Als die Präsidentschaftswahlen von 2020 näherrückten, legte Trump den Grundstein für einen Aufstand gegen das, was er zunehmend als Versuch der Demokraten bezeichnete, den Willen der vermeintlichen Mehrheit zu ignorieren bzw. zu verraten. Damals verdichteten sich die Hinweise darauf, dass Trump bereit war, jeden Anschein aufzugeben, er halte sich an die Regeln einer verfassungsmäßigen Demokratie. Er machte deutlich, dass er nur gewillt war, diese Regeln anzuerkennen und zu befolgen, solange er dabei gewinnt. Der Putschversuch vom 6. Januar 2021 war nur der Beginn eines Weges zum Faschismus.
Und wo stehen die Kapitalfraktionen?
An dieser Stelle wird die Angelegenheit etwas kompliziert. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben die herrschenden Klassen in den meisten fortgeschrittenen kapitalistischen Staaten kein Interesse an einer Aufkündigung der konstitutionellen Demokratie. Sie scheinen aber besorgt zu sein, weil zu erwarten ist, dass die Konvergenz der wirtschaftlichen Widersprüche (Krise des Neoliberalismus, zunehmende Polarisierung des Reichtums), die Legitimitätskrise des bürgerlich-kapitalistischen Staates und die Klimakrise zu einer wachsenden Instabilität führen werden. Das demokratische Aufbegehren während des Arabischen Frühlings, die Platzbesetzungen der Empörten und Occupy Wall Street nach 2010ff waren ein Hinweis darauf, was passieren kann, wenn Menschen unzufrieden sind. Deswegen stehen sie hinter der Stärkung des neoliberalen autoritären Staates und befürworten sicherheitspolitische Präventivmaßnahmen, um Massenaufständen vorzubeugen.
Und doch gehen faschistische Bewegungen in der Regel nicht auf die Initiative der führenden kapitalistischen Klassen zurück. Wie Poulantzas in seinem bemerkenswerten Werk »Faschismus und Diktatur« aufgezeigt hat, beginnt der Faschismus als eine soziale Bewegung, die vor allem in den Mittelschichten verankert ist. Dabei handelt es sich um eine rechtsradikale Bewegung, die den demokratischen Kapitalismus zerstören und durch eine ganz andere Staatsstruktur und Ideologie ersetzen will, um damit, wie sie hofft, den Kapitalismus zu erneuern. Die MAGA-Bewegung hat sich, was ihre Ziele anbelangt, inzwischen in Richtung Faschismus bewegt. Sie will den kapitalistischen Staat der USA radikal umgestalten, hat sich aber dafür entschieden, dies über die Kontrolle der Strukturen des bestehenden bürgerlich-kapitalistischen Staates zu tun – zumindest für den Moment. Deswegen steckt in der oxymoronischen Bezeichnung »konstitutioneller Faschismus« auch mehr als ein Körnchen Wahrheit. Mit anderen Worten: Statt zu versuchen, mithilfe des Drucks von der Straße, also etwa mit Sturmtruppen oder Schwarzhemden, die Macht zu ergreifen, werden die Instrumente und Institutionen des bürgerlich-kapitalistischen Staates für die eigenen Zwecke genutzt, während man zugleich alles darauf anlegt, dieselben Institutionen zu schwächen, wenn nicht gar zu zerschlagen, indem man ausgesprochen und unausgesprochen mit dem Einsatz extralegaler Gewalt droht.
