Wer ist für die Klimakrise verantwortlich? Wer kein Klimaleugner ist, wird schnell die Antwort parat haben: die Menschheit. Leben wir nicht im Anthropozän, dem Zeitalter der Erdgeschichte, in das sich der Mensch unwiderruflich eingeschrieben hat?
Ja und nein. Zwischen »Die Menschen sind verantwortlich!« und »Bestimmte Menschen sind verantwortlich!« besteht ein großer Unterschied. Angesichts der extrem ungleichen Verteilung von Wohlstand und Macht in unserem Weltsystem stellen immer mehr radikale Intellektuelle und Klimaaktivist*innen infrage, ob »die Menschheit« kollektive historische Verantwortung für den Klimawandel trägt. Sie sehen in der Rede vom anthropogenen Klimawandel eine besonders perfide Art, denjenigen die Schuld aufzubürden, die ohnehin unter Ausbeutung, Gewalt und Armut leiden.
Ich würde stattdessen sagen: Wir leben im Zeitalter der kapitalogenen Klimakrise, kapitalogen im Sinne von »vom Kapital gemacht«. Wie das verwandte Kapitalozän mag es zunächst etwas plump klingen. Das hat jedoch wenig mit dem Wort zu tun – das System bürgerlicher Herrschaft hat uns gelehrt, den Begriffen zu misstrauen, die das System der Unterdrückung beim Namen nennen. Doch genau das ist seit jeher die Praxis emanzipatorischer Bewegungen. Sie schöpfen ihre Kraft aus neuen Ideen und einer neuen Art des Sprechens über die Dinge. Das verleiht Macht und intellektuelle sowie strategische Orientierung. In dieser Hinsicht war der Mainstream-Ökologismus, der ab 1968 einsetzte – die »Umweltbewegung der Reichen« (Peter Dauvergne), ein Desaster. Der Fokus auf den »ökologischen Fußabdruck« lenkte die Aufmerksamkeit auf den individuellen Konsum. Der Begriff Anthropozän legt nahe, die planetarische Krise sei eine natürliche Folge der menschlichen Natur – als rührte sie daher, dass Menschen halt handeln wie Menschen, so wie Schlangen Schlangen sind und Zebras Zebras. Die Wahrheit ist offensichtlich nuancierter: Wir leben im Kapitalozän, im Zeitalter des Kapitals. Wir wissen ziemlich genau, wer für die heutigen und vergangenen Krisen verantwortlich ist. Die Verursacher*innen haben Namen und Adressen, angefangen bei den acht reichsten Männern der Welt, die mehr Vermögen besitzen als die ärmsten 3,6 Milliarden der Weltbevölkerung.
Was ist das Kapitalozän?
Das Kapitalozän ist kein geologischer Begriff und obwohl die Ökonomie entscheidend ist, geht es nicht einfach um ein Wirtschaftssystem, das die Krise verursacht. Es ist der Versuch, den Kapitalismus als ein zusammenhängendes geografisches sowie strukturiertes historisches System zu verstehen. Das Kapitalozän ist demnach eine Geopoetik, die den Kapitalismus als eine »Weltökologie der Macht« und der (Re-)Produktion im »Lebensnetz« begreift.
Bevor wir uns näher mit dem Kapitalozän befassen, müssen wir uns über das Anthropozän klar werden, von dem es zwei gibt. Das erste ist das geologische Anthropozän, mit dem sich die Geologie und die Erdsystemwissenschaften beschäftigen. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf golden spikes: Schlüsselmarkierungen in der stratigrafischen Schicht, die geologische Epochen kennzeichnen. Im Fall des Anthropozäns gelten Plastikreste, Hühnerknochen und Atommüll als solche spikes. (Das ist der Beitrag des Kapitalismus zur geologischen Geschichte!) Die Biogeografen Simon Lewis und Mark Maslin markieren das Jahr 1610 als Beginn des geologischen Anthropozäns. Der Zeitraum zwischen 1492 und 1610, der als »Orbis Spike« bezeichnet wird, war nicht nur das Zeitalter der Eroberungen von Kolumbus und seinesgleichen. Der Völkermord in den Amerikas führte zudem zur Wiederbewaldung und einer Absenkung der CO2-Emissionen bis 1550 und trug so zur Entstehung der Kleinen Eiszeit und einigen kälteren Jahrzehnten zwischen 1300 und 1850 bei. Das geologische Anthropozän ist also eine bewusste Abstraktion historischer Verhältnisse, um die biogeografischen Beziehungen zwischen der Gattung Mensch und der Biosphäre zu verdeutlichen. Das ist durchaus nachvollziehbar und vernünftig. Die These vom Kapitalozän bezieht sich aber nicht auf die geologische Geschichte.
