Das Problembewusstsein für die Klimakatastrophe ist größer als je zuvor. Gleichzeitig ändern politische Maßnahmen und Gipfeltreffen nichts daran, dass die Umwelt in einem nie dagewesenen Tempo zerstört wird. Das ist nicht nur ein Gerechtigkeitsproblem, es ist ein Demokratieproblem.

Das Gespenst der »Grünen Demokratie«


Das Gespenst des Kommunismus kündigen Karl Marx und Friedrich Engels in der ersten Zeile des »Kommunistischen Manifests« an. Gespenster kommen in der Regel aus der Vergangenheit. Es sind die Toten, die die Lebendigen in einer gespenstischen Gegenwart heimsuchen. Heute kommen die Gespenster aus der Zukunft, weil, wie der britische Kulturwissenschaftler Mark Fisher 150 Jahre nach der Veröffentlichung des »Manifests« erklärt, die Zukunft selbst tot ist. Als »kapitalistischen Realismus« beschreibt er das weit verbreitete Gefühl, dass es unmöglich geworden ist, sich eine Alternative zur liberalen kapitalistischen Gesellschaft vorzustellen. Die Alternativlosigkeit drückt sich in einem dreifachen Spannungsverhältnis von wirksamer Klimapolitik und liberaler Demokratie aus.


Das erste Spannungsverhältnis besteht darin, dass der Liberalismus die Befreiung des Einzelnen feiert, liberale kapitalistische Gesellschaften aber daran scheitern, ihr Versprechen auf gleiche Freiheit einzulösen. Sie geben sich bemüht, den Klimanotstand zu verwalten, während sie die gesellschaftlichen Hierarchien unangetastet lassen. Unvereinbar mit gleicher Freiheit ist die Art und Weise, wie politische und wirtschaftliche Macht verteilt ist, wie Reichtum und Wert erzeugt wird und zirkuliert. Ein Beispiel ist der globale Kohlenstoffmarkt. Er schafft Anreize zur Privatisierung und Kommodifizierung von Land- und Waldressourcen im globalen Süden, was für die lokale Bevölkerung nicht selten den Verlust von Land und lebenswichtigen Ressourcen zur Folge hat. Die Klimafolgen werden weltweit bereits mit fünf Millionen Todesfällen pro Jahr in Verbindung gebracht – die meisten davon im globalen Süden. Ein Bericht des Runnymede Trust und von Greenpeace UK vom Juli 2022 stellt diesbezüglich fest: Der Umweltnotstand ist das Erbe des Kolonialismus, der Sklaverei und des Ressourcenraubs im globalen Süden. Er ist außerdem das Ergebnis von systemischem Rassismus. So leiden weltweit People of Color überproportional unter Umweltschäden. Liberale Demokratien präsentieren sich gern als Bollwerk gegen autoritäre Angriffe auf Freiheitsrechte. Was Liberale dabei verschweigen, ist, dass rassistische Gewalt und Unterdrückung wesentliche Treiber des Liberalismus waren. Werte wie individuelle Autonomie und Chancengleichheit wurden vor dem Hintergrund der Unterdrückung Schwarzer Menschen und weißer Privilegien gebildet.


Das zweite Spannungsverhältnis von wirksamer Klimapolitik und liberaler Demokratie wurzelt in einer politischen Legitimitätskrise. Demokratie ist die Antwort auf eine Frage, die schon in der Antike gestellt wurde: Wer soll herrschen? In modernen Demokratien ist Herrschaft nicht durch Gottes Gnaden oder Geburt legitimiert, sondern durch das Prinzip der Volksherrschaft. Ob dieses Prinzip tatsächlich realisiert ist, darüber wird hartnäckig gestritten. Trotz freier Wahlen und Bürgerrechte fehlt eine tatsächliche Kontrolle über die Akteure, die die Klimakatastrophe antreiben. Stattdessen sehen wir vermehrt Techno-Fixes, vermeintlich technische Lösungen für die Umweltkrise wie etwa das umstrittene Geoengineering. Sie stärken nicht nur die Macht großer Technologiekonzerne, sondern fördern auch ein technokratisches Verständnis von Politik.