Die Kapitalistenklasse in den USA scheint in Bezug auf die MAGA-Bewegung gespalten zu sein. Es gibt Teile, die weiterhin die Demokratische Partei unterstützen und in offener Opposition zum Trumpismus stehen. Es gibt Segmente, die sich in verschiedener Form in »vorauseilendem Gehorsam« üben, was bedeutet, sie unterwerfen sich freiwillig dem Trump-Regime, bevor sie zu seiner Zielscheibe werden. Dann gibt es diejenigen, die sich ganz offen auf dessen Seite geschlagen haben, wie zum Beispiel Musk. Was ihnen und anderen Teilen der kapitalistischen Klassen in den USA zunehmend wichtig ist, ist Stabilität und Ordnung, notfalls auch ohne Demokratie. Was MAGA derzeit anzubieten hat, ist vor allem Chaos, Korruption und Unsicherheit – eine Kombination, die Kapitalisten selten gefällt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein faschistischer Staat einer gespaltenen und geschwächten Kapitalistenklasse aufgezwungen werden kann, insbesondere wenn – wie in unserem Fall – so einflussreiche Tech-Oligarchen die Regierung stützen (unabhängig davon, ob man sie nun für Techno-Feudalisten oder einfach nur für Mega-Kapitalisten hält). Doch ohne eine bedeutende Basis innerhalb der Kapitalistenklasse ist es unwahrscheinlich, dass ein »Faschismus an der Macht« (im Gegensatz zu einem einzelnen »Faschisten an der Macht«) Erfolg haben und sich institutionalisieren kann. Wahrscheinlicher ist, dass uns umfassende politische Turbulenzen bis hin zu einem Bürgerkrieg bevorstehen.
Die Ziele der MAGA-Bewegung
Es gibt sehr spezifische Ziele der MAGA-Bewegung, die man im »Projekt 2025«, dem rechten Plan zur Umgestaltung der Exekutive des US-Staates, nachlesen kann. Zum Zeitpunkt der Verschriftlichung dieses Beitrags ist die Trump-Regierung gerade dabei, völlig unverfroren diese Ziele zu verfolgen und umzusetzen: die Umgestaltung der USA hin zu einem autoritären Staat, der auf einer Art imperialistischem Populismus beruht. Trump und die MAGA-Kräfte haben sich vorgenommen, sämtliche Regeln neu zu schreiben. Ihr Ansatz ist dem der Redemption-Bewegung des 19. Jahrhunderts nicht unähnlich, da sie offenbar versuchen, unter dem Deckmantel der Demokratie die Demokratie zu untergraben. Dafür betreiben sie die Herausbildung eines neuen hegemonialen Blocks, der einen Bruch der USA mit dem Völkerrechtssystem und zugleich die Errichtung eines Neo-Apartheidsystems im eigenen Land vorsieht, mit dem Versprechen, den Lebensstandard der »unterstützungswürdigen« und »relevanten« Teile der Bevölkerung in dem Maße abzusichern, wie sie sich hinter das imperialistische populistische Programm stellen.
Trumps Antrittsrede im Januar 2025 enthielt alle Elemente. »Making America Great Again« wurde dahingehend präzisiert, dass das aktuelle Regime vorhat, die Regeln des Völkerrechts auszuhebeln (inklusive des Verbots der territorialen Ausweitung), Migrant*innen massenhaft abzuschieben (als erster Schritt in Richtung einer ethnischen Säuberung), alles zu zerschlagen und abzuwickeln, was auch nur annähernd mit Antidiskriminierung und Antirassismus zu tun hat (im Namen meritokratischer Vorstellungen), die männliche Vorherrschaft wiederherzustellen und Menschen mit nichtbinärer Geschlechtsidentität zu bekämpfen. Dies ist die US-Version des Faschismus im 21. Jahrhundert. Und hinter der Bühne halten sich diverse paramilitärische Einheiten bereit, über deren Einsatz vermutlich noch genauer nachgedacht wird, die aber der Trump-Administration bereits ihre Dienste bei der Hatz auf Migrant*innen angeboten haben. Wir müssen uns darauf einstellen, dass solche rechten Paramilitärs irgendwann von der Leine gelassen werden – spätestens dann, wenn das Trump-Regime feststellen sollte, dass der bestehende Repressionsapparat nicht zuverlässig das tut, was von ihm verlangt wird.
Was 2025 jedoch von der Zeit der »Redemption« unterscheidet, sind die vielen demografischen Verschiebungen und politischen Entwicklungen, die seit dem 19. Jahrhundert stattgefunden haben. Die verstärkte Einwanderung nach 1965 und das Aufkommen verschiedener sozialer Bewegungen, unter anderem der wirkmächtigen Bürgerrechtsbewegungen von People of Color, haben das Terrain grundlegend verändert. Obwohl es innerhalb der radikalen Rechten Strömungen gibt, die die vollständige Auslöschung von People of Color anstreben, ist eine andere Art von »Rassenpolitik« entstanden. Inzwischen gibt es ein Phänomen, das einige als »ethnien- und rassenübergreifende Rechte« und wir als »Neo-Apartheid-Rechte« bezeichnen würden.
