen, zum Beispiel im (zeitweiligen) Aufschwung der Klimabewegungen. Eine systemkritische Sprengkraft kann wiederum dort entstehen, wo die Őkologiebewegung sich mit anderen Bewegungen verbindet, wie etwa mit Teilen der Gewerkschaften (»Wir fahren zusammen«), und wiederum auf andere Weise, wenn sie – symbolisiert durch Greta Thunberg – sich mit anti-imperialistischen Bewegungen gegen den Völkermord in Gaza vereinigt.
Die Linke muss wieder lernen, eine kraftvolle universalistische Politik zu entwickeln, die die Kritik an Kapitalismus, Imperialismus und Aufrüstung mit den Űberlebensfragen der Gattung und unserer Biosphäre verschränkt. Nur so ist es möglich, einen starken linken Pol der Solidarität aufzubauen, und dies ist wiederum die Bedingung dafür, der Rechtsentwicklung und Faschisierung eine überzeugende Alternative entgegenzusetzen.
Die Hoffnung organisieren
»Die Hoffnung organisieren« ist also eine komplexe Aufgabe. Ähnlich wie die von Rosa Luxemburg geforderte »revolutionäre Realpolitik«, mit der sie untrennbar verbunden ist, ist sie widersprüchlich zusammengesetzt, da es nur so möglich ist, in widersprüchlichen Konstellationen handlungsfähig zu sein: Die radikale Kritik an der kapitalistischen Lebenszerstörung muss einhergehen mit der Fähigkeit, auch die »kleinen« Hoffnungen im Alltag ernst zu nehmen, sie in konkreten Utopien zusammenzufügen und diese in freundlich-solidarischen Praxisformen zu vergegenwärtigen. Hierzu gehören Organisationsformen, die die Beteiligten befähigen, aktiv zu werden, Ziele zu entwickeln, Erfolge und Niederlagen gemeinsam auszuwerten. Linke Politik muss die Sehnsuchtsbilder eines befreiten, unentfremdeten und zugleich nachhaltigen Lebens für alle wach- und lebendig halten und sie zugleich mit einem Real-Möglichen vermitteln, das Bloch (1979, 275) zufolge die Wirklichkeit sowohl durchzieht als auch an ihrem vorderen Rand »umleuchtet«. Klaus Holzkamp (1985, 393) zufolge benötigen wir ein »begreifendes Möglichkeitsdenken«, das die jeweiligen Űbergänge von restriktiver, herrschaftskonformer zu allgemeiner Handlungsfähigkeit auslotet – möglich sind diese Űbergänge, wenn sich eine »als realisierbar erfahrene Möglichkeit eines besseren Lebens« abzeichnet (ebd., 400).