Schließlich wird wirksame Klimapolitik durch einseitige Appelle an den Markt und die Moral verhindert. Historisch ging mit der Entwicklung liberaler kapitalistischer Gesellschaften die Ablösung von religiösen Traditionen und Autoritäten einher. An ihre Stelle traten die individuelle Moral und die Entstehung einer Zivilgesellschaft, die im Markt ihren zentralen Akteur findet. Der Markt, so die Annahme, vermittelt die spontanen Interaktionen der Einzelnen in einer Weise, die zum Wohle der Allgemeinheit führt – etwa über die Signale des Preismechanismus. Entsprechung findet diese Vorstellung in klimapolitischen Maßnahmen einer Finanzialisierung der Natur. Der Natur einen Geldwert zuzuerkennen soll Anreize für grüne Investitionen schaffen. Sie wird privatisierbar und handelbar gemacht, vermehrt auch über die Finanzmärkte. Dies ist nicht zuletzt ein demokratisches Problem: Finanzmarktakteure wie Hedge- und Pensionsfonds, aber auch große Konzerne gewinnen nicht nur immer mehr Kapital, sondern auch immer mehr Einflussmöglichkeiten über das Umweltmanagement.

Warum ein sozial-ökologischer Umbau radikale Demokratisierung erfordert


Was also ist zu tun für eine wirksame Klima- und Umweltpolitik? Die Antwort heißt radikale Demokratisierung, und zwar im Sinne einer Radikalisierung der liberalen Tradition. Die Aufgabe von Demokratie muss die Verwirklichung von Freiheit auf kollektiver Ebene sein. Um ökologische Gesichtspunkte systematisch ins Zentrum politischen Handelns zu stellen, müssen alle gesellschaftlichen Bereiche einer demokratischen Steuerung und Gestaltung zugänglich gemacht werden. Insbesondere die Nutzung von Ressourcen und die Organisation der Produktion müssen demokratischer Kontrolle unterliegen. Aber auch Experimente mit partizipativer Demokratie müssen Teil einer progressiven Agenda sein.


Ein solches Verständnis von »grüner Demokratie« verortet sich in der Tradition eines ökologischen, antikolonialen Marxismus und sozialistischen Republikanismus. Haben wir es im Liberalismus vor allem mit einer Idee von Freiheit als Nichteinmischung (etwa durch den Staat) zu tun, begreift der Republikanismus Freiheit als Nichtbeherrschung, als Schutz vor Willkür und unkontrollierter Macht. Der sozialistische Republikanismus weitet diesen Freiheitsbegriff auf die Beziehungen am Arbeitsplatz und den Kapitalismus aus. Unfreiheit meint dann nicht bloß die Einschränkung der Wahl- und Meinungsfreiheit, sondern auch Armut oder Vertreibung, etwa als Folge von Umwelt- und Klimaschäden.


Was sind nun Ansätze einer Klimapolitik, um Freiheit als Nichtbeherrschung zu verwirklichen, und was sind ihre strategischen Herausforderungen? Eine in diesem Sinne emanzipatorische »grüne Demokratie« muss experimentell, konfliktorientiert und provokant sein.

Demokratische Experimente


»Grüne Demokratie« erfordert tatsächliche Demokratisierung. Damit Menschen auf die Entscheidungen Einfluss nehmen können, die ihr Leben und ihre Gemeinschaften betreffen, müssen wir fortlaufend mit neuen demokratischen Praxen und Institutionen experimentieren. Klimabürger*innenversammlungen sind ein Beispiel für einen solchen Versuch. Sie gelten als Antwort auf das weit verbreitete Misstrauen in die repräsentative Demokratie, den Klimanotstand entschlossen anzugehen. 


Die Legitimität von Bürger*innenversammlungen unterscheidet sich von derjeningen gewählter Parlamente durch die Form der Repräsentation. Ihre Mitglieder werden anhand von Parametern wie Alter, Geschlecht, Bildung und Wohnort nach dem Zufallsprinzip ausgelost und repräsentieren die Gesamtbevölkerung. Frankreichs Klimakonvent steht exemplarisch für ein solches Demokratieexperiment. 150 Bürger*innen wurden ausgelost, um mit Expert*innen klimapolitische Vorschläge zu erarbeiten. Im Juni 2020 präsentierte der Konvent seine Ergebnisse, darunter die Einführung des Straftatbestands des Ökozids, ein Werbeverbot für umweltschädliche Produkte und das Verbot von Inlandsflügen für Strecken, die mit dem Zug in weniger als vier Stunden zurückgelegt werden können. Der Konvent forderte aber auch mehr Steuergerechtigkeit und schlug finanzielle Zuschüsse vor, um öffentliche Verkehrsmittel und »grüne« Lebensmittel erschwinglicher zu machen. Viele Vorschläge wurden angenommen, einige allerdings auch direkt von Macron abgelehnt, darunter eine vierprozentige Steuer auf Unternehmensdividenden über zehn Millionen Euro, ein Tempolimit auf den Autobahnen von 110 Stundenkilometern und die Verankerung des Umweltschutzes als vorrangiges Ziel in der Verfassung. Um zu prüfen, ob die Regierung die Empfehlungen umsetzt, wurde eine Reihe von Kontrollmechanismen installiert, etwa ein dauerhafter Verband von Konventsmitgliedern mit dem Namen »The 150«.Bürger*innenversammlungen sind ein wichtiger Hebel, um neue Stimmen an den Verhandlungstisch zu bringen und die gesellschaftliche Akzeptanz von Maßnahmen zu stärken. Allerdings haben sie keine Entscheidungskompetenz und liefern lediglich Beiträge zur Entscheidungsfindung. Um zu verhindern, dass losbasierte Bürger*innenversammlungen Instrumente der Scheinpartizipation sind, die primär der Legitimationsbeschaffung der Regierung dienen, könnten sie permanent installiert und mit Entscheidungsbefugnissen ausgestattet werden. Vorschläge des Konvents könnten so direkt in Exekutivdekrete oder Referenden umgewandelt werden. 