Ihr geht es um die Erdgeschichte – die biogeologischen Veränderungen, die grundlegend für die Entwicklung menschlicher Produktions- und Machtverhältnisse sind. Hier steht das Kapitalozän einem zweiten Anthropozän gegenüber: dem populären Anthropozän. Letzteres ist Teil einer viel breiteren Diskussion in den Geistes- und Sozialwissenschaften über die historische Entwicklung und Gegenwart der planetarischen Krise. Es gibt dabei keine saubere Trennung, und viele Erdsystemwissenschaftler*innen wechseln gern zwischen dem geologischen und dem populären Anthropozän hin und her.
Für das populäre Anthropozän ist das Hauptproblem das Verhältnis zwischen »Mensch« und »Natur« – ein Problem, das einen deutlichen Gender-Bias hat, wie Kate Raworths Begriff des »Manthropozän« deutlich macht. Dieses Anthropozän präsentiert ein Modell der planetarischen Krise, das alles andere als neu ist. Es ist die Neuauflage einer Kosmologie von »Mensch« und »Natur«, die sowohl auf das Jahr 1492 zurückgeht als auch auf Thomas Malthus im 18. und 19. Jahrhundert: die Erzählung von einer Menschheit, die der Natur schreckliche Dinge antut. Die treibende Kraft ist das Schreckgespenst der Überbevölkerung – ein ideologisches Argument, das immer wieder zum Einsatz kommt, um die gewaltsame Unterdrückung von Frauen und People of Color zu rechtfertigen.
Die Worte Mensch und Natur sind nicht bloße Begriffe, sondern Abstraktionen. Sie werden und wurden von Imperien und sich modernisierenden Staaten und Kapitalisten als reale dargestellt, mit dem Zweck, menschliche und außermenschliche Natur jeglicher Art abzuwerten. Einem Großteil der Bevölkerung hat man in der Vergangenheit die volle Zugehörigkeit zur Menschheit abgesprochen. Für diejenigen, die nicht weiß und männlich waren und die nicht dem Bürgertum angehörten, gab es wenig Platz im Anthropos. Seit 1492 beraubten die Superreichen und ihre imperialen Verbündeten People of Color, indigene Bevölkerungsgruppen und praktisch alle Frauen ihrer Menschlichkeit und ordneten sie der Sphäre der Natur zu. Damit war es einfacher, aus ihnen und ihrer Arbeitskraft Profit zu schlagen. Folglich ist die Kosmologie von »Mensch« und »Natur« im populären Anthropozän nicht nur Ergebnis fehlerhafter Analyse, sondern ganz praktisch in die Geschichte der Herrschaft verstrickt. Wenn Vertreter*innen des populären Anthropozäns sich weigern, den kapitalogenen Klimawandel beim Namen zu nennen, dann verkennen sie, dass nicht der »Mensch« und sein Verhältnis zur »Natur« das Problem sind, sondern bestimmte Menschen, die sich der profitablen Beherrschung und Zerstörung der Menschheit und der übrigen Natur verschrieben haben.
Weltökologie der Macht
Die Unterstellung, alle Menschen seien gleichermaßen schuld am Klimawandel, ist eindeutig falsch. Der Anteil der USA und Westeuropas an den CO2-Emissionen zwischen 1850 und 2012 ist dreimal größer als der Anteil Chinas. Und selbst diese nationale Bilanzierung kommt einer Individualisierung der Verantwortung gleich, denn sie berücksichtigt nicht die zentrale Rolle des US-amerikanischen und westeuropäischen Kapitals an der globalen Industrialisierung nach 1945. Seit den 1990er Jahren dienen Chinas Emissionen vornehmlich europäischen und US-amerikanischen Exportmärkten, finanziert durch jahrzehntelange ausländische Investitionen. Ein globales System der Mächtigen und Kapitalisten giert nach immer mehr billigen Naturressourcen und hat seit den 1970er Jahren zum enormen Zuwachs an Klassenungleichheit geführt. So wäre es verblendet, den großen Anteil der USA an der Karbonisierung der Atmosphäre allen US-Amerikaner*innen gleichermaßen zuzurechnen. Die USA waren von Anfang an eine apartheidähnliche Republik, beruhend auf Völkermord, Enteignung und Sklaverei. Nur bestimmte US-Amerikaner*innen sind für die hohen Emissionen ihres Landes verantwortlich, darunter Großkapitalist*innen, Banker*innen, Fabrik-, Großgrund- und Plantagenbesitzer*innen und Sklavenhalter (oder die heutigen Betreiber*innen von Privatgefängnissen).