Die »Neo-Apartheid-Rechte« und demografischer Wandel
Um diese Strategie zu verstehen, muss man die Auswirkungen der Einwanderungswellen in die USA nach 1965 berücksichtigen sowie die Veränderungen des Mainstream-Narrativs bezüglich »race«, die auf die sozialen Bewegungen und Kämpfe von People of Color zurückgehen. Jim-Crow-Positionen sind heute einfach nicht mehr opportun. Aber es geht um mehr als das. Wachsende Teile der politischen Rechten, einschließlich der extremen Rechten, sind sich durchaus bewusst, dass der demografische Wandel in den USA unumkehrbar ist. Die US-Bevölkerung wird immer divers sein. Welche Art von »Reconstruction« (man verzeihe uns diesen Ausdruck) rassistischer und nationalistischer Unterdrückungsverhältnisse wäre dann für den heutigen US-Kapitalismus denkbar?
Eine Antwort bietet eine Politik der Apartheid. Obwohl das südafrikanische Apartheidsregime weitgehend auf den Erfahrungen der USA mit den Jim-Crow-Gesetzen beruhte, war das, was in Südafrika eingeführt wurde, in gewisser Weise mit dem spanischen Casta-System in Lateinamerika vergleichbar, obwohl es viel weniger durchlässig war. Für die Buren waren die Europäer die Weißen, die an der Spitze der Rassenhierarchie standen, unter ihnen befanden sich die Inder/Südasiaten, die sogenannten Coloureds, und schließlich ganz unten die Natives/Schwarzen. Das Apartheidsystem sah für jede Bevölkerungsgruppe spezifische Bedingungen und Erwartungen vor und schuf sogar eine Kategorie der »ehrenthalben Weißen«, und zwar für die Japaner, mit denen man Handel treiben wollte. Diejenigen, die dem Apartheidsregime dienlich waren, hatten ihren Platz in der Gesellschaft und konnten auf Belohnungen hoffen.
Innerhalb der US-amerikanischen Rechten haben sich inzwischen Vorstellungen durchgesetzt, die mit einem solchen Apartheidsregime sympathisieren. Zwar werden weiterhin rassistische Codes verwendet, zugleich schließt man Nicht-Weiße nicht länger aus den eigenen Kreisen aus und bietet bestimmten Gruppen die Möglichkeit an, »in das weiße Lager überzuwechseln«, zum Beispiel Angehörigen der südamerikanischen und asiatischen Communities. Der Preis dafür ist jedoch, dass diese Bevölkerungsgruppen die Vorherrschaft der Weißen nicht herausfordern dürfen. So kommt es etwa zu einem Phänomen, das als »Hindu-Rechte« in der MAGA-Bewegung bekannt geworden ist. Tulsi Gabbard, die neue Koordinatorin der US-Geheimdienste, steht für diese neue Rechte. So versucht die politische Rechte in den USA derzeit, das System der sozialen Kontrolle und Unterdrückung in ihrem Sinne zu verändern und anzupassen, ohne dessen rassistische und nationalistische Grundlagen zu beseitigen.
Die Alternative
Inzwischen hat sich fast überall in progressiven Kreisen die Erkenntnis durchgesetzt, dass wir dringend eine breite antifaschistische Front gegen die extreme Rechte brauchen – auch wenn damit häufig ein gewisses Unbehagen verbunden ist. Es muss alles getan werden, um die Faschist*innen zu schwächen. Gegenwärtig wächst der Widerstand gegen MAGA, allerdings fehlt es an einer Gesamtkoordination, damit er effektiver wird. Zudem fällt es den progressiven Bewegungen in den USA schwer, sich gemeinsam für eine andere Politik und Gesellschaft einzusetzen. Dabei könnte das 2024 in Frankreich gegründete linke Wahlbündnis Nouveau Front populaire (Neue Volksfront) dafür ein Vorbild sein. Denn es verbindet Opposition gegen die extreme Rechte mit einem proaktiven Eintreten für ein fortschrittliches Programm, in dem ausformuliert ist, was die konkreten Voraussetzungen für eine wirkliche Demokratie sind. Einen solchen Ansatz könnte man, so unser Vorschlag, unter dem Begriff »dritte Reconstruction« fassen.