In Gesellschaften mit großen sozialen Ungleichheiten sind Bürger*innenkonvente jedoch kein ausreichendes Mittel der Demokratisierung. Ein formaler Einbezug aller Stimmen in einen deliberativen Prozess garantiert noch keine gleiche Freiheit, da sie die strukturelle Voreingenommenheit in Debatten zugunsten wohlhabender und gut vernetzter Eliten ignoriert. Indem wir – gemäß der liberalen Tradition – soziale Konflikte vor allem als Meinungskonflikte und nicht als Konflikte um Ressourcen und Macht verstehen, gerät die Fähigkeit der politischen und wirtschaftlichen Eliten aus dem Blick, das gemeinsame Interesse für ihre partikularen Interessen zu mobilisieren.

Konfliktorientierung und demokratische Planung


Demokratische Experimente sind wichtig, aber sie reichen nicht, um Klima- und Umweltpolitik wirksam zu demokratisieren. Heute sind es vor allem Finanzmarktakteure und große Technologiekonzerne, die immensen Einfluss auf das Umweltmanagement und damit die Zukunft der Gesellschaft ausüben. Eine Demokratisierung der Klimapolitik darf sich deshalb nicht auf die politische Sphäre beschränken. Sie muss vor allem auch Produktions- und Investitionsentscheidungen umfassen und Konflikte um Macht sichtbar machen: Wie kann sichergestellt werden, dass die Produktion ökologisch nachhaltig ist und Menschen Einfluss auf deren Organisation und die Nutzung von Ressourcen erlangen? 


In kapitalistischen Gesellschaften liegt ein Großteil der Entscheidungsmacht bei den Konzernen, unter anderem in der Automobilindustrie. Die hohe Nachfrage nach Autos geht nicht nur auf den relativ günstigen Preis zurück, der das Ergebnis von staatlichen Subventionen und der Externalisierung von Umweltkosten ist. Auch die unzureichende Verfügbarkeit anderer Transportmittel lässt die Profitabilität und den Aktienwert von Automobilunternehmen steigen. Die Hersteller versprechen, ihre Gewinne zu nutzen, um umweltfreundliche Autos herzustellen, doch das wird den Klimanotstand nicht beheben. 


Was also ist zu tun? Demokratische Planung, wie sie der Sozialtheoretiker Aaron Benanav beschreibt, könnte ein geeignetes Mittel sein (vgl. Benanav 2020). Im Rahmen von demokratischen Investitionsausschüssen könnte etwa beraten werden, wie viele Ressourcen eine Gesellschaft für die Autoproduktion bereitstellen will oder ob sie stattdessen das öffentliche Verkehrssystem verbessern möchte. Vorstellbar wäre laut Benanav folgende Zusammensetzung: Ein Drittel der Delegierten repräsentiert verschiedene Produktionseinheiten aus dem Bereich Transport, ein anderes Drittel das technische Wissen von Produzentenverbänden aus den Sektoren Verkehr und Klima und das letzte Drittel setzt sich aus Vertreter*innen der Endnutzer*innen und zivilgesellschaftlicher Gruppen zusammen. Vorstellbar wäre auch die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips. Personen und Gruppen, die etwa am stärksten von industriell verursachten Umweltverschmutzungen und Lärm betroffen sind, könnten vorrangig in die Entscheidungen einbezogen werden. 


