Kommunismus nach dem Kipppunkt

Was bleibt vom kommunistischen Versprechen in einer Welt, die auf den Abgrund zusteuert? Das Manifest »The Tragedy of the Worker: Towards the Proletarocene« des Salvage Collective erschien 2021 bei Verso und entwirft eine Utopie jenseits von Fossilismus und Fortschrittsglauben. Wir veröffentlichen die Einleitung.

Proletarier aller Länder, vereinigt euch! 
Ihr habt nichts zu verlieren als eure Ketten. 
Ihr habt eine Welt zu gewinnen. 

Was, wenn die Welt schon verloren ist? Es war diese Frage, die uns quälte und dazu brachte, »The Tragedy of the Worker« zu schreiben. Von der Gegenwart aus betrachtet ist die Geschichte der kapitalistischen Entwicklung, wie von Marx vorhergesehen, die Geschichte der Herausbildung einer globalen Arbeiter*innenklasse, einer Proletarisierung des Gros der Weltbevölkerung. Doch genau dieser Prozess hat uns an den Abgrund einer Klimakatastrophe geführt. Unsere Lage ist, um an Trotzkis Begründung des Kriegskommunismus zu erinnern, im höchsten Maße tragisch.


Es ist nun klar, dass wir die Kipppunkte der Erderwärmung, vor denen uns die Forschung schon lange warnt, überschreiten und die jetzt schon katastrophalen Effekte der kapitalistischen Emissionen sich noch weiter verschärfen werden. Wie stellen wir uns also Emanzipation auf einem bestenfalls nur noch teilweise bewohnbaren Planeten vor? Während die Kommunist*innen einst die Kontrolle über die Produktionsmittel anstrebten und sich ausmalten, wie sie mithilfe der bis dahin beispiellosen Möglichkeiten der kapitalistischen Infrastruktur eine Welt des Überflusses errichten würden, müssen wir uns heute fragen: Wie wird es sein, nachdem die Apokalypse über uns hereingebrochen ist? Was bedeutet es, wenn jetzt, da der Kapitalismus wirklich global geworden ist, die von ihm erschaffenen Totengräber nicht nur sein eigenes Grab schaufeln, sondern darüber hinaus das meiste organische Leben auf der Erde vernichten?

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Unsere Antworten auf diese Fragen wurzeln weiterhin in der Politik eines revolutionären Kommunismus. Unser Standpunkt gründet nicht auf der Einbildung, es gäbe eine homöostatische Natur, die es zu verteidigen gilt, sondern auf der Kritik des kapitalistischen Stoffwechsels, der überwunden werden muss. Geowissenschaftler*innen sind es gewohnt, von »Kreisläufen« zu sprechen, in denen Substanzen in verschiedener Form zirkulieren: Wasser-, Gesteins- und Stickstoffkreisläufe, Glazial-Interglazial-Zyklen, der Kohlenstoffkreislauf und andere. Eine Sichtweise der Klimakatastrophe ist, diese Kreisläufe – insbesondere den Kohlenstoffkreislauf, aber nicht nur ihn – als gestört zu betrachten, als unter- bzw. überakkumulierend. Doch damit wird der grundlegendere Kreislauf ignoriert, um den die anderen nun wie Epizyklen kreisen, so wie die ptolemäischen Suborbits der Himmelskörper: der Kreislauf der Kapitalakkumulation W – G – W‘


Dieser Kreislauf akkumuliert Profit und Tod. Beides ist kein Zufall. Aus diesem Grund fußen die von den herrschenden Klassen erlaubten klimapolitischen Debatten um »Anpassung« versus »Abschwächung« auf falschen Prämissen. Was tatsächlich abgeschwächt werden soll, ist der Effekt der Klimakrise auf die Akkumulation, wobei auf die Ideologie, Wachstum komme allen zugute, zurückgegriffen wird. Anpassen sollen wir uns an die Parameter der Akkumulation. Das heißt: Es werden exakt so viele Inseln, Ökosysteme, indigene und nicht indigene Kulturen geopfert wie nötig, um den Imperativen der Akkumulation für eine bestimmte Zeit nachzukommen, solange, bis die nächsten Schwellen erreicht sind und weitere Leben dem Götzen des Kapitals geopfert werden müssen.


 

»Das Einzige, was tatsächlich ­abgeschwächt werden soll, ist der Effekt der Klimakrise auf die Akkumulation.«

Bereits jetzt ist in den modernen kapitalistischen Fossilismus eine gewisse Zahl zu akzeptierender Todesopfer eingepreist: Mindestens 8,7 Millionen Menschen werden laut einer Studie der Harvard-Universität jedes Jahr durch fossile Brennstoffe getötet. Sie werden als der notwendige Preis angesehen, den es für die überwältigenden Vorteile des fossilen Kapitalismus zu zahlen gilt. Und es ist kein Ende in Sicht, denn die Abholzung der Wälder, das Schmelzen der Polkappen, die Übersäuerung der Meere, die Bodenerosion sowie immer stärkere Waldbrände und Stürme reißen das Netz des Lebens in Fetzen. Wem bereits das nekropolitische Kalkül der Covid-19-Pandemie extrem erschien, der warte nur ab, bis dessen Prinzipien auf die Klimakatastrophe angewendet werden.


Revolution, das heißt Abschwächung und Anpassung. Wenn wir menschlichen Lebensraum auf der Erde erhalten wollen, dann wird uns nichts anderes übrig bleiben, als unsere Art des Machens, Denkens, Essens, Bewegens und Lebens zu ändern. In anderen Worten: Wir brauchen eine neue »Produktionsweise«. Auch sie wird eine Form der Anpassung sein. 