Das Kapitalozän-Argument lehnt eine anthropozentrische Verflachung nach dem Motto »Wir haben den Feind getroffen, und er ist wir« (so Walt Kellys ikonisches Plakat zum Tag der Erde 1970) ebenso ab wie einen ökonomischen Reduktionismus. Zweifelsohne ist der Kapitalismus ein System der endlosen Kapitalakkumulation. Doch er ist auch eine »Weltökologie der Macht«, der Produktion und der Reproduktion, die für die Krise des Planeten verantwortlich ist. Die »sozialen« Momente der modernen Klassenherrschaft, der weißen Vorherrschaft und des Patriarchats sind daher eng mit Projekten des »Umweltmachens« verbunden, die auf endlose Kapitalakkumulation abzielen. Im Wesentlichen bestand die große Innovation des Kapitalismus seit seinen Anfängen, also nach 1492, vor allem darin, immer wieder praktische Wege zu finden, wie man sich die Natur billig aneignen kann. Die Natur war mehr als eine Idee, sie war eine territoriale und kulturelle Realität, die Frauen, kolonisierte Völker und außermenschliche »Lebensnetze« umfasste und kontrollierte. Da sich diese »Lebensnetze« der Standardisierung, Beschleunigung und Homogenisierung, die die Logik der kapitalistischen Profitmaximierung mit sich bringt, tendenziell widersetzen, war der Kapitalismus nie nur ein Wirtschaftssystem. Kulturelle Dominanz und politische Gewalt waren zu allen Zeiten Grundvoraussetzungen für die kapitalogene Zerstörung der menschlichen und außermenschlichen Natur.
Warum 1492 und nicht 1850 oder 1945? Zu diesen Zeiten lassen sich empirisch zweifellos wichtige Wendepunkte im Grad der Karbonisierung ablesen. Sie zeigen jedoch eher die Folgen und nicht die Ursachen der Krise. Der Kapitalozän-These zufolge müssen wir die Folgen mit der längeren Geschichte von Klassenherrschaft, Rassismus und Sexismus verknüpfen, deren moderne Formen sich seit 1492 herausgebildet haben.
Zivilisation versus Natur
Im 16. Jahrhundert vollzog sich ein Bruch in der Art und Weise, wie Wissenschaftler, Kapitalisten und imperiale Strategen die planetarische Realität verstanden. Man griff auf hierarchische Vorstellungen zurück, um den Menschen und den Rest der Natur zu erfassen. Es gab jedoch keine strikte Trennung zwischen den Beziehungen der Menschen untereinander und ihren Beziehungen zur übrigen Natur. Wörter wie Natur, Zivilisation, Wildheit und Gesellschaft erlangten in der englischen Sprache erst zwischen 1550 und 1650 ihre moderne Bedeutung, in der Zeit der kapitalistischen Agrarrevolution in England und der fossilen industriellen Revolution. In anderen westeuropäischen Sprachen kam es zu ähnlichen Verschiebungen. Auf diesen radikalen Bruch mit alten, eher ganzheitlichen (wenn auch hierarchischen) Sichtweisen folgte ein dualistisches Denken, das der Zivilisation »die wilde Natur« gegenüberstellte.
Egal, wo und wann europäische Kolonialisten an Land gingen, stießen sie auf sogenannte Wilde. Es war die Aufgabe der zivilisierten Eroberer, die sogenannte Wildnis zu christianisieren und die »Wilden« zu besseren Menschen zu machen. Die Charakterisierung der Wildnis als »Ödland« rechtfertigte ihre Unterwerfung und Verwüstung sowie die Ausbeutung der Bewohner*innen. Der binäre Code Zivilisation versus Wildheit ist ein zentrales Moment des Betriebssystems der Moderne, das auf der Enteignung der Menschen von ihrer Menschlichkeit beruht. Dieses Schicksal erlitten neben praktisch allen Frauen überall auf der Welt insbesondere indigene Bevölkerungsgruppen, die versklavten Bewohner*innen Afrikas, andere unterdrückte Völker in den Kolonien, aber auch die Bevölkerung Irlands. Diese kapitalistische Geokultur sorgt für die unerlässliche Extremverbilligung des Lebens und der Arbeit, die für jeden großen Wirtschaftsboom unerlässlich und zugleich äußerst gewalttätig und (selbst-)zerstörerisch ist.