Neue digitale Technologien spielen ebenfalls eine wichtige Rolle für demokratische Planung. Statt Entscheidungen an unserer Stelle zu treffen, können sie komplexere Formen der Verhandlung und den Aufbau von offenen Datengemeinschaften ermöglichen. So hat die Stadtregierung in Barcelona ein vielversprechendes Pilotprojekt durchgeführt:[1] Bürger*innen wurden mit Sensoren ausgestattet, um Daten zur Lärm- und Luftverschmutzung zu erheben. Die Daten wurden anschließend anonymisiert und geteilt, um gemeinsam Problemlösungen zu erarbeiten. Dies ist nur möglich, wenn die Daten öffentliches Eigentum sind und demokratisch über ihre Verwendung entschieden wird.

»Grüne Demokratie« muss provokant sein


Wer Klimagerechtigkeit will, muss sie stets aufs Neue erstreiten. Historisch waren es Aufstände und Proteste, die eine stärkere Demokratisierung erzwungen haben. Auch deshalb muss eine »grüne Demokratie« provokant sein. Moderne Demokratien versprechen zwar Gleichheit und Freiheit, wirken aber nicht per se auf die Einlösung dieser Versprechen für alle hin. Wir müssen stets fragen: Freiheit und Gleichheit für wen? 


In diesem Sinne bezeichnet die »grüne Demokratie« ein neues Paradigma, das Demokratie zuallererst vom Ausschluss her denkt. Demokratisches Handeln erscheint dann nicht zuerst als eine Problemlösung, sondern als eine Praxis der Problematisierung. Problematisiert wird, dass im Namen der Freiheit sehr viel Unfreiheit zugelassen wird. So konnten historisch Freiheitsrechte für einen Teil der Bevölkerung existieren, bei gleichzeitiger Unterdrückung anderer sozialer Gruppen. 


Wir müssen also aufhören, so zu tun, als wären alle gleichermaßen vom Klimanotstand betroffen. Stattdessen müssen die Hauptverantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Länder des globalen Nordens müssen ihren gerechten Anteil zahlen. Sie müssen für die Verluste und Schäden aufkommen und darüber hinaus Unterstützung leisten, um eine historisch bedingte strukturelle Ungleichheit auszugleichen. Konkrete Maßnahmen wären ein Schuldenerlass sowie eine gerechte Besteuerung von Umweltverschmutzern, eine patentfreie gemeinsame Nutzung »grüner« Technologien sowie die Reform internationaler Institutionen. 


Nicht zuletzt brauchen wir eine breite politische Bewegung, die deutlich macht, was tatsächlich auf dem Spiel steht. Globale Klimagerechtigkeit leitet sich nicht aus gut gemeinten politischen Maßnahmen und Versprechen ab, sondern ist auf fortgesetzte demokratische Provokationen angewiesen. Deren Funktion ist es, einen sozial-ökologischen Wandel einzufordern und neue Vorstellungshorizonte zu eröffnen. Drei Bedingungen sind dafür notwendig: Wir müssen die ökologische Krise als eine globale Verteilungskrise begreifen, Umweltpolitik als Gesellschaftspolitik denken und den ökologischen Wandel als einen sozial-ökologischen Wandel mit globalen Gerechtigkeitsansprüchen verstehen. 


Diese Blickverschiebung hat eine entscheidende politische Implikation. »Grüne Demokratie« geht über bloße Forderungen nach einer CO2-Steuer, der Senkung des Ressourcenverbrauchs des globalen Nordens und dem Ausbau erneuerbarer Energiequellen hinaus. Mehr denn je brauchen wir politische Interventionen, die Klima- und Umweltschutz mit anderen sozialen Zielen – der Schaffung guter Arbeitsplätze und dem Abbau von wirtschaftlicher und politischer Ungleichheit – verbinden. Wirtschaftsdemokratie spielt dabei eine zentrale Rolle, aber auch konkrete sozialpolitische Ziele – garantierte Mindesteinkommen, die Einführung einer Vier-Tage-Woche, eine sichere Alters- und gute Gesundheitsversorgung, die Schaffung von erschwinglichem Wohnraum und Investitionen in freie Bildung. Mit Blick auf die Klimapolitik geht es auch um lokale Projekte der Kompensation von CO2-Emissionen. Sie öffnen im Unterschied zu einem globalen Emissionshandel einen politischen Raum für Aushandlung, ermöglichen lokale Kontrolle und stärken das Prinzip der Rechenschaftspflicht, indem sie den geografischen Zusammenhang zwischen Umweltschäden und deren Behebung aufrechterhalten. Hier demokratische Experimente mit echter Schlagkraft zu entwickeln wäre ein Schritt hin zu wirklicher »grüner Demokratie«.