Aber gibt es nicht hoffnungsvolle Zeichen, dass dieses System zur Selbstkorrektur fähig ist? Nun, da der revanchistische Klimaleugner Donald Trump – zumindest vorläufig – die politische Bühne verlassen hat? Mit der Wahl Joe Bidens zum Präsidenten wurde das Pariser Klimaabkommen wieder in Kraft gesetzt. Mit einer Reihe von Präsidialerlassen hat er die Nutzung von Windkraft ausgebaut, die Förderung und weitere Erschließung von Öl- und Gasvorkommen eingeschränkt und den Bau der Keystone-XL-Pipeline gestoppt. Das zeigt, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung Einfluss auf die Koordinaten der kapitalistischen Realpolitik der Demokratischen Partei hatte, sei er auch noch so gering. Der Kampf ums Überleben hat zumindest bei den vorausschauenden Teilen des Kapitals eine gewisse Zugkraft entfaltet. Dabei zeichnet sich auch Bidens Ansatz durch eine Verkennung der Lage aus und ignoriert, dass es viel tiefer gehende und weiter reichende Maßnahmen bräuchte, um den Planeten bewohnbar zu halten. Und selbst die Bestimmungen des Pariser Abkommens lassen eine katastrophale Erderwärmung von 3,5 Prozent gegenüber dem präindustriellen Niveau zu. Aber auch unabhängig davon bleibt die Bewegung der Klimaleugner*innen weltweit weiterhin mächtig. Und die Klimakatastrophe wird sie noch stärker machen. 

 

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In Oregon werden »Antifa-Aktivist*innen« beschuldigt, für die Waldbrände verantwortlich zu sein – nicht die Brand- und Anstifter*innen des Kahlschlags am Amazonas. In Texas werden die Schneestürme und Stromausfälle den Umweltschützer*innen zur Last gelegt und dem »Green New Deal«, der nirgendwo umgesetzt wird. Dabei macht sich die Ideologie der Verleugner*innen trotz des darin enthaltenen okkultischen Todestriebs die materiell-symbolischen Bestrebungen von Hunderten Millionen von Menschen zunutze, darunter nicht nur den Wunsch nach »Wohlstand«, nationaler Entwicklung, sozialem Aufstieg und individueller Autonomie, sondern auch den nach sozialer Distinktion. Die Klimaleugner*innen stellen die Klimawissenschaft als eine List Chinas bzw. der Dritten Welt dar, deren Zweck eine Umverteilung des globalen Wohlstands sei. Damit verspricht ihre Ideologie denen, die an der Spitze des Weltsystems stehen und für die es nur noch bergab gehen kann, und denen, die die Leiter der Entwicklung hochgeklettert sind und nun zu fallen drohen, dass sie nicht in die gleiche desolate soziale Lage abstürzen werden wie das Gros der Menschheit. 


Die Linke hat sich derweil über ihre eigenen Versäumnisse Rechenschaft abzulegen. Mit der Abkehr von den ursprünglichen Zielen des »Roten Oktobers« der Arbeiter*innen ging die Unterdrückung eines aufkeimenden ökologischen Bolschewismus einher, mit dem sich der historische Materialismus seiner produktivistischen Anteile hätte entledigen können, so wie er sich faktisch von jeglichen Ansätzen einer proletarischen Demokratie befreit hat. Die Vorstellung vom Sozialismus als einer neuen und besseren Form des Wachstums ist immer noch weit verbreitet, ungeachtet des Zusammenbruchs der Sowjetunion 1991. Was den Streit zwischen auf Modernisierung setzenden Ökosozialist*innen und ihren Widersacher*innen betrifft, so bestehen wir darauf, dass die Ersteren nicht prometheisch genug sind. Es ist die grundlegende Annahme des historischen Materialismus, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. Wer sind wir – die Opfergenoss*innen des Zu-spät-Kapitalismus –, dass wir uns anmaßen, Gesetze für diejenigen zu erlassen, die (hoffentlich) nach uns kommen werden? Der Wandel, den wir brauchen, um eine bewohnbare Biosphäre zu erhalten, ist so gewaltig, dass, wenn er uns gelingen sollte, unsere Nachkommen – sollten sie solche Texte lesen – sich ähnlich wie wir bei der Lektüre von Epen aus der Bronzezeit fragen werden: Waren das überhaupt Menschen? 


Ist menschlich heute überhaupt noch der richtige Begriff für uns? Das allgemeine Verständnis von »Anthropozän« impliziert, dass es einen gemeinsamen »Anthropos« gibt, dem eine Gesamtverantwortung und -schuld zugeschrieben werden kann. Aus guten Gründen heben die Kolonisierten, die Ausgeschlossenen und die Unterdrückten hervor, dass nicht sie es waren, die das Klima zerstört haben, und von daher auch nicht von ihnen erwartet werden kann, die Kosten dafür zu tragen. Hier liegt der wahre Kern der Fixierungen auf Kosmologien indigener Bevölkerungsgruppen als Quellen der Resilienz, als eine Art welthistorischem Achtsamkeitstraining, mit dem der Katastrophe begegnet werden kann. Doch der Klimakollaps des Kapitalozäns ist eine reale Abstraktion, nicht eine ethische Wahl oder eine epistemologische Vorliebe. Die auf der Wertform basierende Welt existiert bereits – dazu beigetragen haben nicht zuletzt die wahrlich prometheischen Bemühungen der Bourgeoisien der Länder des globalen Südens –, und es sind keine anderen Welten übrig. Der einzige Weg führt durch diese Welt hindurch, nicht aus ihr heraus. 


Aus dem Englischen von Hannah Schurian.

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