Parteien der extremen Rechten haben heute in der Regel auch keine Massenbasis, dafür aber die Zustimmung der Massen für das Projekt einer autoritären Neuordnung der Gesellschaft. Der Prozess muss folglich nicht notwendigerweise im Faschismus enden, aber er treibt die autoritäre Transformation voran. Dies geschieht dabei nicht nur durch autoritäre Politik, sondern vor allem durch Befriedigung „identitärer Bedürfnisse“ (Mense 2024), vermeintliche Krisenlösungen sowie gezielte ideologische Umdeutungen gesellschaftlicher Konflikte. Die extreme Rechte setzt dabei auf einen Kulturkampf im Sinne eines ideologischen Aushandlungsprozesses von hegemonialen Werten und Normen. Er fungiert als Motor der Faschisierung um autoritäre Sehnsüchte zu normalisieren und den Boden für repressive Politik zu bereiten. Im Folgenden soll die zentrale Relevanz von Gender-Themen in diesem Prozess der Faschisierung aufgezeigt und das große Mobilisierungspotential von Antifeminismus erklärt werden.
Konstruktion eines Ausnahmezustands
Im Zentrum der Kulturkämpfe der extremen Rechten wie des radikalisierten Konservatismus steht heute vor allem eine ideologische Mobilisierung, die gesellschaftliche Konflikte entlang von Identitätsfragen verhandelt. Die Kultur der „normalen“ Bevölkerung und damit einhergehenden binär-hierarchischen Geschlechtervorstellungen sollen dabei gegen all jene verteidigt werden, welche die scheinbar „natürliche“ Ordnung in Frage stellen oder gar bedrohen. Parteien wie die AfD und die FPÖ nutzen den Kulturkampf besonders in den Bereichen Geschlecht, Familie, Migration und nationale Identität, indem sie über Untergangs- und Angstszenarien das Bild einer durch linke, feministische Kräfte bedrohten Gesellschaft zeichnen. Gerade in diesen Kontexten zeigen sich klassische faschistische Muster: Durch Polarisierung und Bedrohungskonstruktionen wird ein Ausnahmezustand suggeriert, in dem autoritäre Lösungen plötzlich als notwendig erscheinen, um Sicherheit und Stabilität wiederherzustellen. Der Kulturkampf wird dabei nicht nur als gesellschaftliche Auseinandersetzung präsentiert, sondern auch als ein existenzieller Konflikt, der das Überleben der Nation, der Traditionen und der Ordnungen sichern soll. Letztlich dient die dadurch hervorgerufene Dynamik nicht nur der Identifikation von Feindbildern und Schuldigen für gesellschaftliche Probleme, sondern auch der Konstruktion eines Klimas der Angst und Unsicherheit, welches autoritäre Maßnahmen legitimieren soll.
Rechte Identitätspolitik
Antifeminismus und die damit verbunden LGBTQIA+- und Queerfeindlichkeit sind schon lange kein Nebenschauplatz mehr, sondern zu einer zentralen ideologischen Säule rechter und konservativer Politiken und ihrer Kulturkämpfe avanciert. Entsprechend stellen Geschlechter- und Identitätsfragen einen bedeutenden Referenzpunkt dar. Auch Thorsten Mense betont, dass „die extreme Rechte heute nicht mehr in erster Linie mit Inhalten punkten würde, sondern mit einem Identitätsangebot“. Dies wiederum hat vor allem deshalb Erfolg, „weil es in großen Teilen der Bevölkerung ein identitäres Bedürfnis gibt“ (Mense 2024, 65).Die extreme Rechte setzt folglich gezielt darauf, gesellschaftliche Konflikte anhand von Identitätsfragen in Kombination mit Untergangs- und Bedrohungsrhetoriken zu verhandeln. Gerade vor dem Hintergrund multipler Krisen und Verunsicherungen eignen sich binär-hierarchische Geschlechterentwürfe mit klaren Rollen und Aufgaben als attraktives Identitätsangebot wie auch als autoritäre Krisenlösungsstrategie. Über die Ablehnung der vom Feminismus angestoßenen gesellschaftlichen Veränderungen und die Verteidigung der vermeintlich natürlichen Geschlechterordnung können nicht nur durch Prekarisierung entstandene Scham-, Angst- und Frustrationserfahrungen kanalisiert und verarbeitet, sondern auch Privilegienansprüche sowie Vorrechte geltend gemacht werden. Durch die Darstellung feministischer Errungenschaften und Forderungen als Störung und Bedrohung, werden letztlich auch disziplinierende, repressive und autoritäre Vorgehensweisen dagegen legitimiert. Wie Birgit Sauer beschreibt, zielt maskulinistische Identitätspolitik darauf ab, alte Gewissheiten wiederherzustellen und damit auch Kontrolle und Ordnung (Sauer 2023). Vereindeutigte Geschlechteridentitäten und damit verbunden naturalisierte soziale Organisationsformen wie Familie oder Volk’ versprechen in unsicheren Zeiten Sicherheit, Stabilität und Zugehörigkeit oder sogar Geborgenheit. Sie eröffnen einen scheinbaren Ausweg aus der Unsicherheit, der jedoch mit einem normativen und autoritären Entwurf von Geschlechterverhältnissen einhergeht, weil er Machtverhältnisse naturalisiert und jene disziplinieren möchte, die sich nicht unterwerfen wollen.
Mainstream durch Antifeminismus
Geschlechts- und Sexualitätsthemen eignen sich zudem für die extreme Rechte hervorragend, um innerhalb der Kulturkämpfe über Appelle an den „gesunden Menschenverstand“ Konsens und Vergemeinschaftung herzustellen. Viele – nicht notwendigerweise rechtsextrem eingestellte – Menschen teilen ein diffuses Unbehagen gegenüber dem Konzept Gender sowie Vorbehalte gegen die Pluralisierung von geschlechtlichen Identitäten und Begehrensformen und erweisen sich aufgrund von großem Unwissen als anfällig für Angst- und Bedrohungskonstruktionen., So hat die extreme Rechte ein leichtes Spiel, in diesem Kontext zu punkten und ihre politischen Forderungen und Angebote als Mainstream zu inszenieren. Einigkeit wird beispielsweise über Narrative hergestellt, dass doch jedes Kind wisse, dass es nur zwei Geschlechter gebe und alles andere ,unnatürlich’ sei. Auf diese Weise gelingt es, einen scheinbaren Konsens über die vermeintliche Normalität und normale Ordnung von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen herzustellen. Das damit einhergehende Identitätsangebot, Teil dieser „normalen“ heteronormativen Menschen sein zu wollen und zu können, beinhaltet zudem auch ein Versprechen von Zugehörigkeit und Vergemeinschaftung, die sich letztlich auch immer über jene definiert, die nicht dazugehören können und sollen.
Neue Identitätsangebote
Attraktiv sind aktuelle antifeministische Identitätsangebote aber nicht nur aufgrund des Versprechens der Wiederherstellung der vermeintlich natürlichen Geschlechterordnungen, damit verbundener Privilegiensysteme und männlicher Vorherrschaft. Anders als häufig behauptet, zielen antifeministische Angriffe nicht ausschließlich auf eine Rückkehr zu traditionellen Ordnungen, da rechtsextreme Akteur*innen auch eine auf die Gegenwart ausgerichtete, politische Agenda verfolgen. Im Zuge ihrer „rhetorischen Modernisierung“ (Angelika Wetterer, 2005) streben sie nach einer „anderen Moderne“ bzw. „antimodernen Moderne“ (Näser-Lather et. al., 2019, 25) . Gerade Phänomene wie Tradwives oder auch die rechtsextremen Bezugnahmen auf Frauenrechte und rassistisch motivierte Patriarchatskritik verdeutlichen die Einflechtung traditioneller, antiquierter Werte und Normvorstellungen in eine modernisierte Welt.